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Jimmy heißt der Mann - ein Trinker, ein Träumer, ein trotzig Liebender. Oder auch: ein verkommener Freak, der in Vietnam war und nicht mehr nach Hause findet, zurück zur Behaglichkeit. Die Straßen, die er ruhelos durchstreift, führen durch den Tenderloin District von San Francisco, dort entlang, wo Frauen versuchen, ihre Liebe zu verkaufen, ohne ihre Seele zu verlieren. Jimmy nimmt sie mit oder folgt ihnen, denn er sucht Gloria, die er aus den Körpern und Geschichten der Straßenhuren zusammensetzt, die er von toten Telefonen aus anruft, Gloria, die erhabenste von allen, vielleicht ein Mädchen,…mehr

Produktbeschreibung
Jimmy heißt der Mann - ein Trinker, ein Träumer, ein trotzig Liebender. Oder auch: ein verkommener Freak, der in Vietnam war und nicht mehr nach Hause findet, zurück zur Behaglichkeit. Die Straßen, die er ruhelos durchstreift, führen durch den Tenderloin District von San Francisco, dort entlang, wo Frauen versuchen, ihre Liebe zu verkaufen, ohne ihre Seele zu verlieren. Jimmy nimmt sie mit oder folgt ihnen, denn er sucht Gloria, die er aus den Körpern und Geschichten der Straßenhuren zusammensetzt, die er von toten Telefonen aus anruft, Gloria, die erhabenste von allen, vielleicht ein Mädchen, das er mal kannte, oder bloß ein Gespinst seiner Phantasie. Es spielt keine Rolle - solange er sucht, ist er nicht verloren. Und was er einsammelt, macht ihn heroisch, für eine Weile zumindest: die Schönheit mißlungener Maskeraden, von Frauen, die ohne jede Hoffnung leben, von Geschichten, die fröhlich beginnen und traurig enden. Die Schönheit von Dingen, die einmal schön waren.
Mit William T. Vollmann entdecken deutsche Leser einen der wichtigsten amerikanischen Erzähler der Gegenwart, den"einzigen Romanautor, dem es gelingt, die Siebenmeilenstiefel eines John Barth, William Gaddis und Thomas Pynchon auszufüllen"(Washington Post).
Huren für Gloria - schmutzig und elegant, schroff und rhythmisch, provokant und poetisch - ist ein kleiner seiner großen Romane, ein Lied von Unbehaustheit und Erlösung.
Autorenporträt
William T. Vollmann, geboren 1959 in Los Angeles, Autor zahlreicher Romane, Erzählbände und Sachbücher, mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Whiting Award; regelmäßige Veröffentlichungen in The New Yorker, New York Times Magazine, Esquire, Wall Street Journal u.a. Der Autor lebt in Kalifornien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2006

Die Nachtgestalten im Heiligenschein
Trost und Gewalt: William T. Vollmanns mitreißender Roman „Huren für Gloria”
So wie Jimmy sein Leben ohne Glorias Glanz nicht aushält, so erträgt der Leser die Rohheit dieser Geschichten kaum ohne die Schönheit ihrer Sprache. Blenden wir also kurz die vielen Heroin-Spritzen, benutzten Kondome, Budweiser-Dosen, abgemagerten und mit Abszessen übersäten Prostituierten und die zum Himmel stinkenden Ausdünstungen gebrochener Männer, von denen diese Seiten bevölkert sind aus, und hören auf einen Satz und die atemlose Erhabenheit seines Flusses. Seite acht, Kapitel zwei von achtundzwanzig: „Es war einmal, da lehnte Laredo, die Beine übereinandergeschlagen, am Feuerhydranten und wartete auf irgendeinen Deppen, der ihr Geld anbieten würde, so dass sie ihn anzeigen konnte; und alte Leute hinkten nach Hause in ihre Hotels, um die halbmorschen Türen doppelt abzuschließen für die Nacht, und es wurde dunkler und dunkler, und die Huren kamen heraus und saßen auf den Motorhauben alter Kombis, und Laredo spionierte ihnen mit dem allsehenden Auge einer Taucherin hinterher; und hinter einem dunklen Vorhang in einem verbeulten Lieferwagen nippte ihr Partner Leroy, der neu war, an seiner Orangenlimo und behielt sie brav im Auge. Die Straße war voller Nachtgestalten.” Und so geht es weiter. Comic-, Märchen- und Gruseltonlagen fließen ineinander, unersättliche Nebensatzschleifen fangen immer weitere Splitter dieses Straßenlebens ein, getrennt vom unschlüssigen Semikolon, verbunden vom biblischen „Und”.
