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Endlich mal ein intellektueller Science-Fiction Roman.


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Das Zeitalter, das wir kennen, ist längst eingeschlafen. Wo einmal Europa war, gibt es nur noch drei labyrinthische Städte, die eher gewachsen sind, als daß sie erbaut wurden. Die Welt gehört den Tieren. Fische streiten über Sodomie, Theologinnen mit Habichtsköpfen suchen in Archiven nach Zeugnissen der Menschheit, und Cyrus Golden, der Löwe, lenkt den Staat der drei Städte. Als ein übermächtiger Gegner die neue Gesellschaft bedroht, schickt er den Wolf Dimitri als Diplomaten aus, im einstigen Nordamerika einen Verbündeten zu suchen. Die Nachtfahrt über den Ozean und in die tiefen Stollen der…mehr

Produktbeschreibung
Das Zeitalter, das wir kennen, ist längst eingeschlafen. Wo einmal Europa war, gibt es nur noch drei labyrinthische Städte, die eher gewachsen sind, als daß sie erbaut wurden. Die Welt gehört den Tieren. Fische streiten über Sodomie, Theologinnen mit Habichtsköpfen suchen in Archiven nach Zeugnissen der Menschheit, und Cyrus Golden, der Löwe, lenkt den Staat der drei Städte. Als ein übermächtiger Gegner die neue Gesellschaft bedroht, schickt er den Wolf Dimitri als Diplomaten aus, im einstigen Nordamerika einen Verbündeten zu suchen. Die Nachtfahrt über den Ozean und in die tiefen Stollen der Naturgeschichte lehrt den Wolf Riskantes über Krieg, Kunst und Politik und führt ihn bis an den Rand seiner Welt, wo er erkennt, "warum den Menschen passiert ist, was ihnen passiert ist".

Der Roman Die Abschaffung der Arten steht in der Tradition großer spekulativer Literatur über Niedergang und Wiedergeburt der Zivilisation von Thomas Morus, Voltaire und Mary Shelley über H. G. Wells und Jules Verne bis hin zu Stephen King und William Gibson. Wenn Charles Darwin Krieg der Welten geschrieben hätte, vielleicht wäre ein Buch wie dieses dabei herausgekommen: ein abenteuerliches Liebeslied, eine epische Meditation über die Evolutionstheorie und der waghalsige Versuch, Fossilien von Geschöpfen freizulegen, die noch gar nicht gelebt haben.
Autorenporträt
Dietmar Dath, 1970 geboren, ist Autor und Übersetzer. Er war Chefredakteur der Zeitschrift Spex und von 2001 bis 2007 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit September 2011 ist er dort Filmkritiker.
Dietmar Dath veröffentlichte fünfzehn Romane, außerdem Bücher und Essays zu wissenschaftlichen, ästhetischen und politischen Themen, darunter die Streitschrift Maschinenwinter (2008) und die BasisBiographie Rosa Luxemburg (2010). Jüngst ist Dietmar Dath auch als Dramatiker und Lyriker in Erscheinung getreten. Er lebt in Freiburg und Frankfurt am Main.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2008

