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Im Nachkriegsmünchen ist er verfemt, und so geht er mit seiner Frau und den drei Töchtern nach Bolivien, der exzentrische Hans Ertl, einst Riefenstahls erster Kameramann und Rommels 'Leibphotograph'. Doch auch das neue Leben ist reich an Spannungen, und für seine nächste Expedition, die Suche nach der verlorenen Inkastadt Paititi, muss die ganze Familie einen hohen Preis zahlen. Insbesondere Monika, die älteste Tochter und ihrem Vater frappierend ähnlich, scheint jeden Halt zu verlieren. Was als persönliche Sinnkrise beginnt, wird zu ihrer politischen Radikalisierung führen und sie zu immer…mehr

Produktbeschreibung
Im Nachkriegsmünchen ist er verfemt, und so geht er mit seiner Frau und den drei Töchtern nach Bolivien, der exzentrische Hans Ertl, einst Riefenstahls erster Kameramann und Rommels 'Leibphotograph'. Doch auch das neue Leben ist reich an Spannungen, und für seine nächste Expedition, die Suche nach der verlorenen Inkastadt Paititi, muss die ganze Familie einen hohen Preis zahlen. Insbesondere Monika, die älteste Tochter und ihrem Vater frappierend ähnlich, scheint jeden Halt zu verlieren. Was als persönliche Sinnkrise beginnt, wird zu ihrer politischen Radikalisierung führen und sie zu immer extremeren Maßnahmen treiben.

Rodrigo Hasbún hat eine spektakuläre historische Episode zu einem hochexplosiven Kammerspiel verdichtet. Er erzählt von den Hoffnungen und Ernüchterungen einer deutschen Familie im südamerikanischen Exil und von den unentrinnbaren Fliehkräften der Geschichte.
Autorenporträt
Rodrigo Hasbún ist Jahrgang 1981, Bolivianer palästinensischer Herkunft mit Wohnsitz im texanischen Houston. Die Zeitschrift Granta nennt ihn einen der besten spanischsprachigen Nachwuchsautoren seiner Generation. Die Affekte ist Hasbúns preisgekrönter zweiter Roman, sein erster in deutscher Übersetzung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2017

