Produktdetails
  • Verlag: Suhrkamp
  • 1999.
  • Seitenzahl: 238
  • Deutsch
  • Abmessung: 28mm x 129mm x 205mm
  • Gewicht: 416g
  • ISBN-13: 9783518410400
  • ISBN-10: 3518410407
  • Artikelnr.: 07901258
Autorenporträt
Der Wissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller wurde am 19. März 1907 in Köln geboren. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie in Köln, Bonn und Berlin. Als Jude verfolgt, war er von 1933 bis 1945 in der Emigration in Frankreich und in der Schweiz. Von 1948 bis 1963 lehrte er Geschichte der Nationalliteraturen an der Universität Leipzig. Zwischen 1965 und 1973 war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Technischen Universität Hannover. Danach lebte er als Honorarprofessor in Tübingen.

1935, im Exil, begann er mit den Vorarbeiten für sein großes Werk über Georg Büchner; ohne Zuspruch von Carl J. Burckhardt wäre das Opus magnum nicht beendet worden. 1972 erschien eine Neuausgabe im Suhrkamp Verlag. 40 Titel von ihm sind seitdem in »seinem« Verlag publiziert worden, darunter Bücher über Goethe und Brecht, Thomas Mann und Richard Wagner; der letzte in diesen Tagen: »Erinnerungen an Willy Brandt«. Bundeskanzler Schröder drückte darüber brieflich noch seine Hochachtung aus.

Hans Mayer war ein Lehrer für uns Deutsche. Ein Wissenschaftler, der mitten im Stalinismus Autoren wie Kafka, Proust, Joyce und Bloch verteidigte, der, wo immer in der Welt er lehrte, Literatur befragte, ob sie geeignet sei, Humanität zu befördern. Ein Gelehrter zwischen den Fronten, dessen wichtigste Werke nicht zufällig den Unbotmäßigen und »Außenseitern« gelten. Seine Erinnerungen waren Erinnerungen eines »Deutschen auf Widerruf«. Die Beschwörungen eines anderen Deutschland bereiteten neuen Kräften wie Uwe Johnson den Weg.

Hans Mayer ist Ehrenbürger der Städte Köln und Leipzig, Ehrendoktor der Universitäten in Brüssel, Wisconsin und Leipzig, Ehrenprofessor der Universität Peking, Träger des »Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland«.

Hans Mayer, Nestor der deutschen Literaturwissenschaft, starb am Sonnabend,
dem 19. Mai 2001, im Alter von 94 Jahren in Tübingen.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Allmacht Musik hat er nicht gekannt
Hans Mayer erzählt von den Spiralfiguren seiner Liebe zu den Tönen / Von Anja-Rosa Thöming

Zehn Seiten vor Schluss seines Buches spricht Hans Mayer aus, was den Leser als Ahnung schon vorher heimsucht: "Dieses Buch über gelebte Musik ist ein Totenbuch." Ein merkwürdiges, herbes Wort, und es umreißt klar, was diese Erinnerungen nicht sind: ein versöhnlicher Rückblick auf vergangene Zeiten.

Es gibt klassische Musiker-Autobiografien - jene der Dirigenten Bruno Walter und Fritz Busch gehören dazu -, die von der gleichen Epoche erzählen wie Hans Mayer, von der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. In ihnen spielt die Musik die Hauptrolle, nicht zuletzt auch als Trösterin in Verfolgung und Krieg. Mayer jedoch, Musikbeobachter aus leidenschaftlicher Neigung, unterdrückt solche Gefühlsregungen konsequent. Schmucklos berichtet er von seinen Musikerlebnissen mit Clara Haskil, Maria Ivogün, Arthur Rubinstein, Nathan Milstein. Mit dem jungen Fischer-Dieskau endet die Chronik. Der berühmte Bariton ist die große, lebende Ausnahme in dem "Totenbuch": Mayer erinnert sich an einen Liederabend mit Fischer-Dieskau in Berlin, als der "hochgewachsene schöne junge Mann" Schumann-Lieder sang, die von einer südlich-französischen Atmosphäre durchdrungen waren. Mayer bekennt ungewöhnlich offen: "Seitdem war (und bin) ich ihm verfallen."

Die Musik, so sehr sie Mayer durch sein langes Leben begleitet hat, ist ihm keine heitere Muse. Aber sie verbindet ihn mit Menschen, die ihm in seiner Jugend viel bedeutet haben und in der Zeit des Nationalsozialismus verjagt und verfolgt wurden. Angeregtes Erzählen wie in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen, die Mayer 1987 unter dem Titel "Gelebte Literatur" veröffentlicht hat, ist in den Musik-Erinnerungen kaum zu finden.

