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Ein junger Mann flieht aus Theresienstadt. Sein einziges Gepäck: ein Schließfachschlüssel und ein USB-Stick mit den Kontaktdaten reicher Holocaust-Überlebender, die ihn und Onkel Lebo beim Aufbau eines alternativen Erinnerungsortes unterstützen sollten.Mit »Pritschensuchern« aus der ganzen Welt, jungen Leuten, die im Osten nach ihren ermordeten Großeltern forschen, hatten sie eine Kommune gegründet und mit Kafka-T-Shirts, Ghetto-Pizza und Therapieangeboten der offiziellen KZ-Gedenkstätte Konkurrenz gemacht.Als die Behörden die anstößige Institution niederwalzen lassen, verhelfen Alex und…mehr

Produktbeschreibung
Ein junger Mann flieht aus Theresienstadt. Sein einziges Gepäck: ein Schließfachschlüssel und ein USB-Stick mit den Kontaktdaten reicher Holocaust-Überlebender, die ihn und Onkel Lebo beim Aufbau eines alternativen Erinnerungsortes unterstützen sollten.Mit »Pritschensuchern« aus der ganzen Welt, jungen Leuten, die im Osten nach ihren ermordeten Großeltern forschen, hatten sie eine Kommune gegründet und mit Kafka-T-Shirts, Ghetto-Pizza und Therapieangeboten der offiziellen KZ-Gedenkstätte Konkurrenz gemacht.Als die Behörden die anstößige Institution niederwalzen lassen, verhelfen Alex und Maruska dem Ich-Erzähler zur Flucht nach Minsk. In den Dörfern und Wäldern Weißrußlands, der »Teufelswerkstatt«, wo SS-Schergen, aber auch der NKWD gemordet haben, soll er bei der Errichtung einer Gedenkstätte unerhörten Ausmaßes helfen. Verliebt in die schöne Maruska, wird er in eine blutige Erinnerungsverschwörung hineingezogen.Jáchym Topol, literarischer Enkel Bohumil Hrabals, inzwischen selbst ein Meister der surrealen Groteske, erzählt in seinem dicht und fesselnd geschriebenen Roman vom Kampf um die Erinnerung, die im postsozialistischen Westen an Kommerz und Musealisierung, im Osten an der Unzumutbarkeit des Realen scheitert.
Autorenporträt
Topol, JáchymJáchym Topol, 1962 in Prag geboren und Sohn des Dramatikers Josef Topol, war nicht nur der Star des literarischen und musikalischen Underground vor 1989 sondern ist auch heute noch der bekannteste tschechische Autor seiner Generation. Als Sechzehnjähriger unterzeichnete er die Charta 77, 1985 begründete er das Underground-Magazin Revolver Revue, seine Zeit als Wehrpflichtiger verbrachte er mit anderen Intellektuellen in der Irrenanstalt, er arbeitete als Heizer und Lagerarbeiter. In den 90er Jahren studierte er Ethnologie und bereiste zwischen 1989 und 1991 als Journalist für die Wochenzeitung Respekt und Drehbuchautor Osteuropa. 1988 erschien in Samizdat sein erster Gedichtband Ich liebe Dich bis zum Irrsinn, 1992/93 folgten Am Dienstag gibt es Krieg und Ausflug zur Bahnhofshalle. Seinen Durchbruch als Schriftsteller hatter er mit dem Roman Die Schwester; es folgten Engel EXIT, Nachtarbeit, Zirkuszone und Die Teufelswerkstatt. Topol lebt in Prag.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Nicht ganz so metaphernverliebt wie in seinen früheren Büchern, dafür aber so bösartig wie eh und je hat Jachym Topol seine Holocaust-Gedenkstätten-Groteske "Die Teufelswerkstatt" geschrieben, konstatiert Hans-Peter Kunisch. Es geht um die Errichtung einer alternativen Gedenkstätte, die auch Weißrussland endlich am Geschäft mit den "Pritschensuchern" teilhaben lassen soll, wie der Erzähler sarkastisch die Reisenden betitelt, die sich auf Spurensuche ihrer im KZ umgekommenen Verwandten begeben, lässt der Rezensent wissen. Allerdings entdeckt er einen besonderen "Reiz" diese Buches in den raren "stilleren" Stellen, was ihn jedoch nicht daran hindert, sich an der treffsicheren "Boshaftigkeit", die im Roman überwiegt, zu erfreuen. Außerdem meint der Rezensent hier die besten jüdischen Witze eines Nichtjuden gefunden zu haben. Wenn Kunisch auch zugeben muss, dass der Roman, wenn er die Flucht des Erzählers und seine Ankunft in Weißrussland schildert, doch etwas "fade" wird, so zeigt er sich insgesamt von den unglaublichen "Pirouetten schwarzen Humors", die Topol hier dreht, sehr gefesselt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2010

Profit der Pritschensucher

So einen Themenpark wie Theresienstadt wollen wir auch: Der tschechische Autor Jáchym Topol rechnet in seinem Roman scharf mit der florierenden Gedenkstätten-Industrie in Osteuropa ab.