Von Leni zu Che
Rodrigo Hasbúns Roman der Familie Ertl
Der lange Bart, die „ein wenig irren Augen“, die Sehnsucht nach der „Kommunion mit der Natur“: wenn Tochter Heidi vom Vater Hans berichtet, sieht man sofort den höhenberauschten Ausnahme-Bergsteiger vor sich. Kaum ist er zurück von der Expedition am Nanga Parbat, plant er schon die nächste – die Suche nach der Inkastadt Paititi im Amazonas. Die drei Töchter und seine Frau lauschen gebannt, hin- und hergerissen zwischen Faszination und bangen Vorahnungen. „Wir waren sein Clan, die Frauen, die auf ihn warteten, bislang immer in München und jetzt in La Paz.“ Etwas gewittrig Unheimliches und zugleich nonchalant Lässiges liegt anfangs über diesen Erzählstimmen, denn „Die Affekte“, so heißt der Roman des bolivianischen Schriftstellers Rodrigo Hasbún, die Affekte also setzen sich aus höchst widersprüchlichen Elementen zusammen, aus heißen und kalten Luftschichten, aus Sehnsucht, Größenwahn und Enttäuschung, kombiniert zu manchmal ziemlich grotesken Showeinlagen.
Wenn die Schwestern Heidi und Trixi aus dem Leben der Ertls berichten, dann ist schon nach wenigen Seiten klar, dass ein gewisses Maß an Ungerührtheit und Selbstironie vonnöten ist, um sich gegen die beiden geliebten Charismatiker der Familie zu wappnen: zum einen die älteste Schwester Monika („mit ihren Nervenkrisen hatte sie es geschafft, dass sich noch mehr als früher alles um sie drehte“), zum anderen Vater Hans, Kameramann Leni Riefenstahls, Bergsteiger und Dokumentarfilmer („in unserem Land war er nicht mehr erwünscht, und die Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit, obwohl ihm die deutsche Filmkunst viel zu verdanken hatte“). Als der Paititi-Suchtrupp im Jahr 1955 zustande kommt, dürfen Monika und Heidi als Assistentinnen mitkommen. Die Eindrücke der Jüngeren lesen sich wie eine entgleiste Abenteuergeschichte, voller Kolonialwahn und Klaus-Kinski-haftem, manischem Vatergebrüll.
Der reale Hans Ertl, im Jahr 2000 in Bolivien verstorben, dürfte Filmhistorikern und Alpinveteranen noch ein Begriff sein; seine reale Tochter Monika, 1973 von bolivianischen Sicherheitskräften exekutiert, spielt bei Zeithistorikern eine gewisse Rolle. Man nannte sie „die Rächerin des Che“, weil sie, als Mitglied der bolivianischen Guerillabewegung ELN, den Konsul Boliviens in Hamburg erschoss – den einstigen Oberst, der dem toten Revolutionsführer die Hände abschneiden ließ. Auch die Schwestern, die Mutter, der Ehemann und der Geliebte Monikas sind historisch verbürgt, und deshalb sind die dem Roman vorangestellten Sätze möglicherweise die wichtigsten: „Obwohl durch historische Personen und Ereignisse inspiriert, handelt es sich hier um ein Werk der Fiktion. Als solches ist und beabsichtigt es kein getreues Abbild irgendeines Mitglieds der Familie Ertl oder anderer in diesem Roman vorkommenden Personen.“
Tatsächlich wird das Ereignis, das zu Monika Ertls Tod führte, in Hasbúns Roman nicht erwähnt: 1972 versuchten Ertl und der französische Aktivist Régis Debray, den in Bolivien lebenden Kriegsverbrecher Klaus Barbie zu entführen, um, wie Debray in einem Dokumentarfilm erklärt, eine Verbindung herzustellen zwischen den Nazi-Verbrechen und den Unterdrückern der bolivianischen Gesellschaft. In der Tat war Barbie beauftragt, deren Sicherheitskräfte neu zu strukturieren.
Was aber beabsichtigt Hasbúns Werk der Fiktion? Offensichtlich wollte der 36-jährige Autor weder einen Roman in der Tradition der literature engagée noch eine vorrangig dokumentarische Familiengeschichte verfassen; stattdessen dreht sich alles um Stimmungen: Was fühlt Familie Ertl? Wie entwickelt sich Monika, die – so wird die Mutter einmal zitiert – eine Art Sohnersatz für den Vater ist? Ihr Geliebter Reinhard, der Bruder ihres unterkühlten Ehemanns, nennt sie „die Frau, die später so viel Leid verursachen würde“. Die politische Lage Boliviens wird lakonisch skizziert – wie überhaupt die Verknappung den Roman literarisch kennzeichnet.
Rodrigo Hasbún ist ein stilistisch versierter Erzähler, dem das Kunststück gelingt, Gefühle auf ungefühlige Weise zu erfassen – wenn etwa Trixi zu Beginn der Siebzigerjahre versucht, mit dem Rauchen – ein Erbe der Mutter – aufzuhören, verdichtet sich in dieser kurzen Szene das Unglück der kommenden Jahre. Ihre Angst um Monika bei den immer neuen Todesmeldungen von Guerilleros klingt in der Übersetzung von Christian Hansen so: „Es gab Tage, an denen ich drei Päckchen rauchte. Was schiefgehen kann, wird schiefgehen, dachte ich, was traurig ist, wird noch trauriger werden.“
Doch trotz des geschliffenen Stils fragt man sich, ob ein Roman, der sich so eng an den realen Ereignissen der Zeitgeschichte entlangbewegt, nicht besser daran getan hätte, entweder mehr Verfremdung zu wagen oder eben die ganze Geschichte zu erzählen. Wer sich von historischen Personen inspirieren lässt, wie der Autor schreibt, und dabei mit Klarnamen arbeitet, riskiert, dass das Werk der Fiktion hinter einer mächtigeren Realität verschwindet. Unbelichtet bleibt nämlich auch das Verhältnis der Tochter zum Engagement ihres Vaters in Nazi-Deutschland. Monika Ertl sei besessen gewesen vom Kampf gegen die Nazis und habe vielleicht auch als Tochter ihres Vaters den Wunsch gehabt, „etwas wiedergutzumachen“, vermutet ihr einstiger Kampfgefährte Régis Debray.
Sicher, auch dies ist eine Spekulation auf die Antriebskräfte einer jungen Frau, von der kaum eigene Zeugnisse geblieben sind, nur ihre Taten. Aber mit diesem Gedanken eröffnet sich der Kampf-Kosmos der deutschen Kriegskindergeneration, die sich radikal gegen die Welt der Väter wehren wollte. Götz Alys Abrechnung „Unser Kampf“ oder auch Gerd Koenens Urszenen zu „Vesper, Ensslin, Baader“ haben ähnliche Konstellationen beschrieben, und vieles spricht dafür, dass man Monika Ertl nicht gerecht würde ohne die Vergangenheit ihrer Familie im NS-Deutschland: Wer von ihr erzählt, kann nicht von Klaus Barbie schweigen, der noch dazu ein Bekannter ihrer Eltern in La Paz war (wobei der Vater angeblich nichts wusste von der wahren Identität „Klaus Altmanns“).
Reinhard, der Ex-Geliebte, der prominent zur Sprache kommt, glaubt, dass Monikas Beziehung zu Inti Peredo, dem bolivianischen Guerillaführer nach Che, eine entscheidende Rolle gespielt habe: „Ich begriff, dass sie ihn liebte“, erzählt er, „dass sie das Gefühl hatte, endlich einen Platz in der Welt, eine Aufgabe gefunden zu haben.“ Aber vielleicht ist die Liebe in diesem Fall, wenn auch gut erzählt, nur die halbe Wahrheit.
JUTTA PERSON
Rodrigo Hasbún: Die Affekte. Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 144 S., 18 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Mit ihren Nervenkrisen hatte
Monika es geschafft, dass sich
noch mehr alles um sie drehte
Wer von Monika Ertl erzählt,
kann nicht von
Klaus Barbie schweigen
Abenteuerlust: Hans Ertl und Leni Riefenstahl drehen „Olympia“.
Foto: S.M.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017

