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Über vier Jahrzehnte hinweg widmete sich Peter Sloterdijk Morgen für Morgen einem Tagebuch besonderen Typs: In linierten DIN A4 Heften hielt er handschriftlich fest, was ihm am vergangenen Tag aufgefallen war und was ihm bevorstand. Eine Veröffentlichung der Notate zog er nicht in Betracht. "Datierte Notizen" entstanden durch dieses Schreiben-für-sich-selbst, eine melancholisch-fröhliche Zeitgenossenschaft zeigt sich in ihnen die Denktagebuch, intellektuelle Komödie und gesellschaftliche Tragödie auf einzigartige Weise miteinander verknüpfen. Peter Sloterdijk schrieb in den wie um ihrer selbst…mehr

Produktbeschreibung
Über vier Jahrzehnte hinweg widmete sich Peter Sloterdijk Morgen für Morgen einem Tagebuch besonderen Typs: In linierten DIN A4 Heften hielt er handschriftlich fest, was ihm am vergangenen Tag aufgefallen war und was ihm bevorstand. Eine Veröffentlichung der Notate zog er nicht in Betracht. "Datierte Notizen" entstanden durch dieses Schreiben-für-sich-selbst, eine melancholisch-fröhliche Zeitgenossenschaft zeigt sich in ihnen die Denktagebuch, intellektuelle Komödie und gesellschaftliche Tragödie auf einzigartige Weise miteinander verknüpfen. Peter Sloterdijk schrieb in den wie um ihrer selbst geführten Tagebüchern mit und gegen die Ereignisse, richtete seine Aufmerksamkeit auf die großen Zusammenhänge und die versteckten Details; zur frühen Stunde entstanden außergewöhnliche Kurzessays und ironische Aphorismen, bissige Kommentare und zurückhaltende Lobgesänge. Ende des Jahres 2011 entschloß sich der Tagebuchschreiber, seine Notizen öffentlich zu machen: Er nahm sich Heft 100 aus dem Jahre 2008 vor und transkribierte seine Niederschriften, Zeilen und Tage, bis zum Ende des Jahres 2010.
Autorenporträt
Sloterdijk, Peter
Peter Sloterdijk wurde am 26. Juni 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers geboren. Von 1968 bis 1974 studierte er in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1971 erstellte Sloterdijk seine Magisterarbeit mit dem Titel Strukturalismus als poetische Hermeneutik. In den Jahren 1972/73 folgten ein Essay über Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte sowie eine Studie mit dem Titel Die Ökonomie der Sprachspiele. Zur Kritik der linguistischen Gegenstandskonstitution. Im Jahre 1976 wurde Peter Sloterdijk von Professor Klaus Briegleb zum Thema Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte der Autobiographie der Weimarer Republik 1918-1933 promoviert. Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Seit den 1980er Jahren arbeitet Sloterdijk als freier Schriftsteller. Das 1983 im Suhrkamp Verlag

publizierte Buch Kritik der zynischen Vernunft zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. 1987 legte er seinen ersten Roman Der Zauberbaum vor. Sloterdijk ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und war in Nachfolge von Heinrich Klotz von 2001 bis 2015 deren Rektor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Das "bisher persönlichste Buch" Peter Sloterdijks sieht Rezensent Ludger Lütkehaus in den jetzt vorliegenden Notizen des Philosophen aus den Jahren 2008 bis 2011. Das starke Interesse des Autors für TV-Fußball hat ihn etwas überrascht. Gleichwohl umfassen die Aufzeichnungen für ihn eine Vielzahl von Themen, bieten Zeitdiagnose, Geschichts- und Selbstreflexion, Reiseeindrücke, Lesefrüchte usw. Das Ganze scheint Lütkehaus so heterogen wie Sloterdijks Philosophieren, dessen roten Faden er auch nicht immer zu sehen vermag. Staunenswert jedenfalls findet er die unglaubliche Produktivität des Philosophen, der unzählige Einladungen und Preise erhält und für die Philosophie durch die Welt gondelt. Dass das eine mächtige Portion Narzissmus voraussetzt, ist für Lütkehaus auch bei der Lektüre dieser Notizen immer wieder spürbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2012

Möglicherweise gedopt
Peter Sloterdijk nennt seine Tagebücher "datierte Notizen" - hoffentlich schreibt er weiter daran

"Zeilen und Tage" ist von allem etwas: ein wenig Klatsch, ein wenig Reflexion und Gegenwartskommentar.

