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Über Pop schreiben bedeutet sich zu verwandeln, und sie fängt im Alter von 15 Jahren damit an. Ihre Texte sind frech, anrührend, witzig und präzise. Die ehemalige Spex-Redakteurin Kerstin Grether schreibt bis heute die Frauen in die Musikgeschichte zurück und wurde darüber selbst zu einer Ikone der Popkulturgeschichte ihrer Generation. Sie erzählt von rockigen Begegnungen mit Kultstars wie Nick Cave und den Ramones und dechiffriert die süße Plastikwelt der Casting-Kids. Ob Kurzgeschichte oder Reportage, Essay oder Rezension immer kommt es zu spontanen Zungenküssen mit dem Leben, seinen Stars…mehr

Produktbeschreibung
Über Pop schreiben bedeutet sich zu verwandeln, und sie fängt im Alter von 15 Jahren damit an. Ihre Texte sind frech, anrührend, witzig und präzise. Die ehemalige Spex-Redakteurin Kerstin Grether schreibt bis heute die Frauen in die Musikgeschichte zurück und wurde darüber selbst zu einer Ikone der Popkulturgeschichte ihrer Generation. Sie erzählt von rockigen Begegnungen mit Kultstars wie Nick Cave und den Ramones und dechiffriert die süße Plastikwelt der Casting-Kids. Ob Kurzgeschichte oder Reportage, Essay oder Rezension immer kommt es zu spontanen Zungenküssen mit dem Leben, seinen Stars und Liedern und dem Ideenmut der Gegenwart: dazu gehören auch Filme, TV-Serien, Romane und Theorien. "Zungenkuß" erlaubt sich die gegenwärtige Musikgeschichtsschreibung jenseits gängiger Antagonismen.
Autorenporträt
Grether, Kerstin
Kerstin Grether, Schriftstellerin, Sängerin und Popkulturjournalistin, lebt in Berlin. Mit Zuckerbabys (Suhrkamp 2006) schrieb sie einen Roman über Magersucht und Medien, der schnell zum Kultroman avancierte. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel und Kolumnen im Feuilleton, in Anthologien und verschiedenen Zeitschriften, darunter Intro, frieze und Frankfurter Rundschau. Ihre exzentrischen Leseperformances changieren zwischen mutwilligem Ernst und spontanen Stand-Up-Comedy-Einlagen. Sie ist außerdem Sängerin und Songschreiberin in der von ihr 2008 mitgegründeten Band Doctorella.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2007

Was die Welt von ihrer Last erlöst

Das Ende der Popliteratur wurde schon oft ausgerufen: Eine Anthologie mit Texten seit 1964 und Kerstin Grethers gesammelte Kritiken beweisen, dass Pop nicht immer nur da ist, wo man ihn sucht.

Von Richard Kämmerlings

Was Pop ist, weiß man nach der Lektüre natürlich immer noch nicht. Aber man weiß es genauer nicht. Die Anthologie "Pop - seit 1964" jedenfalls ist selbst auch Pop. Das ist sie schon ganz oberflächlich betrachtet, durch das auratische, schwarz-silbrig glänzende Buchcover, ein Cabrio-Reader mit Metallic-Lackierung, an dem selbst das aufgeklebte, transparente Preisschild den Gesamtauftritt verstärkt. "Kiwi Paperback 1000" - das soll ein bisschen so klingen wie der Mercedes "200 D", den der Autor und Filmemacher Christopher Roth 1982 in seiner Mitschrift des Münchner Nachtlebens feierte.