Fantasy auf Amphetaminen
Hui wei packel, hoppi pah: Dietmar Daths delirierender Zukunftsroman „Die Abschaffung der Arten”
Nein, drunter tut es der Waschzettel nicht: „Wenn Charles Darwin ‚Krieg der Welten‘ geschrieben hätte, wäre vielleicht ein Buch wie dieses herausgekommen: ein abenteuerliches Liebeslied, eine epische Meditation über die Evolutionstheorie und der waghalsige Versuch, Fossilien von Geschöpfen freizulegen, die noch gar nicht gelebt haben.” So viel wird dem Leser schon aus diesen paar Zeilen klar: Der Autor Dietmar Dath wird von einem ungeheuren Ehrgeiz angestachelt, und der betätigt sich vor allem in der Hybridisierung der Form um jeden Preis.
„Die Abschaffung der Arten” spielt in einer weit entfernten Zukunft, in der die Finsternis der menschlichen Geschichte an ihr Ende gelangt ist und an die Stelle der Menschen (die sich als „Minderlinge” weiterhin an den Rändern herumtreiben) die „Gente” getreten sind, sprach- und vernunftbegabte Wesen, die sich die Erbmasse aller Spezies plastisch verfügbar gemacht haben. Es steht ihnen frei, sich mit Fremdartigsten zu paaren und darüber hinaus die eigene Gestalt nach Belieben zu ändern, sich Flügel zuzulegen oder ein Baum zu werden; Identität im Sinn des Fahndungsfotos hat sich aufgelöst. Durch totale Durchmischung soll sich der gänzlich andere Zustand realisiert haben.
Die Rasse der Keramikaner
So weit die unverkennbare Intention des Buchs. Was indessen geschieht, gelangt über den Horizont der altbekannten historischen Welt (sie heißt im Buch schlicht „die Langeweile”) nicht hinaus. Seit mehreren Jahrhunderten hat der Löwe die Herrschaft über die Erde inne; mit seiner nunmehr entfremdeten Gattin hat er vor Zeiten ein Töchterlein gezeugt, welches sich in Gestalt eines Luchses mit dem Wolf, des Löwen Chef-Emissär, in eine Affäre einlässt. Bedroht wird das Reich der Gente von einem Wesen namens Katahomenleandreal, das seinerseits die neuartige Rasse der Keramikaner ins Feld stellt; deren Kampfkraft erhöht sich dadurch, dass sie mit ihren Nesselwaffen teilweise in andere Dimensionen ausweichen können. In einem zweiten Teil, den nachzuerzählen nun wirklich zu beschwerlich wäre, ist das Projekt der Gente zusammengebrochen, aber von den inzwischen kolonisierten Nachbarplaneten Venus und Mars aus brechen zwei Nachkommen von Lüchsin und Wolf auf, um einander zu begegnen, wechseln zuvor je ihr Geschlecht, geraten zum Schluss hin allerdings in eine sehr langwierige Zeitschleife . . .
Man ersieht schon aus diesen knappen Andeutungen des Plots (der sich tausendfältig weiter zerfächert), dass Dath trotz seines strampelnden Vorsatzes die landläufigen Muster der Fantasy nicht zu sprengen vermag. Sein Buch teilt alle Geburtsfehler des Genres: die einfache Absehbarkeit der strukturierenden Elemente, oberflächlich überblendet von den Figuren einer willkürlichen Variation; die vom gänzlichen Verzicht auf verarbeitbare Erfahrung hervorgerufene Unanschaulichkeit im Bunten.