Jeder andere hätte wahrscheinlich von vorne angefangen, mit Heft Nummer 1, mit den Notizen, die am längsten zurückliegen, um sich Band für Band an die Gegenwart heranzutasten. Wenn aber der Philosoph Peter Sloterdijk beschließt, den ersten Teil seiner Notizbücher zu veröffentlichen, dann greift er ins Regal, zieht das Heft Nummer 104 heraus, nimmt die vier Hefte davor auch noch dazu und beginnt genau andersherum - mit dem, was nahe dran liegt am Jetzt. Allein diese Geste charakterisiert ihn schon ziemlich genau: Peter Sloterdijk, der die Philosophie einmal eine "Unsinnsunterbrechungstechnik" genannt hat, ist ein Mann der Intervention. Viele seiner vielen Texte lesen sich als fortlaufender Gegenwartskommentar, auch angetrieben vom Ehrgeiz, eine Art "philosophischer National-Moderator" zu sein. Warum sollte so jemand mit einem Heft von vor vierzig Jahren im vergangenen 20. Jahrhundert beginnen?

Also stammt der erste Eintrag von "Zeilen und Tage - Notizen 2008-2011" vom 8. Mai 2008. Vordergründig geht es darin um das intellektuelle Überleben in einer Stadt wie Karlsruhe, das zu wesentlichen Teilen von den Tischgesprächen mit den Freunden abhänge. Sloterdijk lehrt in Karlsruhe an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung und wohnt mit seiner Familie dort und in Wien. Wenn man genauer hinguckt, lässt der Philosoph sein Notizbuch aber mit einer Eins-a-Klatschgeschichte beginnen: "Boris", schreibt er und meint seinen Freund und Kollegen Boris Groys, "berichtet gerade von einer jungen Russin, Dascha Schukowa, die als amtierende Geliebte von Roman Abramowitsch gilt, dem russischen Mogul von Chelsea. Er lernte sie kürzlich in London kennen, als sie am Rande eines von ihm gegebenen Seminars seinen Rat suchte: Sie interessiere sich neuerdings, eigentlich aber immer schon, für Kunst und möchte sich besser ,orientieren'; zu diesem Zweck habe sie sich einen Privatjet gekauft. Das werde sie, so ihre Annahme, der Kunst näher bringen, die unglücklicherweise so weit verstreut ist." Als Anfang ist das natürlich lustig, und tatsächlich verspricht Sloterdijk mit dem so angeschlagenen Ton nicht zu viel.

Immer wieder hält er in seinen Notizen, für die er sich Morgen für Morgen an den Schreibtisch setzt, Anekdoten, Bonmots oder Zitate fest, die überraschend unterhaltsam oder sogar selbstironisch sind, wie man ihn sonst in der Öffentlichkeit nicht kennt: "Seit wann ist Ihr Friseur im Gefängnis?", fragt ihn in Paris ein Zuhörer aus dem Publikum. "Ich hätte sagen sollen: Seit 1968, sieht man das nicht?" Er sieht im Fitnessstudio ein Plakat mit einer auf dem Rücken liegenden Frau, die ruft: "Fit mich!" Er schreibt: "Hätte der Neoliberalismus Titten aus Zement, er sähe aus wie Heidi Klum." Oder er notiert, Hersteller von Kondomen hätten herausgefunden, dass die kleinste Größe im Sortiment nur unter der Bezeichnung Large an den Mann zu bringen sei. Die Kunden seien unfähig, die Größenangaben Medium oder Small auf sich selbst zu beziehen.

