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Genia, Ende der dreißiger Jahre aus einem polnischen Städtchen eingewandert, kleinbürgerlich und paranoid, und Didi, im Kibbuz aufgewachsen und erfolgreiche Tel Aviver Fernsehjournalistin - zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Arbeit an einer Reportage über Mütter, in der Genia portraitiert wird, konfrontiert Didi mit sich selbst, ihrer Kindheit und Ehe. Während Didis scheinbar fest begründetes Leben auseinanderfällt, nimmt ihre kleine Tochter Na'ama Zuflucht im Beobachten der in Israel weitverbreiteten Raben: Die Rabeneltern sind bestimmt von übergroßer Fürsorge für ihre…mehr

Produktbeschreibung
Genia, Ende der dreißiger Jahre aus einem polnischen Städtchen eingewandert, kleinbürgerlich und paranoid, und Didi, im Kibbuz aufgewachsen und erfolgreiche Tel Aviver Fernsehjournalistin - zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Arbeit an einer Reportage über Mütter, in der Genia portraitiert wird, konfrontiert Didi mit sich selbst, ihrer Kindheit und Ehe. Während Didis scheinbar fest begründetes Leben auseinanderfällt, nimmt ihre kleine Tochter Na'ama Zuflucht im Beobachten der in Israel weitverbreiteten Raben: Die Rabeneltern sind bestimmt von übergroßer Fürsorge für ihre Jungen, bis hin zur Aggression gegen alles, das diese zu bedrohen scheint - und doch schützen sie sie nicht vor der einzig wirklichen Gefahr, den im eigenen Nest placierten Kuckuckseiern. Sie sehen zu und schweigen.

Der Roman Die Raben handelt vom Leben zweier Frauen im heutigen Israel und erkundet den emotionalen Untergrund von Familien, der fortwirkt auf das In-der-Welt-Sein überhaupt. Vielerlei Schweigen, Variationen eines Zuviel und Zuwenig an Liebe, das Verfehlen des richtigen Maßes bestimmen die Beziehungen der einzelnen - auch und gerade im allem zugrundeliegenden familiären Gefüge. Avirama Golan entfaltet souverän ein Panorama der israelischen Gesellschaft und ihrer Innenräume, und in den Menschen, von denen sie erzählt, erkennen wir auch uns selbst.
Autorenporträt
Mirjam Pressler wurde 1940 in Darmstadt geboren - ein uneheliches Kind jüdischer Abstammung, das bei Pflegeeltern aufwuchs. In Frankfurt besuchte sie die Hochschule für Bildende Künste. Sie hat drei inzwischen erwachsene Töchter und fünf Enkelkinder. Die Liste der Berufe, die sie ausgeübt hat, ist lang. Ihre ersten Bücher schrieb sie nachts, neben Beruf, Familie und Haushalt.
Gleich für ihre ersten Roman bekam sie den Oldenburger Jugendbuchpreis. Seit vielen Jahren schreibt sie hauptberuflich für und über Kinder und ihre Probleme. Für ihre eigenen Bücher und die Übersetzungen aus dem Hebräischen und dem niederländisch-flämischen Sprachraum hat Mirjam Pressler viele Preise und Auszeichnungen erhalten, 1998 wurde sie mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, 2001 mit der Carl-Zuckmayer-Medaille für Verdienste um die deutsche Sprache und 2004 mit dem Deutschen Bücherpreis für ihr literarisches Lebenswerk. 2013 erhielt sie die Buber-Rosenzweig-Medaille.
Mirjam Pressler lebt in der Nähe von München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2007

Xanthippe und der Kuckuck
Avirama Golan lässt eine Familie in Israel auseinanderdriften

Avirama Golan, Mitherausgeberin und politische Kommentatorin der Tageszeitung "Haaretz" sowie Moderatorin einer wöchentlichen Literatursendung im Fernsehen, ist in Israel sehr bekannt. Doch das erklärt längst nicht den großen Erfolg ihres ersten Romans "Die Raben". Ganz offenbar hat sie mit ihrer teilweise recht schonungslosen Beschreibung der Hintergründe einer Gesellschaft, die sich nicht nur ihrer Feinde von außen erwehren, sondern nach wie vor auch im Inneren Zerreißproben bestehen muss, einen empfindlichen Nerv getroffen. Das palästinensische Problem hat Avirama Golan allerdings ausgespart, und den Holocaust erwähnt sie auch nur flüchtig. Trotzdem ist die Bedrohung durch Krieg und Terrorismus allgegenwärtig und der Militärdienst selbstverständlich.

Am Schicksal von drei Paaren, von deren Kindern und Enkeln - sie sollen für eine Fernsehserie porträtiert werden - wird deutlich, wie nicht zuletzt auch unterschiedliche Herkunft das Verhalten noch in der zweiten Einwanderergeneration prägt und Beziehungen wie Lebensentwürfe scheitern lässt. Die ältere Generation hält trotz aller Gegensätze zusammen, die jüngere sucht ihr individuelles Glück in immer wieder neuen Versuchen mit wechselnden Partnern. "Die Raben" symbolisieren Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen, aber doch unfähig sind, sie zu schützen. Das Rabenvolk ist zwar perfekt organisiert und funktioniert nach artspezifischen Regeln; doch es kann den listigen Kuckuck nicht rechtzeitig vertreiben, bevor er sein Ei ins fremde Rabennest gelegt hat. Hilflos schauen die Rabeneltern dann zu, wie das frühreife Kuckucksküken sich im Rabennest breitmacht und die schwarzen kleinen Raben verdrängt oder gar tötet.