Immer sieht man am besten an den Namen, was an dieser Art von Literatur nicht stimmt; in ihnen tobt sich die aufgekratzte Erfindungswut ohnmächtig aus. Der Löwenkönig heißt – und wirklich jedes einzelne Mal – Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, seine Gattin Livienda Sonya Gina Anya Katya Nisi Saba Scheba Mattha Catriona Elyce Finfin-Fain, daneben gibt es das Laufschwein Hébert Loskauf, den Zander Westfahl Sophokles Gaeta, und so weiter und so weiter. Diese gattungstypischen Lustbarkeiten des Kaleidoskops werden von Daths flackerndem Auf- und Ausbruchswillen zum Strudel beschleunigt, dass dem Leser Hören und Sehen vergeht. Ein typischer Satz bei ihm klingt so:
„Am Ziel seiner Wünsche, von früheren Defekten genesen, mit einem (dank der Pharmakoi in den Schnittblumen der Dachswache) stark verbesserten Orientierungssinn beschenkt und neuerdings recht gutaussehend, durfte er schließlich, als der Himmel zum Ausklang des satten Sommers zum vierhundertsechsundsiebzigsten Mal seit dem Ende der Langeweile seine Farbe änderte, vor eigens Geladenen bei einer Zeremonie präsidieren, die zu den seltensten und wichtigsten in Kapseits gehörte: der Ehrung des besten Malers in Vinyltinte auf Mauerwerk sowie – man machte jetzt in Nostalgie – auf Leinwand.” Wie kann, fragt sich der Leser erschöpft, Quatsch so anstrengend sein? Fantasy ist schlimm genug; aber das hier ist Fantasy auf Amphetaminen. Und doch erschließen sich so keine neuen Vorstellungsräume: Was hier statthat, ist der gute alte Menschenbrauch der Vernissage, auch wenn es sich bei dem geladenen Besucher um einen reformierten Esel handelt.
Die Natter und ihre Verwandten
Dieser Esel (er heißt Storikal) ist zwar nicht die zentrale Figur des Buchs, wohl aber verdichtet sich in ihm auf charakteristische Weise dessen Stil und Duktus. Seine Rede hat damit zu ringen, dass ihr Fluss von fauchenden und stotternden Störgeräuschen begleitet wird, die wie aus einer schadhaften Dichtung seitwärts entweichen. Nichts davon kriegt der Leser geschenkt. „Wie gesagt, ha, ha, ha hagackel, hui wei packel, hoppi pah, die Natter jaahautz Stülpke und ihre Anverwandten, haaa jips ups jenzfalz, die haben das gesammelt übern Dachbereich hajaaah weg in die hinterletzerbetzten Keller rein ha jaaahh da.” Das soll als Kostprobe reichen; aber so geht es über Seiten und fängt immer wieder von vorn an.
Warum macht Dath so was? Gilt ihm solche Leserstrapazierung, bei der nichts, absolut nichts herauskommt, als Hommage an die klassische Moderne? Oder will er per Kontrast eine Empfindung von Dankbarkeit erzeugen, dass er beim Rest des Texts, der immer durch seine Zentrifugalkräfte gefährdet bleibt, vergleichsweise noch diszipliniert zu Werke geht? Schwer zu sagen.
Selten hat der Rezensent so intensiv den Wunsch verspürt, ein Buch zuzuklappen und ins Eck zu pfeffern. Eisernes Pflicht- und Gerechtigkeitsgefühl hinderte ihn daran, denn man soll ein Buch ja ausreden lassen. Versäumt hätte er wenig, denn auch die letzten 470 Seiten enthielten nichts an Pein und Qual, was die ersten 80 nicht auch schon geboten haben; und dabei leer blieben, einfach leer. Dass dieses Buch ein Formproblem hätte, hieße die Sache sehr milde auszudrücken. Und dass Dath sich übernommen hat, wäre reichlich untertrieben.BURKHARD MÜLLER
DIETMAR DATH: Die Abschaffung der Arten. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 552 S., 24,80 Euro.
Keine Fantasywelt ohne Monstren, hier im Film „Brücke nach Terabithia” (USA 2007). Foto: Constantin/Cinetext
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2008

