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Videoüberwachung produziert Bilder, in Hollywood-Filmen wie Der Staatsfeind Nr. 1 oder Die Truman Show werden die Kameras aber auch selbst zum Bild; den Police-Song "Every Breath You Take" kann man als Hymne der Sicherheitsfetischisten interpretieren und Michel Foucaults "panoptische Gesellschaft" muß angesichts technologischer Fortschritte neu gedacht werden. Diese kulturwissenschaftliche Studie über Videoüberwachung und ihre medialen Repräsentationen führt von 1667, als der "Sonnenkönig" Louis XIV. die Straßenbeleuchtung zentralisieren ließ, bis in die Gegenwart, in der gesichtserkennende…mehr

Produktbeschreibung
Videoüberwachung produziert Bilder, in Hollywood-Filmen wie Der Staatsfeind Nr. 1 oder Die Truman Show werden die Kameras aber auch selbst zum Bild; den Police-Song "Every Breath You Take" kann man als Hymne der Sicherheitsfetischisten interpretieren und Michel Foucaults "panoptische Gesellschaft" muß angesichts technologischer Fortschritte neu gedacht werden. Diese kulturwissenschaftliche Studie über Videoüberwachung und ihre medialen Repräsentationen führt von 1667, als der "Sonnenkönig" Louis XIV. die Straßenbeleuchtung zentralisieren ließ, bis in die Gegenwart, in der gesichtserkennende Systeme Täter aus der Menge fischen sollen, Bürgerrechtler zur Überwachung der Überwacher aufrufen und Passanten vor echten Videokameras falsches Theater spielen.
Autorenporträt
Kammerer, DietmarDietmar Kammerer ist Kulturwissenschaftler und Journalist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Mit falschen Versprechungen in die Kontrollgesellschaft
Zwei Bücher fragen, wie weit wir es mit der Videoüberwachung noch treiben wollen / Von Milos Vec

Eine zwieschlächtigere Filmsequenz als diese, in der sich Kontrolle und Verlust amalgamieren, sah man selten. In der starren Einstellung der Überwachungskamera gehen drei Kinder. Gleich begegnen sich die Hände des Größeren und des Kleineren und umfassen einander im Fortgehen. Die drei werden sich noch mehrfach aus dem Blickfeld der elektronischen Augen entfernen, neue Überwachungskameras setzen die Erzählung fort, wo der Radius vorheriger optisch endete. Tausendfach sind diese Bilder, die die letzten Lebenszeichen des nicht einmal dreijährigen James Bulger enthalten, über Bildschirme geflackert und mit ihnen die eingeblendete Zeile "Mothercare", die ein Rätsel aufgibt.

Auch wenn die Videosequenz von 1993 die folgende Tötung des entführten Jungen auf tristen nordenglischen Bahngleisen nicht zeigt, so haben die Überwachungskameras ihr Werk vollbracht. Die aufgezeichneten Bilder dienten der Polizei zur Fahndung nach den Tätern. Im späteren Strafprozess werden sie zur Rekonstruktion des Tathergangs eingeführt. Die britische Öffentlichkeit entnimmt ihnen eine so zwingende Evidenz, dass sie in den nun folgenden Ausbau der Videoüberwachung einwilligen wird. Es scheint, als hätten die Bilder sich selbst bestärkt und mit ihnen das ineinanderverschlungene Versprechen von Sichtbarkeit, Sicherheit, Ordnung.

Eine radikal andere Leseart, die man als Selbstaufhebung der Bilder bezeichnen könnte, legt das glänzende Buch des Kulturwissenschaftlers und Journalisten Dietmar Kammerer nahe. Kammerer changiert so virtuos zwischen Geschichte, Theorie und aktueller Praxis der Überwachung und formuliert brillant, dass es schwerfällt, ein ihm ebenbürtiges Werk zu benennen.

Das Buch besticht durch eine sachkundige und kritische Haltung nicht nur gegenüber der Technik, sondern auch gegen die vielfach reproduzierten Gemeinplätze, die sich mit den scheinbar sicheren Fakten der Überwachung verbinden. Im Falle der Liverpooler Aufzeichnung gewinnt das Geschehen durch Kammerers scharfen Blick eine vexierende Doppelbödigkeit: Wo, fragt er, liegt die Evidenz? Die Kamera filmte passiv ein Geschehen, niemand saß vor einem Monitor und bemerkte die Entführung oder griff gar ein. Die Täterbeschreibung, von der Polizei aus den Schemen im Einkaufszentrum extrahiert, war sogar irreführend, sie löste falsche Anschuldigungen und Festnahmen aus; der entscheidende Hinweis bestand in einer Zeugenaussage und Farbspuren am Tatort, den kriminaltechnischen Beweis lieferte eine DNA-Probe. Nicht Bilder, sondern Zeichen überführten zwei Zehnjährige als Täter.

Die ersehnte Überwachung scheitert an vielen Details: Sie ertrinkt in der Flut der eigenen Daten, sie verfehlt im Streben nach panoptischer Übersicht und Allwissenheit eine effektive Fokussierung, sie unterschätzt operationell den "human factor" der Bediener, vernachlässigt sträflich die Folgekosten für Unterhalt der Überwachungseinrichtungen und Auswertung der Daten. Kammerer liest den Kameragläubigen technisch, organisatorisch und kriminalistisch die Leviten. Ein medienkritisches Kabinettstück gelingt ihm bei der Auswertung von Presseberichten, bei denen sich deutsche Journalisten nicht willens oder in der Lage erweisen, korrekt über die tatsächlich sehr begrenzten Leistungen zu informieren.

Dass sich sogar in England die kritischen Stimmen mehren, die das umfassende Scheitern der milliardenschweren Überwachungsprogramme nüchtern feststellen, wird aber nach Kammerers nachvollziehbarer Diagnose keine Kursänderung bewirken. Denn wir befinden uns auf bestem Weg in eine visualisierende Kontrollkultur, die ihre Illusionen nicht mit der Wirklichkeit abgleichen will. Was das Kino in der "Truman Show" (1998) bereits ahnte, nämlich die Dauerübertragung durchschnittlicher Privatheit, das wurde bald darauf Wirklichkeit. Es geht tatsächlich nicht um den Siegeszug einer polizeilichen Kontrolltechnologie, sondern um eine kulturelle Disposition.

Natürlich spiegeln sich in der Beherrschung der Bilder auch Machtverhältnisse. Mit subtilem Sinn für den Mehrwert des Performativen berichtet Kammerer über entblößende Tests: Wie reagiert Überwachungspersonal, das die Unbedenklichkeit und Harmlosigkeit der Bilderaufzeichnung predigt, wenn es plötzlich selbst fotografiert wird? Aktionen nach dem Motto "Ab heute wird zurückgefilmt" belegen, dass hinter den elektronischen und realen Augen stets Hierarchieverhältnisse stehen, die sich nicht in Frage stellen lassen wollen.

Kammerer deutet am Ende seines Buches auf Protest und Subversion als Möglichkeiten des Protests. Könnte aber nicht auch das Recht ein machtvolles Instrument der Bezähmung jener Speicher sein, die schwer vergessen und des technizistischen Blicks jener Augen, denen Privatheit kein Begriff, Scham kein Gefühl ist?

Diesem Problem widmet sich Arnold Müller am Beispiel der Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz. Das ist ein überschaubares, aber umso interessanteres Konfliktfeld von erheblicher Praxisrelevanz. Ob und wie man das Problem rechtlich in den Griff bekommt, bleibt allerdings auch nach der arbeitsrechtlichen Studie Müllers unklar.

