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Die Demokratie Nachkriegsdeutschlands ist gemeinhin untersucht worden, als hätte sie sich wie ein Phönix als Zivilgesellschaft aus der Asche des Zusammenbruchs des Nationalsozialismus erhoben. Aber die Geschichte war ganz anders. Man muß die Demokratisierung Deutschlands durch die amerikanische Besatzungsherrschaft anhand der originalen Dokumente nachzeichnen, um zu zeigen, welch spannende Dinge sich tatsächlich in der Stunde Null, dem (nicht nur) metaphorischen Wendepunkt der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, ereignet haben. Uta Gerhardt befaßt sich anhand der konkreten…mehr

Produktbeschreibung
Die Demokratie Nachkriegsdeutschlands ist gemeinhin untersucht worden, als hätte sie sich wie ein Phönix als Zivilgesellschaft aus der Asche des Zusammenbruchs des Nationalsozialismus erhoben. Aber die Geschichte war ganz anders. Man muß die Demokratisierung Deutschlands durch die amerikanische Besatzungsherrschaft anhand der originalen Dokumente nachzeichnen, um zu zeigen, welch spannende Dinge sich tatsächlich in der Stunde Null, dem (nicht nur) metaphorischen Wendepunkt der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, ereignet haben. Uta Gerhardt befaßt sich anhand der konkreten Vorgaben, die damals die Politik bestimmten, mit den Programmperspektiven der amerikanischen Besatzungsherrschaft. Trotz seines zeitgeschichtlichen Stoffs handelt es sich aber um ein am Denken Max Webers geschultes soziologisches Buch, in dessen Zentrum die Frage steht, wie es mittels einer Herrschaft des Übergangs binnen kurzer Zeit gelingen kann, eine von Diktatur geprägte Gesellschaft in eine demokratische zu transformieren - eine Frage, die heute mehr denn je aktuell ist.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2006