Wichtiger aber ist die innere Affinität von Pop und Popliteratur (wir benutzen diese ebenso klaren wie undefinierbaren Begriffe jetzt erst einmal so, wie man ja auch "Kunst" sagt, ohne jedes Mal die idealistische Ästhetik zu rekapitulieren) zur Form der Anthologie selbst, vulgo zur Kompilation, zum Sampler, zum persönlichen Mixtape (oder neuerdings iPod-Playlist). Ebenso wie es für einen Liebhaber ernster Musik einem Sakrileg gleichkäme, einzelne Sätze aus Werken der Wiener Klassik zusammenzuschustern, kann man sich auch kaum eine Anthologie der wichtigsten Stellen der Nachkriegsliteratur vorstellen, es sei denn in jener spießigen Geschenkbuchvariante à la "der erste Kuss in der Literatur". Doch gerade in der Geschichte der Popliteratur haben Anthologien Epoche gemacht: von "Acid", 1969 herausgegeben von Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann, über Peter Glasers "Rawumms" von 1984 bis zu Krachts "Mesopotamia". Gerade für die Popliteratur der achtziger Jahre sind Texte in Fanzines, Magazine und Anthologien wirkmächtiger als etwa Romane (deren Rezeption oft erst rückblickend einsetzt). Vielleicht ist dies ein Merkmal von Pop, das trennschärfer als inhaltliche Zuschreibungen ist: Pop lässt sich schneiden.

Wege aus der "Literaturmisere".

Die beiden Herausgeber - Kerstin Gleba, Programmleiterin bei Kiepenheuer & Witsch, und Eckhard Schumacher, einer der besten Kenner der Popliteratur aus literaturwissenschaftlicher Sicht - legen drei historische Schnitte durch ihr Feld: Die erste Phase setzen sie von 1964 bis 1972 an, die zweite von 1982 bis 1989 und die dritte dann von 1990 bis 2004. Naturgemäß wird man sich beim länger Zurückliegenden eher einig: 1964, jenes Jahr, in dem die Beatlemania ihren Höhepunkt erreichte und "You Really Got Me" von den "Kinks" erschien, war auch das Jahr, in dem das Wort "Pop" in Verbindung mit "Literatur" erstmals auftaucht. h. c. artmann verwendet es in seinem Text "das suchen nach dem gestrigen tag" und meint damit zunächst Comics: "Es wäre heute immerhin an der zeit, sich bei uns zu bequemen, Comic Writing als das anzuerkennen, was sie schon längst geworden ist, nämlich Literatur. Gelesen wird sie von den 97 %, die keine ahnung von Joyce oder Musil haben (sei's drum), doch wäre es meiner meinung überaus wichtig, dass sich die 3 %, die Joyce und Musil zu lesen vorgeben, auch über comic writing informieren wollten." Dann prophezeit Artmann, dass man "in einigen zwanzig jahren" darüber "tiefsinnige abhandlungen" schreiben werde und erklärt "Pop-literatur" zu einem der Wege, "der gegenwärtigen Literaturmisere zu entlaufen."

Schon an diesem frühesten deutschen Beispiel sind die wichtigsten Grundmotive zu erkennen: Das ist zunächst die Öffnung des literarischen Feldes gegenüber neuen, vornehmlich Bild-Medien (selbst die zwischendurch in den Hintergrund getretene Begeisterung für Comics findet ein Echo in Diedrich Diederichsens Kanonisierung der Donald-Duck-Übersetzungen von Erika Fuchs Anfang der Achtziger). Die emphatisch-affirmative Bezugnahme auf Fernsehen, Film und die visuellen Codes von Kultur und Subkultur ist bis in die Gegenwart als Grenze zwischen Pop und Nicht/Pop in Kraft - jedenfalls in Deutschland, wo die Ablehnung des Populären ein Topos konservativer Kulturkritik geblieben ist. Im Kontext der Neoavantgarde der Sechziger hatte Popliteratur auch schon die aggressive Stoßrichtung einer "Antiliteratur", die ausdrücklich gegen den etablierten Literaturbetrieb marschierte. Deutlich wird das an der erregten Debatte um Leslie A. Fiedlers 1968 in Freiburg gehaltenen Vortrag "Close the Gap - Cross the Border", deren Hauptmotiv, die Überbrückung der Kluft zwischen "Elite-" und "Massenkultur", Rolf Dieter Brinkmann in seiner Polemik "Angriff aufs Monopol. Ich hasse alte Dichter" weiter verschärfte.

