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Noch nie haben so viele Menschen in Städten gelebt wie im 21. Jahrhundert, und eine globale Architektur scheint dafür zu sorgen, daß sich die Metropolen immer ähnlicher werden. Zugleich arbeiten Politiker, Stadtplaner und Kulturschaffende aktiv daran, "ihrer Stadt" im medial geführten Konkurrenzkampf um Einwohner, Investoren und Fördermittel ein unverwechselbares Gesicht zu geben. Tatsächlich unterscheiden sich Städte erheblich, und diese Differenzen bestimmen mit darüber, wie etwa Kindheit, Armut oder sexuelle Orientierung erfahren werden. Städte entscheiden über Lebenschancen und prägen…mehr

Produktbeschreibung
Noch nie haben so viele Menschen in Städten gelebt wie im 21. Jahrhundert, und eine globale Architektur scheint dafür zu sorgen, daß sich die Metropolen immer ähnlicher werden. Zugleich arbeiten Politiker, Stadtplaner und Kulturschaffende aktiv daran, "ihrer Stadt" im medial geführten Konkurrenzkampf um Einwohner, Investoren und Fördermittel ein unverwechselbares Gesicht zu geben. Tatsächlich unterscheiden sich Städte erheblich, und diese Differenzen bestimmen mit darüber, wie etwa Kindheit, Armut oder sexuelle Orientierung erfahren werden. Städte entscheiden über Lebenschancen und prägen Alltagsroutinen. In Berlin rennen die Menschen häufiger einer U-Bahn hinterher als in München, obwohl sie in München meist viel länger auf den nächsten Zug warten müssen. "Lust", "Spaß" und "Arroganz" werden nirgends so häufig in Internetsuchmaschinen eingegeben wie in Hamburg, Berliner interessieren sich offenbar besonders für "Melancholie", "Faulheit" und "Kultur", während Münchener bei "Karriere", "Profit" und "Sport" und Augsburger bei "Seitensprung" und "Leidenschaft" ganz vorne liegen. Martina Löw nimmt in ihrem neuen Buch die Stadt als Erkenntnisgegenstand ernst und entfaltet im Anschluß an raumtheoretische Überlegungen die These, daß sich urbane Entwicklungen nur dann hinreichend erklären und effektiv beeinflussen lassen, wenn man die "Eigenlogik" von Städten begreift. Um zu verstehen, wie eine Stadt "tickt", welche Ideen in ihr generiert, welche realisiert und schließlich akzeptiert werden, muß man sie wie einen Organismus betrachten, der einen Charakter ausbildet und über eine eigene "Gefühlsstruktur" verfügt, die in Städtebildern gefaßt und in Alltagsroutinen reproduziert werden. Anhand zahlreicher empirischer Beispiele entwickelt Martina Löw die Grundlagen für eine differenztheoretische Stadtsoziologie, in der Städte nicht mehr nur als Laboratorien zur Analyse sozialer Prozesse begriffen werden, sondern auch als eigensinnige Objekte soziologischen Wissens.
Autorenporträt
Martina Löw ist Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2008

Zwischen Menschenströmen und in offenen Räumen

Was ist die Identität einer Stadt im Zeitalter der Globalisierung? Martina Löw entwirft eine neue Soziologie des Urbanen, die es mit den Besonderheiten verschiedener städtischer Entwicklungen hält.

Wo die Lichtlein nun wieder brennen und das lokale Feingebäck duftet, ist mehr kuscheliges Identitätsgefühl in unseren Städten denn je. Dabei wird der städtische Festschmuck längst global aus dem Katalog Made in China eingekauft. Bedeutet dies, dass die Festfreude rund um die Welt schon dieselbe ist, oder sucht sie gerade umso mehr die Sprache des Besonderen und Eigenen zu sprechen? Geht das eine vielleicht mit dem anderen zusammen? Zur Klärung dieser Zusammenhänge des Globalen hinter dem Lokalen und des Heterogenen im Gleichförmigen bietet dieses Buch interessante Anregungen, mag man auch bei der Lektüre manchmal im Gestrüpp des sozialwissenschaftlichen Jargons zum kühnen Sprung ins nächste Kapitel versucht sein.

Die identitätsbildende Kraft der Städte, dieser zerbeulte Allerweltsbegriff, den die Kommunikationsberater von morgens bis abends im Mund führen und die Urbanisten oder Stadttheoretiker kaum über die Lippen bringen, verdient mehr kritische Sachlichkeit: als Tatsache und als Bedürfnis der Leute. Städtische Identität besteht eben nicht bloß aus restaurierten Palästen und wieder aufgebauten Schlössern oder Kirchen. Zum besonderen Identitätsgefühl einer Stadt gehört auch, wie schnell oder gemächlich man sich mit den Menschenströmen bewegt, wie hell die als angenehm empfundene Straßenbeleuchtung ist, wie empfindlich die Leute auf Lärm reagieren, wie gern man statt auf den Parkwegen auch auf dem Asphalt joggt.

