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In diesem Buch geht es darum, die interpretationsbestimmten Grundlagen der Verständigung, des Weltbezugs und des Handelns in Lebenswelt, Wissenschaft, Ethik und Kunst herauszuarbeiten. Da sich alle Wissenschaften, Künste und Handlungen in sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen vollziehen und daher immer schon auf Interpretationsprozesse bezogen sind, läßt sich der Ansatz in diesen Bereichen zur Analyse der Grundlagen und der interdisziplinären Zusammenhänge heranziehen.

Produktbeschreibung
In diesem Buch geht es darum, die interpretationsbestimmten Grundlagen der Verständigung, des Weltbezugs und des Handelns in Lebenswelt, Wissenschaft, Ethik und Kunst herauszuarbeiten. Da sich alle Wissenschaften, Künste und Handlungen in sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen vollziehen und daher immer schon auf Interpretationsprozesse bezogen sind, läßt sich der Ansatz in diesen Bereichen zur Analyse der Grundlagen und der interdisziplinären Zusammenhänge heranziehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Platthaus bespricht das Buch in einer einigermaßen überraschenden Kombination zusammen mit Joschka Fischers "Mein langer Lauf". Irgendwie hat man dabei das Gefühl, dass er sich über beide Bücher sanft mokieren will. Das Problem ist dabei, dass man weder beim einen noch beim anderen so recht erfährt, wovon sie handeln.
1) Fischer: "Mein langer Lauf zu mir selbst" (Kiepenheuer und Witsch)
Fischer beschreibt in dem Buch, wie er sich durch Langlauf von 112 auf 77 Kilo reduzierte, und Platthaus warnt, dass das Buch kaum zum Ratgeber tauge, "denn weder die Konsequenz noch die auslösende Krisis kann simuliert werden".
2) Abel: "Sprache Zeichen, Interpretation"
Da geht`s also um eine Lehre der Handlung, der Zeichen und der Interpretation, die Platthaus nicht immer ganz überzeugend an Fischers Erzählungen misst. Etwas komisch wirkt natürlich im Kontrast Abels abstrakte Prosa, die Platthaus mit Genuss zitiert: "

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Die kleinen Drahtigen, die halten was aus!
Was ein Politiker auf die Waage bringt, ist Interpretationssache: Mit Joschka Fischer laufen heißt Philosophie bei Günter Abel lernen / Von Andreas Platthaus

Joschka Fischer läuft gerne allein. Das glauben wir ihm gerne. Wir laufen auch gerne. Allein natürlich. Dem wahren Langläufer ist kaum etwas verhasster als der kurze Plausch, der ihn aus dem Atemrhythmus bringt. Läufer sind keine sozialen Menschen, das hat der deutsche Außenminister in aller Kürze in seinem neuen Buch "Mein langer Lauf zu mir selbst" klargestellt: "Die absehbare Entwicklung hin zum Kotzbrocken im persönlichen Umgang beantwortete ich mit einem weiteren Rückzug auf mich." Das allerdings glauben wir ihm nicht so gerne. Denn wir laufen wie gesagt auch. Nicht als Kotzbrocken natürlich. Dem Philosophen, als welcher sich Fischer ein ums andere Mal in seinem Buch erweist, muss doch klar sein, dass sein Berliner Fachkollege Günter Abel Recht hat: "Handlungen stehen in Handlungszusammenhängen, sind öffentliche, regel-folgende und ziel-bestimmte Vorgänge. Einer allein und nur für sich kann nicht einer Handlungsregel folgen ... In jedem Handeln ist die Außenwelt bereits präsupponiert." Man läuft also nie nur für sich.

Bisweilen mag einen etwa Buddha begleiten. So müssen wir zumindest vermuten, wenn wir Fischer glauben wollen, der erzählt, dass ihm eines Abends an der weiland noch Bonner Wegstrecke ein anderer Jogger zugerufen habe: "Bist du beim Laufen schon deinem Buddha begegnet?" Nun ist Buddha von allen Göttern derjenige, dessen Figur am wenigsten erwarten lässt, dass man ihm bei behender Fortbewegung antreffen könnte, doch vielleicht möchte er auch abnehmen, rank und schlank werden wie sein früheres Bodydouble Fischer, aber wir schweifen ab. Die philosophische Exegese jenes Bonner Zurufs beschließt Fischers Text nach 167 groß bedruckten Seiten: "Vielleicht meinte jener laufende Kauz ja nur die eine Botschaft: Es geht! Man muss nur bereit sein, die ersten Schritte zu tun, und dann immer weiter laufen."