Die das Inferno suchen

Fluchtpunkt Bolivien: Rodrigo Hasbúns Roman "Die Affekte" basiert auf der Geschichte einer zwiespältigen deutschen Familie.

Von Wiebke Porombka

Was bloß sind das für Kräfte, die Familienbande sprengen, die Paare, Geschwister genauso wie Eltern und Kinder auseinandertreiben? Kräfte, die manche zu Wartenden machen, tief in die Enge des Gegebenen drücken, während sie die anderen beständig hinausdrängen ins Unbekannte und Extreme? Vereinbar sind diese beiden Daseinsweisen, das Verharren und das Getriebene, gewiss nicht. Und folgt man dem, was der 1981 geborene bolivianische Autor Rodrigo Hasbún in seinem schmalen Roman "Die Affekte" erzählt, dann führt die eine Verfasstheit kaum weniger in die Selbstzerstörung als die andere. "Fortgehen, das war, was Papa am besten konnte, fortgehen, aber auch wiederkommen, wie ein Soldat des ewigen Krieges, bis er Kraft geschöpft hatte, um erneut fortzugehen", heißt es gleich zu Anfang.

Die Familie, deren Geschichte Hasbún in wechselnden Perspektiven, bruchstückhaft und in mitunter großen Zeitsprüngen erzählt, ist keine rein erfundene, wenngleich der Autor eigens auf den fiktionalen Charakter des Romans verweist. Hans Ertl, jener immerzu aufbrechende Vater, war nicht nur der Kameramann Leni Riefenstahls, sondern filmte während des Zweiten Weltkriegs im Auftrag Rommels in der Propagandakompanie. Zwar wies Ertl nachträglich stets jede ideologische Nähe zum NS-Regime zurück und erklärte sich zum politisch neutralen Künstler, dennoch wurde er nach dem Krieg zwischenzeitlich mit Berufsverbot belegt und verließ Anfang der fünfziger Jahre mit seiner Frau und den drei Töchtern Deutschland in Richtung Bolivien. An dieser Stelle setzt Hasbúns Roman ein.

Tatsächlich scheint es vor allem der eigene Größenwahn zu sein, der Ertl im Buch antreibt. Nachgerade manisch arbeitet er zu Beginn von "Die Affekte" an den Vorbereitungen für eine Expedition, auf der er die sagenumwobene Inka-Stadt Paititi aufspüren will, ein Unternehmen, das er wiederum filmisch zu begleiten plant. Ein Hirngespinst? Womöglich. Vor allem aber die Anziehung durch einen Sehnsuchtsort, in dem utopisches Versprechen und der Reiz der Gefahr zusammenfallen. Begleiten soll ihn seine Lieblingstochter Monika, deren Nervenleiden von ihm nicht zur Kenntnis genommen wird.