Ein neuer Himmel auf einer neuen Erde

Große Erzählungen von Liebe und Tod: Dietmar Daths Roman "Die Abschaffung der Arten" kämpft mit Darwin, Marx und Lenin um das gute Überleben.

Von Thomas Anz

Am Anfang und am Ende steht Darwin - in Dietmar Daths sozialpolitischer Streitschrift "Maschinenwinter", erschienen im Frühjahr dieses Jahres, geschrieben parallel zu dem Roman "Die Abschaffung der Arten". Eine befreundete Biologin erklärt dem in ungelöste Probleme der Physik verstrickten Autor gleich auf der ersten Seite, was die Theorie Darwins zu leisten vermag. Sie sei eine "Theorie fürs Ganze". Denn: "Alles, was in der Wirklichkeit über längere Zeitspannen hin stattfindet, belehrt sie mich, lässt sich erklären, wenn man weiß, wie Vervielfältigung, Variation und Auslese ineinandergreifen."

Die Freundin ist Sozialistin. Ist das mit dem Glauben an Konzepte der Evolutionsbiologie vereinbar? Der skeptische Autor stellt ihr auf den letzten Seiten die Frage, inwieweit sich ihr darwinistisches Modell von den Berufungen "rechter Soziobiologen" auf den "Kampf ums Dasein" unterscheide. Die Frage ist symptomatisch - für Daths Streitschrift, für seinen neuen Roman und überhaupt für die in der sozial- und kulturwissenschaftlichen wie in der politischen und literarischen Intelligenz lange zeit dominierenden Aversionen gegenüber Darwin und der Biologie.

Dafür gibt es viele gute Gründe. Denn was mit Behauptungen über die angebliche Natur des Menschen und mit evolutionsbiologischen Vorstellungen über Prinzipien natürlicher Auslese an sozialpolitischen Ansichten und Praktiken im Umgang mit "starken" und "schwachen" Menschen gerechtfertigt wurde, hatte im zwanzigsten Jahrhundert mörderische Konsequenzen. Noch heute generiert es oft haarsträubende Ansichten. Die Attribute "darwinistisch" und "biologistisch" im Vokabular alter Ideologiekritik mögen inzwischen abgenutzt erscheinen, die mit ihnen bezeichneten Phänomene haben sich jedoch nicht erledigt.

Dietmar Dath weiß das. Doch er ist ein Spieler, ein so eigensinniger wie flexibler Gedankenexperimentator, der keine Berührungsängste auch vor fragwürdigsten Ideen kennt, die zu prüfen sich aber vielleicht lohnt. Lohnt wofür? Es geht um nichts Geringeres als um die Beseitigung von Herrschaft und Knechtschaft.

In "Maschinenwinter", einem Appell, das humane Befreiungspotenzial der Technik neu zu entdecken, statt sich von ihr beherrschen zu lassen, ist "abschaffen" eine wiederkehrende Vokabel. Der Titel "Die Abschaffung der Arten" macht sie zum Programm. Fast gänzlich abgeschafft ist in der neuen Welt, über die der Roman erzählt, die Gattung Mensch. Sie gilt als "gescheitertes Experiment" der Naturgeschichte. Bedauert wird da nichts. Die Welt ist von der Herrschaft der Menschen befreit, sie gehört den Tieren, genauer: den "Gente", hochintelligenten und auch gentechnologisch versierten Lebewesen in tierähnlichen Gestalten. Sie gehen mit den wenigen Menschen, die den Untergang der Gattung überlebt haben, ähnlich um wie zuvor die Menschen mit den Tieren. Sie benutzen ihre Häute zum Beschreiben, machen sie zu Objekten ihrer wissenschaftlichen Experimente oder erniedrigen sie in anderen perversen Formen.

Man weiß beim Lesen des Romans nicht recht, was ihm wichtiger ist: in der literarischen Tradition von belehrenden Fabeln oder von Satiren wie Orwells "Farm der Tiere" am Verhalten der Gente den Lesern die Fehler ihrer eigenen, zur besseren Kenntlichkeit entstellten Welt vorzuführen - oder unserer Gesellschaft das Bild eines besseren Lebens entgegenzuhalten. Beides betreibt der Tier-Roman in vielen Variationen und zeigt sich darin ziemlich unentschieden, wenn nicht sogar inkonsequent. Oder differenziert und vielseitig? Konsequenz ist jedenfalls ein Wert, dem Dietmar Dath andere Tugenden entgegensetzt. Das Denken in den Kategorien Entweder - Oder ist ihm ziemlich fremd. Seine politische, theoretische und ästhetische Maxime ist ein "Sowohl als auch" und ein "Mal so, mal so".