Der laufende Kauz hat sich gleich nach Erscheinen von Fischers Buch als Redakteur der "tageszeitung" geoutet, was wir gerne glauben wollen. Auch wir sind Redakteure, die bisweilen mehr Tiefgang produzieren, als wir selber glauben (oft allerdings auch umgekehrt). Ob der witzige Kollege wusste, dass dem Buddhisten die Einheit von rechtem Glauben, Entschließen, Reden, Tun, Leben, Streben, Gedenken und Sichversenken als achtgliedriger Pfad zum Heil gilt? Oder etwas prägnanter mit Günter Abel: "reziproke Verschränkung von Wissen und Handeln". Oder noch prägnanter mit Joschka Fischer: "radikale Ernährungsumstellung mit Sport, Sport, Sport". Denn Fischer beschreibt eindrucksvoll, wie er 1996 in der Toskana mit einem Mal nicht reflexiv das Richtige für Körper und Geist tat, sondern instinktiv. Ausgestattet mit dem Urwissen des Jägers und Gejagten, der der Mensch anthropologisch nun einmal ist ("Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft", zitiert Fischer den Olympiasieger Emil Zatopek, die menschliche Lokomotive der fünfziger Jahre), überwand der Politiker seine frühere Laufantipathie - und der Rest ist Geschichte. Das angesprochene Urwissen aber zählt zur Interpretation1-Ebene.

Damit sind wir wieder bei Günter Abel. Der arbeitet mittlerweile seit mehr als einem Jahrzehnt seine Interpretationsphilosophie aus, die die Bedingungen der Möglichkeiten für Sprechen, Denken, Wissen und Handeln klären soll, ohne dabei Transzendentalphilosophie zu betreiben. Mit Kant setzt Abel zwar einen Schwerpunkt auf die Unterhintergehbarkeit unserer beschränkten Wahrnehmung, doch sein Bezugspunkt ist nicht das Ding-an-sich, sondern die Lebenswelt Wittgensteins und Husserls, ist eine Praxis, die ihren Antrieb aus den Stimuli zieht, die das Leben bereithält.

Gar manchem solchen Stimulus ist Joschka Fischer vor seinem Damaskus-Erlebnis in der Toskana erlegen, was in 112 Kilo Lebendgewicht resultierte, die dann binnen eines Jahres auf siebenundsiebzig Kilo reduziert wurden. Wie ihm das gelungen ist, schildert Fischer mit solcher Begeisterung, dass wir sofort nach Lektüre wieder das Lauftraining aufgenommen haben, das wir sonst pünktlich zum Eintritt der kalten Witterung unterbrechen. Jedem der hoffentlich zahlreichen Leser, die Fischers wunderbares Bändchen finden möge, sollte aber ein gütiges Geschick auch das neue Werk von Günter Abel auf den Nachttisch zaubern: In "Sprache, Zeichen, Interpretation" steckt bereits der ganze Fischer - und mit Fischer kann man wiederum Abel besser verstehen. Das ist die Verschränkung von Wissen und Handeln (der Philosoph Abel und der Läufer Fischer), der berühmte "Drehtüreffekt" aus Abels Interpretationsphilosophie, wo man nicht entscheiden kann, wer nun wen bestimmt: das Wissen das Handeln, Abel den Fischer oder umgekehrt. Denn allen voraus ist die Interpretation, die beides und beide bestimmt. Und das auf drei Ebenen.

Die erste, jene oben erwähnte Interpretation1-Ebene, umfasst unter anderem auch die Leiblichkeit, also den Fischer, der sich selbst anno 1996 als "schwer atmendes Fass" auf dem Fußballplatz wiederfindet. "Gegenstands- und wahrheitsbegründend" nennt Abel die Erkenntnisse, die uns Interpretation1 gestattet. Hier wird die Basis gelegt für alles weitere Interpretieren auf höheren Ebenen, wo dann die aus Gewohnheit habituell gewordenen Muster zur Anwendung kommen (Fischer läuft jeden Tag; Interpretation2) und schließlich aneignende Deutungen vollzogen werden (Fischer begründet seinen täglichen Lauf mit seinem Bestreben abzunehmen; Interpretation3).

Auf der ersten Ebene wird nach Abel aus der Vielzahl der individuellen Wahlmöglichkeiten die Grundlage der eigenen Lebenswelt, der "So-und-so-Welt" gelegt, ohne dass man sich dieser Wahlmöglichkeit bewusst wäre: Die Interpretation zählt zur sowohl angeborenen wie kulturell vermittelten Ausstattung des Menschen, auf Interpretation1-Ebene gibt es somit keine Freiheit. Oder nur um den Preis einer anderen Welt; bei Fischer kann man das nachvollziehen. Sein Credo beim Anblick des durchtrainierten Heiner Geißler lautete jahrelang: "Das schaffst du nie, Fischer." Die individuelle Interpretation der eigenen Leiblichkeit erschafft eine Welt, in der munter gegessen und getrunken werden darf, weil es keine Wahl gibt. Mit Abel gesprochen: "In Bezug auf die internen Regularitäten einer funktionierenden und gut eingespielten Interpretations-Praxis sind die Grenzen der Dezision sowie der Optierbarkeit schnell erreicht."