Diese Unsicherheit ist nur zum geringen Teil den rechtsdogmatischen Ausführungen Müllers anzulasten. Im Gegenteil, was die Juristen an Dogmatik hierzu in Straf-, Zivil- und öffentlichem Recht entwickelt haben, wird zusammengetragen. Müller steigt ohne Umschweife direkt ins Thema ein und benennt die von den Arbeitgebern verfolgten Formen der Videoüberwachung und der damit verbundenen vielfältigen Zwecke: Eingangs- und Zugangskontrolle, Sicherung der menschlichen Effektivität, Überwachung der Technik, Prävention und Bekämpfung von Straftaten durch Personal und Dritte sowie Einhaltung von Schutzvorschriften sind die wichtigsten Aspekte.

Es leuchtet auf Anhieb ein, dass die Intensität der Observation abgestuft mit der rechtlichen Zulässigkeit korrelieren muss. Wie man solche Kriterien der Zulässigkeit fassen könnte, haben insbesondere Verfassungs- und Datenschutzrechtler in den vergangenen Jahrzehnten ausbuchstabiert. Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gibt es hingegen (noch) nicht.

Deutlich wird dabei ein Rechtsgebiet, das vorzugsweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert. Konsequent kritisiert Müller auch die offene Widersprüchlichkeit der Urteile. Hinter den Einzelfallentscheidungen steht die Abwägung "informationeller Selbstbestimmung" mit dem gegenläufigen "Informationsbedarf Dritter". Zu welchem Ergebnis Richter gelangen, ist wenig transparent.

Aber selbst wenn dem nicht so wäre, bleiben entscheidende Punkte offen. Müllers Arbeit setzt an dem Punkt an, wo bereits gerichtlich um Videoüberwachung gestritten wird. Sie blendet damit alle vorgängigen Fragen aus, die nicht minder bedeutend scheinen: Gerade nach der Lektüre Kammerers stellt sich die Frage, wie funktional die um sich greifende Überwachung für die proklamierten Zwecke tatsächlich ist.

Erst recht wüsste man gerne, ob und wann die Betroffenen ihre Datenschutzrechte eigentlich geltend machen. Immerhin kennt man Tatbestände, bei denen kaum Normimplementation stattfindet. Selbst Müller referiert das faktische Leerlaufen der Kennzeichnungspflicht von Kameras, die für die Überwachung verantwortliche Stelle zu benennen: Das Datenschutzrecht, so scheint es, könnte gut eine Prise Rechtstatsachenforschung vertragen. Die Rechtssoziologie freilich, die solche Fragen professionell erforschen könnte, liegt in Deutschland am Boden.

Dietmar Kammerer: "Bilder der Überwachung". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 382 S., br., 13,- [Euro].

Arnold Müller: "Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz". In der Privatwirtschaft aus arbeitsrechtlicher Sicht. Mannheimer Schriften zum Unternehmensrecht 6. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2008. 178 S., br., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Mit ihrem eleganten Duktus und ihren zahlreichen Beispielen kommt Dietmar Kammerers Studie zur Überwachung bei Ines Kappert gut an. Der Kulturwissenschaftler Kammerer widmet sich darin eingehend der Tatsache, dass die Videoüberwachung immer weiter ausgebaut wird, obwohl längst erkannt - und oft genug auch aus berufenem Mund zugegeben - wurde, dass diese weder Verbrechen verhindern noch wesentlich zu ihrer Aufklärung beitragen könne, berichtet die Rezensentin. Spannend findet sie auch die Begründung, die Kammerer für die dennoch ungebrochene Attraktivität der Kameraüberwachung findet: Die eingefangenen Bilder suggerierten dem Betrachter ein Allmachtsgefühl, indem sie diese "die Zukunft nachträglich voraussehen lässt". Kammerer bekommt Kapperts Beifall dafür, dass er das Thema zwar in einen kulturellen Diskurs eingliedert, es aber nicht entpolitisiert habe. Die spürbare Faszination der Rezensentin belohnt dies.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Kammerer changiert so virtuos zwischen Geschichte, Theorie und aktueller Praxis der Überwachung und formuliert brillant, dass es schwerfällt, ein ihm ebenbürtiges Werk zu benennen.« Milos Vec Frankfurter Allgemeine Zeitung