Avirama Golans Roman lässt sich nicht nur als pessimistisches Zustandsbild der israelischen Gesellschaft lesen, in der die Ideale des Aufbaus und Neuanfangs im Kibbuz nicht mehr tragen. Es ist auch die bewegende Geschichte unerfüllter oder verschlissener Liebe, tragischer Missverständnisse und der Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe. Erstaunlicherweise sind die meisten Männer sympathische Antihelden, sanft und bildungshungrig, aber auch schwach und vor allem schweigsam gegenüber ihren herrischen oder zänkischen Frauen.

"So ist es nun mal", seufzt Zvi, der Vater von Rami und Riki, resigniert, wenn er von der schweren Arbeit in der Fabrik heimkehrt zu seinen Büchern und zu seiner primitiven ukrainischen Ehefrau, die, wenn sie nicht gerade der alten Heimat nachtrauert, mit Putzen, Kochen und Zetern ihre Tage verbringt. "Es gibt keine Gerechtigkeit" ist ihr ewiges Klagelied. Rami, der Sohn, Soldat bei einer Spezialeinheit und ein echter "Sabre", wie ein gebürtiger Israeli umgangssprachlich genannt wird, soll alle Träume der Eltern verwirklichen. Doch als er bei einer gefährlichen Sprengstoffaktion unter Wasser stirbt, zerreißt damit auch der Lebensfaden von Vater und Mutter. Denn Riki, die ungeliebte magersüchtige und nymphomanische Tochter, kann den Bruder nicht ersetzen. Und der Tod des alten Zvi ist eine der bewegendsten Szenen dieses Romans.

Die Hauptfigur in dieser Sammlung sehr unterschiedlicher Schicksale ist die schöne Journalistin Didi, verheiratet mit Shimon und Mutter einer verträumten Tochter. Sie steckt in einer tiefen Lebenskrise, aus der sie auch Sex mit einem jüngeren attraktiven Kollegen nicht rettet. Was bedeutet es überhaupt zu lieben? Das ist die immer wiederkehrende Frage, die enttäuschte Liebende nur unzulänglich beantworten können. Wann und warum beginnt eine Ehe wie die von Didi und Shimon in Sprachlosigkeit zu erstarren?

Und was bleibt übrig, wenn beide Partner sich voneinander entfernen und sich anderen Partnern zuwenden? Umarmungen sind dann wie das Anklammern an einen Rest von Gefühlen, Sexualität nichts anders als sehnsüchtige Beschwörungen einer unmöglichen Vereinigung. Ähnlich wie Zeruya Shalev und andere jüngere israelische Schriftsteller verfügt Avirama Golan über eine außerordentlich sinnliche Sprachkraft. Und ebenso versiert versteht sie es, die Spannung durch häufigen Szenewechsel zu erhöhen.

Als Didi vergeblich bei ihren Eltern im Kibbuz Hilfe sucht, trifft sie ihren Jugendfreund, der jetzt wie ihre Eltern immer noch eine beispielhafte Ehe führt. Vielleicht wäre sie mit diesem verständnisvollen Mann glücklicher geworden als mit ihrem komplizierten Shimon und seinem "problematischen familiären Hintergrund", der Vater ein Geschäftsmann, die Mutter eine kultivierte, jedoch depressive Frau aus dem arabischen Kulturkreis, der man es nicht zutraut, dass sie eine ehemalige Untergrundkämpferin aus dem Irak ist. Aber Didi hat sich längst von den unerfüllbaren Idealen ihrer Eltern, die aus der Kibbuzbewegung kommen, abgewandt.

Avirama Golan zieht kein Fazit und bietet auch kaum Hoffnung an. "So ist es nun mal", scheint sie mit dem alten Zvi sagen zu wollen. Und wie ein Marionettenspieler seine Figuren entlässt, indem er die Spannung der Fäden lockert, so beendet auch sie ihr Spiel. Bleibt noch anzumerken, dass Mirjam Pressler wie gewohnt einfühlsam aus dem Hebräischen übersetzt hat.

MARIA FRISÉ

Avirama Golan: "Die Raben". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 252 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Autorin Avirama Golan ist in Israel eine öffentliche Figur, als Mitherausgeberin der Tageszeitung "Ha'aretz" und politische Kommentatorin. In ihrem Romandebüt "Die Raben" setzt sie sich nun mit der israelischen Gegenwart und Vergangenheit auseinander - und zwar in Form eines Familienromans, erklärt Rezensent Carsten Hueck. Die Hauptfigur in der Gegenwart ist die zwölfjährige Na'ama und an ihr demonstriere Golan das Muster, um das es ihr durchweg gehe: die Beschädigungen, die einem in der Familie zugefügt werden. In Israel, wo jede Frau im Schnitt drei Kinder gebiert, ist eine derartige Kritik an Familienzusammenhängen, betont der Rezensent, durchaus eine ungewöhnliche Sache. Erzählerisch sei der Roman komplex konstruiert, bewege sich in Abweichung von der chronologischen Ordnung durch das ganze 20. Jahrhundert, lasse vieles bloß angedeutet, dennoch ergibt sich für den Rezensenten ein Gesamtbild der israelischen Gesellschaft. Er berichtet vom großen Erfolg des Romans bei der israelischen Kritik wie beim Publikum. Mit einem eigenen Urteil hält er sich freilich zurück.

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