Von der Leidensklugheit
Laredo, die Polizistin, wird erst mal am Feuerhydranten kleben bleiben, der Gang in die Gassen und Stundenhotels des Tenderloin-Distrikts im San Francisco der 80er Jahre ist ihr schlicht zu gefährlich. Dafür wird das „allsehende Auge” des Schriftstellers William T. Vollmann die Nutten und Nachtgestalten verfolgen und sie so lange beobachten, bis sie ihre „traurigen Geschichten” erzählen, damit er sie „in schöne verwandeln kann.” Wie Laredo will auch Vollmann, dass die Mädchen von der Straße kommen - aber nicht ins Gefängnis oder ins Sozialprogramm, er will sie nur ein Stück anheben, zum Schweben bringen, ein Strahlen in ihrer Verzweiflung aufscheinen lassen. „Huren für Gloria” heißt das Buch. Gloria wie Glorie. Und William T. Vollmann ist zwar ein kraftvoll dem Körperlichen zugewandter Autor, der gern mit Charles Bukowski verglichen wird. Aber auch ein barmherziger, dessen Leidensklugheit an die religiösen Verlierergeschichten Denis Johnsons denken lässt.
In Amerika gilt der 1959 in Los Angeles geborene Vollmann als unheimlicher Ausnahmeautor, lange ein Geheimtipp, bis ihm im letzten Jahr für den Roman „Europe Central” der National Book Award verliehen wurde. Allein über Vollmanns Produktivität kann man sich nur verwundert die Augen reiben. In knapp zwanzig Jahren veröffentlichte er ebenso viele Erzählbände, Sachbücher und Romane, wobei allein das 2003 erschienene Mammutwerk „Rising up and down” über Gewalt in all ihren Formen schon 2300 Seiten umfasst. Unheimlich wird Vollmann aber vor allem wegen seiner Arbeitsweise. Am Anfang von jedem Projekt steht umfangreiche Recherche. Mit dem enzyklopädischen Furor des Forschers und dem halsbrecherischen Mut des Kriegsreporters robbt er sich gewissermaßen durch seine dunklen Themen und über die Schlachtfelder dieser Welt.
Sarajewo, Kambodscha, Kongo, Afghanistan, deutsche und russische Archive, und immer wieder die Rotlichtviertel Kaliforniens. Wo „Brutalität, Wollust (. . .) Alkoholexzesse, Abnormitäten und Psychosen” blühen - Vollmann ist all schon da. Zu der Umtriebigkeit gehört auch, dass er mitunter sein Leben aufs Spiel setzt. So soll er in Bosnien fast Opfer einer Landminenexplosion geworden sein, bei dem seine drei Begleiter weniger Glück hatten als er. Vollmann selbst nennt als Grund für seine risikofreudige Arbeitswut den frühen Tod seiner Schwester, der er beim Ertrinken zusehen musste. Weil er ihr als Kind nicht helfen konnte, hat er sich als Erwachsener dazu verurteilt, die ganze Welt zu retten, wie er in dem Reisebericht „Afghanistan Picture Show” schreibt, dem einzigen Buch, das bisher von ihm auf Deutsch im Mare Verlag vorliegt.
Drastik und lyrische Transparenz sind auch Hauptmerkmale von „Huren für Gloria” aus dem Jahr 1991, dem ersten nun ins Deutsche übersetzten Roman, den Thomas Melle mit beeindruckendem Gespür für Rhythmus- und Tonwechsel übertragen hat. Es ist alles wahr, „alle Prostituierten in diesem Buch existieren wirklich”, teilt ein erregter Autor auf dem Buchrücken mit, und als würde das noch nicht genügen, wird auf den letzten Seiten das Ergebnis seiner Recherchen präsentiert, eine Liste der „Straßenpreise für Haare, Sex und andere Dienstleistungen (1985 - 1988)”. Einige Interviews bekam Vollmann gratis, für andere musste er zwischen 50 Cent und einem Dollar pro Minute zahlen.
