Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 11,90 €
  • Gebundenes Buch

Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gehören zu den literarisch aufregendsten des letzten Jahrhunderts. Ein wichtiger französischer Autor jener Zeit ist erst vor wenigen Jahren dem Vergessen entrissen worden und hierzulande ganz neu zu entdecken: Georges Hyvernaud (1902-1983). Der Viehwaggon aus dem Jahr 1953 berichtet von der Zeit gleich nach dem Krieg, in Paris. Der Erzähler, den die Kriegsjahre mit einer "Krankheit des Blicks" geschlagen haben, sieht zu klar. Er sieht, was mit den Menschen in seinem Viertel los ist, die sich nach der Befreiung geschäftig neu einrichten und um ein…mehr

Produktbeschreibung
Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gehören zu den literarisch aufregendsten des letzten Jahrhunderts. Ein wichtiger französischer Autor jener Zeit ist erst vor wenigen Jahren dem Vergessen entrissen worden und hierzulande ganz neu zu entdecken: Georges Hyvernaud (1902-1983). Der Viehwaggon aus dem Jahr 1953 berichtet von der Zeit gleich nach dem Krieg, in Paris. Der Erzähler, den die Kriegsjahre mit einer "Krankheit des Blicks" geschlagen haben, sieht zu klar. Er sieht, was mit den Menschen in seinem Viertel los ist, die sich nach der Befreiung geschäftig neu einrichten und um ein Mahnmal zu Ehren des Widerstands streiten: Welche Résistancegruppe kann die meisten Toten verbuchen? Und die Toten der anderen - waren sie wirklich Widerstandskämpfer? Wütend, müde, nicht ohne finsteren Humor schaut der Erzähler zu. Nach eigenen Aktivitäten gefragt, schützt er Arbeit an einem Roman vor - dessen Titel: Der Viehwaggon.
Autorenporträt
Hyvernaud, Georges
Georges Hyvernaud, geboren 1902 in der Charente, stirbt 1983 in Paris. 1939 wird er eingezogen und gerät im Mai 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er kommt in ein Lager in Pommern. 1945 kehrt Hyvernaud zurück. Er arbeitet in Paris als Lehrer, wie vor dem Krieg. 1949 erscheint sein erstes Buch Haut und Knochen (La peau et les os), das trotz Unterstützung durch Jean-Paul Sartre u. a. fast unbeachtet bleibt. Hyvernaud berichtet darin von den fünf Jahren seiner Gefangenschaft: »Statt der realistischen Erzählung eines Kriegsgefangenen ein sich an Episoden entlanghangelndes Nachdenken über das Leben als besiegter, gedemütigter Mensch« (Julia Schoch). 1953 folgt Der Viewagon mit der Beschreibung eines »Nachkriegsgefangenen« in Paris, ebenfalls fast ohne Resonanz. Der Autor verzichtet auf weitere Publikationen. Erst nach dem Tod wird sein Werk wirklich entdeckt. Aus dem Nachlaß werden noch weitere Bücher ediert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2007

Die Ästhetik des Widerstands

Es gibt Wiederentdeckungen, und es gibt wirkliche Wiederentdeckungen. Georges Hyvernauds Roman gehört zur zweiten Kategorie, obwohl daran buchstäblich nichts Positives ist - zum Glück des Entdeckers.

VON JOCHEN SCHIMMANG

Bei etwa neunzig Prozent der vergessenen Autoren, die nach Jahrzehnten noch einmal ausgegraben werden, stellt sich heraus, dass sie völlig zu Recht keiner mehr liest; daran ändert auch die Ausgrabung nichts. Es bleiben die zehn Prozent, bei denen man sich fragt, wie dieser Autor je aus dem Bewusstsein der Leser verschwinden konnte. Man spricht dann etwa von einer "wirklichen Wiederentdeckung". Um eine solche handelt es sich bei Georges Hyvernaud.

"Der Raum in den fünfziger Jahren für einen Schriftsteller wie ihn war schmal", schreibt Julia Schoch in ihrem klugen und kenntnisreichen Nachwort. "Zwischen kritischer Aufbruchsliteratur, grotesk-phantastischen Textwelten à la Boris Vian und dem gerade erst entstehenden Nouveau Roman war wenig Platz." Und wenn ein Autor dann wirklich so konsequent wie Hyvernaud ist, mit dem Schreiben einfach aufzuhören, weil er zu wenig gelesen wird, dann wird er zur literarischen Unperson. Immerhin gibt es in Frankreich eine Société des Lecteurs de Georges Hyvernaud, und seine beiden Romane sind als Taschenbücher erhältlich. Der zweite von ihnen hat nun völlig zu Recht in die Bibliothek Suhrkamp Eingang gefunden, und den ersten werden wir hoffentlich - und wieder in der Übersetzung von Julia Schoch - irgendwann ebenfalls auf Deutsch lesen können.

Dass Hyvernaud von Sartre gefördert wurde, der ihm sogar die ständige Mitarbeit an den "Temps Modernes" anbot, dürfte kein Zufall sein. Denn so hätte sich vielleicht "Der Ekel" gelesen, wäre er nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden und Sartre ein größerer Stilist gewesen. Und hätte sein Held Roquentin seinen Blick weniger nach innen gerichtet und auf die wahre Empfindung, sondern mehr nach außen und auf die wahren Verhältnisse wie Hyvernauds Erzähler. Der hat wie sein Autor fünf Jahre deutscher Kriegsgefangenschaft in Pommern hinter sich und versucht sich nach dem Krieg wieder in seinem Viertel einzurichten. Andere sind da schon weiter: Sie waren nicht in Gefangenschaft, sondern haben die Kriegsjahre als Kollaborateure, als unauffällige Mitbürger oder als Angehörige der Résistance überlebt.

