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Bei der Begegnung zwischen Thomas Bernhard und Siegfried Unseld in Wien am 17. Januar 1985 herrscht, wie der Verleger notiert, eine "blendende Stimmung". Der Autor ist sich sicher, "Alte Meister" in wenigen Wochen abschließen zu können - der letzte von Thomas Bernhard abgeschlossene Roman erscheint tatsächlich Ende desselben Jahres. Von den Gesprächen hält Unseld einen Wunsch Bernhards fest: "Dann läge ihm doch sehr an einem Band 'Goethe schtirbt'. Er enthielte die Texte 'Goethe schtirbt'. - 'Wiedersehen'. - 'Montaigne'. - Und zwei Stücke, die noch keinen Titel haben."
Zu Lebzeiten von
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Produktbeschreibung
Bei der Begegnung zwischen Thomas Bernhard und Siegfried Unseld in Wien am 17. Januar 1985 herrscht, wie der Verleger notiert, eine "blendende Stimmung". Der Autor ist sich sicher, "Alte Meister" in wenigen Wochen abschließen zu können - der letzte von Thomas Bernhard abgeschlossene Roman erscheint tatsächlich Ende desselben Jahres. Von den Gesprächen hält Unseld einen Wunsch Bernhards fest: "Dann läge ihm doch sehr an einem Band 'Goethe schtirbt'. Er enthielte die Texte 'Goethe schtirbt'. - 'Wiedersehen'. - 'Montaigne'. - Und zwei Stücke, die noch keinen Titel haben."

Zu Lebzeiten von Thomas Bernhard kam die Publikation dieser Anfang der achtziger Jahre verfaßten und in Zeitungen abgedruckten Erzählungen nicht mehr zustande: zu sehr war der Autor mit seinem zunächst zurückgehaltenen Romanopus "Auslöschung" und mit dem Theaterstück "Heldenplatz" sowie dem dadurch entfachten Skandal befaßt. In "Goethe schtirbt" werden diese Erzählungen zum ersten Mal, dem Wunsch ihres Verfassers entsprechend, in einem Band zusammengefügt: Sie zeigen den ironisch abgeklärten Meister der tragischen Momente und komischen Situationen, der auf der Höhe seiner Kunst Motive und Strukturen seines Gesamtwerks aufgreift: von den Einsamkeitsexpertisen in Amras, 1964 publiziert, bis zur Haßliebe gegenüber Österreich im Spätwerk.
Autorenporträt
Thomas Bernhard (1931-1989) war einer der bekanntesten österreichischen Erzähler des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wuchs in Wien und in Seekirchen am Wallersee auf, wurde für kurze Zeit in ein Heim für schwer Erziehbare geschickt, brach seine Schulausbildung ab und wurde Kaufmannsgehilfe. 1947-48 arbeitete er als Lehrling. Dabei zog er sich eine Lungenentzündung zu, die sich zur Tuberkulose ausweitete. Er verbrachte die nächsten beiden Jahre in verschiedenen Krankenhäusern. Nach seiner Genesung wurde er Gerichtsreporter. Er studierte Gesang und veröffentlichte erste Texte. Der Durchbruch als Romanautor gelang ihm 1963 mit "Frost", weitere Romane folgten. Auch als Dramenautor machte sich Bernhard einen Namen. Ab 1965 lebte er in Wien und auf einem oberösterreichischen Gutshof. 1984 kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen seines Romans "Holzfällen".
1970 wurde Thomas Bernhard mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2010

7. Kichern aus der Hölle

Also uns geht es ja eigentlich nichts an, aber da war doch mal irgendwas mit einem Testament? Keine Bücher, keine Briefe, keine Zettel, kein gar nichts darf jemals nach meinem Tod veröffentlicht . . .? Nein? Also dafür, dass das Bannfluchtestament Thomas Bernhards kurz nach seinem Tod von seinen Lesern und Anhängern als juristisch wasserdichte Genieleistung betrauert wurde, erscheinen in letzter Zeit doch erstaunlich viele Bücher aus dem Bernhard-Kosmos. Und bevor im nächsten Monat, gleich nach Weihnachten, seine besten Leserbriefe (kein Witz) zusammen mit Interviews, sogenannten öffentlichen Interventionen und Reden als Buch erscheinen, veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag einen Band mit Erzählungen, die bislang noch nicht in Buchform erschienen sind. "Goethe schtirbt" heißt der Band, und es ist das furiose Wiederbelebungsbuch eines Tons, von dem man schon dachte, man wird ihn ewig nur noch als fernen Erinnerungsklang aus den alten Büchern wieder und wieder hören. Doch hier ist er: neu und alt und vertraut zugleich.