Dass er mit einer Klatschgeschichte beginnt, ist trotzdem erstaunlich, weil es in seinen Notizbüchern ein Gegenmodell gibt, einen Widerpart: die "vielgepriesenen Tagebücher" des Journalisten und Kritikers Fritz J. Raddatz. Über mehr als zwei Seiten holt Sloterdijk aus, um sich vehement von diesen abzugrenzen, in ausgesprochen verächtlichem Ton. Die "Literatur der Selbstentblößer" habe ihn, Sloterdijk, nie besonders beeindruckt, weil der Deal "Aufmerksamkeit gegen Indiskretion" für den Leser meist ein verlustbringendes Geschäft sei. Was Raddatz biete, sei "mittlere Anekdote, Literaturgossip, Alltagspsychologie des ,schreibenden, intrigierenden, konvulsivischen Hundepacks'. Kaum Außenwelt, keine Maximen und Reflexionen oberhalb durchschnittlicher Selbst- und Fremdbespiegelung."

Angewidert fährt er noch eine Weile so fort, und man liest es mit zunehmendem Widerwillen, eben weil die Anekdote, der Gossip und ein gewisses Maß an Selbstentblößung selbstverständlich auch in "Zeilen und Tage" zu finden sind, zum Glück, wie man beim Lesen feststellt, und weil sie den Tonfall des Ganzen gar nicht unwesentlich bestimmen. Sloterdijk hat bei der Abschrift und Überarbeitung seiner Notizhefte, so schreibt er im Vorwort, einiges weggelassen. Er entschied sich dafür, von dem, was er beim Wiederlesen merkwürdig und amüsant fand, mehr zu übernehmen als von dem, was ihm peinlich und belanglos vorkam. Die Bezeichnung "Tagebücher" ist ihm zu intim, "Denk-Tagebuch" oder "Arbeitsjournal" träfen es auch nicht ganz. "Datierte Notizen" gefällt ihm als Bezeichnung, und er laviert ein bisschen herum, dass er nicht habe vermeiden können, in diesen datierten Notizen "den Standortvorteil ,Ich' geltend zu machen", was heißen soll: an manchen Stellen "ich" zu sagen. Und das ist einem dann doch zu kokett. Denn ganz abgesehen davon, dass nicht jedes "ich" im Text auch gleich eine Selbstentblößung oder Indiskretion sein muss: Warum sollte Peter Sloterdijk in seinen Notizheften nicht "ich" sagen dürfen?

Man kann "Zeilen und Tage" auf unterschiedlichste Weisen lesen. Als Reflexion über die gegenwärtige Arbeit, was im Sommer 2009 vor allem seine vieldiskutierten Thesen zum "Fiskalstaat" betrifft, ab 2010 dann die Veröffentlichung seines Buches "Du musst dein Leben ändern", mit welchem er von Lesung zu Lesung reist, wobei er Miriam Meckel für ihre Moderation bei der Lit.cologne im Notizheft eine kleine Liebeserklärung macht.

Man kann es auch als scharfsinnigen und oft polemischen Gegenwartskommentar lesen, wenn er Christian Wulff im Sommer 2010 die "opportune Lager-Puppe" und später den "neuen Plastikpräsidenten" nennt, den "die hohe Versammlung nach bestem Unwissen und in wahrer Freiheit von jeder Regung des Gewissens" ins Amt gehoben habe. Oder wenn er festhält, was er gerade in der Zeitung gelesen hat: einen Artikel in der "Frankfurter Rundschau" etwa, der daran erinnert, wie Horkheimer und Adorno die Berufung des aus dem Exil zurückkehrenden Golo Mann an die Frankfurter Universität verhindert haben, indem sie bei den zuständigen Stellen auf dessen Homosexualität, seine "psychologischen Schwierigkeiten", ja sogar seinen vorgeblichen, "heimlichen Antisemitismus" anspielten: "Wir, die jungen Leser der älteren Kritischen Theorie", schreibt Sloterdijk dazu, "ahnten damals nicht, wie konsequent die Mannschaft um Adorno an der Absicherung ihrer Einflussposition arbeitete, innerhalb der Hochschule wie in den Medien."

