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Die genealogische Erforschung der Macht, die Giorgio Agamben 1995 mit Homo sacer begonnen hat, nimmt mit diesem Buch eine entscheidende Wendung: Warum hat in der westlichen Welt die Macht die Form der Ökonomie angenommen? Und: Weshalb bedarf sie der Herrlichkeit, also jenes liturgisch-zeremoniellen Aufwands, der seit jeher um sie betrieben wird?Um den Monotheismus mit den "drei Personen" zu vereinbaren, entwarfen die Kirchenväter die Trinitätslehre als "Ökonomie" des göttlichen Lebens: als eine Frage der Führung und Verwaltung sowohl des himmlischen als auch des irdischen "Hauses" (griech.:…mehr

Produktbeschreibung
Die genealogische Erforschung der Macht, die Giorgio Agamben 1995 mit Homo sacer begonnen hat, nimmt mit diesem Buch eine entscheidende Wendung: Warum hat in der westlichen Welt die Macht die Form der Ökonomie angenommen? Und: Weshalb bedarf sie der Herrlichkeit, also jenes liturgisch-zeremoniellen Aufwands, der seit jeher um sie betrieben wird?Um den Monotheismus mit den "drei Personen" zu vereinbaren, entwarfen die Kirchenväter die Trinitätslehre als "Ökonomie" des göttlichen Lebens: als eine Frage der Führung und Verwaltung sowohl des himmlischen als auch des irdischen "Hauses" (griech.: oikía). Agamben zeigt, daß grundlegende Kategorien der modernen Politik - von der Gewaltenteilung bis zur militärischen Doktrin des Kollateralschadens, vom Liberalismus der "unsichtbaren Hand" bis zum Ordnungs- und Sicherheitsdenken - auf dieses theologisch-ökonomische Paradigma zurückgeführt werden können. Die zeremoniellen Aspekte der Macht sind nicht bloß Überreste vergangener Zeiten, sondern bilden - noch immer - ihr Fundament: eine bislang übersehene Genealogie, die die Funktion des Konsenses und der Medien in den modernen Demokratien in einem neuen Licht erscheinen läßt.
Autorenporträt
Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.   Andreas Hiepko, geboren 1963 in Berlin, studierte Germanistik und Romanistik in Berlin und Barcelona. Heute ist er als Publizist und freier Übersetzer tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2010

Politik ist ein anderes Wort für Gewalt

In dieser Woche erscheint Giorgio Agambens neueste Provokation der akademischen Philosophie: eine Engelkunde als Theorie der politischen Macht.

Für Giorgio Agamben, den theologisierenden Provokateur der akademischen Philosophie, sind die modernen Engel Beamte oder Gouverneure. Sie verkörpern die Weltregierung schlechthin. So lässt der venezianische doctor angelicus seine Engelkunde ganz mit der Theorie der Macht zusammenfallen. Zwei Aspekte hat die Macht: Macht als Regierung und Macht als zeremonielles und liturgisches Königtum. Agamben will die seiner Meinung nach sowohl in der politischen Philosophie als auch in der Politologie vernachlässigte Frage beantworten: Warum braucht die Macht die Herrlichkeit? Wenn sie Stärke, Handlungs- und Regierungsfähigkeit ist, weshalb tritt sie dann in der glorreichen Form der Zeremonie auf? Für Agamben bilden Akklamationen eine Übergangszone, in der Politik und Theologie ununterscheidbar werden. Wie die liturgischen Doxologien Gottes Herrlichkeit erzeugen und festigen, so sind auch die profanen Akklamationen kein Ornament der politischen Macht, sie begründen und rechtfertigen sie.

Akklamationen und die Herrlichkeit in ihrer modernen Gestalt als öffentliche Meinung und Konsens stehen für den Autor immer noch im Zentrum der politischen Dispositive. Spielen die Medien in den heutigen Demokratien eine so wichtige Rolle, so nicht nur deshalb, weil sie die Kontrolle und Lenkung der öffentlichen Meinung ermöglichen, sondern vor allem auch, weil sie, so Agamben, die Herrlichkeit verwalten und zuteilen. In den Medien sei jene akklamatorische und doxologische Dimension der Macht wirksam, die in der Neuzeit verschwunden zu sein schien, die aber in der heutigen Demokratie, die Guy Debord Gesellschaft des Spektakels nenne, in der akklamatorischen Gestalt des Konsenses wiederkehre. So könne man gegen Habermas "mit guten Argumenten" einwenden, dass er letztlich die politische Macht in die Hände der Medien gebe. Hier verlässt Agamben seine zweifellos faszinierende spekulative Philologie der Antike und des Mittelalters und argumentiert zunehmend pauschal und ungenau.