Ein echter neuer Bernhard. Gut, die Texte waren jeweils schon einmal in Zeitungen, Katalogen oder Programmheften abgedruckt, aber das kennt natürlich kein Mensch. Und um dem Testamentsbruchverdacht gleich mal offensiv entgegenzuwirken, hat der Verlag gleich in den Klappentext hinein den dringenden Wunsch Bernhards überliefert, genau diesen Band unter genau diesem Titel unbedingt zu Lebzeiten noch zu veröffentlichen, allein, allein: die Arbeit an der "Auslöschung" kam dazwischen und schließlich - 1989 - der Tod.

Und mit dem Tod beginnt auch dieses Buch. Goethe auf dem Sterbebett. Sein letzter Wunsch: Er möchte unbedingt einmal Ludwig Wittgenstein treffen. (Ja, mit den Zeitebenen wird aufs Freieste umgesprungen.) Einmal dem Wittgenstein, seinem "philosophischen Sohn", begegnen. Einmal mit Wittgenstein über "Das Zweifelnde und das Nichtzweifelnde" reden - das wäre das Paradies. "Das Thema organisieren, angehen und zerstören", so sein Plan. Er schraubt sich da in eine regelrechte Euphoriespirale hinein, dieser Goethe, wie Bernhard ihn sieht: "Es ist der glücklichste Gedanke meines Lebens, und dieses Leben war voll von den glücklichsten Gedanken. Von all diesen glücklichsten Gedanken ist der Gedanke, dass es Wittgenstein gibt, mein glücklichster."

Ein Meister im Geistes-Delirium. Es war ein Band aus der "Bibliothek Suhrkamp", durch den dieser Goethe auf Wittgenstein aufmerksam wurde und der ihm sein Leben gerettet hat. Ein Leben, das er ganz der Geistesvernichtung gewidmet hat. Die Vernichtung Schillers wird mit Bernhardschem Höllengekicher stolz protokolliert: "Ihn habe ich vernichtet, mit aller Gewalt, ich habe ihn ganz bewußt zerstört, zuerst siech gemacht und dann vernichtet. Er wollte ein Gleiches tun. Der Arme!" Auch Kleist, auch Frau von Stein, auch das Nationaltheater, alles, alles, alles, bekennt Goethe schwächlich auf dem Sterbebett, habe er vernichtet: "Ich bin der Vernichter der Deutschen! Ich habe aber kein schlechtes Gewissen!"

Und seine letzten Worte waren natürlich nicht etwa "Mehr Licht", sondern "Mehr nicht!". Schluss mit Goethe. Bernhard kommt. Wer zu Weihnachten verlässlich gute schlechte Laune schenken will, kommt an "Goethe schtirbt" nicht vorbei.

Volker Weidermann

Thomas Bernhard: "Goethe schtirbt". Suhrkamp, 100 Seiten, 14,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010

