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Camargo, Chefredakteur einer großen argentinischen Zeitung, ist besessen von der Frau im Fenster gegenüber. Tagelang beobachtet er sie, nutzt ihre Abwesenheit, um heimlich in ihren Kleidern, ihren Aufzeichnungen zu stöbern, filmt ihren Schlaf. Besessen ist er auch von seinem Beruf, den er wie kein zweiter beherrscht. So gefürchtet wie geachtet, schreibt er an gegen die Verkommenheit der politischen Klasse, gegen die alles zerfressende Korruption. Und läßt schreiben. Sofort bemerkt er das Talent von Reina Remis, der neuen Redakteurin in seinem Imperium. Daß sie zielstrebig ist, kann sie unter…mehr

Produktbeschreibung
Camargo, Chefredakteur einer großen argentinischen Zeitung, ist besessen von der Frau im Fenster gegenüber. Tagelang beobachtet er sie, nutzt ihre Abwesenheit, um heimlich in ihren Kleidern, ihren Aufzeichnungen zu stöbern, filmt ihren Schlaf.
Besessen ist er auch von seinem Beruf, den er wie kein zweiter beherrscht. So gefürchtet wie geachtet, schreibt er an gegen die Verkommenheit der politischen Klasse, gegen die alles zerfressende Korruption. Und läßt schreiben. Sofort bemerkt er das Talent von Reina Remis, der neuen Redakteurin in seinem Imperium. Daß sie zielstrebig ist, kann sie unter Beweis stellen, als der Präsident der Republik einen drohenden Skandal mit einer haarsträubend mystischen Vision aus den Schlagzeilen von morgen fegt. Reina deckt kühl den Humbug auf und steigt, von Camargo gezielt gefördert, bei der Zeitung auf. Reina weiß, genau wie er, was sie will. Camargo erkennt sich in ihr - und will sie besitzen. Sie läßt sie sich auf eine Liebesgeschichte ein, und unmerklich hat er bald die Fäden ihres Lebens in der Hand, ihre eigenen Pläne lösen sich in Luft auf.
Einmal nur läßt Camargo sie unbeobachtet, und sie verliebt sich, fluchtartig, in einen kolumbianischen Kollegen. Da trifft Camargo Vorbereitungen zu einem schrecklich unfehlbaren Plan, der sie ihm zurückbringen muß.
Gegen eine Wirklichkeit, die grell ist, drastisch und verworren, setzt Martínez eine Geschichte, die grell ist, drastisch und präzise berechnet.
"Martínez hat eine ureigene Metapher für den Teufelskreis der Macht gefunden: Wie ein neuer Citizen Kane ist seine Hauptfigur eine leidenschaftliche Form des Bösen." (Clarín, Buenos Aires)
Autorenporträt
Tomás Eloy Martínez (geboren am 16. Juli 1934 in San Miguel de Tucumán; gestorben am 31. Januar 2010 in Buenos Aires) war ein argentinischer Schriftsteller, Journalist, Literaturredakteur, Filmkritiker, Drehbuchautor und Hochschullehrer. Er galt als einer der bekanntesten argentinischen Schriftsteller der Gegenwart. Seine Romane wurden international geschätzt. Er arbeitete als Kolumnist für die Zeitungen La Nación, New York Times und El País, verfasste Drehbücher und engagierte sich im Fernsehen. Als Journalist war er vielen seiner Landsleute bekannt. Von 1984 bis 1987 lehrte er an der US-amerikanischen University of Maryland, ab 1995 war er außerordentlicher Professor an der Rutgers University in New Jersey und dort Direktor des lateinamerikanischen Programms. Er lebte bis zum Jahre 2006 in Highland Park, New Jersey, und kehrte dann nach Buenos Aires zurück. Dort verstarb er an Lungenkrebs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2004

Die Bienen von Buenos Aires
Tomás Eloy Martínez' grelles Porträt der argentinischen Gesellschaft

Ein Mann beobachtet allabendlich gebannt die Frau im Fenster der Wohnung gegenüber. So weit geht seine Obsession, daß er ein Teleskop aufstellt, um jede Falte, jedes Lächeln, jede Wölbung ihres Körpers bis ins Detail zu studieren. Schließlich verläßt er die Voyeurperspektive und bricht in ihr Leben ein: Er verschafft sich ihren Wohnungsschlüssel, wühlt in ihren Kleidern, füllt Betäubungsmittel in ihren Orangensaft, um schließlich mit der Kamera ihren Schlaf zu bewachen und sich auf der heimischen Videoleinwand zum uneingeschränkten Herrscher über ihren Körper aufzuschwingen - und sei es nur im Bilde.

Einige Straßen weiter enthüllt zur selben Zeit Camargo, der Chefredakteur einer der großen argentinischen Tageszeitungen, eine Korruptionsaffäre im Umkreis des Präsidenten, der in seiner Eitelkeit und pathetischen Aufgeblasenheit unschwer die Züge des vormaligen Regierungschefs Carlos Menem erraten läßt. Um von seiner schmutzigen Wäsche abzulenken, gibt der Präsident vor, der Heiland persönlich sei ihm in einer mystischen Erscheinung begegnet. Kirche und Bevölkerung sind hingerissen, und von Camargos Enthüllungen will niemand mehr wissen. Mit Hilfe einer bibelfesten Jungredakteurin gelingt es diesem jedoch, die Schlappe in einen Triumph umzumünzen. Die frisch eingestellte Reina Remis kann hieb- und stichfest belegen, daß die Wiederkunft des Herrn, und sei es auch nur im Bild, dem Jüngsten Tag vorbehalten ist. Während die fromme Vision sich als lachhafte Fälschung entlarvt und während der Präsident in freiem Fall stürzt, hebt Reina zu einem ungeahnten Höhenflug an: Schlagartig wird sie zur höchstdotierten Redakteurin des Blattes - und zur Geliebten des Chefs. Keiner scheint den Flug der Königin - "reina" im Spanischen - noch aufhalten zu können.

