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Wer von den Jüngeren kennt den 1887 in Ostpreußen geborenen, 1950 am Zürichsee gestorbenen Ernst Wiechert, der in den dreißiger Jahren und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zu den erfolg- und einflußreichsten deutschen Schriftstellern und während der Nazizeit zur sogenannten inneren Emigration gehörte?

Produktbeschreibung
Wer von den Jüngeren kennt den 1887 in Ostpreußen geborenen, 1950 am Zürichsee gestorbenen Ernst Wiechert, der in den dreißiger Jahren und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zu den erfolg- und einflußreichsten deutschen Schriftstellern und während der Nazizeit zur sogenannten inneren Emigration gehörte?
Autorenporträt
Ernst Wiechert, geboren am 18. 5. 1887 im Forsthaus Kleinort Kreis Sensburg (Ostpreußen), starb am 24. 8. 1950 in Uetikon am Zürichsee. Wiechert studierte in Königsberg und war dort Lehrer. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Offizier teil. 1930 zog er nach Berlin. Ab 1933 lebte er als freier Schriftsteller in Ambach in Oberbayern. 1948 Emigration in die Schweiz . Zu den seinerzeit bekanntesten Werken gehören: Die Magd des Jürgen Doskocil (1932), Das einfache Leben (1939), Die Jeromin-Kinder (1945/1947), Missa sine nomine (1950).  
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2008

Der Einbruch Asiens ins Abendland
Johannes-Evangelium des enttäuschten Nationalismus: Ernst Wiecherts Buchenwald-Bericht „Der Totenwald”
Im Sommer 1938 wurde der Schriftsteller Ernst Wiechert acht Wochen lang im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar festgehalten. 1946 veröffenlichte er im Züricher Rascher-Verlag ein Buch darüber: „Der Totenwald”. Es ist seither mehrfach aufgelegt worden, so 1975 und 2001 bei Ullstein; nun bringt Suhrkamp es wieder einmal heraus. Obgleich der Untertitel des Buches, „Ein Bericht”, einen dokumentarischen Text erwarten lässt, mochte Wiechert auf Stilisierung zum literarischen Kunstwerk nicht verzichten: „Der Totenwald” soll, wie es im ersten Satz des Werkes heißt, „die Einleitung” sein zu einer „großen Symphonie”.
In Symphonien pflegen sich alle Dissonanzen letzten Endes in Konsonanz aufzulösen, und so grundiert eine frohe Botschaft die grausige vom KZ: „Johannes” heißt Wiecherts „alter ego”, und dieser Mann, der den Namen des Autors des letzten Buches der Bibel trägt, erkennt in Hitlers Regime „das Reich des Antichrist” – des Reiches mithin, von dem in der Johannes-Apokalypse die Rede ist. Der tiefere Sinn der musikalischen Metapher der „Symphonie”-„Einleitung”, mit der Wiecherts Buch anhebt, ist die Empfehlung, sich die Nazi-Herrschaft in religiösen Bildern zurechtzulegen, statt sie in politischen Begriffen zu denken.
Die stillen Ebenen Stifters
So kann die musikalische Metapher des ersten Satzes von Wiecherts Buch zufällig und willkürlich erscheinen. Sie ist es nicht. Denn die Musik ist für Johannes eine der geistlichen Sphäre korrespondierende weltliche Instanz, an der das Unrecht der Nazis erst kenntlich wird. Sie macht ihm etwa den Anschluss Österreichs zu einer bedenklichen Angelegenheit: „Selbst für den Gutwilligsten war es nicht leicht, das Reich Haydns und Mozarts, Beethovens und Schuberts wie die stillen Wälder und Ebenen Stifters nun eingehen zu sehen in die lauten Provinzen der Eroberer, in denen andere Melodien erklangen als das ‚Gott erhalte Franz den Kaiser!’”. Hätten die Österreicher schlechtere Komponisten und Dichter gehabt, oder womöglich gar keine, der Einmarsch der Nazi-Armee wäre so arg nicht gewesen.
Da indes nicht nur die Österreicher, sondern auch die Deutschen als Kulturvolk einen Namen haben, ist Johannes, der fromme Schöngeist, zugleich ein enttäuschter Nationalist. Darin mindestens hat er als das getreue Spiegelbild des Autors zu gelten. Denn Wiechert hatte sich den Triumph des deutschen Nationalismus über die von ihm verachtete Weimarer Demokratie irgendwie anders vorgestellt: ästhetisch befriedigender zum einen, zum anderen moralischer.
Johannes treibt die Frage um, weshalb seine Landsleute nicht besser handeln, obschon sie doch Deutsche sind. „Sein Volk, dachte Johannes, sein eigenes Volk!” Johannes’ Frage, warum ausgerechnet Deutsche dafür sorgen, dass „der deutsche Mensch ans Kreuz geschlagen wurde”, bleibt nicht ohne Antwort. Sie lautet: Etwas Fremdes, zutiefst Undeutsches muss sich ihrer bemächtigt haben. An der Gestapo waren es „deren asiatische Methoden”, welche „mehr Blut und Tränen über das deutsche Volk gebracht haben, als es in hundert Jahren abendländischer Geschichte möglich gewesen war”.
Der Nationalsozialismus zählt so nicht zur „abendländischen Geschichte”, sondern ist ein Einbruch Asiens in diese. Derselbe Umstand, der Johannes so entsetzt, tröstet ihn auch. Denn letzten Endes salviert er Deutschtum und Abendland. Der enttäuschte Nationalist bleibt im Grunde seines Herzens ein nicht enttäuschbarer. Wiecherts „Der Totenwald” ist das dumme Buch eines guten Menschen.ANDREAS DORSCHEL
ERNST WIECHERT: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 184 S., 13,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2008

Es war ihm bestimmt, mit Martin Niemöller zu leiden

Ins Konzentrationslager gegangen, obwohl es vermeidbar gewesen wäre: Eine Neuausgabe von Ernst Wiecherts auch historisch interessantem Bericht "Der Totenwald"

Ernst Wiechert könnte ein Klassiker der deutschen Literatur sein - er ist es nicht geworden. Zu sehr scheint sein bewusst dichterischer Stil, sein fast pastoral vorgetragener Humanismus aus der Mode gekommen. Und die Themen seiner Bücher - zum großen Teil die Verarbeitung der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges - sind unsere Themen nicht mehr. Der einzige Roman von ihm, der noch auf dem Markt ist, "Das einfache Leben", verdankt seine Präsenz wohl einem öko-ideologischen Irrtum. Es geht nämlich nicht um Zivilisations- und Konsumkritik, vielmehr handelt der Roman von einem ehemaligen Korvettenkapitän, der sein Kriegsende-Trauma verarbeitet, indem er Fischer wird.

Die Neuausgabe von Wiecherts Bericht über seinen Aufenthalt im Konzentrationslager Buchenwald, im Titel Totenwald genannt, könnte jedoch ein neues Interesse wecken, das sich nun allerdings auf seine Person richtet. Denn, wie sich vielleicht erst jetzt zeigt, Wiechert steht in der schier unübersehbaren Menge von Inhaftierten, Deportierten, Ermordeten des nationalsozialistischen Regimes ziemlich einzigartig da. Das konnte 1945, als der 1939 geschriebene Text erstmals erschien, noch nicht deutlich werden, weil nach dem Krieg zunächst die unfassbaren Fakten im Vordergrund standen. Heute jedoch dürfte der besondere Weg Wiecherts, der ihn in und durch das KZ führte, das Interesse auf sich ziehen - zumal im selben Verlag mit dem Buch von Paul Martin Neurath ("Die Gesellschaft des Terrors") ein für die Realität des KZ-Lebens viel instruktiveres, analytisches Buch vorliegt.

Wiechert hebt sich aus den unzähligen KZ-Opfern heraus, weil er - um es pointiert zu sagen - freiwillig ins KZ gegangen ist. Darin ist er wohl nur noch Janusz Korczak zu vergleichen, der die ihm anvertrauten Kinder, als sie ermordet werden sollten, nicht verlassen hat, sie vielmehr auf ihrem Weg in die Gaskammer begleitete. Wiechert war kein Widerstandskämpfer, er war kein Revolutionär, wie er selbst im vorliegenden Text sagt. Er ist auch nur in eingeschränktem Sinne ein Regimekritiker zu nennen, wenngleich seine Reden an der Münchener Universität 1933 und 1935 den NS-Behörden, die sich mit der Überwachung und Zensur des kulturellen Lebens befassten, bedenklich erschienen. Doch sie enthielten in der typisch Wiechertschen Andeutungssprache, die er nicht erst als verdeckt-subversive Äußerungsform im "Dritten Reich" entwickelt hatte, lediglich eine Kritik der Kulturpolitik und Jugenderziehung der "Zeit", nicht spezieller politischer Instanzen. Und sie waren, unbestimmt wie immer bei Wiechert, ein Plädoyer für Werte wie Glauben, Liebe, Schönheit, Stille - eben das Humane. Zu einem Verbot seiner Bücher führten sie nicht, die Vorträge wurden vielmehr gedruckt, der erste sogar in hohen Auflagen. Wiechert konnte bis Ende des Krieges ungehindert publizieren - "Das einfache Leben" erschien 1938 und wurde bis 1942 über 250 000 Mal verkauft.

Nein, was Wiechert ins Gestapo-Gefängnis München und dann ins KZ Buchenwald führte, war gerade sein Nicht-Widerstand beziehungsweise die wachsende Scham darüber: "Auch fehlte es nicht an Gelegenheiten, ..., bei denen eine unbeugsame Haltung ein ,Nein' gefordert hätte, indes er sich zu einem widerwilligen ,Ja' bequemte. So dass das Gefühl der Scham ihm durchaus nicht fremd blieb und, immer wachsend, die reine Sicherheit seines Lebens zu zerstören begann." Das Ereignis, das bei Wiechert diese moralische Erosion auslöste, ist folgendes: Der Pfarrer Martin Niemöller, einer der Begründer der Bekennenden Kirche, war im März 1938 wegen seiner nun explizit regimekritischen Äußerung zu Festungshaft verurteilt worden, die er jedoch mit der Untersuchungshaft schon abgegolten hatte. Er hätte also als freier Mann den Gerichtssaal verlassen können, wurde jedoch bereits an der Tür von der Gestapo verhaftet und in ein KZ eingeliefert, aus dem er erst 1945 befreit wurde. Dieser Akt machte Wiechert deutlich, dass es so etwas wie Recht im nationalsozialistischen Staat nicht mehr gab. In diesem System, das wusste er jetzt, gehörte er auf die Seite der Leidenden. Im Totenwald, in dem er von sich selbst als von "Johannes" redet, liest sich das so: "Damals erkannte Johannes, dass es ihm bestimmt sein würde, mit diesem Haupt", also Niemöller, "zusammen zu leiden." Er schreibt einen Brief an die regionale Parteibehörde und teilt mit, dass er sich an öffentlichen Sammlungen nicht mehr beteiligen werde, sondern vielmehr alles, was er zu Wohltätigkeitszwecken erübrigen könne, der Familie Niemöller zuwenden werde. Dieser Brief führte zu seiner Verhaftung.

Wiecherts Buch dürfte von bleibender Bedeutung sein, weil er mit seiner Person das Paradigma einer Ethik aufgestellt hat, zu dem Leidensbereitschaft essentiell gehört. Nun wird man sagen, dass auch der Widerstandskämpfer Leidensbereitschaft zeigt, indem er das Risiko, gefasst zu werden, eingeht. Doch Leiden ist nicht das, was er will, er wird es vielmehr, soweit es geht, zu vermeiden suchen. Er folgt einer Ethik des Handelns. In ihrem Rahmen sagt man allenfalls, dass auch Nicht-Handeln schuldhaft sein könne. Wiechert dagegen steht für eine Ethik des Leidens, eine Ethik, in der das moralische Verhalten gerade darin bestehen kann, bewusst Leiden auf sich zu nehmen.

Das ist bis heute irritierend. Man könnte diese Auffassung vielleicht noch im Rahmen einer Nachfolge Christi begreifen. Doch Christ war Wiechert nicht, wie sehr er auch die Notwendigkeit von Glauben für ein menschliches Leben betont. Es handelt sich vielmehr um eine Auffassung von persönlicher Integrität, zu der die Akzeptanz von Leiden wesentlich gehört. So schreibt er im zweiten Teil seiner unter dem Titel "Jahre und Zeiten" 1948 erschienen Autobiographie rückblickend auf seine Weltkriegsliteratur: "Mir war nicht gegeben, ein Held der Tat oder des Schwertes zu sein. Mir war höchstens gegeben, einer des Leidens und der sanften Führung zu sein." In dem Ausdruck "Führung" deutet er allerdings an, dass er sein eigenes Verhalten auch in Bezug auf die Allgemeinheit sieht - von seinem Lehrerberuf her war es ihm geläufig, "Vorbild" für die Jugend sein zu müssen. Im Jahre 1938 dann ging es ihm um das "andere Deutschland", um eine moralische Kultur, die er in seinen Büchern als beispielhaft zu kennzeichnen sich bemüht hatte. In einem Brief aus dem Münchner Gestapo-Gefängnis an seine Frau schreibt er: "Ich habe ja nun meine Bücher zu beweisen, und es soll sich niemand meiner zu schämen haben, der an mich geglaubt hat."

