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Eine Zeit des Stillstands, des Innehaltens - Oliver wird Zeuge, wie in den Nachwendejahren parallel zur gesellschaftlichen Neufindung in der Musik die Melodien verschwinden und bald Wiederholung vorherrscht: Die elektronische Epoche beginnt. Der Säntis sendet Störklänge und Dezibelduschen, Dreiflügler, weiße Windräder, vorwärts oder rückwärts drehend, erzeugen Winde, die Oliver durch die Jahre wirbeln. Seine Reisen führen an Flüssen entlang, auf verbotene Gleise, durch die Lüfte. Er besucht in wechselnden Vehikeln Städte an Süß- und Salzgewässern. Und er landet immer wieder in der klingenden…mehr

Produktbeschreibung
Eine Zeit des Stillstands, des Innehaltens - Oliver wird Zeuge, wie in den Nachwendejahren parallel zur gesellschaftlichen Neufindung in der Musik die Melodien verschwinden und bald Wiederholung vorherrscht: Die elektronische Epoche beginnt. Der Säntis sendet Störklänge und Dezibelduschen, Dreiflügler, weiße Windräder, vorwärts oder rückwärts drehend, erzeugen Winde, die Oliver durch die Jahre wirbeln. Seine Reisen führen an Flüssen entlang, auf verbotene Gleise, durch die Lüfte. Er besucht in wechselnden Vehikeln Städte an Süß- und Salzgewässern. Und er landet immer wieder in der klingenden Gegenwart, in Zürich, Istanbul und im großen semantischen Orchester Frankfurt.

Tiere des 20. Jahrhunderts wandern mit Oliver durch das Buch. In London raten ihm sprechende Pferde: "Folge den Trommeln und Bässen!" Und tatsächlich: Die Musik ist allem voraus. Oliver beobachtet Tonus- und Rhythmuswechsel und ihre Rückwirkung auf Körper und Sprache, verfolgt das Verschwinden und Wiederauftauchen der Melodien und Tonfolgen der Liebe. Peter Weber läßt polyrhythmische Mirakel entstehenund zeigt, wo die Musik spielt: im Roman.
Autorenporträt
Weber, PeterPeter Weber, geboren 1968 in Wattwil/Toggenburg, lebte nach seiner Schulzeit mehrere Jahre in Zürich und ist seit 1992 mit einem Generalabonnement der Schweizerischen Bundesbahn viel unterwegs. Zahlreiche Zusammenarbeiten und Projekte mit Musikern aus verschiedenen Bereichen, u.a. Bahnhofsprosa live mit Denis Aebli (Schlagzeug, Elektronik, Vox theremin), Singende Eisen, Spangen und Gleise mit den vier dichtenden Maultrommlern (Bodo Hell, Michel Mettler, Anton Bruhin, Peter Weber) und Auftritte mit dem improvisierenden Streichquartett "Die Firma" aus Zürich und Bern. 1993 erschien sein erster Roman Der Wettermacher im Suhrkamp Verlag. 2004/05 ist er Stadtschreiber in Bergen-Enkheim bei Frankfurt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2007

Free Jazz auf dem Hochseedampfer

Reiselust als Erzählprinzip: Der Schweizer Schriftsteller Peter Weber lässt in seinem neuen Roman den Künstler O. auf der Suche nach Inspiration durch Europa reisen. Am Leitmotiv der "Melodielosigkeit"entsteht zugleich ein Epochenporträt der neunziger Jahre.

Seinen helvetischen Landsleuten stellt Peter Weber eine klare Diagnose: Die Schweizer leiden allesamt an latenter Reiselust. So sein Befund. Und auch einen passenden Namen für diese Krankheit hat er zur Hand: "Morbus helveticus abonnementi generalis". Akademische Gelehrsamkeit und schweizerischer Geschäftssinn verbinden sich in dieser Diagnose. In der Tat scheint das Generalabonnement der Schweizer Verkehrsbetriebe, das seinen Inhabern freie Fahrt mit den Eisenbahnen, Postbussen und Linienschiffen des Landes erlaubt, mehr zur innerschweizerischen Verständigung beizutragen, als es viele gutgemeinte Maßnahmen der staatlichen Sprach- und Kulturpolitik vermögen.