Die große Geschichte, die der Roman neben zahllosen Details und kleinen Episoden erzählt, vermischt und überblendet ganz unterschiedliche "Skripte": apokalyptische, revolutionshistorische und evolutionsgeschichtliche. "Apokalypse" sei "der Name der Stunde", heißt es an einer Stelle über die unter den Gente mit Hilfe von Duftstoffen weltweit verbreiteten Botschaften, "aber nicht die Nachricht vom Ende der Welt, sondern die von ihrem Anfang". Dass der Weltuntergang Durchgangsstadium zu einem anderen, viel besseren Zustand ist, gehörte schon immer zu den religiös fundierten Bestandteilen apokalyptischer Phantasien. Ebenso die im Text mehrfach mit Genugtuung angesprochene Vorstellung, dass der Untergang eine gerechte Strafe sei. Zugleich bezieht sich Daths Roman wie "Die Farm der Tiere" ganz unmissverständlich auf die Geschichte der russischen Revolution, allerdings trotz der satirischen Einlagen ungleich freundlicher.

Der König des "befreiten Tierreichs", ein Löwe, verdient in der Perspektive des Romans die Verehrung, die ihm die meisten Gente entgegenbringen. Die Weisung, die er seinem Volk erteilt und der er selbst geradezu exzessiv gefolgt sein soll, lautet: "Lebt, als ob ihr auf einer neuen Erde lebtet, die einen neuen Himmel vorhat." In ihm Merkmale von Daths positivem Lenin-Bild wiederzuerkennen, das er in "Maschinenwinter" bekräftigt, ist sicher nicht verfehlt. Eines der treuesten Gefolgstiere des Löwen ist der junge Wolf und Diplomat Dmitri Stepanowitsch. Nicht nur der Klang seines Vornamens legt nahe, in ihm eine Art Identifikationsfigur des Autors zu sehen. Wenn es in dieser von vielen Tieren bevölkerten Welt überhaupt Protagonisten gibt, dann gehört er dazu. Und ohne es gleich zu wissen, ist er es, der das Privileg einer Liebesbeziehung mit der Tochter des Königs genießt.

Denn wie fast jeder Roman ist der von Dath auch ein Liebesroman. Bis in die Einzelheiten der ersten gemeinsamen Nacht hinein geht es im ganzen Text ziemlich tierisch und zugleich recht menschlich zu. Bevor der Wolf und die Luchsin sich ins Bett begeben, ziehen sie ihre Kleidung aus, obwohl sie doch ein Fell haben. Das mag ähnlich irritieren wie der Sachverhalt, dass in der befreiten Welt feudale Strukturen von Herrschaft und Gefolgschaft ganz selbstverständlich sind. Doch der Roman will sein, was die geliebte Dächsin im verbalen Vorspiel vom "Sex" verlangt: Er "muss verwirren, sonst ist was nicht richtig". Dahinter steht ein Programm, ein politisches und ein ästhetisches, an das sich der Roman vom Anfang bis zum Ende hält, vom Titel bis zur abschließenden Danksagung.

"Die Abschaffung der Arten" ist ein Plädoyer für die Abschaffung verfestigter Grenzziehungen, phantasiert die Utopie einer befreiten Vermischung aller Arten. Vom König wird behauptet, er sei "in den ersten Jahren nach der Befreiung mehrmals wöchentlich von einer Tierart zur andern übergetreten". Die vielen Namen, die er wie manches andere Tier in dieser Romanwelt trägt und die für jeweils andere Fähigkeiten stehen, sind die sprachlichen Zeichen seiner multiplen Persönlichkeit.