Doch dann vollzog Fischer auf der grundlegenden, der "existenziellen" Ebene einen Umschwung. Seine neue Interpretations-Praxis, ausgelöst durch die Trennung von seiner damaligen Frau, lautete im Sommer 1996: "Ich mache jetzt einen radikalen Schnitt." Es war die Entscheidung einer einzigen Sekunde, ebenso unbewusst eingetreten wie zuvor der Fatalismus angesichts des drahtigen Geißler. Damit ist die alte Welt der "Wohllebe" passé, "So-und-so" heißt nunmehr Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Realismus und Geduld. Fischer setzt sich ein Ziel: sein Gewicht von 1983, und erstellt einen neuen Lebensplan: statt Braten Obst, statt Petrus Mineralwasser, statt Sitzplatz Laufbahn. Dann nach Erreichen des Vorsatzes neue Ziele: Marathon, trainiert vom Altmeister Herbert Steffny persönlich, stur wie die Panzer. Wir müssen anerkennen: Die nehmen die Sache tierisch ernst. Das könnten wir nie.

Fischers Buch taugt nicht zum allgemeinen Ratgeber, denn weder die Konsequenz noch die auslösende Krisis kann simuliert werden. "Ich kann und muss", verkündet der Autor, "bei diesem Thema vor allem über mich selbst sprechen." Keine Heilsversprechen gibt es bei Fischer, er ist nicht der Buddha, der uns den Weg weisen wollte. Damit nimmt er eine der zentralen Einsichten Abels auf, wonach es nie eine verbindliche Norm für die Menschheit geben kann: "Theorien sind Theorien nicht nach Gottes-, sondern stets nur nach Menschenmaß", und "eine Konvergenz aller wissenschaftlichen Teilbereichs- und Einzeltheorien zu ,Der Einen Theorie', die dann ,Die Eine Beschreibung' und ,Den Einen Kanon Der Rechtfertigung' liefert, ist nicht in Sicht und wird immer unwahrscheinlicher".

Aus dieser Erkenntnis leitet Abel am Schluss seines Buchs die Vorzugswürdigkeit der Demokratie gegenüber allen anderen politischen Systemen her, weil nur im Mehrheitsverfahren des demokratischen Verfahrens der Tatsache Rechnung getragen wird, dass es keine Gewissheit geben kann und die allem vorausgehende Interpretations-Praxis immer "Abschlüsse-auf-Zeit" verlangt - um neuen Interpretationen nicht vorzugreifen.

Das dürfte Joschka Fischer sympathisch sein: die Demokratie als wesensmäßig "auf-Zeit" ausgerichtetes Phänomen - wie der Lauf, in dem es ja auch immer auf Zeit geht. Es wird aber auch Fischers Parteifreunde und Koalitionspartner zuversichtlich stimmen, dass der behäbig-gemütliche Joschka von ehedem nun zwar einem agilen Alpha-Tier gewichen ist, das aber qua seinem Selbstverständnis als Läufer sowohl (praktisch) Einzelgänger als auch (theoretisch) überzeugter Demokrat sein muss. Vorher war er ja eigentlich viel gefährlicher, so etwa, als er als übergewichtiger Fußballer die "schier endlose Ebene" des Mittelfelds entdeckte. Das war die Geburtsstunde der Neuen Mitte, deren Wählerpotenzial sich dem atemlosen Politiker schlagartig erschloss. Den Grünen musste es grauen, mit dem neuen Fischer, dem "Extremisten", wie er sich selbst im Buch gern nennt, sind sie besser dran.

Aber zur theoretischen Unterfütterung dieser Einsicht (als Interpretation3) braucht es Abel. All die Fundi-Feinde, die in Fischers Buch ächzend von der Bewunderung für den alten Pazifistenfresser Geißler lesen oder ihren Augen nicht trauen werden, wenn sie auf der Startnummer des Marathonläufers Fischer das Signet des Ölmultis Shell sehen, könnten bei Abel Trost finden und Joschka wieder in die Arme schließen. Auch das ist jetzt viel leichter als vor drei Jahren.

Joschka Fischer: "Mein langer Lauf zu mir selbst". Mit einem Nachwort von Herbert Steffny. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 176 S., 19 Abb., geb., 29,90 DM.

Günter Abel: "Sprache, Zeichen, Interpretation". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 395 S., geb., 56,- DM.

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