Wiecherts Bericht aus dem KZ Buchenwald ist nicht nur ein Zeugnis für die systematische Zerstörung von Menschlichkeit an diesem Ort, sondern auch ein Zeugnis dafür, dass von vielen auch unter diesen Bedingungen Menschlichkeit - Anteilnahme, Fürsorge, Kameradschaft - bewahrt wurde. Dass Wiechert, der von sehr zarter Konstitution war, die zwei Monate KZ überhaupt überstanden hat, muss dem solidarischen Verhalten dieser Einzelnen, Gorges, Jule, Josef, Vater Kilb, Walter Husemann, zugeschrieben werden. Davon zu lesen - ähnliche Zeugnisse finden sich bei Kertész, Semprun, Levi, Klüger - ist heute umso bedeutsamer, als in dem Buch "Homo sacer" des Philosophen Giorgio Agamben das "Lager" zum Paradigma einer Biopolitik des nackten Lebens zusammengeschrumpft ist. Nach dem Zeugnis von Wiechert war das Lager aber auch immer noch ein Ort gelebter Humanität.

Der Verlag hat der Neuveröffentlichung ein Nachwort des engagierten Literaturwissenschaftlers Klaus Briegleb beigegeben, das in seiner Wissenschaftlichkeit schwer lesbar ist. Briegleb versucht dabei, auf der Basis wissenschaftlicher Recherche den Eindruck zu widerlegen, den das Buch auf den unbefangenen Leser macht. Gegen Wiecherts Darstellung, er habe mit seiner Stellungnahme zum Fall Niemöller seine eigene Verhaftung provoziert, behauptet Briegleb: "Die geheimen ,Meldungen' enthalten den wahren Zusammenhang." Der eigentliche Grund sei gewesen, dass in den Augen der kulturpolitischen Behörden "Wiecherts Wirkung auf das Publikum die psychologische Kriegsvorbereitung gefährde". Briegleb wiederum wird dadurch widerlegt, dass Wiecherts Bücher auch nach seinem KZ-Aufenthalt nicht verboten wurden. Und was den Zusammenhang von Wiecherts Verhaftung angeht, so hat Briegleb ohne Zweifel auch den zusammenfassenden Bericht des Ministerialdirigenten Haegert aus Goebbels Ministerium vom 13. Januar 1940 gelesen, in dem es heißt: Wiechert "schreckte nicht vor unangebrachter Kritik gegen die Staatsführung und deren Entscheidung im Falle Niemöllers zurück. Das führte zu seiner Festnahme durch die Geheime Staatspolizei." Doch Briegleb ist an der Produktion neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Holocaust-Forschung interessiert und empfiehlt deshalb eine Lektüre unter dem Blickwinkel, "die Datierung der Shoa (zu) verändern", weil nämlich Wiechert Zeuge der im Zuge der Aktion "Arbeitsscheu Reich" schon laufenden physischen Vernichtung des jüdischen Volkes gewesen sei.

GERNOT BÖHME

Ernst Wiechert: "Der Totenwald". Ein Bericht. Mit einem Essay von Klaus Briegleb. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 183 S., geb., 13,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Dorschel kann sich nicht erwärmen für Ernst Wiecherts erstmals 1946 veröffentlichtes Buch über seine achtwöchige Internierung im Konzentrationslager Buchenwald 1938, das nun in einer neuen Ausgabe vorliegt. Ein dokumentarischer Text, wie der Untertitel "Ein Bericht" nahelegt, ist das Werk seines Erachtens eher weniger, was er vor allem auf Wiecherts Hang zu Stilisierung zurückführt. Er hält dem Autor vor, sich die Nazi-Herrschaft "in religiösen Bildern" zurechtzulegen, "statt sie in politischen Begriffen zu denken". Wiecherts alter ego Johannes mutet ihn wie ein "frommer Schöngeist" und "entäuschter Nationalist" an, der nicht glauben mag, dass es ausgerechnet seine eigenen Landsleute, die Deutschen, sind, die so verwerflich handeln. Besonders hebt er Wiecherts Erklärung hervor, etwas zutiefst Undeutsches müsse sie befallen haben. So konstatiere der Autor etwa "asiatische Methoden" bei der Gestapo. Für Dorschel bleibt nur das Fazit: Wiecherts "Totenwald" ist das "dumme Buch eines guten Menschen".

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