Es kommt darauf an, die Welt zu verändern. Und auch sich selbst. Das ist, in der Tradition von Marx, die Botschaft des Romans. Die Frau des Löwen gibt die Losung aus: "Alles muss sich ändern, wir sorgen dafür, dass es sich zum Guten ändert." Im Gegensatz zu denen, die sich auf die Natur berufen, wenn sie bestehende Verhältnisse und gegenwärtige Entwicklungen als notwendig und unabänderlich hinstellen wollen, enthält Darwins Lehre von der Entstehung und Entwicklung der Arten ein Angebot, das schon Lenin dankbar aufgriff: "Darwin widerlegte jene Anschauung über die Arten der Tiere und der Pflanzen, als wären sie von Gott erschaffene unveränderliche Wesen; er stellte zum erstenmal die Biologie auf wissenschaftliche Grundlagen, indem er die Veränderlichkeit der Arten und die Vererbbarkeit gewisser Merkmale feststellte."

Dath gehört zu der gegenwärtig wachsenden Zahl von Intellektuellen, die aus der Evolutionsbiologie Folgerungen ziehen, die dem Sozialdarwinismus alter Prägung völlig entgegenstehen - oft ohne zu wissen, dass es neben dem Rechtsdarwinismus schon lange die Tradition eines anderen Darwinismus gibt. Sie hatte es im zwanzigsten Jahrhundert allerdings schwer, Anerkennung zu finden. Anton Pannekoeks 1914 auf Deutsch erschienener Vortrag "Marxismus und Darwinismus" stand nach 1933 auf der nationalsozialistischen "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums".

"Wir machen aus der Evolution das schlechthin Willentliche", erklärt Daths Löwe. Die Gente können ihre Gene so frei verändern, dass sie ihre Identität permanent wechseln. Anything goes. Der Slogan der Postmoderne aus den achtziger Jahren geht hier mit Marxismus, Evolutionsbiologie und den durch die Möglichkeiten der Gentechnologie beflügelten Phantasien eine neue Allianz ein. Jean-François Lyotards postmoderne Warnungen vor den großen, die Welt umfassend erklärenden und daher zum Totalitären neigenden Erzählungen aus dem neunzehnten Jahrhundert finden hier allerdings keine Resonanz mehr. Umso beklemmender wirken die Kälte und die Beiläufigkeit, mit der die apokalyptische Romanphantasie und der am Geschehen gänzlich unbeteiligte Erzähler über Leichen gehen. Von einem auf beiden Seiten grausamen Ausrottungsfeldzug nach der Befreiung erfahren wir, "in dem innerhalb weniger Monate zweihundertvierzig Millionen Gente und drei Milliarden Menschen getötet wurden".

Ästhetischen Konzepten der Postmoderne folgt der Roman jedoch durchgehend. Die Kluft zwischen der Popularität von Science-Fiction, Western oder Pornographie auf der einen Seite und moderner, hochgradig interpretationsbedürftiger "Hochliteratur" auf der anderen zu schließen, dafür plädierte der amerikanische Literaturkritiker Leslie Fiedler 1968 in seinem Freiburger Vortrag "The Case for Postmodernism". Dass er in der Wochenzeitung "Christ und Welt" und bald darauf auch im "Playboy" erschien, war für das Programm bezeichnend. Daths Roman führt es fort. Die Abschaffung der Arten realisiert sich hier als Auflösung der Unterscheidung von Kunstarten, literarischen Gattungen, Sprachen und Niveaus. Er präsentiert sich als Science-Fiction-Roman und zugleich als Symphonie in vier Sätzen, entnimmt sein erstes Motto Dave Sims Comic-Klassiker "Cerebus" und das nächste einem altitalienischen Liebesgedicht Guido Cavalcantis, übernimmt zwei Mal aus Eliots "Waste Land" die hinduistische Friedensformel "Shantih shantih shantih", zitiert erfundene und reale Texte, vielfach auch eigene. Ein "Dechiffriersyndikat", wie es zur Entzifferung der Texte Arno Schmidts organisiert wurde, hätte auch mit Daths Roman ein ergiebiges Betätigungsfeld. Bald würde es die Anspielungen auf Schmidts Roman "Die Gelehrtenrepublik" entdecken, eine groteske Untergangs- und Zukunftsphantasie - über das Jahr 2008! Zur Neuausgabe des Romans schrieb Dath vor wenigen Jahren ein erhellendes Nachwort.

