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Der Autor Edward Upward, ein überlebender der Generation von Wystan Hugh Auden, Christopher Isherwood und Stephen Spender, ist im vergangenen September 101 Jahre alt geworden. In Reise an die Grenze aus dem Jahr 1938 hat er die starke Geschichte eines englischen Hauslehrers erzählt, der Mitte der 30er Jahre von seiner Herrschaft zu einem Pferderennen mitgenommen wird. Er trifft einige Menschen. Es passiert fast nichts. Aber stark ist Upwards Roman, weil sich der junge Mann an der Grenze zum Wahnsinn bewegt und weil der Erzähler es schafft, uns an dieser Gratwanderung zu beteiligen. In des…mehr

Produktbeschreibung
Der Autor Edward Upward, ein überlebender der Generation von Wystan Hugh Auden, Christopher Isherwood und Stephen Spender, ist im vergangenen September 101 Jahre alt geworden. In Reise an die Grenze aus dem Jahr 1938 hat er die starke Geschichte eines englischen Hauslehrers erzählt, der Mitte der 30er Jahre von seiner Herrschaft zu einem Pferderennen mitgenommen wird. Er trifft einige Menschen. Es passiert fast nichts. Aber stark ist Upwards Roman, weil sich der junge Mann an der Grenze zum Wahnsinn bewegt und weil der Erzähler es schafft, uns an dieser Gratwanderung zu beteiligen.
In des Lehrers Phantasien spielen die Themen der Zeit eine Rolle, der Faschismus, die drohende Kriegsgefahr, die sozialen Auseinandersetzungen. All das wirkt überzogen. Andererseits trifft die überzogenheit beängstigend genau eine Zeitstimmung; die Welt jener Vorkriegsjahre wird charakterisiert, ja entlarvt.
Autorenporträt
Der Autor Edward Upward, ein Überlebender der Generation von Wystan Hugh Auden, Christopher Isherwood und Stephen Spender, ist im vergangenen September 101 Jahre alt geworden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2005

Ein zorniger Leviathan im Meer der Gleichgültigkeit
Blick in ein unbekanntes Jahrhundertwerk: Edward Upwards Roman von 1938 ragt wie ein Solitär in die Krisen unserer Gegenwart

Manchmal ist alles Geschichtliche auch nur ein Gleichnis. Gewiß ist dieser Kurzroman ein Kind jener dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die wir als Vorkriegszeit betrachten und neuerdings nochmal von Zeitzeugen als kindliche Erinnerung erzählt bekommen. Und doch ragt seine Hauslehrermoral bizarr in unsere Gegenwart hinein: "Die wirklichen Verbrecher", so lesen wir darin zum Beispiel, seien die "Arbeitgeber", nämlich "Leute, die reich werden, indem sie Millionen anderer um ihr Recht auf ein anständiges Leben betrügen". Zu Zeiten, da nüchterne Genossen im nachholenden Vollzug der "Kapital"-Schulung begriffen sind, während sich der heiße Klassenkampf auf den Bilderboulevard öffentlicher Sektlaunen verlagert, sind solche Sätze überraschend einsichtig. Selten war daher, fast siebzig Jahre nach Erscheinen, eine deutsche Erstveröffentlichung derart zeitgemäß. Und das Erstaunlichste daran: Es handelt sich bei diesem englischen Autor tatsächlich noch um einen unserer Zeitgenossen.

Mit 102 Jahren wird Edward Upward diesen Sommer wohl Methusalemalter erreichen. Um zu ermessen, wie eine solche Lebensspanne unser historisches Empfinden dehnt, braucht man ihn nur mit seinen nächsten Kollegen, die längst der Literaturgeschichte angehören, in Beziehung setzen. Das Geburtsjahr teilt er mit bekannten Größen wie Evelyn Waugh und George Orwell. Das prägende Jahrzehnt, die Dreißiger, verbringt er an der Seite führender Modernisten wie W. H. Auden und Stephen Spender. Ihnen ebenso wie Christopher Isherwood, mit dem er seit Schultagen eng befreundet ist, gilt damals schon sein schmales Werk als vorbildhaft und stilistisch wegweisend. Doch während alle diese Weggefährten bald rasant zu Weltruhm aufsteigen, versinkt Upward in der Anonymität. Jahrzehntelang lähmen persönliche und politische Krisen seine literarische Schaffenskraft. In den sechziger und siebziger Jahren erscheint eine Romantrilogie, weithin ungelesen und von der Kritik verschmäht, in der er mit seiner verlorenen Heimat, der Partei der britischen Kommunisten, erbittert abrechnet. Erst in den neunziger Jahren wird durch den vorbildlichen Einsatz der Londoner Enitharmon Press, die sein Frühwerk wieder auflegt und weitere Texte zugänglich macht, die Neuentdeckung eingeleitet. Die deutsche Erstausgabe von "Reise an die Grenze", dem Debütroman von 1938, vor elf Jahren in revidierter und limitierter Auflage bei Enitharmon neu herausgekommen, ist nun nicht weniger als eine literarische Sensation.