Locken, haltet mich gefangen
Nur Hauptfigur Jimmy und seine fiebrigen Visionen sind erfunden. Der Vietnam-Veteran haust von Sozialhilfe in einem heruntergekommenen Hotel und außer Trinken, Sex mit den Mädchen und gelegentlichen Treffen mit einem alten Kriegskumpel gibt sein Leben nichts mehr her. Deshalb braucht er Gloria. Ob diese eine leibhaftige Hure von der Straße, eine Nachbarsliebe aus Kindertagen oder einfach nur die Vision einer fürsorglichen Frau ist, bleibt offen. Auf jeden Fall ist Gloria weg, und Jimmy versucht sie magisch heraufzubeschwören, indem er sich von den Huren Erinnerungen erzählen und Haare für sie abschneiden lässt. Und dann ist sie plötzlich da, als unsichtbare Wolke, die ihn begleitet, als Geist der Besänftigung, der Jimmys Gedanken Halt und seinen Schritten Ruhe gibt, wenn auch nur für kurze Zeit. Denn Sex und Gewalt sind okay, aber ein Freier, der die Locken der Huren will, ist verdächtig.
Jimmys Tage sind aber sowieso gezählt. Vollmann zeichnet seine Hauptfigur auf perfide Weise ambivalent, als hemmungslosen Ausbeuter und einfühlsamen Engel. Einerseits entreißt er den Mädchen ihre Träume und kaputten Biographien, um sie mit schweißfeuchten Fingern wie ihre Körper zu betasten. Andererseits zaubert er ihnen - einmal im phantasierten Gloria-Glück angekommen - durch seinen wahnhaft beseelten Blick Zartheit in ihre Erscheinung: „Dinah stand auf einem Bein gegen die Wand gelehnt und lächelte hinter ihrer verspiegelten Sonnenbrille, und sie trug einen Männerpullover mit Rundhalsausschnitt, um ihre Brust zu betonen, und ihre Beine waren nackt, und ihr Haar glänzte wie ein Heiligenschein. Sie hatte Gänsehaut an den Titten, wegen der Kälte. Sie trug Muschel-Ohrringe, die um die Haare schwangen wie Satellitenmonde.” Sobald alle Huren ihre Geschichten losgeworden sind und dafür mit Heiligenschein und Muschel-Ohrringen ausgestattet wurden, wird auch Jimmy gnädigerweise erlöst.
Dass Trost und Gewalt eng beieinander liegen und Schreiben mitunter Verrat bedeutet, ist nicht neu. Aber selten hat man so ungewöhnlich und mitreißend von diesen Verbindungen gelesen wie in diesem Roman. ANDREAS SCHÄFER
WILLIAM T. VOLLMANN: Huren für Gloria. Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Melle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 200 Seiten, 17,90 Euro.
„Und es wurde dunkler und dunkler, und die Huren kamen heraus.” - Straßenszene in den USA.
Foto: Lynsey Addario/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Offenbar fühle sich William T. Vollmann literarisch erst ganz unten "auf der Resterampe des Sozialen" wohl, vermutet Harald Fricke. Denn anders ließe sich nicht erklären, warum Vollmann seine Millieustudien in bester Bukowski-Tradition immer weiter in der Welt der Zuhälter und Prostituierten, der Säufer, Schläger und Vetaranen vorantreibt. In seinem neuen Roman "Huren für Gloria" schickt der Autor sein Erzähler-Ich Jimmy ins kalifornische Amerika der 80er Jahre zwischen Aids-Angst und Crack-Euphorie. Aus den Geschichten der Huren schafft sich der Protagonist imaginierend jene Gloria, die er anbetet und begehrt. Der Roman sei, so begeistert sich der Rezensent, "literarische Wahrheit und künstlerischer Stilwille in einem", weil es Vollmann gelingt, die Handlung mit der gleichen passiven Obsession wie die Hauptfigur zu organisieren: Nicht als "ordnende Instanz, sondern Konsument von Realität."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Extrem auf Extrem: das ist seine Angriffsmethode. Lesen Sie ihn. Fürchten Sie ihn." Esquire