Export der Demokratie
Soziologie der Stunde Null: Uta Gerhardt über die Gesellschaftskonzeption der Amerikaner für Deutschland 1944/1946
„Zurück aus Syrakus?” soll der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt Martin Heidegger zugerufen haben, als dieser 1934 sein Amt als Führer-Rektor der Freiburger Universität niedergelegt hatte. Seit Platon in Sizilien seinen Idealstaat verwirklichen wollte, aber als Tyrannenberater kläglich scheiterte und nur knapp der Sklaverei entging, steht „Syrakus” für das Verhältnis des Intellektuellen zum Politischen. Im 20. Jahrhundert hat dieses Drama von Verführung und Widerstandskraft, von Engagement und Emigration einen Höhepunkt erlebt. Der Weltbürgerkrieg der Ideen war das Schlachtfeld der klugen Köpfe.
Einer von denen, die ihre intellektuelle Energie dem Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland widmeten, war Franz Neumann. War er darum ein reiner Technokrat? Oder blieb er nicht durch und durch ein Intellektueller? Er hat das Problem selbst erkannt: Einmal erklärte er, „daß der wahre Intellektuelle immer und gegenüber jedem politischen System ein Fremder sein muß”. Zugleich beschrieb er einen neuen intellektuellen Typus, als er über seine Emigrationserfahrung und seinen Kriegseinsatz auf der Seite der USA nachdachte: Das Zeitalter der Extreme hatte den political scholar hervorgebracht. Dieser „politische Gelehrte” habe seine Lage nicht freiwillig gewählt, doch nun müsse er „aktiv für ein besseres politisches System” kämpfen, zumal wenn er wie Neumann dreifach - als Individuum, Wissenschaftler und homo politicus - seine Heimat verloren hatte. Für Deutschland blieb nur eine Lösung, wie Neumann schrieb: den Sturz des Regimes. Und der war nur durch die USA möglich. Darum trat er in deren Geheimdienst ein.
Von solchen politischen Gelehrten handelt Uta Gerhardts Studie „Soziologie der Stunde Null”. Einmal mehr belegt sie, wie der Krieg zum Vater des Wissens wird. Doch ist es hier ein Krieg für die Freiheit, und das neue Wissen ist demokratisch. Eingehend untersucht Gerhardt die Nachkriegsplanungen für Deutschland, die in Außen- und Kriegsministerium sowie weiteren amerikanischen Behörden während des Krieges angestellt wurden. Eine Gesamtdarstellung dieser Konzeptionen fehlt, doch Gerhardt fügt einen wichtigen Teilbereich hinzu, der bislang kaum beachtet wurde.
Im Mittelpunkt stehen die Soziologen um Talcott Parsons. Gerhardt zeigt, wie diese ein konsistentes Programm für einen gesellschaftlichen Systemwechsel entwarfen - und so auch ihre eigenen Theorien schärften oder weiterentwickelten. Diese rasante Transformation einer Diktatur zur Demokratie war eine eigene Herrschaftsform, war nicht-autoritäre Besatzungsherrschaft. Das Vorgehen der ungewöhnlich milden Sieger in den Westzonen trug wesentlich dazu bei, dass die Deutschen die neue demokratische Ordnung akzeptieren lernten. Das geht Gerhardt gegen Hans-Ulrich Wehler, der in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte” keine positive Leistung der Besatzungsherrschaft erkennen will.
Hingegen legt Gerhardt überzeugend dar, dass die Planungen amerikanischer Intellektueller und Experten eine entscheidende Voraussetzung für die bundesrepublikanische Demokratie waren - genauso wie der politische Wille, diese Planungen zu beachten. Es war keine antikommunistische Politik aus Eigennutz. Die amerikanischen Stellen handelten noch ganz im Geist der Roosevelt-Ära. Die Besatzungsherrschaft war, so die Autorin, „eine eigene Phase deutscher Gesellschaftsgeschichte”.
Gerhardt entwickelt aus ihrem Material eine soziologische Theorie der Besatzungsherrschaft und des schnellen Übergangs von charismatischer zu rational-legaler Herrschaft. Die Handlungslogik dieses Herrschaftstypus der Transformation beschreibt sie allein aus der Perspektive der USA. Hier stößt die höchst lesenswerte Studie unvermeidlich an Grenzen: Sie behandelt eben nur einen Ausschnitt aus zahlreichen, gelegentlich gegenläufigen Planungen; vor allem bewegt sie sich immer auf der normativen Ebene. Die komplexe Praxis vor Ort, die Begegnung von Besatzern und Besetzten kann sie nicht in die Blick nehmen.
Die Autorin verschweigt nicht, dass sie im historischen Gewand ein aktuelles Stück aufführt. Denn schließlich geht es darum, wie aus einer Diktatur schnell eine Demokratie gemacht werden kann - und zwar durch Intervention von außen. Gerhardt empfiehlt amerikanischen Regierungsstellen einen Blick zurück in die vierziger Jahre - als hervorragende Wissenschaftler und Intellektuelle eine erfolgreiche Besatzungsherrschaft vorbereiteten. Ein Besinnen auf das „leuchtende Beispiel” der Roosevelt-Ära, meint die Autorin, könnte ein „Scheitern im Irak eventuell noch abwenden”.
TIM B. MÜLLER
UTA GERHARDT: Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944-1945/1946. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 456 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit ihrer Studie zu Plänen der Amerikaner, wie die deutsche Diktatur nach dem Krieg in eine Demokratie zu verwandeln sei, fügt Ute Gerhardt einem Thema, für das eine "Gesamtdarstellung" noch fehlt, einen "wichtigen Teilbereich" hinzu, lobt Rezensent Tim B. Müller. In ihrem Buch untersucht die Autorin "eingehend" die Konzepte für ein Nachkriegsdeutschland, wie sie in amerikanischen Plänen seit 1944 ausgearbeitet wurden, wobei der angestrebte Übergang zur Demokratie sich zu einer eigenen Form "nicht-autoritärer Besatzungsherrschaft" entwickelte, erklärt der Rezensent. Er lobt die Darlegungen der Autorin zu den amerikanischen Plänen, die sie als "entscheidende Voraussetzung" für die bundesdeutsche Demokratie begreift, als "überzeugend" und findet überhaupt, dass es sich um eine "höchst lesenswerte" Untersuchung handelt. Allerdings beschreibe Gerhardt ihren Gegenstand stets nur aus der amerikanischen Perspektive heraus und bleibe dadurch immer auf der "normativen Ebene". Die "komplexe Praxis" im besetzten Deutschland werde dagegen außer Acht gelassen.

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