Was hier an nervöser Sprachkraft, an vibrierender Empfindlichkeit für die Zumutungen der Normalität, an bildwüchsiger Formulierungsgabe mit einem Mal erfahrbar wird, sucht in der Gegenwart wohl seinesgleichen. Auf knappstem Raum entrollt diese Erzählung das Panorama einer Welt, die sich nur noch in der Krise sehen kann und diese Selbstwahrnehmung so sehr kultiviert, daß jede Begegnung und Begebenheit zum Vorboten des ganz großen, grundstürzenden Neuen, das bevorsteht, werden muß. Dessen Durchbruch wird ebenso herbeigesehnt wie auch gefürchtet, denn ob es Befreiung oder Untergang bedeutet, bleibt lange quälend ungewiß. Nur eins ist klar: Alle Ordnung, die uns gegenwärtig hält, steht auf dem Spiel. Doch die ständige Erwartung solcher Haltlosigkeit treibt lediglich den Einsatz hoch und treibt die Sensibilität ins Halluzinogene.

"Er hatte sich gar nichts erhalten. Zu einem Maultier war er geworden, einem Eunuchen, ganz geschlechtslos, zu matt sogar, um zu treten. Aber es würde sich etwas verändern. Urplötzlich. Ein Blitz, Verdichtung von Abscheu, Aufstand der Nerven, ein zornentbrannter Leviathan, der sich im schwarzen Meer der Gleichgültigkeit wälzt." In solchen eigentümlich überspannten Bildern bricht sich die Faszinationskraft dieser Aufbruchshoffnung Bahn, von Karin Rausch mit Mut und Souveränität in deutsche Sätze voll expressionistischer Effekte übertragen. Dagegen ist die Fabel, die Upward erzählt, von geradezu archaischer Schlichtheit. Sie spielt an einem einzigen Spätsommertag und zeigt einen streng komponierten Reigen von Protagonisten, die fast wie die Figuren eines Kirchturmglockenspiels der Reihe nach erscheinen, ihren Auftritt haben und vorüberziehen. Am Ende aber ist das Uhrwerk außer Kraft gesetzt. Denn wie Elfriede Jelinek in ihrem Nachwort formuliert, begeht der Held dieser Geschichte den "Tag wie eine heilige Wandlung in einer Meßfeier", nur daß "diesmal er verwandelt wird, aber in das, was er je schon war".

Die namenlose Hauptfigur dieser denkwürdigen Verwandlung wird im Text durchweg nur als "der Hauslehrer" bezeichnet. Er steht im Dienst eines grobschlächtigen Gutsherren, der die Fuchsjagd und das Pferderennen liebt und seinen Sprößling für die Aufnahme in eine standesübliche Privatschule vorbereitet sehen will. Diese Aufgabe verachtet der Hauslehrer. Noch mehr jedoch verachtet er sich selbst dafür, daß er sich solchen Ritualen der Klassengesellschaft selbst- und klaglos fügt. So kommt es, daß für ihn der sonntägliche Männerausflug auf die Pferderennbahn zum längst fälligen Testfall wird, den Zwang des Überkommenen zu brechen. Zwar muß er seinen Plan, bereits das Mitfahren zu verweigern, sehr schnell aufgeben, weil die schiere Selbstverständlichkeit der Konvention die Rebellionskraft gleich empfindlich lähmt. Doch schon während der Autofahrt und erst recht auf dem Rennplatz steigert sich alles, was ihm unterläuft, so sehr ins Schicksalhafte, daß er bald immer merklicher in einen Wahn verfällt, der ihm in jeder kleinsten Beobachtung etwas blitzartig Bedeutsames zu sehen vorgibt. So wird die "Reise an die Grenze" zu einer Odyssee in Grenzbezirke der Weltwahrnehmung und Weltdeutung.