Im eigenen Roman ist einer der für ihn selbst riskantesten Einfälle das Urteil über die entmachtete Menschheit: Ihre Ära war die der Langeweile. Die Befreiung von den Menschen ist Befreiung von der Langeweile. Das muss die Leser dazu provozieren, die neue Welt des fünfhundertseitigen Romans daran zu messen. Nein, spannend ist der Roman wirklich nicht. Nicht zuletzt wegen der vielen Wiederholungen gleicher Ideen wird über weite Strecken die Lektüre sogar zur Qual, wenn nicht zum Ärgernis. Einer der breitgetretenen Einfälle von Dath ist es, seine ziemlich geschwätzigen Gente so sprechen zu lassen, dass ihre menschliche Sprache mit Tierlauten durchsetzt ist. Im Gesamtprogramm der Vermischung aller Gattungen ergibt das durchaus Sinn. Es erinnert zudem an die Gepflogenheit von Comics, in die Sprechblasen der Figuren Bekundungen wie "grrr", "mmmmpf" oder "uuuaaah" einzusetzen. Aber wenn ein vermeintlicher Esel als Präsident einer Kunstpreis-Jury die Qualitäten eines malenden Affen beschwört, lesen wir über Seiten hinweg Sätze wie diese: "Und jetzt kriegt er jaaahh dammi, dammi dammi dach den Preis von uns, den Preis mit Reis und Geiß als herausstechendes Subjekt im Ding. Im Ding!" Nichts gegen Nonsense- und Lautpoesie. Aber diese lebt vom ökonomischen Einsatz ihrer Mittel.

Dath ist ein ungemein ideenreicher und vielseitiger Intellektueller. Dass er als Autor gut überleben kann, dass seine quantitativ geradezu unglaubliche Produktivität in konzentrierte Qualität umschlägt, wünschen wir ihm und seinen Lesern. Weil es ihm ums Ganze geht, um die Geschichte des Menschen und der Natur, weil er ein großer Moralist und unberechenbarer Spieler ist, weil er sprachlich, theoretisch, politisch so bodenlos blödelnd und riskant nach Freiheit und Glück sucht, bleibt es inspirierend, ihm sogar beim Scheitern und sich selbst beim Ärgern zuzusehen.

- Dietmar Dath: "Die Abschaffung der Arten". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 552 S., geb., 24,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Paul Jandl macht keinen Hehl aus seinem Desinteresse an Dietmar Daths neuem Roman. Zu verwirrend, zu irrsinnig und vor allem zu ausgiebig findet er die Science-Fiction Dystopie. Mehr "Selbstbeschränkung?, meint er, hätte Dath in diesem Fall sehr gut getan. Dementsprechend schwer tut sich Jandl, der Handlung zu folgen. Das Buch zeichnet ein Zukunftsszenario, in dem Tiere die Überhand gewonnen haben und Menschen langsam aber sicher aussterben. Die neuen Wundertiere, berichtet Jandl, haben hochtechnologische, biomechanische Eigenschaften, bilden politische Systeme, zetteln Revolutionen an, begehen Tyrannenmorde. Um "die Ära der Langeweile?, wie es im Buch heißt, auch literarisch auf jeden Fall zu beschwören, höre Dath gar nicht mehr auf, sich immer weitere Details genetischer Replikationsmöglichkeiten in Bildern sowie in Sätzen auszudenken. Jandl bleibt am Ende "nur das Gähnen?, und dem darwinistischen Fazit des Buches steht er genauso verwirrt gegenüber wie den diversen Kreaturen, die seines Wissens "wohl etwas mit erotischen Primärwerkzeugen zu tun? haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Abschaffung der Arten ist ein verrücktes Buch, ist große, spekulative Literatur, mit Phantasie, Kenntnis und Dichtungskunst.« Volker Weidermann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung