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Gerald Zschorsch, geboren 1951 in Elsterberg im Voigtland, hat einen weiten Weg hinter sich. Von Plauen (Voigtland) wanderte der jugendliche Dissident in Gefängnisse der DDR. Er wurde in die Bundesrepublik abgeschoben; studierte in Gießen, zog später nach Frankfurt am Main. Auf die heftigen Protestlieder, Gedichte und Gefängnisnotate, die zuerst 1977 unter dem Titel Glaubt bloß nicht daß ich traurig bin in Berlin erschienen (mit einem Nachwort von Rudi Dutschke), folgten die Bände Klappmesser, Stadthunde, Sturmtruppen, Spitznasen, Eiserner Felix mit ihren knapperen sarkastischen und…mehr

Produktbeschreibung
Gerald Zschorsch, geboren 1951 in Elsterberg im Voigtland, hat einen weiten Weg hinter sich. Von Plauen (Voigtland) wanderte der jugendliche Dissident in Gefängnisse der DDR. Er wurde in die Bundesrepublik abgeschoben; studierte in Gießen, zog später nach Frankfurt am Main. Auf die heftigen Protestlieder, Gedichte und Gefängnisnotate, die zuerst 1977 unter dem Titel Glaubt bloß nicht daß ich traurig bin in Berlin erschienen (mit einem Nachwort von Rudi Dutschke), folgten die Bände Klappmesser, Stadthunde, Sturmtruppen, Spitznasen, Eiserner Felix mit ihren knapperen sarkastischen und erotischen, rätsel-, spruch- und dann doch wieder liedhaften Gedichten.
Gerald Zschorschs Werk ist einzelgängerisch. Nachbarschaft besteht vielleicht am ehesten zu Gedichten von Thomas Brasch. Zschorsch bleibt Dichter, auch wenn er, selten, Prosa schreibt. Der Zeichner ist noch zu entdecken.
Torhäuser des Glücks enthält sämtliche vor 2004 veröffentlichten Gedichte - und im neunten, letzten Kapitel, »Eizahn«, fünfzig neue, unveröffentlichte, nach Osten gewandt.
Autorenporträt
Zschorsch, GeraldGerald Zschorsch, geboren am 25. Dezember 1951 in Elsterberg im Vogtland, lebt in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004

Wir wollen kein Zuckerbrot
Kalte Gewaltlosigkeit: Gerald Zschorschs gesammelte Gedichte

"Ich ging im deutschen Winter / von Osten hier nach West / auf meinen Wangen froren / die Eiskristalle fest." So beginnt Gerald Zschorschs Gedicht "Grenzübertritt". Wir kennen diesen Ton von der ersten Strophe in Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen". Die Anspielung soll mitgehört werden, denn hier sprechen zwei Autoren aus ähnlicher Erfahrung. "Es ist das ewig Gleiche / in diesem deutschen Land / die einen werden verschwiegen / die andern werden verbannt." Zschorsch bezieht die Namen seiner Gefährten ein: Kunze und Fuchs, Pannach und Faust, Havemann und Biermann - es sind die Dissidenten der DDR.

Der Weg in die Opposition war dem 1951 im Vogtland Geborenen von der Familie nicht vorgezeichnet. Der Vater, ehemaliger KZ-Häftling, in der DDR Diplomat, und die Mutter, Jugendrichterin, taten alles für seine staatskonforme Erziehung. Er ließ sich nicht biegen. Zwischen 1968 und 1970 verbüßte er eine Jugendhaft wegen angeblicher "staatsfeindlicher Hetze" und wurde 1972, weil er öffentlich eigene kritische Gedichte vorgelesen hatte, mit gleicher Begründung zu verschärftem Freiheitsentzug verurteilt. Mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft 1974 verband sich die Ausweisung aus der DDR. Seit dem Ende des Studiums in Gießen 1980 lebt Gerald Zschorsch als freier Schriftsteller in Frankfurt am Main. Der jetzt erschienene Gedichtband "Torhäuser des Glücks" faßt die bisher veröffentlichten acht Sammlungen und, im letzten Kapitel "Eizahn", neue Gedichte zusammen.

Der Band verzeichnet die seismographischen Ausschläge lyrischer Wahrnehmung von mehr als drei Jahrzehnten. Übermäßige Schwingungsgegensätze sind nicht dabei; die Erfahrungen der Jugend haben zu einem bestimmten Grad von Kaltblütigkeit erzogen, und auch weiterhin findet sich Zschorsch nicht bereit, Vormündern Gefolgschaft zu leisten. Der aus dem Arbeiter-und- Bauern-Paradies Katapultierte bricht bei der Landung nicht in Jubel über den Westen aus. "Wir wollen keine Peitsche / und auch (Heines Forderung wird revidiert) kein Zuckerbrot."

Immerhin hat Zschorschs Freund Rudi Dutschke das Vorwort zu einem Nachdruck der ersten beiden Bände geschrieben. Noch kann für den Ausgewiesenen der "deutsche Frühling" nicht anders aussehen als so: "der Sozialismus siegt, trotz Stalin und der Pest". Und doch meldet sich auch Hilflosigkeit; die politische Sehnsucht läuft ins Leere: "Daß das zerfetzte Deutschland / sich endlich wieder eint / doch dann nicht mit der Reaktion - / mit ..." Die Offenheit des Gedichts gesteht das Ende aller Gewißheiten ein.

Ein Wechsel in der Sprechhaltung, weg von der Annäherung an den Heine- und Biermann-Ton, beginnt sich abzuzeichnen. Er setzt sich endgültig durch in der Sammlung "Klappmesser" (1983). Satzgefüge bersten, übrig bleiben Trümmer. Stoßweise reihen sich Satzpartikel aneinander. Einwortsätze entstehen. Die Sinnfügung der Kurzsatz-Ballungen kann plötzlich die Erwartung düpieren und umschlagen in einen Neben- oder Gegensinn. Oft wird die Gewalt, die der Grammatik geschieht, zum Mitausdruck des Themas Gewalt. So ist "Klappmesser" ein zweifach "sprechender" Titel.

Kaum von sich spricht dieser Autor. Aber die Gewalt, die ihm selbst in den Haftanstalten angetan wurde, objektiviert sich in exemplarischen Ereignissen und Bildern: in Schlägen gegen Herz und Magen, im ochsenblutroten Licht über Frankfurt, im Knall, der den Leib zerfetzt. Auf ein Gedicht über den Selbstmord des russischen Dichters Majakowski antwortet ein Filmszenario: die Suche nach den römischen Wohnungen einer Dichterin (Ingeborg Bachmann) und des von ihr glücklich, schließlich unglücklich geliebten Kollegen (Max Frisch), die Suche nach der Stätte, an der die Dichterin ihre rätselhaften tödlichen Brandwunden erlitt.

In der Gedichtgruppe "Stadthunde" bildet die Stadt Frankfurt den erkennbaren Hintergrund. In der Bankenstadt hat das Geld "Hände wie das Beil: es greift ein". Die durch den Main geteilte Stadt bringt "Kain und Abel", Täter und Opfer zusammen. In einer traumhaften Bildfolge lösen sich Teile der Stadt aus ihren Fundamenten, taumeln in einen wilden Tanz hinein: "Der Dom drückt seine Spitze in den Main. / Verpumpt die Zeit mit Schlamm." Und: "Die Junge Oper tanzt und probt das Stück Betrug."

Im Nachwort, das dem Leser als Einführung empfohlen sei, verweist Lorenz Jäger auf "die Lektüresplitter der literarischen Tradition" in Zschorschs Stadtgedichten, auf Reflexe von expressionistischen Texten Georg Heyms, Jakob van Hoddis' und Alfred Lichtensteins, auch von Walter Benjamins "Einbahnstraße" und "Passagen". Hinzufügen ließen sich Bertolt Brechts Gedichte "Aus einem Lesebuch für Städtebewohner", Wegweiser für den Gang durch den Städtedschungel, Aufforderungen, alle Träume fahrenzulassen und sich mit Kälte zu wappnen. Nicht von ungefähr stellt Zschorsch dann der Sammlung seiner neuen Gedichte als Motto Ernst Jüngers Satz "Kälte ist zu empfehlen, / wo es anrüchig wird" voran.

Frankfurt ist auch die Stadt der Nitribitt. Prostitution und Sexualität fallen bei Zschorsch unter kein Tabu. In seiner Lyrik wird immer zunächst das Sinnliche, Körperliche der Gegenstände und Vorgänge wahrgenommen und nicht dem Konkreten voreilig Bedeutung und Sinn aufgepfropft. So bewahrt sich der Autor die Wachsamkeit gegen die falschen Töne und Bilder, gegen die Automatik des Denkens, das "fidiralala" des Fernsehens, die rangsetzenden Rituale der westlichen Gesellschaft - oder den realitätsverfälschenden Realismus in der DDR. So gegen die verordnete Kunst, die echolos bleibt, im Kurzgedicht "Akademie": "Ein deutscher Dichter, dem Realismus verpflichtet / schreibt im Auftrag der Sektion Dichtung ein Gedicht / Das Bergwerk: Rumpel di Pumpe / Weg warn die Kumpel."

Der Schlagreim und der Kurzvers sind ein Mittel jener Staccato-Technik, mit der Zschorsch manchmal Pointen heraustreibt, aber auch auf den Leser einhämmert. Dieser Verzicht auf den lyrischen Fluß der Sprache und auf logische Zwischenglieder birgt in seiner Zuspitzung die Gefahr einer Verrätselung des Textes, die vom Leser auch als Trick, als Manier, ja als künstliche Verdunkelung empfunden werden kann. Solcher Gefahr begegnet der Autor in der Sammlung "Eiserner Felix" (1996) durch die Hinwendung zum langen Gedicht.

Was sie ihm ermöglicht, zeigt vor allem das Gedicht "Die Kettenburg", die kleine Chronik eines Adelsschlosses im thüringischen Gräfentonna vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Im siebzehnten Jahrhundert wird es Steuer-, Justiz- und Rentamt, im neunzehnten Männerzuchthaus, zur Zeit der DDR Justizanstalt schweren Grades für jugendliche Straftäter. Hier nun zum erstenmal ruft die Erinnerung die Jahre der Jugendhaft in ihren Einzelheiten zurück, von der Einlieferung bis zur Entlassung, mit der Arbeit für "Robotron Sömmerda" an alten Exzenterpressen, die Finger abschlagen, mit dem Einölen der Laufrollen des Fallbeils und der Marter in den Arrestzellen. Wie eine Erlösung vom Schweigebann des Traumas, von der Befürchtung einer Ästhetisierung des Schreckens wirkt das Gedicht. Erst im erzählenden Gestus finden die seelischen Erschütterungen von einst ihre Sprache.

Immer wieder hat Gerald Zschorsch märchenhafte Anklänge und kinderliedartige Verse unter seine Gedichte gestreut. Sie schaffen ein Ventil für die Sehnsucht nach einem Zustand, in dem die Sprache der Realität das Ich noch nicht bedrängt. Auch die Engel gehören zu dieser Welt der Gewaltlosigkeit. So heißt es im Gedicht "Elegie": "Engel erscheinen, um zu verschwinden. / Sind Mittler zwischen Dunkel und Licht." Dann aber erscheinen sie doch als innerweltliche Wesen, als eingebürgert in die menschliche Gemeinschaft: "Sie hausen mit uns". Eines der schönsten unter den neuesten Gedichten, "Kossiner Engel", bringt Engels- und Kindheitsmotiv zu hellem Einklang:

An einem Seil aus knapper Höhe,

mit Locken und mit Flügeln auch.

Hängt er bemalt. Und in den Händen

das Becken für den Taufgebrauch.

Ist leicht bewegbar, höher nieder,

kann schwingen; sich im Kreise drehn.

Und hört er tapse Kinderstimmen -

dann schwebt er ganz besonders schön.

Überhaupt deutet sich in der Gruppe der neuen Gedichte vorsichtig ein neues Selbstverständnis des Lyrikers an. Das vorletzte Gedicht, "Der Spielmann", beginnt so: "Spiel mir, oh Spielemann, / eine alte Weise. / Von der Schönheit angetan / und von ihrem Preise. // Von Grazie, von Anmut, / von der Koketterie." Und auch die Schlußstrophe nimmt die Aufforderung nicht zurück: "Dreh die Leier, / auch wenn sie knarrt."

Aber das letzte Gedicht des Bandes gebietet vorschnellen Erwartungen dann doch Halt. Denn "in der Wüste, die wächst", haben die Bäume der Poesie einen schweren Stand.

WALTER HINCK

Gerald Zschorsch: "Torhäuser des Glücks". Die Gedichte. Mit einem Nachwort von Lorenz Jäger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 470 S., br., 14,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Eine Werkschau, aufschlussreich und lesenswert. Der vorliegende Band von Gerald Zschorsch, informiert Walter Hinck, versammelt seine Gedichte aus drei Jahrzehnten und ergänzt sie um neue. Dramatische Veränderungen gab es nicht, doch gerade die feinen Anpassungen und Bewegungen in der Lyrik des DDR-Dissidenten, der nach mehreren Jahren Jugendhaft Mitte der Siebziger Jahre ausgewiesen wurde, haben das Interesse des Rezensenten gefesselt. "Der Band verzeichnet die seismografischen Ausschläge lyrischer Wahrnehmung", schreibt Hinck und vollzieht die Entwicklung Zschorschs vom frühen "Heine- und Biermann-Ton" über die kühleren und verknappten Verse, die zu seinem Markenzeichen wurden bis zu seiner Hinwendung zu längeren, narrativeren und in letzter Zeit sogar poetischeren Gedichten. Was immer gleich blieb: Zschorschs Unangepasstheit und sein Misstrauen gegen das Formelhafte: "In seiner Lyrik wird immer zunächst das Sinnliche, Körperliche der Gegenstände und Vorgänge wahrgenommen und nicht dem Konkreten voreilig Bedeutung und Sinn aufgepfropft. So bewahrt sich der Autor die Wachsamkeit gegen die falschen Töne und Bilder, gegen die Automatik des Denkens".

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