Fast unverbunden spinnen sich diese zwei bizarren Episoden aus dem Buenos Aires der Jahrtausendwende durch den Roman von Tomás Eloy Martínez, verbunden durch die weltpolitischen Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit, die nach dem 11. September 2001, der Abwahl Menems, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Argentiniens, schon fast wie Prähistorie erscheinen: die Lewinsky-Affäre, der Sturz Milosevics, die Giftanschläge in der Tokioter U-Bahn. Durch sie wird der Roman zu einer Art Chronik eines angekündigten Untergangs, der in jeder Passage des Buchs vorauszuahnen ist. Was den Roman über ein bloßes Zeitdokument hinaushebt, ist der Knotenpunkt der beiden Episoden: Es handelt sich nicht nur um zwei symptomatische Einzelschicksale, sondern um die zwei Seiten ein und derselben Geschichte. Wie in einer filmischen Parallelmontage zeitgleich nebeneinander entwickelt, berichten die beiden Handlungen den offen sichtbaren Anfang und das verborgene Ende einer fatalen Amour fou: der Liebesgeschichte von Camargo und Reina. Je mehr der ältere Herr den Reizen seiner jungen Redakteurin erliegt, in deren Ehrgeiz, Talent und moralischem Eifer er sein eigenes Spiegelbild aus früheren Jahren sieht, desto mehr packt ihn die Besessenheit, dies Leben bis in jedes Detail zu überwachen und zu kontrollieren - bis ihn die Königin spüren läßt, daß sie einen Stachel besitzt, mit dem sie ihm den Todesstoß versetzt: Sie verläßt ihn für einen jungen kolumbianischen Kollegen. Um sie wiederzugewinnen, gibt es für Camargo nur ein einziges probates Mittel: ihr Leben zu zerstören. Letzteres zumindest gelingt ihm vollständig, wenngleich nur zum Preis seines eigenen Ruins.

In einem faszinierenden Kontrastspiel setzt Martínez der ebenso schillernd-hektischen wie banal-korrupten Wirklichkeit eine archaische Leidenschaft gegenüber, die einem antiken Epos oder einer Tragödie Shakespeares entsprungen scheint und sich nicht durch die Macht der Fernsehbilder und die Möglichkeiten digitaler Kommunikationsmittel verdrängen, bestechen oder einlullen ließe. Diese Passion drängt die Tagesaktualität zusehends in die Rolle eines ornamentalen Beiwerks und rückt den Roman zugleich in eine ungeahnte Balance zwischen Zeit und Ewigkeit. Aus dem Brummen der modernen Metropole Buenos Aires wird das eines Bienenstocks, dessen Königin Reina die Handlung mehr und mehr an sich reißt. In immer neuem Kleide begegnet uns diese zentrale Metapher. Als der Flug Reinas schließlich in einen Sturz mündet, verwandelt sich die Königin in den Text selbst, in welchen der gebrochene Camargo ihr Bild projiziert.

"Für ihn", so lauten die letzten Sätze, "ist ein Roman eine Bienenkönigin, die blindlings in die Höhe fliegt und alles an sich reißt, was sie bei ihrem Aufstieg findet, erbarmungs- und reuelos, denn sie ist nur für diesen Flug zur Welt gekommen. Ins Leere zu fliegen ist ihr einziger Stolz und auch ihre Verdammung." Es ist diese Verschränkung der grellen Gegenwart mit einer fast mythisch anmutenden Reflexionsdimension und einer von Peter Schwaar gelungen ins Deutsche übertragenen, zeitlosen Sprachschönheit, die dem Roman Souveränität und geradezu königliche Größe verleihen.

FLORIAN BORCHMEYER

Tomás Eloy Martínez: "Der Flug der Königin". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Peter Schwaar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 282 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Florian Borchmeyer ist von diesem Roman des argentinischen Autors Tomas Eloy Martinez äußerst fasziniert. Erzählt wird in zwei parallelen Handlungssträngen von einer obsessiven Leidenschaft und von der Korruptionsaffäre des Präsidenten, die vom Chefredakteur einer großen Tageszeitung mit Hilfe seiner jungen Redaktionsassistentin aufgedeckt wird, fasst der Rezensent die Handlung zusammen. Verbunden werden die beiden "bizarren Episoden" durch weltpolitischen Ereignisse wie den Anschlag vom 11. September und den wirtschaftlichen Zusammenbruch Argentiniens, erklärt Borchmeyer weiter. Für ihn liest sich der Roman wie die "Chronik eines angekündigten Untergangs", die immer schon zukünftige Katastrophen vorausahnen lässt. Er lobt die Konstruktion des Romans als "faszinierendes Kontrastspiel" und zeigt sich besonders beeindruckt von der "Verschränkung der grellen Gegenwart mit einer fast mythisch anmutenden Reflexionsdimension". Die Übersetzung von Peter Schwaar hebt er für ihre "zeitlose Sprachschönheit" hervor und er meint, das nicht zuletzt sie die "Souveränität und geradezu königliche Größe" dieses Buches zutage treten lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH