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Claude Lévi-Strauss, der Erforscher des Fremden, außereuropäischer Kulturen und Mythen, wendet sich mit dem Blick des erfahrenen und sensiblen Zeichenlesers der europäischen Kunst zu. Entstanden sind so meisterhafte Essays zur Malerei von Poussin, zur Musik Rameaus und zur Poesie von Diderot. Dabei kommen ästhetische Verwandtschaftsstrukturen und Analogien der verschiedenen Kunstgattungen zum Vorschein, und es werden Grundgesetze des ästhetischen Urteilens und der Wahrnehmung als sinnlicher Erkenntnis sichtbar.

Produktbeschreibung
Claude Lévi-Strauss, der Erforscher des Fremden, außereuropäischer Kulturen und Mythen, wendet sich mit dem Blick des erfahrenen und sensiblen Zeichenlesers der europäischen Kunst zu. Entstanden sind so meisterhafte Essays zur Malerei von Poussin, zur Musik Rameaus und zur Poesie von Diderot. Dabei kommen ästhetische Verwandtschaftsstrukturen und Analogien der verschiedenen Kunstgattungen zum Vorschein, und es werden Grundgesetze des ästhetischen Urteilens und der Wahrnehmung als sinnlicher Erkenntnis sichtbar.
Autorenporträt
Claude Lévi-Strauss wurde 1908 in Brüssel geboren und starb am 1. November 2009 in Paris. Er gilt als Begründer des Strukturalismus und lehrte von 1935 bis 1939 Soziologie an der Universität von São Paulo und von 1935 bis 1945 an der New School for Social Research. 1950 erhielt er an der École Pratique des Hautes Études einen Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaften der schriftlosen Völker und 1959 am Collège de France den Lehrstuhl für Anthropologie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2004

Verteidigung der Kunst gegen ihre Liebhaber
Proust komponiert, Poussin bastelt – und Claude Lévi-Strauss macht daraus eine Collage
„Proust komponiert...” – mit diesen Worten setzt Claude Lévi-Strauss den Auftakt zu einem gelehrten und abwechslungsreichen Spaziergang durch das Gelände der Malerei, der Musik und der Poesie. Prousts Methode, aus vorhandenen literarischen Elementen ein Werk höherer literarischer Ordnung zu montieren – Lévi-Strauss entlehnt hierfür den linguistischen Begriff der „doppelten Artikulation” – ist der geheime Leitfaden bei seinem Gang durch die Künste.
Das Besondere und Verblüffende seiner Betrachtungen erschließt sich aus dem Verfahren, mit dem er sich den von ihm geschätzten Künstlern des 17. und 18. Jahrhunderts und ihren Werken nähert. Es ist eine Art Collage, in der die Selbstzeugnisse mit den Reflexionen späterer Künstler und Kritiker überblendet werden. Lévi-Strauss begibt sich auf die Suche nach den je besonderen Relationen (zwischen Farbe und Zeichnung, Melodie und Harmonie, Wort und Satz), in deren Wahrnehmung uns das Schöne offenbar wird.
In der Malerei orientiert er sich an Poussin und Ingres und belebt die von ihrer Arbeit ausgelösten und längst als erledigt betrachteten Kontroversen von neuem. So verteidigt er auf ebenso souveräne wie (bewusst) anachronistische Weise Poussin gegen seine Liebhaber (Delacroix) und Kritiker (Diderot). In der Analyse der rätselhaft in der Luft schwebenden Gestalten auf Poussins Bildern spürt er den Basteleien des Malers nach, der kleine Wachsfigürchen so lange vor dem Bild hin und herschiebt, bis der gesuchte Platz im Tableau erreicht ist, mit dem Ergebnis, „dass sie weniger auf die Oberfläche der Leinwand aufgetragen und gemalt scheinen als in ihre unwahrscheinliche Dichte einskulpiert.”
Ingres verteidigt Lévi-Strauss gegen den Vorwurf des mangelnden Kolorits und deutet dessen Wertschätzung des Zeichnerischen als eine diskret vorweggenommene Kritik am Impressionismus. Im Zusammenhang mit Ingres’ Technik der Farblokalisierung nennt Lévi-Strauss schließlich seine Vorlieben, die neben Poussin und Ingres der nordischen Malerei der Spätgotik und der japanischen Graphik gelten: Zwischen ihnen postuliert er eine tiefe strukturelle Verwandtschaft hinsichtlich der Autonomie des Kunstwerks. Sie erfüllen in seinen Augen das kantische Ideal der (inneren) Zweckmäßigkeit ohne (äußeren) Zweck.
Ungewöhnlich scharf geht Lévi-Strauss mit Diderots Kritik der Malerei des 17. Jahrhunderts ins Gericht, weil dieser zwei wesentliche Momente verkenne: zum einen, dass für die Erkenntnis des schönen Gegenstandes eben nicht die einfache Wahrnehmung der Beziehung genügt, sondern diese Beziehungen selbst in einer Verdichtung bewirkenden Relation zueinander stehen, zum anderen, dass Diderot die einzigartige Fähigkeit Poussins die zeitlich auseinander liegende Ereignisse in einem einzigen Bild zu fassen, entweder nicht erkennt oder nicht gelten lassen will. Auch hier hat man den Eindruck, als argumentiere Lévi-Strauss mehr als ein Zeitgenosse Poussins und Le Bruns denn von heute aus. Doch ist es genau dieses vorsätzliche Ausharren auf scheinbar längst überwachsenen Feldern, das, wie man am Beispiel von Anita Albus’ Buch „Die Kunst der Künste” studieren kann, erst den Eigensinn einer bestimmten Malerei zu verstehen hilft. Umso überraschender ist es dann, dass Lévi-Strauss in Diderots Begeisterung für die Malerei seines Zeitgenossen Vernet einen Western-Aspekt avant la lettre aufdeckt, wenn dieser schreibt: „mit einer unendlichen Kunst die Bewegung und die Ruhe mischen, das Tageslicht und die Finsternis, die Stille und den Lärm.”
Nach dieser Restaurierung eines verschollen geglaubten Blickes auf die Malerei Poussins und Ingres wendet Lévi-Strauss sich der Musik zu. Insbesondere zwei heute nur noch wenigen Fachleuten bekannte Komponisten und Theoretiker aus dem 18. Jahrhundert sind es, denen er seine Aufmerksamkeit zukommen lässt: Michel-Paul-Guy de Chabanon und Louis-Bertrand Castel. Chabanon nimmt aufgrund seiner gewissermaßen strukturalen Analyse der musikalischen Töne auf verblüffende Weise die späteren Einsichten der Linguistik vorweg. Da die Töne, wie Chabanon schreibt, „nicht Ausdruck der Sache, sondern die Sache selbst” sind, kann die Musik auch nicht wie eine natürliche Sprache fungieren. Sie kennt kein Wörterbuch. Tatsächlich zielen seine Betrachtungen der Musik auf die seinerzeit heftige Debatte über den Ursprung der Sprache(n). Gegen Rousseau gewandt, kritisiert Chabanon die naturalistischen Theorien, wie zum Beispiel die Vorstellung eines dominierenden klimatischen Faktors bei der Sprachgenese. Chabanon zufolge haben alle Sprachen dieselben Fähigkeiten, es kommt also auf den Geist an, der sich der Sprachen bedient: „Die Ideen, in Aktivität versetzt , promenieren durch alle Materialien der Sprache; sie durchwühlen den ganzen Speicher, um Wörter zu finden, die ihnen zusagen.”
Musik hingegen ist eine universale Sprache, die, wie der mit den sensorischen Wahrnehmungen der Spinnen experimentierende Musiker glaubte, auch noch das Tierreich umfasst. Der Grund hierfür ist in der Melodie zu suchen, die in allen Kulturen die gleiche Grundlage hat. In diesem Zusammenhang erwähnt Lévi-Strauss seine eigenen, leider verloren gegangenen Versuche, die Musik von Amazonasindianern von der Komponistin Betsy Jolas transkribieren zu lassen, – auch um unsere Empfänglichkeit für diese fremde Musik zu testen.
Castel, Mathematiker und Erfinder eines unvollendeten chromatischen Klaviers, hat eine Logik der sinnlichen Eigenschaften der Farben formuliert. Von ihm stammt der kühne Satz: „Alles kommt aus dem Schwarz, um sich im Weiß zu verlieren.” In einer nicht minder kühnen Konjektur schlägt Lévi-Strauss von Chabanon und Castel einen Bogen zu Rimbauds Gedicht „Voyelles”, das er einer großartigen strukturalen Farbanalyse unterzieht.
Gegen Ende dieses reichhaltigen schmalen Buches findet sich ein bislang unveröffentlichter Gedankenaustausch mit André Breton (aus dem Jahr 1941) über die Differenz zwischen Dokument und Kunstwerk im Licht des surrealistischen Manifestes. In einem großen Schlusskapitel vereint Lévi-Strauss seine unterschiedlichen Reflexionsstränge in dem Feld der symbolischen Produktion der „Primitiven”, wo mit anderen Mitteln, aber denselben Permutationen jene übernatürliche Realität hervorgebracht wird, die nur der Kunst eigen ist. Gedankt sei schließlich dem Übersetzer für die ungemein flüssige Übertragung der zahlreich eingestreuten historischen Texte, zu denen Lévi-Strauss’ eigene Reflexionen in einen erhellenden Dialog treten.
HANNS ZISCHLER
CLAUDE LEVI-STRAUSS: Sehen, Hören, Lesen. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004. 183 S., 9 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Freuden begleitet Hanns Zischler Claude Levi-Strauss auf seinem "gelehrten und abwechslungsreichen Spaziergang" durch die Welt der Künste des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Autor begnüge sich nicht damit, die Werke von Malern wie Poussin und Ingres oder den Komponisten Michel-Paul-Guy de Chabanon und Louis-Bertrand Castel resümierend zu beschreiben. Vielmehr entwickelt er in seinem Werk in einzigartiger Art und Weise eine "Collage" aus Selbstzeugnissen und Reflexionen späterer Künstler, lobt der Rezensent. So sei ein zwar recht schmales, aber dennoch "reichhaltiges" Buch entstanden, in welchem der Leser - der "ungemein flüssigen" Übertragung des Übersetzers sei Dank - wohl eine Antwort auf die Frage nach dem Schönen in der Kunst finden werde.

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