Heute leben wir tatsächlich in einer Gesellschaft der Akklamation, die aber keine wirkliche politische Partizipation zulässt. Sie ist vielmehr eine entpolitisierte Gesellschaft des Spektakels, in der es auch nicht mehr um politische Machtergreifung oder Herrschaft geht. Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die das gegenwärtige System über sich selbst hält, sein lobpreisender Monolog. Hier figuriert selbst die Regierungsgewalt, so Debord, als ein Pseudostar, der sich wie der Star des Konsums durch das passive Zuschauerpublikum akklamieren lässt. Die entpolitisierte Gesellschaft der Akklamation verdrängt zunehmend die kritische Öffentlichkeit, die es Jürgen Habermas zufolge zu verteidigen gilt. Darum ist Agambens Habermas-Interpretation sehr irreführend, denn Habermas grenzt die kommunikative Vernunft strikt von der Akklamation ab. In "Strukturwandel der Öffentlichkeit", worauf sich Agamben selbst bezieht, unterscheidet Habermas zwischen der "kritischen Öffentlichkeit" und der "zu Zwecken der Akklamation bloß hergestellten Öffentlichkeit".

Als Archäologe der Macht hat Agamben offensichtlich Mühe, die kommunikative Dimension der Demokratie zu begreifen, die diesseits der Herrschaft und Herrlichkeit angesiedelt ist. Als ganz falsch erweist sich auch die von ihm vermutete Nähe zwischen Schmitt und Habermas. Habermas kritisiert nämlich die Schmittsche Auffassung des Gesetzes als eines Willensausdrucks, dem das Moment des gewaltsam durchgesetzten Herrschaftsanspruchs innewohnt. Die kommunikative Vernunft distanziert sich gerade von diesem Willen und dem Herrschaftssubjekt. "Diskurse", so Habermas' Diktum, "herrschen nicht." Der Einwand, der gegen Habermas' Theorie der diskursiven Vernunft vorzubringen wäre, beträfe eher die von ihm geknüpfte Verbindung von "subjektlosen Kommunikationsformen" und kommunikativer Erzeugung der Macht. Die Macht setzt immer eine individuelle oder kollektive Subjektivität voraus. Die kommunikativ verflüssigte, subjektlose Diskursivität wäre somit frei von der Machtökonomie, die immer eine Ökonomie der Subjektivität und des Willens ist.

Die Demokratie ist zwar faktisch mit machtökonomischen Elementen durchsetzt, aber ihr wohnt unauslöschlich ein kommunikativer Kern inne, der es nicht zulässt, sie mit der Machtökonomie zusammenfallen zu lassen. Agamben ignoriert ganz den kommunikativen Kern der Demokratie und lässt diese in der medialen Herrlichkeit des Spektakels aufgehen. So verfehlt er abermals das Wesen der Demokratie und Kommunikation.

Politik ist für Agamben ihrem Wesen nach Gewalt. So politisiert sich das menschliche Leben "nur durch das Überlassensein an eine unbedingte Macht über den Tod", nämlich an die der Souveränität. Das Urphänomen der Politik ist, so steht es bereits in "Homo sacer", der Bann, der das nackte, tötbare Leben des Homo sacer erzeugt. Agamben ignoriert ganz die kommunikative Dimension der Politik. Sowohl die Politik als gouvernementale "Maschine" als auch die Sprache als linguistische "Maschine" produzieren Gewalt. Für Agamben ist die Repräsentation als solche Gewalt. Darin ist er heideggerischer als Heidegger. So ist die Rückkehr zur unmittelbaren Präsenz, zum paradiesischen Zustand der Unterscheidungslosigkeit seine messianische Erlösungsformel.

Agamben denkt undialektisch. Ihm fehlt die Geduld zur Dialektik. Foucault denkt wesentlich dialektischer als Agamben. Die "Maschine" ist, so würde er sagen, nicht nur repressiv, sondern auch produktiv. Die linguistische Maschine sondert gewiss das Nichtrepräsentierbare ab, aber sie produziert auch Sinn und Sinnvolles. Ohne die Sinnproduktion gäbe es nur ein sinnloses Stammeln, das Agamben aber als Zustand der Sprache nach dem Jüngsten Gericht darstellen würde. Die Engel der Kommunikation stammeln nicht. Politik ist auch Vermittlung und Kommunikation. Agambens Dämonisierung der Handlung und Entscheidung, ja des Tuns überhaupt, zerstört den Raum des Politischen. So mündet Agambens Genealogie der Herrlichkeit wieder in die Lobpreisung der Untätigkeit.

