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Die Aufklärung hat nicht nur die Ideen der Gleichheit und Freiheit propagiert und die sinnliche Erfahrung zur einzigen Quelle von Wissen erklärt: In Frankreich hat sie auch das Projekt des Materialismus wiederbelebt und zu einem neuen Höhepunkt geführt. Denis Diderot ist einer der radikalsten und originellsten Vertreter dieses aufklärerischen Naturalismus. Er verfolgt die Idee, dass der Mensch nichts anderes als ein Teil einer dynamischen, sich verändernden natürlichen Welt ist, mit erstaunlicher Offenheit und Lust am gedanklichen Experiment durch alle Bereiche der Philosophie hindurch. Der…mehr

Produktbeschreibung
Die Aufklärung hat nicht nur die Ideen der Gleichheit und Freiheit propagiert und die sinnliche Erfahrung zur einzigen Quelle von Wissen erklärt: In Frankreich hat sie auch das Projekt des Materialismus wiederbelebt und zu einem neuen Höhepunkt geführt. Denis Diderot ist einer der radikalsten und originellsten Vertreter dieses aufklärerischen Naturalismus. Er verfolgt die Idee, dass der Mensch nichts anderes als ein Teil einer dynamischen, sich verändernden natürlichen Welt ist, mit erstaunlicher Offenheit und Lust am gedanklichen Experiment durch alle Bereiche der Philosophie hindurch. Der Band enthält die zentralen philosophischen Schriften Diderots und führt kompakt in sein Denken ein.
Autorenporträt
Denis Diderot (1713-1784) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung sowie einer der Herausgeber der berühmten Encyclopédie. Alexander Becker ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Düsseldorf. Zuletzt erschienen: Platon, Theätet und Musikalischer Sinn.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013

Keiner irrt so klug
wie Diderot
Diese lange vergriffene, einst in der DDR erschienene Ausgabe enthält die drei bedeutendsten, schönsten, vergnüglichsten philosophischen Schriften des großen Denis Diderot. In Übersetzung erstmals auch in West-Deutschland zugänglich ist der „Brief über die Blinden, zum Gebrauch für die Sehenden“; das entzückende Gespräch über alle Fragen sinnlicher Physik wie Metaphysik, das als „D’Alemberts Traum“ auch das Träumen (neben dem Spazierengehen und den „plaisirs d’amour“) in den Rang seriöser philosophischer Betätigungen erhoben hat; und schließlich der „Nachtrag“ zur Südseereise von Louise Antoine de Bougainville und zum Auftritt des „edlen Wilden“. Dass man das alles nicht schon früher so leicht zur Hand hatte, beweist wieder den unerschöpflichen Nachholbedarf an sinnlichem Denken und Räsonieren in diesem Land. Wer nach diesem Bändchen greift, wird stilsichere Geistes- und Seelennahrung finden. Diderot ist ein wunderbarer Erzähler und Causeur, dessen (wenige) Irrtümer weit mehr Charme und Esprit besitzen als alle Rechthaberei unserer Systemphilosophen. Wer Diderot so lieben lernt, wird nie mehr Heidegger lesen wollen. VOLKER BREIDECKER
        
Denis Diderot: Philosophische Schriften. Hrsg. von Alexander Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 281 Seiten,
17 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Er ist der Pate eines Projekts, das heute auf Hochtouren läuft
Heute jährt sich Denis Diderots dreihundertster Geburtstag, doch bleibt es um den Mann der "Enzyklopädie" seltsam still - völlig zu Unrecht

Als Jean-Jacques Rousseau der Blitz einer Eingebung traf, aus der eine epochemachende Zivilisationskritik werden sollte, war er auf dem Weg zu Denis Diderot. Das war im Sommer 1749, und der damals fünfunddreißigjährige Diderot saß wegen seines "Briefs über die Blinden" und anderen Schriften, die der Polizei als gefährlich galten, in halbwegs komfortabler Haft in Vincennes. Er gab dem Freund gleich guten Rat, wie aus der Eingebung ein wirklich provokanter Essay zu entwickeln wäre. Was Rousseau dann ja auch exzellent gelang.

Nun wissen wir zwar nicht, wie Diderots Ratschläge damals genau ausfielen. Aber jedenfalls sah er, dass sich aus dem Gedanken, Wissenschaften und Künste würden eher zum Verfall der Sitten als zu deren Läuterung beitragen, etwas machen ließ. Nicht, dass der vor kurzem erst zum Organisator der zukünftigen "Enzyklopädie" bestellte Diderot - vier um ihre Auslagen bangende Buchhändler bemühten sich händeringend um seine Freilassung - diese Anschauung geteilt hätte. Mit dem aufklärerischen Fortschrittsprogramm der "Enzyklopädie" war sie nicht unter einen Hut zu bringen. Obwohl Diderot sie im Bedarfsfall, etwa in seinem "Nachtrag" zu einem zeitgenössischen Reisebericht aus der Südsee, auch gut in Szene zu setzen wusste.

