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Es beginnt im indischen Ellora, wo der Erzähler stundenlang durch die buddhistischen, aus dem Fels gehauenen Tempel geht. In den Ruhepausen schlägt er Ilse Aichingers »Kleist, Moos, Fasane« auf. Durch einen bestimmten Satz sieht er sich ins Jahr 1943 versetzt, in dem der Großvater einen Brief ausgehändigt bekommt, worin steht, dass nun auch Adam, sein dritter Sohn, im Krieg gestorben ist. Seine Tochter, die spätere Mutter des Erzählers, wird über den Tod des Bruders mit den Worten »Der Adam kommt auch heim, aber anders ...« in Kenntnis gesetzt. Daraufhin kehrt Schweigen in den Bauernhof ein.…mehr

Produktbeschreibung
Es beginnt im indischen Ellora, wo der Erzähler stundenlang durch die buddhistischen, aus dem Fels gehauenen Tempel geht. In den Ruhepausen schlägt er Ilse Aichingers »Kleist, Moos, Fasane« auf. Durch einen bestimmten Satz sieht er sich ins Jahr 1943 versetzt, in dem der Großvater einen Brief ausgehändigt bekommt, worin steht, dass nun auch Adam, sein dritter Sohn, im Krieg gestorben ist. Seine Tochter, die spätere Mutter des Erzählers, wird über den Tod des Bruders mit den Worten »Der Adam kommt auch heim, aber anders ...« in Kenntnis gesetzt. Daraufhin kehrt Schweigen in den Bauernhof ein. Ihr Leben lang wird die Mutter, die kürzlich gestorben ist, eine Schweigende sein. »Mutter und der Bleistift« schildert Szenen aus ihrem Leben. Peter Handkes Muttererzählung »Wunschloses Unglück« mischt sich ein, dazu »Abschied von den Eltern« von Peter Weiss. »Roppongi«, dem »Requiem für einen Vater« (2007), lässt Josef Winkler mit »Mutter und der Bleistift« ein Requiem für die Mutter folgen.
Autorenporträt
Josef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering bei Paternion in Kärnten geboren. 2008 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Josef Winkler ist der Marcel Proust des ausgestorbenen katholischen Landlebens, jubelt Rezensent Friedmar Apel und liefert nach der Lektüre des inzwischen einundzwanzigsten Buches des Schriftstellers auch die Begründung: Wie ein einziges Werk erscheinen dem Kritiker die Erzählungen Winklers, der immer wieder um das Thema der Verdrängung des Todes kreist und eben jener entgegenwirkt, indem er sich auf Schmerz, Leiden und Tod konzentriert, dabei auch nicht vor drastischen Schilderungen der Ekelhaftigkeit zurückschreckt und dennoch zugleich stets eine "emphatische Hinwendung" zum Lebendigen proklamiert. So erfährt der Kritiker auch in dem neuen Roman "Mutter und der Bleistift" ein nahezu "körperliches Wohlgefühl", wenn sich Winkler schreibend an seine verstorbene Mutter, das Rattern der Nähmaschine in der stillen, nach Weihrauch und Chrysanthemen riechenden Küche und das Dorfleben in Kamering in Kärnten erinnert. Ein Buch von außerordentlicher Sinnlichkeit, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2013

Der Bleistift und die schöne Hand
Vom Tod zum Leben: Mit seinen neuesten Variationen des Immergleichen erweist sich Josef Winkler als Proust des aussterbenden katholischen Landlebens

Den Tod statuiere ich nicht", soll Goethe bei Betrachtung einer Winterlandschaft von Karl Friedrich Lessing gesagt haben. Tatsächlich scheute der Dichterfürst auch im Leben die Berührung mit Krankheit und Tod. Zum Begräbnis seines Freundes Schiller erschien er nicht, und sogar vom Sterbebett seiner Christiane hielt er sich fern. Das führte zu einer Anekdotik, die Goethe Kälte nachsagte, um seine vorbildliche Menschlichkeit in Zweifel zu ziehen. Inzwischen ist der Vorwurf der Verdrängung des Todes zu einem Topos der Kritik an der oberflächlichen westlichen Kultur geworden.

Josef Winkler hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dieser Verdrängung gründlich entgegenzuwirken. Dabei kommt er immer wieder auf die Schlüsselszene seines Schreibens zurück, den Selbstmord zweier Jugendlicher in der Gegend seines Heimatdorfes Kamering in Kärnten, der ihn als Kind erschütterte. Auch in seinem einundzwanzigsten Buch, dem Requiem für die Mutter, scheint Winkler nichts anderes vorzuhaben, als den Tod zu statuieren.