Trotz aller Einseitigkeit der Agambenschen Genealogie der Macht lässt seine wiederholte Beschwörung der vita contemplativa den Leser doch aufhorchen, vor allem angesichts der Hyperaktivität und des Imperativs der Arbeit und Leistung, das die heutige Gesellschaft beherrscht und das in seiner pathologischen Zuspitzung tatsächlich eine neue Form der Gewalt anzunehmen scheint. Die Opfer der Hyperaktivität, der Depression oder des Burn-Out-Syndroms wären ja tatsächlich moderne homines sacri. So wäre es an der Zeit, nicht nur weitere Engel der Kommunikation, sondern auch neue Engel der Kontemplation zu erfinden, und zwar jenseits der Ökonomie der Macht.

BYUNG-CHUL HAN

Giorgio Agamben: "Herrschaft und Herrlichkeit". Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung. Homo sacer II.2. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 368 S., br., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2010

Die zwei Körner des Phoenix
Überall lauert das theologische Erbe: Der italienische Philosoph Giorgio Agamben und sein neues Werk „Herrschaft und Herrlichkeit“
In dem vor gut acht Monaten erschienenen Roman „Axolotl Roadkill“ der jungen Berliner Autorin Helene Hegemann begegnet man folgendem Szenario: Eine weibliche Figur soll das Werk „Homo Sacer“ des italienischen Philosophen Giorgio Agamben (im Original 1995, deutsch 2002 publiziert) für einen Freund „systematisch strukturieren“. Mit der Lektüre des Buches fährt sie auch dann fort, als dieser Freund angefangen hat, die Leserin per Cunnilingus zu stimulieren.
Als die Autorin, durch Plagiats- und Pornographie-Vorwürfe zum Skandalthema geworden, am 11. Februar 2010 in der Fernsehshow von Harald Schmidt zu Gast war, entspann sich folgender Dialog. Schmidt: „Dann treffe ich, das hat mich natürlich besonders gefreut, auf Seite 47 ff. auf den Namen Giorgio Agamben. Was hast du für eine Beziehung zu ihm, wie findest du seine Werke?“ – Hegemann: „Du, ich hab kein einziges seiner Werke gelesen – ich kenne natürlich den Namen“ – „Das ist ein Philosoph . . .“ – „Ich weiß, ein italienischer.“ Dann erwähnt Harald Schmidt den „gemeinsamen Freund René“ (sc. Pollesch) und sagt: „Ich bin durch René auf Giorgio Agamben gekommen.“ – Hegemann: „Ich weiß, ich auch.“ – „Du kannst nicht sagen, was das Werk von Giorgio Agamben uns sagt?“ – „Du, also bitte nicht hier . . .“ – „(. . .) Er sieht die Welt als ein Lager, und man weiß nicht, ob er es gut oder schlecht findet. (. . .) Du hast es einfach reingeschrieben, weil du es von René her kanntest?“ – „Du, es steht in einem Zusammenhang, in dem das nur als Beispiel für komplexe theoretische Abhandlungen angeführt wird.“
In dieser extremen Weise – so erotisierend und zugleich so inhaltsleer – wirkt Giorgio Agamben nicht immer. Man sollte den originellen und sehr gelehrten Denker nicht für alle Arten seiner Rezeption verantwortlich machen. Und doch scheint es kein Zufall zu sein, dass das Werk Agambens in irgendwie vermittelter Form gerade in der Sphäre von Theater und zeitgenössischer Kunst so viel Anklang findet. Der erwähnte Regisseur und Dramatiker René Pollesch von der Berliner Volksbühne beruft sich in seinem impulsiven Diskurs- und Entfremdungstheater immer wieder auf Agamben; und Carl Hegemann, langjähriger Dramaturg an selber Stelle und Vater der Aufschnapperin Helene Hegemann, erklärte vor einigen Jahren bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit Giorgio Agamben diesen zum Meisterdenker der Sprechbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Ebenso oft wie in Theaterprogrammen wird der Name Agamben in Kunstkuratorentexten und auf Galerievernissagen aufgerufen.
Wie erklärt sich das? Es muss die Mischung sein. Agamben ist diffus zeit- und systemkritisch; sein Werk kennzeichnet eine rätselhafte Emphase der Widerständigkeit, die durch die Durcharbeitung alter abseitiger Quellen nur verstärkt wird; sein Habitus, sein theoretischer Ton und mitunter auch seine Themenwahl deuten auf ästhetische Relevanz. Vor allem aber werden diese Eigenschaften verbunden mit dem generellen Anspruch, in den Verhältnissen der Gegenwart Spuren eines verlorenen Gottes zu entdecken, genauer: fatale Fernwirkungen des abendländischen Nachdenkens über diesen Gott und seine Welt.