Für Diderot ging es vielmehr um eine Zuspitzung, reizvoll wegen ihres auf den ersten Blick fast paradoxen Charakters und ihrer politischen und nicht zuletzt moralisierenden Verwendbarkeit. Nicht eine schlichte Wahrheit war da zu heben, für die Rousseau in die Rolle des Märtyrers schlüpfen sollte, sondern ein Funke zu schlagen, um Ideen beweglich zu halten und eingefahrene Vorstellungen - von der Gesellschaft, den Sitten, der Moral - gegen den Strich zu bürsten. Was ja nicht ausschloss, sondern vielmehr herausforderte, auch die konträren Ideen in Stellung zu bringen - um auf diese Weise der Sache selbst etwas näher zu kommen. Dass zu Diderots berühmtesten Stücken Dialoge gehören, ist alles andere als Zufall; er konnte sich selbst wunderbar ins Wort fallen.

Diderot neben Rousseau zu halten ist ein fast unumgehbares Spiel. Als Autorfigur war letzterer entschieden moderner: ein klar umrissenes, in jedem Teil unzweideutig signiertes Werk, klares Zeugnis seines Urhebers. Diderot ist dagegen Ancien Régime: schrieb vieles mit anderen und für andere, anonym und für einen kleinen Kreis (der hochmögenden Subskribenten von Melchior Grimms "Correspondance littéraire") oder für Freunde und die Schublade. Natürlich auch deshalb, weil seit der Inhaftierung 1749 gewichtige Drohungen über ihm hingen und die Veröffentlichung oft gar nicht in Frage kam.

Aber man kann den Spieß auch umkehren: Dann steht Diderot mit Texten wie "D'Alemberts Traum", "Rameaus Neffe" oder "Jacques le fataliste" - alle erst postum und zum Teil auf abenteuerlichen Umwegen erschienen - deshalb als der modernere dar, weil er gerade diesen halb klandestinen Bedingungen gewagte Positionen und überaus gewitzte Darstellungsformen abgewann; und die Briefe nicht zu vergessen! Aus dieser Perspektive gilt: Rousseau mag ein unumgänglich präsenter Stichwortgeber sein, aber Diderot hat etwas von einem Zeitgenossen. Zu seinem 300. Geburtstag schlägt sich das auf dem Terrain der Bücher allerdings nicht so recht nieder. Rousseau, dessen runder Geburtstag letztes Jahr begangen wurde, hatte da im direkten Vergleich die Nase vorn. Sieht man von einer Neuübersetzung des "Jacques" ab, bleibt abseits von Neuauflagen wenig übrig: eine zwar nicht ganz neue, aber erweiterte, in Großformat auftretende und mit einer stattlichen Anzahl von Reproduktionen der Kupferstiche versehene Auswahl aus der "Enzyklopädie", dazu noch ein Band mit "Philosophischen Schriften". Beide greifen übrigens einmal mehr auf die verdienstvolle zweibändige ostdeutsche Ausgabe selben Titels von Theodor Lücke zurück, erschienen vor über fünfzig Jahren (und dem Autor gewidmet, der "den fortschrittlichsten Vertretern des deutschen Bürgertums" Ansporn bei der Entwicklung einer nationalen und humanistischen Kultur gewesen sei).

Der Mann der "Enzyklopädie", des erfolgreichstes Buchprojekts des Ancien Régime, das sogar die Erotica ausstach (heute wären die Verkaufszahlen von "Shades of Grey" zu überbieten), und der Philosoph haben also ihren Auftritt. Es sind natürlich keine getrennten Rollen, für beide ist von Bedeutung, mit welcher Energie sich Diderot in den wissenschaftlichen und philosophischen Debatten seiner Zeit umsah. Die Herausgeber des prächtigen Auswahlbandes versäumen in ihrer knapp gehaltenen Einleitung nicht den Hinweis auf Diderots hochgestimmten Eintrag zum Stichwort "Eklektizismus", in dem der Eklektiker zum Vorbild des kritischen Philosophen avanciert, der alles unvoreingenommen untersucht und sich aus den an Vernunft und Erfahrung geprüften Beständen eine "ihm eigentümliche Hauptphilosophie" zurechtmacht. Und "das Vorurteil, die Überlieferung, alles Althergebrachte" in den Orkus schickt. Was freilich nicht gleich zum Nennwert zu nehmen ist: Schließlich wird man Traditionen nur los, indem man andere Traditionen stark macht, in deren Licht neue Erfahrungen und Ansprüche verknüpft werden.

Wie umreißt man also am besten Diderots eigene "Hauptphilosophie", wenn man ihm denn eine zusprechen möchte? Alexander Becker entscheidet sich im ausführlichen Nachwort zu den von ihm ausgewählten philosophischen Texten - "Brief über die Blinden", "D'Alemberts Traum" und "Nachtrag zu ,Bougainvilles Reise'" - dafür, sie systematisch ernst zu nehmen, nämlich als Arbeit an einem naturalistischen Bild des Menschen. Es ist klar, dass in dieser Perspektive manches vom Witz der Darstellungsform eher unterbelichtet wird, insbesondere im zentralen und in jeder Hinsicht extravaganten Text "D'Alemberts Traum", in dem Diderot alle Register zieht. Aber dafür ist es gleichzeitig ein Verfahren, Diderot tatsächlich als Paten eines Projekts zu lesen, das heute auf Hochtouren läuft - auf einer ganz anderen wissenschaftlichen Basis zwar, wie auch nicht, aber doch noch immer mit den Fragen beschäftigt, an denen Diderot Feuer fing: Wie Leben entsteht, wie sich empfindende und dann denkende Wesen herausbilden, was deren Einheit und Selbstempfinden, Gedächtnis und Bewusstsein ausmacht, wie moralische Vorstellungen ins Spiel kommen, die mit der "natürlichen" Ausstattung über Kreuz zu liegen scheinen - was dann die "ethnographisch" grundierten Überlegungen im "Nachtrag" weiterspinnen.

Ob in den Bildern, Modellen und Ausblicken, die Diderot seine Sprecher in "D'Alemberts Traum" entwickeln lässt, tatsächlich systematisch viel zu heben ist, muss da vielleicht gar nicht die vordringliche Frage sein. Auf jeden Fall traktieren sie dieselben Verlegenheiten, für die heutige Biologen und insbesondere philosophierende Neurowissenschaftler auch ihre Bilder und Analogien aufbieten müssen. In dieser Hinsicht nicht anders als die Modelle von Diderot: Spinne und Netz, unsere nervöses "Geflecht" oder die über Bienenschwärme und Polypen plausibilisierte Vorstellung, dass die Organe eines Individuums als eigene Lebewesen aufgefasst werden können. Und dazu noch die Ausblicke in die übergreifende Entwicklungsgeschichte der Natur und aller Lebensformen, samt der Erzeugung neuer Menschenformen in der Retorte oder durch Züchtung. Es sei nicht möglich, zugleich tiefer und verrückter zu sein, so hat Diderot einmal den "Traum" charakterisiert, der doch zugleich sehr vernünftig ist. Man muss bei seiner Lektüre keine historischen Schwellen überwinden, sondern sich im Gegenteil öfters ermahnen, manches nicht unter der Hand zu modern zu verstehen. Was doch auch ein Kompliment ist an einen dreihundert Jahre alten empfindsamen, vernünftigen, ausgelassenen, mit Bedacht verrückten, dabei sehr fleißigen, eindrucksvoll verliebten, geselligen und überhaupt sehr einnehmenden Autor.

HELMUT MAYER

"Diderots Enzyklopädie". Mit Kupferstichen aus den Tafelbänden.

Hrsg. von Anette Selg und Rainer Wieland.

Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock u.a. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 500 S., Abb., geb., 79,- [Euro]

Denis Diderot: "Philosophische Schriften".

Hrsg. und aus dem Französischen von Alexander Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 281 S., br., 17,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Helmut Mayer hätte sich zu Denis Diderots 300. Geburtstag eine annähernd gleich große Anzahl von Publikationen wie in Jean-Jacques Rousseaus Jubiläumsjahr gewünscht. Zumindest zwei Neuerscheinungen kann der Kritiker begrüßen - darunter die von Alexander Becker herausgegebenen Philosophischen Schriften des Diderots, die zwar auf die vor fünfzig Jahren erschienene ostdeutsche Ausgabe Theodor Lückes zurückgreift, aber doch um ein gelehrtes und lesenswertes Nachwort verfügt. Interessiert liest der Rezensent, wie Becker in den von ihm ausgewählten philosophischen Texten - etwa "Briefe über die Blinden" oder "D'Alemberts Traum" - insbesondere Diderots Arbeit an einem naturalistischen Bild des Menschen betont. Einmal mehr folgt Mayer interessiert Diderots Gedanken zur Entstehung des Lebens oder zur Bedeutung von Selbstempfinden, Gedächtnis, Bewusstsein und moralischen Vorstellungen - und rät nicht zuletzt aufgrund der Modernität von Diderots Gedankengut unbedingt zur Wiederentdeckung.

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