Die Szenenfolge seiner Begegnungen beim Rennen weist zunehmend ins Albtraumhafte. Ein Nachbar bietet dem Hauslehrer eine vielversprechende Stellung an, eine junge Dame macht Avancen, ein Gaukler hypnotisiert die Massen und stellt den Beobachter wütend bloß, ein finsterer Geschäftemacher propagiert die Kolonien als neuen Lebensraum, ein "Psycholog" hält eine flammende Rede auf die Befreiung des Begehrens. Immer fiebriger und atemloser steigert sich die allgemeine Stimmung ins Ekstatische und entlädt sich schließlich in einem bizarren Führerritual, der gespensterhaften Inszenierung eines Reichsparteitagsspuks. Den Hauslehrer selbst führt sein Walpurgisritt letztlich zu einer klaren politischen Erweckung, nämlich zur "Internationalist Movement for Working-Class Power", der er sich am Ende anschließt. Doch anders als vielleicht für Leser des vergangenen Jahrhunderts erscheint uns dieser Schluß nur noch als weitere irre Wendung seiner Grenzfahrt. Denn eine Heimkehr in die Internationale mag heute kaum mehr von den Heimsuchungen des Alltäglichen erlösen, die diesen Jedermann bedrängen.

Auch wenn Edward Upward also von der Pathogenese des sozialistischen Subjekts erzählen wollte - die Erstausgabe erschien am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in der Hogarth Press von Virginia und Leonard Woolf -, fesselt an der späten deutschen Erstausgabe daher etwas völlig anderes. Nicht die endliche Gewinnung, sondern die ständige Gefährdung der Vernunft treibt die Geschichte voran und gibt ihr ungeheure Reibungsenergie. "Es ist das Gegenteil von Vernunft, etwas zu begehren, und trotzdem treibt das Begehren das Bewußtsein vorwärts, das an den Ketten zerrt und befreit werden möchte", schreibt Jelinek und fügt doch gleich hinzu: "Bei Upward wird das Begehren als etwas Verrücktgemachtes vorgeführt, das wieder zurück soll, wohin auch immer, vielleicht wird es dort sogar noch mehr Schaden anrichten als dort, wo es noch nicht verrückt gewesen ist. Wer will nicht sein Begehren befreien, und wer hätte nicht Angst davor?"

Solche Angstlust spricht aus jedem Satz. Das Auge von Upwards Erzählung, scheint es, hat kein Lid. Starr und gierig hält es seine Wirklichkeit schutzlos im Blick, bis alles Wahrgenommene sich schmerzhaft in die Netzhaut brennt und so die sonderbarsten Nachbilder hervorbringt. Symptomatisch dafür ist die seitenlange Schilderung einer Dampfwalze, die der Hauslehrer zufällig erblickt, ein veritables Hohelied der Liebe auf einen Maschinenkörper, das gleich zu Beginn einen Erregungshöhepunkt setzt: "Das neue Bild war da, und es war fest und wirklich, es konnte nicht vergehen. Es war da, es war überall. Er brauchte kaum anderswo hinzuschauen, um seine Allgegenwart zu beweisen. Er war sich dessen gewiß. Seine Augen waren voller Tränen." Allein schon wegen solcher Augenblicke wird uns der Eindruck dieses Textes so schnell nicht vergehen.

Seit seinem letzten runden Geburtstag lebt Upward wieder zurückgezogen und gibt kaum noch Interviews. Wenn seine Tagebücher, die mittlerweile mehr als siebzig Bände füllen und längst der British Library zugesprochen sind, einmal zugänglich sein werden, lassen sich von diesem Autor ganz sicher neue Bilder des uns scheinbar vertrauten Wirklichen gewinnen. Schon jetzt aber stellt seine "Reise an die Grenze" klar, daß dieses unbekannte Lebenswerk hundert Jahre Europa umfaßt.

Edward Upward: "Reise an die Grenze". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Karin Rausch. Mit einer Einleitung von Stephen Spender und einem Nachwort von Elfriede Jelinek. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 203 S., geb., 13,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Anders als sein Kommilitone Christopher Isherwood ist der Autor Edward Upward heute nur noch Eingeweihten ein Begriff. Seine literarische Karriere, die mit der Veröffentlichung dieses Romans in der "Hogarth Press" von Leonard und Virginia Woolf hoffnungsvoll begann, ist geradezu exemplarisch gescheitert. Ähnliches, so die Rezensentin Angela Schader, ließe sich vielleicht auch über diesen Roman sagen. Allerdings meint sie das keineswegs nur negativ, vielmehr findet sie das Werk über einen jungen Mann auf der verzweifelten Suche nach einem Lebensentwurf in seinen "fiebrigen" und "irrealen" bis "surrealen" Passagen durchaus faszinierend. Insbesondere der "proteische", ständigem Wandel unterworfene Raum eines "Festzelts" hat es ihr angetan. Neben solchen Würfen finden sich, bedauert sie, freilich auch "Längen" und "Unschlüssigkeiten". Nachgerade peinlich findet sie dann allerdings das von Upward glücklich gemeinte Ende: der Held schließt sich dem "Internationalist Movement for Working-class Power" an.

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