Mit Bordieu durchs Stadtgefüge

Die in Darmstadt lehrende Soziologin Martina Löw bündelt all diese Aspekte in der Zentralthese ihres Buchs, dass es dafür keine universal relevanten Mittelwerte gibt, die sich lokal unterschiedlich niederschlagen. Die Autorin geht vom Prinzip einer "Eigenlogik der Städte" aus. Statt bloße Laboratorien zur Analyse allgemeiner gesellschaftlicher Prozesse sind die Städte demnach Territorien konkreter Gesellschaftsbildung je nachdem, wie die Vielzahl der Phänomene - Armut, Kindheit, Marginalität usw. - subjektiv erlebt und kollektiv verwaltet werden. Mehr als eine Soziologie "der" Stadt, so hält die Autorin den vorab marxistisch geprägten Allgemeintheorien der letzten Jahrzehnte entgegen, bräuchten wir eine Soziologie "der Städte".

Städte als eigenlogische Gebilde zu verstehen bedeutet zunächst schon einmal, dass nicht das eine Stadt ausmacht, was verwaltungsrechtlich als solche definiert ist, sondern jenes "Formgefüge, welches alltagsrelevant als städtische Einheit erlebt wird". Das Bedürfnis der Menschen, die Stadt als unterscheidbare Einheit abzugrenzen, nicht mehr so sehr gegen das umliegende "Land", sondern gegen andere, konkurrierende Städte, geht wohl auf eine tiefe kollektive Erinnerung an Stadtmauern als Verteidigungsmauern zurück. So etwas lasse sich nicht einfach auslöschen, schreibt die Autorin - deshalb sei ja auch der Versuch der niederländischen Randstad gescheitert: Amsterdam, Rotterdam und Den Haag würden weiterhin als verschiedene Städte, nicht als Einheit wahrgenommen. Kann ja noch werden, möchte man einwenden, denn die Prozesse "eigenlogischer städtischer Vergesellschaftung" sind, das sieht auch die Autorin so, zwangsläufig das Ergebnis von Langzeitentwicklung.

Zwei Begriffe werden in Anlehnung an Vorarbeiten vorab von Henri Lefèbvre und Pierre Bourdieu für die Bestimmung jener Prozesse angeführt. Es ist dies die "städtische Doxa" und der individuelle "Habitus". Die eine macht ein Stadtgefüge zu einer bestimmten, über Regeln und Ressourcen strukturell verankerten Sinnprovinz. Der andere besteht aus ortsspezifischen Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, bis hin zum Körpergedränge beim Einsteigen in den Bus oder zum Nacktbaden im öffentlichen Raum. Man kann gewiss allgemeine soziologische Milieustudien über Taxifahrer, Hochschullehrer, Tänzer oder Priester anstellen. Annahme der Autorin ist es aber, dass sich in den Städten quer zu den Milieus gemeinsame Praxisformen ausprägen und ein Taxifahrer eben nie durch eine abstrakte Allerweltsstadt fährt.

Spricht dagegen nicht gerade die Globalisierung? Hier ist Begriffsdifferenzierung geboten. Der Ansicht, dass wir uns "leider" - so etwa der Architekt Rem Koolhaas - auf eine immer einheitlichere Stadtarchitektur hinbewegen, steht die Position gegenüber, dass im wachsenden Konkurrenzdruck der Städte untereinander Individualisierung wichtiger wird denn je.

Die Imagedesigner haben das Wort

Fieberhaft suchen alle Städte nach dem lokalen Mehrwert durch neue Icons - wie die Hamburger Elbphilharmonie - oder durch rekonstruierte Tradition wie den Frankfurter Römer oder den Dresdener Neumarkt. Globalisierung bringt nicht einfach Homogenisierung - darin stimmt man der Autorin gern zu. Worauf ist aber dann die Letztere zurückzuführen? Auf die "Moderne" selbst und ihre Universalisierungstendenz sowie auf deren Ausformung im Kapitalismus - antwortet die Soziologin ausweichend und wenig plausibel.

