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Dieser Sammelband vereint Aufsätze, Zeitungsartikel und Essays zu modernen Fragen des Strafrechts in all seinen Facetten. Klaus Lüderssen erweist sich mit diesem Band erneut als Meister der Interdisziplinarität, als Homo Politicus, als Streitredner.

Produktbeschreibung
Dieser Sammelband vereint Aufsätze, Zeitungsartikel und Essays zu modernen Fragen des Strafrechts in all seinen Facetten. Klaus Lüderssen erweist sich mit diesem Band erneut als Meister der Interdisziplinarität, als Homo Politicus, als Streitredner.
Autorenporträt
Lüderssen, KlausKlaus Lüderssen, geboren 1932, war Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie und Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Er starb am 4. Juni 2016.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2012

Was der Staat sich versagt, tritt er noch lange nicht an Private ab
Auf Paradoxien des Rechts muss man es ankommen lassen: Der Rechtsphilosoph Klaus Lüderssen denkt über die Baustellen des Strafrechts nach

Umgangssprachlich wird ein sozialer Raum als rechtsfrei bezeichnet, wenn es faktisch nicht gelungen ist und auch nicht mehr ernsthaft versucht wird, das bestehende Recht in ihm durchzusetzen, so etwa bei länger dauernden Hausbesetzungen. In der Rechtstheorie handelt es sich hingegen um einen Raum, in dem keine rechtliche Regelung gilt, weder eine erlaubende noch eine verbietende.

So ist etwa vor einigen Jahrzehnten beim Streit um die sogenannte Fristenlösung im Rahmen der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgeschlagen worden, den Abbruch, der innerhalb einer bestimmten Frist erfolgt, weder zu verbieten noch zu erlauben, vielmehr der Eigenverantwortung der Beteiligten zu überlassen. Der binäre Code "Recht/Unrecht" wird also bei der Anerkennung eines rechtsfreien Raums um die Alternative "nicht geregelt" erweitert. Isoliert betrachtet, ließe sich die heutige Regelung, nach der ein Abbruch innerhalb einer Frist von zwölf Wochen unter bestimmten Kautelen nicht als tatbestandsmäßig gilt, entsprechend verstehen. Allerdings lässt die sonstige Behandlung eines solchen Abbruchs, insbesondere was die sozialrechtlichen Konsequenzen angeht, eher den Schluss zu, es handele sich um eine rechtliche Erlaubnis (beiläufig also um das Gegenteil des vom BVerfG Intendierten).

In dem vorliegenden Band - eine Sammlung von Arbeiten aus den letzten fünfzehn Jahren - sieht der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Klaus Lüderssen das nicht anders, erweitert aber die Perspektive, indem er die Wertungen gegenüberstellt, die dem einigermaßen starken Schutz extrakorporal erzeugter Embryonen, dem Fehlen eines Verbots der Nidationshinderung und dem lückenhaften Schutz vor dem Abbruch einer Schwangerschaft zugrunde liegen. Einen Widerspruch findet er insbesondere zwischen dem - mittlerweile vom BGH interpretativ gelockerten - Verbot der Präimplantationsdiagnostik und der weiten Abbrucherlaubnis bei embryopathisch veranlasster "medizinischer" Indikation. Lüderssen fasst auch die Ergebnisse solcher Wertungswidersprüche unter das Rechtsfreie, gleichsam als das von gesicherten Wertungen Freie.

Entsprechend verfährt er bei der Tötung auf Verlangen, indem er das Recht des Verlangenden auf seinen Tod, etwa im Fall peinigender Krankheit, mit dem Recht des Arztes konfrontiert, dem Ansinnen nicht folgen zu müssen. Seine bittere Bemerkung von der "hundertprozentigen Dunkelziffer" der ärztlich durchgeführten Tötungen auf Verlangen in Deutschland dürfte zutreffen.

Es gibt Konflikte, deren rechtliche Lösung auf ein "fiat justitia et pereat mundus" hinausläuft, wenn man nicht ein "Recht zur Rechtswidrigkeit" (Luhmann) anerkennt, das Recht also paradox werden lässt. So verhält es sich etwa bei den mittlerweile bekannten Szenarien, die zu einer - vom BVerfG aufgehobenen - Regelung des Luftsicherheitsgesetzes entworfen wurden: Darf ein vollbesetztes Passagierflugzeug, das von Terroristen entführt wird, um es in ein von tausend oder mehr Personen bevölkertes Hochhaus oder gegen ein Atomkraftwerk zu lenken, abgeschossen werden? Im Kriegsvölkerrecht gelten in analogen Fällen die für Kollateralschäden heranzuziehenden Regeln. Lüderssen bezweifelt die Anwendbarkeit von Kriegsrecht auf den genannten Fall, erkennt aber - im Zusammenhang mit den Kollateralschäden beim Attentat vom 20. Juli 1944 -, dass die Annahme eines Rechts zum Abschuss kein Recht gegenüber den ohne ihr Verschulden mit der Kriegshandlung Überzogenen begründet: "Das Völkerrecht findet sich mit dieser Paradoxie ab."

Ausführlich beschäftigt sich Lüderssen mit dem Folterverbot (gemeint ist die Rettungsfolter), wobei er der Polizei nichts gibt, eher noch den Privaten einiges nimmt: "Was der Staat sich ... versagt, tritt er nicht etwa an Private ab." Auch wenn man das anders sieht - der Staat mag einen längeren Atem haben müssen, als einem Privaten zugemutet werden kann - und wenn man der Menschenwürde des zu Folternden diejenige des zu Rettenden gegenüberstellt, kann man sich mit dem Ergebnis arrangieren. Das Erzwingen von Handlungen, die sich nicht fingieren lassen, ist in der Regel hässlich, und so wird zum Schutz vor Selbstbeschmutzung, nicht zum Schutz des zu Folternden, darauf verzichtet, das Hässliche zu institutionalisieren, jedenfalls was staatliches Handeln betrifft. Dass der zu Folternde die Pflicht hat zu reden (um andere Fälle geht es nicht), was manchmal dahin gedeutet wird, er füge sich mittelbar den Schmerz selbst zu (R. Merkel), kommt bei Lüderssen etwas zu kurz.

Es besteht keine Chance, alle Seiten des von Lüderssen reich gebundenen Straußes ins rechte Licht zu rücken; insbesondere seine Stellungnahmen zu verdeckten strafprozessualen Ermittlungen und zum Ankauf im Ausland rechtswidrig beschaffter Steuerdateien sollen zumindest erwähnt werden. Und noch ein anderes Thema, das ihn in den letzten Jahren immer wieder umgetrieben hat, nämlich die Auswirkung der modernen Hirnforschung auf das Strafrecht. Lüderssen schildert die "Wellen" materialistischen Strafrechtsdenkens vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zur "défense sociale" und richtet sodann einige Fragen an die Hirnforscher, die erwartungsgemäß die bislang nur enttäuschend erklärten Phänomene betreffen, hauptsächlich diejenigen von Bewusstsein und Selbstbewusstsein.

Auch die mittlerweile in den Vordergrund gerückten soziostrukturellen Gründe für die Entwicklung des Gehirns befriedigen ihn nicht, da die treibende Kraft jenseits des "sozusagen durch die Welt taumelnden Gehirns" auch damit nicht benannt werde. Er endet mit seinem strafrechtspolitischen Credo: Das Strafrecht dürfe nur den Zweck haben, den Verurteilten so zu beeinflussen, dass weitere Taten unterbleiben, wobei die Einwirkungen nicht irgendwie, sondern nur auf "philanthropische" Art und Weise erfolgen sollen. - Wer mehr erfahren will, wird in dem Band zu allen größeren "Baustellen" des Strafrechts etwas finden. Wer zu den Intentionen des Autors eine knappe Information wünscht, lese den letzten Beitrag des Bandes über rechtliche Paradoxien.

GÜNTHER JAKOBS

Klaus Lüderssen: "Rechtsfreie Räume?"

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 694 S., br., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Derart reich an Themen ist dieses Buch zum Problem des rechtsfreien Raumes, das der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Klaus Lüderssen verfasst hat, dass der Rezensent sich kaum in der Lage sieht, einzelne davon näher vorzustellen. Die Arbeiten des Autors aus den letzten fünf Jahren beinhaltende Sammlung konfrontiert Günther Jacobs mit Fragen der Transplantationsmedizin, des Schwangerschaftsabbruchs, des Folterverbots, der Steuerdatenbeschaffung, der verdeckten Ermittlung, aber auch der Hirnforschung, kurz, zu allen größeren "Baustellen des Strafrechts", wie Jacobs erklärt. Um den Intentionen des Autors möglichst rasch auf die Schliche zu kommen, empfiehlt der Rezensent die Lektüre des letzten Beitrags im Band. Darin geht es um rechtliche Paradoxien.

© Perlentaucher Medien GmbH