Während der geneigte Winkler-Leser mitunter um den Autor bangte, zumal der den Unterschied zwischen Erzähler und empirischer Person bewusst verwischt, ist spätestens seit der Novelle "Roppongi" (2007), dem "Requiem für einen Vater", nicht mehr zu übersehen, dass Winklers Fixierung auf Schmerz, Leiden und Tod, in deren Beschreibung er vor keiner Ekelhaftigkeit zurückschreckt, kein Symptom der Dekadenz oder gar Todessehnsucht ist, vielmehr je neu emphatische Hinwendung zum Lebendigen. Die Schrecknisse der Kindheit im Kärntner Dorf werden auch in "Mutter und der Bleistift" nach wie vor in aller Drastik beschrieben, Lesen und Schreiben aber erscheinen wiederum als Rettung oder doch Linderung des Leidens, was nicht nur zur psychischen Entlastung führt, sondern als Wohlgefühl körperlich erfahren werden kann.

Josef Winkler wird daher nicht müde, dem Leser im Einzelnen zu demonstrieren, wie für ihn Lektüre und Schreiben angesichts des Bedrückenden von jeher zusammenhängen. So zitiert er einen Satz von Ilse Aichinger - "Jeder Atemzug so schwer wie das richtige Wort, so leicht zu erdrosseln" - als den Auslöser der Erkenntnis und der Formulierung, dass der Tod dreier Söhne im Krieg die Sprache der Großeltern erdrosselt hat. Beim Enkel dagegen führt das Statuieren des Todes im Lesen und Schreiben zu einer unermesslich scheinenden Produktivität des Erinnerungsvermögens.

Auf Reisen hat der Erzähler wie Winkler selbst immer ein Buch dabei, und das scheint das Assoziationsvermögen ungemein anzuregen. Da schweift dann von überallher die Erinnerung zurück nach Kamering in Kärnten. Mit Peter Handkes "Gestern unterwegs" in der Hand stellt sich in einer südfranzösischen Kirche bei Betrachtung eines leeren Weihwasserbeckens die Erinnerung an die Mutter ein. Im Schreiben wird ihre Sprache aufgehoben, die von jeher schon mit dem Schreiben des Sohnes verbunden zu sein scheint. ",Seppl', sagte sie zu mir, ,bring mir eine Flasche Weihwasser aus der Kirche, sie ist schon wieder leer! Und nimm den Bleistift in die Schöne Hand!'"

Lektüre, Erinnerung und Schreiben sind wie rituell ineinander verflochten. Mit Handkes "Wunschloses Unglück", "die Pelikan-Füllfeder in der Hand, abwechselnd lesend und schreibend", denkt der Erzähler auch in Indien an die Mutter, "an ihren zweiten Gemüsegarten am Fuße des kreuzförmig gebauten Dorfes, an der mit Moos bewachsenen Friedhofsmauer, gegenüber der Kirche". In diese Erinnerung wird ein Satz von Handke eingefasst, der wiederum die Sinnlichkeit des Schreibens symbolisiert: "Der Bleistift roch nach Rosmarin." Wie Handke ist auch Winkler auf die Rettung des Sichtbaren aus.

So scheint der Bleistift als Zauberstab der Literatur eine Sinnlichkeit der Beschreibung herbeizuführen, welche die Welt des Dorflebens in einem wehmütigen Licht erscheinen lässt, ihr trotz aller erlebten Bedrängnis eine eigentümliche Würde verleiht. "Oft roch es im Winter am Nachmittag in der stillgewordenen Küche, in der man nur das Rattern der Nähmaschine und das Kritzeln meines Bleistifts hörte, nach Weihrauch und nach dem bitterharzigen Aroma der weinroten und bronzegelben Chrysanthemen."

Mit "Mutter und der Bleistift" bestätigt sich definitiv der Eindruck, dass Winkler ähnlich wie Marcel Proust im Grunde an einem einzigen Werk schreibt. Wie Proust der Chronist und der poetische Ethnologe der untergehenden Welt der Belle Epoque war, so ist Josef Winkler schon längst derjenige des aussterbenden katholischen Landlebens. Mehr noch als bei Proust erscheint Literatur bei ihm als Gedächtnis des Leidens und zugleich als ein Medium der Befreiung zum bewussten Erleben.

FRIEDMAR APEL.

Josef Winkler: "Mutter und der Bleistift".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 92 S., br., 14,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Mehr noch als Proust erscheint Literatur bei [Winkler] als Gedächtnis des Leidens und zugleich als ein Medium der Befreiung zum bewussten Erleben.« Friedmar Apfel Frankfurter Allgemeine Zeitung 20130615