Begnügen wir uns also mit ihrem nützlichen Hinweis: Homogenisierung und Heterogenisierung stehen in keiner zwangsläufigen Entweder-oder-Beziehung. Sie liegen oft auf unterschiedlichen Ebenen und können einander auch steigern. Je mehr eine Stadt in der Organisation ihres Verkehrsbetriebs den anderen ähnlich sieht, desto farbiger sollen die Busse sein. Entsprechendes gilt für das Paar global-lokal. Über den aus der Geographie in die Politikwissenschaften und in die Raumsoziologie gekommenen Begriff der "scale", im Sinne von Maßstab, kann gezeigt werden, dass Globalisierung und Lokalisierung parallel zueinander verlaufen. Auf politisch-wirtschaftlicher Ebene etwa stellen die Großstädte heute neben den Nationalstaaten eine neue Stufe der Vergesellschaftung dar. Metropolen sind als globale Akteure oft potenter als Nationen und bleiben mit ihrer konzentrierten Raumbindung doch so lokal wie ein Dorf.

Die Obsession des besonderen Stadtbildes beschäftigt längst nicht mehr nur die Spezialisten aus der Tourismusbranche. Seit etwa dreißig Jahren steht diese Obsession vorab in Europa und Nordamerika im Zeichen der Krisenwahrnehmung. Zersiedelung und abstrakte Zonenplanung bedrohen das klassische Stadtbild europäischer Prägung aus fußgängiger Mitte, Urbanität und historischer Bedeutsamkeit. Eine Folge daraus ist städtische Erinnerungspolitik. Aufschlussreich ist Löws Hinweis auf eine Studie über das Phänomen "Altstadt". Noch vor vierzig Jahren wurden damit eher Assoziationen wie Elend, Enge, Verwahrlosung verbunden. Inzwischen ist die Altstadt zu einer zentralen Komponente des modernen Städtebaus geworden. Dabei zielt Altstadtpflege nicht nur auf den Erhalt des Bestehenden, sondern auf Schaffung von homogenisierter, leicht wiedererkennbarer Eigenart. "Kölle bliev Kölle" - hieß nach dem Krieg die Parole in Köln. Das steile Walmdach mit Flabbes erschien bald Besuchern wie Einheimischen als Teil althergebrachter ortstypischer Bauart, obwohl es historischen Ansichten zufolge eher untypisch war.

Für den Sex nach Berlin, für die Liebe eher ins romantische München - mit dieser Zuspitzung führt die Autorin im Detail vor, wie Städte im permanenten Wettbewerb um Eigenprofil erotisiert werden. Die Eigenlogik der Stadtentwicklung liegt da schon fest in den Händen der Imagedesigner. Der wissenschaftliche Tenor aber des Buchs, der jeden Anlauf zu einer Aussage mit drei Literaturverweisen aus der immensen Bibliographie absichert, bleibt derselbe. Eine etwas freiere Argumentation, der Verzicht auf unnötige Kurzzitate und die Verbannung der Nachweise in einen Anhang hätten uns die Vorteile einer "Soziologie der Städte" noch einleuchtender machen können. Vorausgesetzt, dass auch erklärt wird, wie man aus dem dargestellten Dickicht der städtischen Sonderfälle wieder hinausfindet zu allgemeineren Aussagen.

JOSEPH HANIMANN

Martina Löw: "Soziologie der Städte". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 292 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aus dem Dickicht der Städte findet Joseph Hanimann kaum wieder heraus. Die Universalien negierende, auf die Eigenlogik der Städte abhebende Studie der Soziologin Martina Löw versorgt den Rezensenten dabei durchaus mit interessanten Anregungen. Straßenbeleuchtung, Lärm - die Eigenlogik der Städte, ihre identitätsbildenden Momente, die Löw gegen herkömmliche Allgemeintheorien in Anschlag bringt, leuchten Hanimann ein. Eine differenziertere Begrifflichkeit, räumt er ein, hätte manchmal nicht geschadet, etwa wenn die Autorin die Zusammenhänge von Globalisierung, Individualisierung und Homogenisierung erkundet. Der vollkommenen Erleuchtung des Rezensenten und dem Zugang zu "allgemeineren Aussagen" aber steht im Weg: Eine alllzu sehr an Literaturverweise und Bibliografie gebundene "unfreie Argumentation".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Löw ... geht es darum, Städte 'als eigenständige Objekte soziologischen Wissens' zu begreifen. Aus guten Gründen. Denn das Leben des 21. Jahrhunderts ist vor allem ein Leben in Städten. Und so dürfte es eine nicht zu unterschätzende Frage sein, wie sich die Eigenlogiken der Städte und die Erfahrungen ihrer Bewohner wechselseitig ständig beeinflussen.« Matthias Arning Frankfurter Rundschau