Nun geht es, neben den guten Geschäften, unter anderem um das Mahnmal zur Erinnerung an den Widerstand. Aber welche Gruppe hatte denn nun die meisten Toten zu beklagen? Die Kommunisten? Die Gaullisten? Wer waren die echten Helden des Widerstands? Waren die von der anderen Seite überhaupt welche? Hyvernauds Buch, 1953 erschienen, ist vielleicht auch deshalb nicht populär geworden, weil es schon früh am Résistance-Mythos kratzte, als die Mehrheit der Franzosen noch sehr bereitwillig an ihn glaubte. Dieser Tatsache dürfte der Misserfolg allerdings nicht allein geschuldet sein. Es fehlt in diesem Roman - und das macht ihn so unbedingt lesenswert - schlichtweg das Positive, nach dem man doch gerade in den Zeiten des Neuanfangs lechzt. Hyvernauds Erzähler, nach dem Krieg wie schon vor dem Krieg Buchhalter (mit literarischer Bildung) einer Getränkefirma, zeigt, dass es gar keinen Neuanfang gibt. Er ist, bis in den Sprachduktus hinein, ein Verwandter der Helden aus den frühen Romanen und Erzählungen Samuel Becketts. Auch an manche Burschen aus der Welt Raymond Queneaus könnte man denken. (Beide Autoren sind Generationsgefährten Hyvernauds, der 1902 geboren wurde und 1983 starb.)

Mehr als die Frage, wer denn nun wirklich zum Widerstand gehörte, interessiert den Erzähler eigentlich das Schicksal des Pissoirs an der Rue des Deux-Èglises: "Um sechs, wenn wir aus der Firma Gebrüder Busson kommen, versäumen wir nie, dort einzukehren, mein Kollege Porcher und ich. Hier finde ich Stoff genug, um ausgiebig über die menschliche Gattung und das Schreiben nachzudenken." Mit dem Schreiben hat es die Bewandtnis, dass der Erzähler seinem Bekannten Bourladou, einem erfolgreichen Bauunternehmer, und dessen feinsinniger Gattin eines Tages erzählt hat, er schreibe an einem Buch: "Eine Art Roman. Eher eine Chronik. (. . .) Oder ein Essay, wenn Ihnen das lieber ist." Er berichtet zuweilen von seinen Fortschritten und seinen Blockaden. "Seitdem wir davon reden, muß mein Buch auf rund sechshundert Seiten angewachsen sein. Und manchmal glaube ich fast selbst, daß es existiert." Sogar einen Titel findet er eines Tages auf drängendes Nachfragen: "Der Viehwaggon".

Vom Viehwaggon ist in diesem Roman in der Tat die Rede: Einige Passagen berichten plastisch über das Leben in der Gefangenschaft. Auf deren Schrecken folgen aber bruchlos die Schrecken der Normalität. "Arbeit, Familie, Vaterland" war das Motto des Vichy-Regimes, und das ist nach dem Krieg keineswegs überwunden. Beim Streit um den "richtigen" Widerstand geht es um nichts anderes. Und da auch bei uns heute um diese Werte wieder heftig gestritten und gerungen wird, tut es allein schon deshalb richtig gut, Hyvernaud zu lesen und den Kopf ordentlich auszulüften.

Sartre hatte dem "Ekel" als Motto einen Satz Célines vorangestellt: "Das ist ein Bursche ohne kollektive Bedeutung, das ist ganz einfach nur ein Individuum." Von Hyvernauds namenlosem Helden, der keiner ist, ließe sich anerkennend dasselbe sagen. Dieser Roman ist antiideologische Literatur par excellence. Entscheidend aber ist seine literarische Qualität, sagen wir ruhig: das ästhetische Vergnügen beim Lesen dieses Romans. "Ich will keine Wertschätzung, ich will gelesen werden", hat Hyvernaud geschrieben. Es sei dringend empfohlen, diesem Wunsch nachzukommen. Die Wertschätzung kommt dann schon von selbst.

- Georges Hyvernaud: "Der Viehwaggon". Roman. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Julia Schoch. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 197 S., geb., 13,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit großer Freude begrüßt Rezensent Thomas Laux die Tatsache, dass es nun endlich ein Werk des französischen Schriftstellers Georges Hyvernaud (1902-1983) in deutscher Sprache zu entdecken gibt - ein aus seiner Sicht längst überfälliges Vergnügen. Denn dessen schmales Werk handele von den "längst noch nicht überwundenen Ängsten des 20. Jahrhunderts". Dabei gehöre es zu den großen Stärken dieses Romans, der vor dem Hintergrund von Kollaboration und Resistance spielt, dass darin trotz seines "eigentlich sehr gravitätischen" Themas die amüsanten Szenen überwiegen. Es geht um die durch Krieg und deutsche Besatzung durcheinander gewirbelte "moralische Geografie", durchexerziert an einem etwas zweifelhaften Helden. Doch nach Ansicht des Rezensenten interessiert sich dieser Autor nicht so sehr fürs Individuelle, sondern vor allem für das "nie hinterfragte, bourgeoise Comme il faut", das Denken der Masse, für das ihm ein Viehwaggon die ideale Metapher zu sein scheint. Allerdings gibt uns Laux kaum Stoff, seine Thesen zum Buch zu verifizieren, eine Handlungsskizze zum Beispiel. Deshalb muss man das Buch wohl selber lesen.

© Perlentaucher Medien GmbH