Hasskasperliaden
Der Band „Goethe schtirbt“ versammelt postum vier erzählerische Wutausbrüche von Thomas Bernhard
Goethe stirbt nicht einfach, bei Thomas Bernhard „schtirbt“ er, und zwar vermutlich deshalb, weil das Wort sterben zu klein ist für einen so großen Geist. Der in die Länge gezogenen Anlaut markiert die Höhe, von der ein Dichterfürst fällt. Wenn sein Licht erlischt, zieht es einen Schweif hinter sich her. Wobei das mit dem Licht so eine Sache ist in der ersten der vier Erzählungen, die dem kleinen Band „Goethe schtirbt“ den Titel gibt. Denn ihre eher schwache Pointe besteht in einer Variation der beliebten spaßhaften Spekulation über Goethes letzte Worte.
Bernhard zufolge hat der sterbende Goethe der Nachwelt nicht den enigmatischen Satz „Mehr Licht!“ auf den Weg gegeben. Tatsächlich soll er „Mehr nicht!“ gesagt haben, ein vergleichsweise lapidares Vermächtnis. Aber es ist ohnehin ein falscher Goethe und ein falscher Ludwig Wittgenstein, von deren gescheitertem Zusammentreffen Thomas Bernhard s Erzählung handelt. Das ersieht man schon daraus, dass Wittgenstein 140 Jahre später als Goethe geboren wurde. In der Erzählung aber stirbt der österreichische Philosoph just einen Tag, bevor ihm Goethes Einladung nach Weimar überbracht wird. Nach der Lektüre der roten Suhrkamp-Ausgabe des „Tractatus logico-philosophicus“ betrachtet Goethe Wittgenstein als seinen „philosophischen Sohn“ und ebenbürtigen Vollender und bestellt ihn für den 22. März, seinen tatsächlichen Todestag, zu sich. Aus dem Rencontre wäre also unter allen möglichen und unmöglichen Umständen nichts geworden.
Wie so oft macht Thomas Bernhard einen intellektuellen Despoten zu einer finster-fröhlichen Komödienfigur. Doch man meint zu hören, wie der Autor kicherte, als er sich die Hasskappe aufsetzte. Anfang der achtziger Jahre, als die vier Erzählungen entstanden, erzeugten seine routinierten Schimpfkanonaden nur noch mehr Rauch als Feuer. Als giftiger Dampfplauderer reihte Bernhard sich ein in die Tradition österreichischer Choleriker, deren Zerstörungswut so allumfassend ist, dass sie schon wieder an Einverstandensein grenzt.
Alle vier Erzählungen, die Bernhard noch zu Lebzeiten in einem Buch zusammenfassen wollte – die geplante fünfte kam nicht mehr zustande – laufen wie auf Schienen auf ihre Schlusspointe zu, mit der die vorherige Emphase zum Entgleisen gebracht wird. Literatur ist bei Thomas Bernhard stets Selbstsabotage, ob es nun um die Kindheit als „Sentimentalitätskerker“ geht wie in zwei Erzählungen dieses Bandes oder um eine virtuose Österreichbeschimpfung wie im letzten Stück. Man ist sofort wieder drin, im Bernhard-Sound, dieser Endlosschleife des ariösen Wutgeheuls. In der Einspielung aus dem Nachlass klingt es allerdings eher scherzhaft als schmerzhaft. CHRISTOPHER SCHMIDT
Thomas Bernhard
Goethe schtirbt
Erzählungen. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2010. 98 Seiten, 14,90 Euro.
Man ist sofort wieder drin
im Bernhard-Sound, der
Endlosschleife des Wutgeheuls
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hannes Hintermeier freut sich über neue Fundsachen aus dem Bernhard-Nachlass, Bernhardland. Die vier kleinen Erzählungen aus den frühen 80er Jahren greifen laut Hintermeier typische Bernhard Motive aus dem Früh- bzw. Spätwerk wieder auf, so die tiefe Einsamkeit des Geistesmenschen oder die Eltern als Vernichter der eigenen Kinder. Dennoch bietet der Band dem Rezensenten ausreichend Abwechslung. Sogkräftiges wie Groteskes (Goethe trifft Wittgenstein) neben Bernhards sattsam bekanntem Österreich-Hass.

© Perlentaucher Medien GmbH
»[Der Band] ist das furiose Wiederbelebungsbuch eines Tons, von dem man schon dachte, man wird ihn ewig nur noch als fernen Erinnerungsklang ... hören.« Volker Weidermann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20101128
»Goethe schtirbt enthält vier Erzählungen, die zwischen 1982 und 1983 unter anderem in der »Zeit« erschienen sind. Sie wiederholen und variieren Motive und Strukturen aus Bernhards Gesamtwerk und handeln vom Größenwahn und der Einsamkeit, vom lebenslangen Hass auf die Eltern und der Hassliebe zu Österreich. ... Ein Autor wie Thomas Bernhard ist heute gar nicht mehr denkbar.«