Man findet Begegnungen mit Menschen, die zu den wohl persönlichsten und schönsten Passagen des Buches gehören: ein letztes, zufälliges Zusammentreffen mit dem Studienfreund Bernd Eichinger. Ein Moment mit dem Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler, der ihm das "Du" anbietet. Hubert Burda, der ihm "aus unerfindlichem Grund" einen Hirschhornknopf seiner Freizeitjacke schenkt. Oder am Telefon die Stimme seines krebskranken Freundes Rene.

Und natürlich bleibt bei dem permanenten Selbstgespräch, das diese Notizen darstellen, die Begegnung mit sich selbst nicht aus. Peter Sloterdijk hat in seinem Buch "Du musst dein Leben ändern" angemahnt, dass wir uns wieder zu Höchstleistungen antreiben, dass wir uns überfordern müssten, da wir andernfalls an einem ökonomischen wie ökologischen Selbstauslöschungsprogramm teilnähmen. Die Hochleistungsmaschine Sloterdijk, das zeigen seine Zeilen Tag für Tag, nimmt sich selbst von dieser Forderung nicht aus. Man fragt sich ohnehin, wie ein solches Lektüre-, Text-, Reise- und Vortragspensum menschenmöglich sein kann. Und das ist nicht alles: Der Radsportler Sloterdijk fährt an der Donau bis Tulln und zurück, von Wien bis zur tschechischen Grenze und zurück, den Belchen rauf und runter, so dass man sich irgendwann fragt: Ist Peter Sloterdijk möglicherweise gedopt?

Daneben gibt es aber noch den anderen Sloterdijk, der gerne im "Borchardt" sitzt oder mit den Münchner Freunden im "Schumanns". Er bilde eine unglückliche Wohngemeinschaft zwischen einem Menschen, der noch glaubt, dass er einen Platz in der Leistungszone habe, und einem, der lieber in den Urlaub fahren würde, hat der Philosoph kürzlich in einem Interview gesagt. Die Notizbücher erzählen auch die Geschichte dieser zerrissenen WG.

Was für ein Band wird irgendwann auf diese ungeheuer lesenswerten Notizen von 2008 bis 2011 folgen? Es würde zu Sloterdijk passen, wenn er mit 2012 und 2013 fortführe. In Richtung Zukunft. Aber Peter Sloterdijk stand Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre der Bhagwan-Sekte nahe, begab sich auf indische Exkursionen und lief in München mit bunten Gewändern durch den Englischen Garten. Einen "lyrischen Extremisten" hat er sich damals genannt, was er heute als Charakterisierung für das, was er tut oder macht, längst nicht mehr zulassen würde. Und natürlich würde einen, neben der zerrissenen WG, genau dieses historische Widerspiel zwischen dem Sloterdijk des 20. und des 21. Jahrhunderts interessieren. Zwischen dem Radikalen und dem Anti-Extremisten. So viel Selbstentblößung darf sein.

JULIA ENCKE

Peter Sloterdijk: "Zeilen und Tage. Notizen 2008-2011". Suhrkamp, 639 Seiten, 22,95 Euro

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"Dieses wunderbar anarchische, sich weit verzweigende Buch vereint Gesellschaftsroman, Selbstanalyse, Zeitdiagnose - und über weite Strecken Überlegungen zu einer historischen Psychopolitik."
Adam Soboczynski, DIE ZEIT 09.08.2012
»... wir wollen mehr von Sloterdijks Notizen, die von allem etwas haben, ein bisschen Klatsch, ein bissehen Reflexion, ein bisschen Gegenwartskommentar. Und mehr Lesungen. Und noch mehr Bücher.«