Als Reporter ist Jáchym Topol schon einmal in Theresienstadt gewesen. Für eine tschechische Wochenzeitung sollte er den Alltag in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers und den schleichenden Verfall des Ortes nach Abzug der Armee Mitte der neunziger Jahre dokumentieren. Der Leser von Topols gerade auf Deutsch erschienenem Roman erfährt das in der Danksagung des Buches. Nun also eine erneute, eine literarische Auseinandersetzung mit diesem Thema, das dem 1962 in Prag geborenen Schriftsteller offenbar noch längst nicht erschöpft zu sein schien. "Die Teufelswerkstatt" überführt die Gegenwart des historischen Ortes und ein profanes Geschehen im langen Schatten der Geschichte in den Roman. Es geht darin um die Abwege des Erinnerungstourismus, um die Verwandlung von Massengräbern in Hotspots des Gedenkens. Und um eine Standortkonkurrenz zwischen einigen Stätten im Osten Europas, die das Gedenken an die Greuel des zwanzigsten Jahrhunderts zur touristischen Attraktion und Erwerbsquelle erklärt haben. "Theresienstadt", sagt im Roman einmal ein weißrussischer Themenparkgründer, "ist in jeder Enzyklopädie. Wir wollen auch auf die Weltkarte." Wer aus früheren Büchern den Phantasiereichtum Topols, seine Vorliebe für alles Groteske kennt, ahnt, dass die Reise seines Protagonisten vom beschaulichen Böhmen in die weißrussischen Wälder nicht gemütlich werden kann.

Der namenlose Ich-Erzähler ist ein Dorftrottel, er hütet Ziegen in Theresienstadt. Als Sohn von KZ-Überlebenden, die nach dem Krieg dort wohnen geblieben sind, wuchs er zwischen den Mauern der früheren Garnison auf. Das ist seine Welt, er war nie woanders. Kilometerlange Gänge, das dämmrige Licht, der Beton der Zellen und Bunker, die Gittertüren aus Gusseisen, so sah der Abenteuerspielplatz seiner Jugend aus, in den Katakomben rannte er mit anderen Kindern um die Wette. Jahrelang prägen die Staatskarossen offizieller Gedenkstättenbesucher das Städtchen ebenso wie obligatorische Pferdegespanne, das Militär und die "Wasserkopf-Akademiker". Diese verstehen sich so lange als amtliche Hüter der Erinnerung, bis eines Tages Konkurrenz auf den Plan tritt. Unter der Leitung von Onkel Lebo, der als Kind in Theresienstadt war und sich den Touristen nun als professioneller Zeitzeuge und Führer zur Verfügung stellt, macht sich eine aus Einheimischen und sogenannten "Pritschensuchern" bestehende Gruppe daran, aus diesem Ort Kapital zu schlagen.

"Ihre Vorfahren stammten immer aus einer von der Geschichte verschlissenen Metropole Osteuropas, mit Gassen, von Schwärze bedeckt, gewellt wie ein uraltes Schwarzweißfoto", heißt es über die Pritschensucher, diese jungen Studenten aus dem Westen, die mit Rucksack und der Kreditkarte ihrer Eltern nach Polen, Litauen oder Russland reisten - also dorthin, "wo uralte Massengräber massenhaft vorkommen", um sich das Grauen vorstellen zu können. Unweigerlich erinnern die Pritschensucher an jene "Zaunanstreicher" in Ruth Klügers Autobiographie "weiter leben": Junge deutsche Männer, die ihren Zivildienst absolvierten, indem sie die Überbleibsel ehemaliger Vernichtungslager instand setzten. Klüger beschrieb den Aberglauben einer Museumskultur, die glaubt, dass Gespenster dort zu fassen seien, "wo sie als Lebende aufhörten zu sein".

In Topols Roman wird Theresienstadt mit Hilfe zahlungskräftiger Spender zur wild florierenden Touristenattraktion, die neben Getto-Pizza und Kafka-T-Shirts auch therapeutische Séancen, abendliches Tanzen und Kiffen unter den Festungswällen möglich macht, bis sie eines Tages weggebaggert wird. Bevor das Headquarter der Bewegung abbrennt, gelingt es dem Ich-Erzähler gerade noch, wertvolle Daten auf einen USB-Stick zu speichern und nach Minsk zu fliehen. Dort erwarten ihn weißrussische Kollegen, die in den Wäldern bei Chatyn einen "Jurassic Park des Grauens" planen. "Sieh dir die Polen an, mit ihrem Katyn", sagt Alex, einer der Initiatoren. "Schon wieder sind die uns einen Schritt voraus! Sie haben einfach einen Film über Katyn gedreht! Aber was ist mit unserem Chatyn hier? Das kennt keiner." Und plötzlich steigt unser einfältiger Ziegenhirte zum Experten auf. Was er dort in einem unterirdischen Bunker zu Gesicht bekommt, verschlägt ihm die Sprache: Mumifizierte Leichen, darunter sein Onkel Lebo, spulen auf Knopfdruck Tonaufnahmen ihrer Erinnerungen ab.

Jáchym Topol hat einen Thesenroman geschrieben, der vom Thema und von teils grellen Effekten lebt. Der zwischen journalistischer Nüchternheit und dick aufgetragenem Pathos schlingernde Erzählton, die oft leblosen Dialoge - literarische Mängel also - werden durch die offenkundige Brisanz des Gegenstands mehr oder weniger gut kaschiert. Der Roman handelt vom kalkulierten Profit des osteuropäischen Gedenkstättenmarketings - ob aber nicht auch der Autor mit diesem provokanten Thema zu offensichtlich auf einen Verkaufserfolg spekuliert, ist eine heikle Frage. Die Antwort bleibt wohl der je unterschiedlich gelagerten Empfindlichkeit des einzelnen Lesers überlassen.

STEFANIE PETER

Jáchym Topol: "Die Teufelswerkstatt". Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 200 S., geb., 24,80 [Euro].

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