Auch der Künstler Oliver, Hauptfigur dieses kleinen Romans, ist von der Schweizer Reisekrankheit befallen. Seine unruhige Route führt ihn nicht nur in die heimischen Berge, wo er rüstigen Rentnern in Schulausflugsstimmung begegnet, sie lenkt ihn vielmehr quer durch Europa, von der einen "Wasserfassadenstadt" zur nächsten, also unter anderem nach Istanbul, Dresden, Marseille, Berlin, Genua, Rostock, Prag, Frankfurt und London. Was planlos klingt, folgt einer inneren Choreographie: Oliver, oder kurz "O.", wie er mitunter auch vom Erzähler genannt wird, orientiert sich an vorhandenen Reiselinien, an Bahn- und Schiffsstrecken also, zugleich kennt er aber auch die Sogkraft von Lebenslinien, Verliebtheitslinien, Schimmerlinien, Projektionslinien, Inspirationslinien.

Aus so viel Linien entsteht nicht nur ein verwirrend schönes Sprachgebilde, sondern auch ein kompliziertes Wegenetz, in dem sich der Schweizer Reisende fast schlafwandlerisch sicher bewegt. Wie sein Schöpfer, der 1968 geborene Peter Weber, ist Oliver Musiker und Schriftsteller zugleich, und seine Fahrten führen ihn dorthin, wo neue künstlerische Erfahrungen möglich sind. In Istanbul hört er den Übersetzer von Goethes "Faust" voll Inbrunst alte Schweizer Kinderlieder singen; in London unterhält Oliver innige Zwiesprache mit höflichen Polizeipferden, und an der Ostseeküste musiziert er in einem ausgemusterten Hochseedampfer, der früher zur Fischfangflotte der DDR gehörte.

So surreal die Handlung mitunter anmuten mag, ist sie doch fest in den Koordinaten der Zeitgeschichte verankert: Olivers künstlerische Odyssee findet in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts statt; und das Ende des Kalten Krieges bildet den durchgehenden basso continuo für alle Episoden des Buches. Die Schilderung einer falsch terminierten Fahrt zur Feier der deutschen Einheit wird dabei zum Sinnbild für die politische Randlage der Schweiz. Denn als die reisenden Schweizer, die staunend vom Fall der Mauer gehört haben, endlich in Berlin eintreffen, ist die große Party vorbei. Allein Berge von Straßenmüll empfangen die Reisenden, und als deutlichstes Zeichen der neuen Zeit lernen sie in Berlin ausgerechnet Schmalzstullen kennen - ein zweifelhafter kulinarischer Genuss, der am Fuße der Alpen offenbar unbekannt ist.

Vor allem aber erzählt das Buch von der populären Musik der neunziger Jahre. Für Peter Weber, der sich auch als Jazzmusiker und versierter Spieler der Maultrommel einen Namen gemacht hat, markiert das Aufkommen der "melodielosen" elektronischen Musik eine kulturelle Wende, die in ihrer Bedeutung der politischen gleichzusetzen ist: "Als der Eiserne Vorhang gefallen war, die Spannungspole aufgehoben, tauchte im luftleeren Raum die repetitive elektronische Musik auf, eroberte West und Ost gleichzeitig, wertfrei, Reizleitung, reines Lustprinzip."

Webers musikalische Zeitdiagnose erliegt nicht der naheliegenden Gefahr, das gute Alte gegen das bedenkliche Neue auszuspielen, vielmehr beschreibt er die neuen hämmernden Rhythmen, die den konstanten "Einton" zu ihrer Grundlage machen, mit freundlicher Sympathie. Seine Sprache aber verrät, wie sehr es der Erzähler gewohnt ist, noch immer in vertrauten Harmonien und Melodien zu denken: Sieht er sieben weiße Möwen, denen eine grauschwarze Krähe folgt, erklärt er diese sofort zum "Oktavenvogel"; ganz ähnlich wird die Berliner U-Bahn durch die stets acht aneinandergehängten Wagen "oktaviert".

Eine unübersehbare Freude am Wortspiel durchzieht das gesamte Buch. Wie schon in seinen früheren Werken, dem vielgelobten Debüt "Der Wettermacher" (1993), dem wortgewaltigen "Silber und Salbader" (1999) und der "Bahnhofsprosa" (2002), erprobt Peter Weber erneut ausgiebig die Möglichkeiten des Deutschen zur Wortbildung, mit denen er, ein Neuwort auch dies, die "Mischwirklichkeit" seiner Wahrnehmungen zu beschreiben sucht. Nicht jede seiner Erfindungen wirkt so unangestrengt wie das tiefe "Urbrumm", mit dem Weber das Grundgeräusch aller Bahnfahrten beschreibt, doch ist es insbesondere der Musikalität und Originalität seiner Sprache zu verdanken, dass sich dieses Buch so wohltuend von der buchstäblichen Eintönigkeit vieler anderer zeitkritischer Romane abhebt.