Einen wärmeren, verbindlicheren Ton schlägt er bei den Musikern an, die ihm am Herzen liegen und die heute zum Teil vergessen sind, wie der Cellist Emanuel Feuermann, der auch auf dem Titelbild des Buches zu sehen ist. Das Kapitel über den hoch begabten Feuermann beginnt wie eine Novelle: "Wir alle nannten ihn Munio." Mayer war mit Feuermanns Schwester befreundet, und wenn er beim gemeinsamen Musizieren der Geschwister die Noten umblätterte, erlebte er "Munio" aus nächster Nähe. Dieser wurde im Alter von siebzehn Jahren Solocellist beim Kölner Gürzenich-Orchester, spielte zusamen mit Paul Hindemith und Simon Goldberg Trio und machte auch im amerikanischen Exil bis zu seinem frühen Tod eine glänzende Karriere. Obwohl es mit ihm "nie auch nur den Ansatz eines ernsthaften Gesprächs über Musik" gegeben habe, muss Feuermanns Cello-Spiel Mayer tief angerührt haben. Das vermutet man jedenfalls beim Lesen der kargen Sätze, in denen der Autor sich an das Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester von Brahms erinnert, gespielt von Feuermann und Jascha Heifetz: "Wenn ich jene Schallplatte wieder höre, die als Interpretation des letzten sinfonischen Werkes von Johannes Brahms für uns zurückgeblieben ist, so ist für mich alles wieder da . . . Diese Interpretation hat nicht ihresgleichen."

Mayer war auch Zeitzeuge der Konzerte und Opernaufführungen, die Wilhelm Furtwängler nach 1933 in Paris dirigierte, und zwar mit "nichtarischen" Künstlern oder Sängerinnen wie Lotte Lehmann, die sich "für Bruno Walter entschieden hatte und gegen den Führer". Anschaulich analysiert Mayer Furtwänglers "Tristan"- und "Meistersinger"-Aufführungen und stellt dann die entscheidende Frage: "Wie kamen die Leute der Preußischen Staatsoper gemeinsam mit Wilhelm Furtwängler dazu, hier in Paris mit einer Besetzung aufzutreten, die in Deutschland selbst undenkbar gewesen wäre? Es ist sonderbar, daß dieses Ereignis in allen späteren Erörterungen über Furtwänglers Haltung im Dritten Reich niemals zu seinen Gunsten angeführt wurde." Dass Furtwängler innerhalb der NS-Musikpolitik bedenklich lavierte, ist für Mayer kein Grund, ihn kategorisch zu verurteilen.

Ein besonderes Zeitzeugnis wird "Gelebte Musik" dadurch, dass Mayer zwei eigene, mehr als fünfzig Jahre alte Texte als Exkurse einfügt: eine thesenartige Auseinandersetzung mit Adornos Aufsatz "Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens", der 1938 in der "Zeitschrift für Sozialforschung" erschienen war, und einen Vortrag bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt 1948 über "Kulturkrise und Neue Musik". Ein geschichtsträchtiges Moment liegt darin, dass Mayer darin eine Bemerkung über Schönbergs Kantate "Ein Überlebender aus Warschau" machte, die erst 1950 ihre deutsche Erstaufführung erlebte.

An dem essayistischen Ringen mit den Thesen Adornos erkennt man das ungewöhnlich große Engagement Mayers für die Entwicklung der Neuen Musik. Aus dem Pariser Exil schickte er 1938 seine Thesen an Horkheimer und Adorno nach New York. Er kritisiert behutsam, aber unmissverständlich Adornos "Besessenheit von seinen Kategorien", die so manch simplifizierendes Urteil über Komponisten wie Hindemith oder Milhaud nach sich zöge. Gerade für die Rezeption der zuweilen mystifizierten Gedanken Adornos ist der Beitrag des jungen Hans Mayer hilfreich.

Nichtsdestoweniger stehen beide Exkurse etwas monolithisch innerhalb der Erinnerungskapitel: Der Gegensatz zwischen dem eloquenten Wissenschaftler hier und dem persönlich involvierten, gleichwohl spröde erzählenden Chronisten dort könnte nicht größer sein. Es ist ein Risiko, zwei so verschiedenartige Textsorten nebeneinander zu stellen, da die Einheitlichkeit der Erinnerungen hart unterbrochen wird - allerdings ist der Gewinn der lebendigen Erörterungen aus Mayers jüngeren Jahren in diesem Zusammenhang von großem Wert. Problematisch ist hingegen die Flüchtigkeit des Lektorats in Sachen Victor Klemperer: Gerade wegen der Publizität, die dessen Tagebücher zur Zeit genießen, hätte Mayers Randbemerkung, Klemperer habe "als Halbjude überdauern können", nicht unkorrigiert stehen bleiben dürfen - der "Volljude" Klemperer hat die Nazi-Herrschaft dank seiner "arischen" Frau und ansonsten nur wunderbarerweise überlebt.

Hans Mayer: "Gelebte Musik. Erinnerungen". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 238 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein ernstes Buch sei das, schreibt Anja-Rosa Thöming. Musik sei für Hans Mayer "keine heitere Muse" gewesen. Besonders lobt die Rezensentin das Kapitel über den heute vergessenen Cellisten Emmanuel Feuermann, der in der Weimarer Republik und der amerikanischen Emigration eine glänzende Karriere begann, bevor er jung verstarb. Sie weist ferner hin auf die beiden alten Essays aus der Nachkriegszeit über die Thesen Adornos und die Neue Musik. Zwar sei es ein Risiko, zwei so unterschiedliche Textsorten - Essays und Erinnerungen - nebeneinander zu stellen, aber es werde durch den Erkenntnisgewinn aufgehoben.

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