Zu Pop wurden damals - und die Textauswahl dieser Anthologie hält sich quasi historistisch daran - auch Autoren wie Elfriede Jelinek, Peter Handke, Friederike Mayröcker oder die Dichter der Wiener Gruppe gezählt. Was heute als "experimentelle" Prosa gegen eingängig-realistische, "journalistische" Texten etwa von Lottmann oder Stuckrad-Barre abgesetzt werden würde, ging damals noch leicht zusammen: Die Orientierung an der unmittelbaren, von Massenmedien und Konsumwelt geprägten Alltagswirklichkeit forderte neue, ungewöhnliche Schreibweisen, etwa die Montagetechnik. Wenn man so will, kann man die - irreführende - Trennung der Popliteratur in literarisch ernstzunehmende (die Suhrkamp-Fraktion mit Goetz und Meinecke) und oberflächliche Vertreter (die Kiwi-Culture) aus diesem ursprünglichen Avantgarde-Impuls ableiten. Interessanterweise hat man etwa einen Autor wie Alexander Kluge nie als "Pop" markiert, obwohl das in Bezug auf dessen Schreibverfahren naheliegen würde. Doch in allen drei Phasen und Ausprägungen zog Popliteratur heftige Kritik auf sich.

In ihren knappen und klugen Einleitungen weisen Gleba und Schumacher auf das Paradox hin, dass die Einwände, die gegen Pop-Autoren der Neunziger wie Kracht, Bessing, Nickel oder Stuckrad-Barre vorgebracht wurden - "Oberflächlichkeit, Inhaltslosigkeit, Konsumismus, Affirmation" -, auch schon gegen Brinkmann oder Hubert Fichte formuliert wurden, die inzwischen als "Pop-Klassiker" kanonisiert sind. Obwohl sich die Feuilletons längst für allerlei Erscheinungsformen populärer Kultur geöffnet haben (vom Fernsehen über die Popmusik bis zum Comic oder zur Mode), kann "Popliteratur" umstandslos als abwertende Kategorie benutzt werden.

Journalismus im Grenzgebiet.

Das hängt zusammen mit der engen Kopplung von Pop und (neuem) Journalismus seit den Achtzigern. Im Umfeld von Musikzeitschriften wie "Sounds" und dann "Spex" oder der Zeitgeistmagazine "Tempo" und "Jetzt" entwickeln sich die neue Popliteratur und ein neuer Journalismus parallel. Die nachholend rezipierten Formen des subjektiven "Gonzo-Journalismus" einerseits und die in ihrem Einfluss kaum zu unterschätzenden Musikkritiken von Diederichsen und anderen strahlen in die Literatur ab, so dass die Grenzen zwischen Reportage, Popkritik, autobiographischer Erzählung und Tagebuch fließend werden. Aber da die Literaturkritik selbst diesen Prozess erst mit Verzögerung mitvollzieht, fallen die Abwehrreaktionen so heftig aus.

Schon aus diesem Grund sind die Todesanzeigen für die Popliteratur zu relativieren; vieles segelt unter fremder Flagge weiter. Da passt es gut, dass just in diesen Tagen eine Textsammlung der Musikjournalistin Kerstin Grether erschienen ist (die in der Anthologie auch mit einem Auszug aus ihrem Roman "Zuckerbabys" vorkommt). Wer aktuellen Pop lesen will, sollte hier anfangen: Denn dies ist nicht nur ein äußerst kenntnisreicher, weiblich perspektivierter Crash-Kurs in Popmusikgeschichte seit 1990, sondern eine Autobiographie anhand wechselnder Begeisterungszustände: Bruchstücke einer großen Konfession und zugleich Lehrbeispiele einer ebenso subjektiven wie reflektierten Popkritik.

Das Paradox von Pop: Alle seine Definitionen sind selbst Pop, im Sinne einer emphatischen Feier des Gegenstandes. Pop ist ein Superlativ. Für Stuckrad-Barre steht nach "Pop" kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt: "Da muss dann echt was kommen." Und Kerstin Grether schreibt: "Wenn Pop das ist, was die Welt von ihrer Last erlöst, dann sind die ,Yeah Yeah Yeahs' Pop". Pop, das sind die Guten.

- "Pop - seit 1964". Herausgegeben von Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 412 S., br., 15,- [Euro].

- Kerstin Grether: "Zungenkuss". Du nennst es Kosmetik, ich nenn es Rock 'n' Roll. Musikgeschichten 1990 bis heute. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 384 S., br., 10,- [Euro].

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