SABINE DOERING.

Peter Weber: "Die melodielosen Jahre". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 192 S., geb., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2007

Die Lehre der Dreiflügler
Peter Webers Roman „Die melodielosen Jahre”
„Die melodielosen Jahre” klingt nach Zeitdiagnose, vielleicht Kulturkritik – auf jeden Fall ungewohnt, wenn der Autor des Romans Peter Weber heißt. In seinem Debüt „Der Wettermacher” (1993) setzte Weber eher auf kleine, abseitige, poetisch-originelle Töne setzte. Der neue Roman aber, so liest man, habe Veränderungen in der zeitgenössischen Musik zum Thema, „parallel zur gesellschaftlichen Neufindung der Nachwendezeit”.
Peter Weber war freilich nie der Träumer, zu dem man ihn gern hingebogen hat. Wer den „Wettermacher” genau las, konnte schon damals eigenwillige Analysen gesellschaftlicher Entwicklungen finden. Doch obwohl Weber die Gegenwart des „Wettermachers” auf den 1. April 1990 legte, fand sich darin kein einziger Hinweis auf Wiedervereinigung oder Mauerfall – in einer Zeit, in der Kritiker in jedem Büchlein nach heißen Wende-Indizien suchten. Und Weber ist kein Ur-Schweizer, den das ferne Berlin kalt ließe. Der erste Satz des „Wettermachers” lautete: „Mein Vater kommt aus Unterwasser, meine Mutter kommt aus Berlin.” Die doppelte Herkunft trifft auch für Weber selber zu.
Sind nun die „melodielosen Jahre”, die auch Peter Webers Zeit als Stadtschreiber von Bergen-Enkheim erzählen, sein nachgeholter Wenderoman, wie die Ankündigungen vermuten lassen? Zuerst einmal bemerkt man wieder diese sprachliche Freiheit, die sich nicht glatt bügeln lässt. Es ist schon erstaunlich, was Weber, Geburtsjahr 1968, aus dem geläufigen Gegenwartsdeutsch macht. Er hört genau hin, aber wenn die Wörter der Jetztzeit durch sein Sieb gegangen sind, dann sind sie auf wundersame Weise reicher, nicht ärmer geworden.
Oliver, zugleich Hauptfigur und auktorialer Erzähler, „sitzt, wo immer, in dunklen Räumen, in Dunkelkammern, mit geschlossenen Rollläden, versucht so, die Morgendämmerung bis in den Nachmittag hinein zu dehnen (. . . ) er zieht den Rollladen in Etappen hoch. Durch den Sichtschlitz, der dabei entsteht, blickt er vom Tisch auf die Straße. Die Spaziergänger, die in Flüsterweite am Fenster vorbeigehen, laufen Gefahr, direkt in die Texte zu geraten”.
Dem zugleich versteckten und beinahe straßenhaften Schreiben entspricht ein bewegtes Leben. Zug, Flugzeug, Schiff, Fußwanderung, alle Möglichkeiten zur Beschwörung der Elemente werden ausgenützt. Aber die Aufmerksamkeit bleibt konzentriert, bemerkt auch „kleine, schwarze Flimmerhärchen” an einer Fliege, die sich, außen am Fenster eines ICE, gegen ihr Schicksal stemmt. Konterkariert von einer Fliege innen, die das Treiben der anderen mit müdem Interesse verfolgt. Die Verfugung des Texts ist so locker wie sein Rhythmus sprunghaft. Von einem Mainschiff mit Namen „Istanbul”, auf dem Makrelen gegrillt werden, gelangt der Erzähler per Assoziation übergangslos in die Stadt gleichen Namens. Aber er gewinnt auch unspektakulären Gegenden etwas ab. Die Mainebene ist bei schlechtem Wetter „ein prächtiger dunkler Ozean aus Wald, Dunst und Gewölk. Gespeichertes Saftgrün. Wandernde Schleier, Winde wie an der See. Nachts die Lichtermillion, die Waldflächen sind Schwarzinseln, in blinkende Ketten gelegt.”