Unheimlich, wie sich Hasbúns Ertl an den eigenen Grenzüberschreitungen berauscht. In dem Glauben, Ruinen Paititis freilegen zu können, setzt er mit Heizöl ein ganzes Tal in Brand und lässt filmen, wie er vor dem selbstinszenierten Inferno fliehen muss. Abrupt und wahrlich wie eine himmlische Rettung setzt ein gewaltiger Platzregen ein, der die Flammen bezwingt. "Papa schrie etwas mit einer Begeisterung, die mich erschauern ließ, und für Sekunden hatte ich Angst vor allem: vor dem, was wir nicht kannten (was deutlich mehr war, als was wir kannten), vor dem, was jeder von uns in sich trug, vor dem, was außerhalb der Gegenwart lag." Düster und prophetisch muten diese Worte der zweitältesten Tochter Heidi an, aus deren Sicht das Kapitel erzählt ist.

Die Mutter beschränkt sich bald wieder aufs Alleinsein, rauchend, trinkend. Als sie krank darniederliegt und stirbt, ist sie dem Blick des Lesers beinahe schon entglitten. Kaum anders ergeht es den jüngeren beiden Töchtern, die selbst nur zu fernen Beobachterinnen dessen werden, was Monika widerfährt: Nach einer gescheiterten Vernunftehe - vielleicht ein zaghafter Versuch, in ruhiges Fahrwasser zu gelangen - entscheidet sie sich für den politischen Widerstand und schließt sich der bolivianischen Guerilla ELN an.

Welche Rolle spielen die zwischen Hybris und Kompromisslosigkeit schwankenden Unternehmungen des Vaters für diese ideologische Entflammtheit? Oder sein Vermögen, auch Abgründiges wirkungsmächtig ins Bild zu setzen? Seine zweifelhafte NS-Vergangenheit? Monikas Nervenleiden? Wer wollte das entscheiden? Die innerliche und äußerliche Verhärtung der ältesten Tochter, die auf ihre Radikalisierung folgt, gehört zu den stärksten Passagen des Romans. Nachdem Monika den bolivianischen Konsul Roberto Quintanilla Pereira erschossen hat, der das Abhacken der Hände des getöteten Che Guevara verantwortet haben soll, übersteigt das Kopfgeld, das auf sie ausgesetzt ist, selbst dasjenige, das zuvor für den berühmten Revolutionsführer ausgeschrieben war. 1973 wird sie selbst in einem Hinterhalt erschossen.

Die historischen Details und Zusammenhänge dieser auch politisch hochaufgeladenen Familiengeschichte werden von Rodrigo Hasbún nur angerissen, so dass man viele der ungeheuren Spuren, die der schmale Roman legt, jenseits der Lektüre weiterverfolgen muss. Aber auch wer "Die Affekte" lediglich mit vagem Wissen um die historischen Zusammenhänge liest, wird von der unbezwingbaren Wucht, von der die Figuren bestimmt werden, affiziert sein. Und zugleich desillusioniert. Klar ist, dass von allen Leidenschaften, von allem Schmerz, die ein Leben bestimmen, kaum etwas bleiben wird.

Rodrigo Hasbún: "Die Affekte". Roman.

Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 142 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jutta Person blickt skeptisch auf den Roman von Rodrigo Hasbún. Will der Autor die Geschichte des Bergsteigers und Filmemachers Hans Ertl aufschreiben oder eine Fikton erzählen? Zwar findet die Kritikerin den Autor stilistisch versiert genug, um die Emotionen der Familie Ertl "ungefühlig" zu erfassen. Eine klare Entscheidung hätte dem Buch aber gut getan, so Person: Entweder hätte Hasbún den Mut zu mehr Literarisierung aufbringen oder die ganze Geschichte erzählen sollen, meint die Kritikerin und bemängelt insbesondere, dass hier weder ein Wort über die versuchte Entführung von Klaus Barbie durch die Tochter Monika Ertl und Regis Debray fällt, noch Monikas Verhältnis zur NS-Geschichte ihres Vater näher beleuchtet wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Geschichte der Familie Ertl ist ein faszinierender historischer Stoff. Dank dem bolivianischen Schriftsteller Rodrigo Hasbún kann man ihn nun wiederentdecken. Mit Die Affekte hat er einen eindrucksvollen Roman vorgelegt, der auf kleinstem Raum verschiedene Perspektiven verschränkt.« Martina Laubli Neue Zürcher Zeitung 20171229