Aber wie erzählt einer, der so schreibt, von 1989ff.? Schon auf der ersten Reise, mit dem Zug von Basel nach Frankfurt, bahnt Weber sich den Weg zur Wende. Zuerst werden Windkraftanlagen zu „Dreiflüglern”, „einbeinigen Wolkenmühlen”. Dann stehen sie still, sind „Friedhöfe der gnadenlosen Wiederholung”. Und dieses Wort steht später im Zentrum der Zeitdiagnose: Der damals neue Geschmack am Repetitiven, so Weber, war eine der wichtigsten Veränderungen im (musikalischen) Empfinden der letzten Jahrzehnte. Weber erzählt, wie Oliver noch Mitte der achtziger Jahre in der Zürcher Werkstatt für improvisierte Musik „mehrmals vom Klavier argumentiert” wurde, „als er, es war wohl einige Jahre zu früh, Töne in unendlichen Wiederholungen spielen wollte.” Die ersten „harten Schnittkanten und Blöcke, die Oliver wahrnahm”, kamen aus New York und hatten nichts mit der Wiedervereinigung zu tun. Doch waren es wirklich nur die Sampler, die alles veränderten? Oder standen diese etwa einer Strömung, die in der Luft lag, nur zur Verfügung?
„Die improvisierte Musik”, so Weber, war immer auch „Erinnerung, Verinnerlichung” gewesen. Jetzt „flogen die vordersten Fühler dem Vergessen zu, als fingen die Obertonschlaufen diese Funken ein, vergiss, sagte jede Synkope zur Basspauke. Vergiß! Vergiß! Vergiß!” Doch die musikalische und – hier folgt die Parallele – gesellschaftliche Befreiung zur Vergesslichkeit hat eine als Erstickungs-Erfahrung geschilderte Wirkung. Die offene, bewegliche deutsche Sprache wird mit der „Ankunft des Monotonen” auf einmal „im Innersten berührt, durchwummert, durchblitzt. Bebender Boden, diese tiefen Töne in der Luft, überall didaktische Spitzen, Ausrufezeichen”.
Ende der Neunziger verlor die Wiederholung den Reiz des Avantgardistischen. Doch wer sich Sprache und Struktur der „melodielosen Jahre” ansieht, merkt, dass Weber sie in seine Ästhetik aufgenommen hat. Die den Roman durchziehenden „Dreiflügler”, kurze Texte, in denen unter gleichem Titel drei verwandte Themen gebündelt werden, stehen für den Aufbau des ganzen Buchs, in dem sich Zeit- und Privatgeschichten durchdringen. Obwohl Ankunft aus und Rückkehr in die Schweiz den Rahmen bilden, wird es nicht von einer Geschichte zusammengehalten. Seine Intensität gewinnt es aus der Variation seiner Motive. Sie lassen Platz für Zwischenerzählungen, sei es die melancholische um den Tod des Vaters, sei es die um eine neue Liebe oder eine poetische Spurensuche in der Landschaft, die ein irrer Bauernsohn beinahe mit Schrot bestraft hätte. HANS-PETER KUNISCH
PETER WEBER: Die melodielosen Jahre. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 191 Seiten, 16,80 Euro.
Die Zeit im Ohr: Der Autor und Musiker Peter Weber Foto: Isolde Ohlbaum
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Diesen Roman hat Rezensent Martin Krumbholz als "schaumig-lustvolle Textdusche" genossen und empfiehlt es den Lesern, ihm gleichzutun. Denn von einer Handlung kann hier nicht wirklich die Rede sein: "Alles hat mit Reisen und mit Musik zu tun", versucht Krumbholz notdürftig das Sujet einzugrenzen, dabei spielt dies keine entscheidende Rolle: Es ist Peter Webers "Lust an der Sprache", die ihn in einen wahren "Klangrausch" und "helles Entzücken" versetzt hat. Und so warnt der Rezensent nachdrücklich, den Titel für bare Münze zu nehmen: Webers Prosa sei reines und ausgesprochen virtuoses "Klangtheater".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Es ist der Musikalität und Originalität seiner Sprache zu verdanken, dass sich dieses Buch so wohltuend von vielen anderen zeitkritischen Romane abhebt.« Frankfurter Allgemeine Zeitung