Dies führt bei Agamben immer wieder zu Feststellungen wie diesen: „Die Pornographie, die ihr eigenes Phantasma als unerreichbar bewahrt und es mit derselben Geste unansehbar nahe rückt, ist die eschatologische Form der Parodie.“ – „(Es) gehören die Fernsehspiele für die Massen zu einer neuen Liturgie und säkularisieren eine unbewusst religiöse Absicht.“ – „Den Gläubigen im Tempel (. . .) entsprechen heute die Touristen, die rastlos durch eine zum Museum verfremdete Welt reisen.“ Ein solcher Denker muss die heutigen darstellenden Künste in ihrer Konzeptualisierung besonders ansprechen. Denn sie, Theater und Kunst, haben es in ihrer Auseinandersetzung mit gegebenen, zu verfremdenden Stoffen und Bildern selbst mit einem ständigen Pingpong von Verzauberung und Entzauberung zu tun, von Epiphanie und Desillusionierung, von Kult und Kritik.
Im weiteren Zusammenhang trifft die Entdeckung sogenannter impliziter Theologie in der heutigen Politik- und Gesellschaftsordnung, wie sie Giorgio Agamben betreibt, nicht bloß im Kunstbetrieb, sondern überhaupt in den Kulturwissenschaften und in der Philosophie einen empfänglichen Nerv. Natürlich ist die Säkularisierung, sind die Transformationen und Transpositionen des Christentums in der modernen Welt überhaupt schon das große Diskussionsthema der Geisteswissenschaften des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gewesen – von Hegel über Max Weber und Carl Schmitt bis zu Karl Löwith und Hans Blumenberg, um nur diese zu nennen.
Aber die jüngeren Kulturwissenschaften suchen ebenfalls permanent das Numinose: Ob in der Gegenstandskultur, in den Sozialbeziehungen, in der Mode, in der Literatur, in der Mediengeschichte und Medientechnik oder eben auch in den Formen der Politik: Immer wieder wird ein Bann vermutet, ein im Verborgenen nachwirkender alter Glaube, ein Sakrales im Profanen; und es werden Analogien zwischen heutigen Phänomenen und alten Kulten und Dogmen ausgemacht, die aber partout nicht einfach Analogien sein dürfen, sondern durch Übergabe und Übernahme bis heute magisch wirksame Verbindungen sein sollen. Dieses Verfahren wird im Anschluss an Michel Foucault gerne „Archäologie“ genannt.
Da kommt ein Denker gerade recht, der wie Giorgio Agamben obskure oder auch nur obskur gewordene Theologoumena der abendländischen Tradition, unter Hinzuziehung der älteren Rechtsgeschichte, in kritischer Absicht reaktiviert. Mit dem inzwischen geradezu exotisch gewordenen Faszinosum der Theologie und Metaphysik arbeitet übrigens – neben Autoren wie Jean-Luc Nancy, Slavoj Zizek oder Alain Badiou – auch der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk. So greift dieser in seiner Sphären-Trilogie ausführlich auf die katholische Mariologie zurück, oder er führt beispielsweise in dem Buch „Zorn und Zeit“ (2006) aus, „dass die Globalisierung des Zorns eine ausgedehnte theologische Anfangsphase zu durchlaufen hatte, ehe sie in weltliche Regie übertragen wurde“.
Man könnte sagen: In Philosophie und Kulturwissenschaft sind theologische Ideengeschichte und religiöse Kategorien nicht peinlich, sondern eher chic – während im echten Leben „das religiöse Empfinden“, so Sloterdijk, „das eigentliche Pudendum der Moderne“ geworden ist. Schwindet hier die Kraft des Offenbarungsglaubens, so wird dort die Theologie als genealogischer Reizverstärker von Theorie-Gurus eingesetzt, die Paulus, Origines oder Irenäus zitieren und behaupten, damit die geheimen Grundlagen der Gegenwart erklären zu können. Das wirkt in Akademien und Kunsthochschulen umso stärker, je exotischer einem die eigene Tradition vorkommt. Für jedes moderne Phänomen einen kryptotheologischen Hintergrund zu vermuten, droht übrigens auch zu einem feuilletonistischen Generalschlüssel zu werden.
Nach solchem Rezept – das Giorgio Agamben in dem Band „Signatura rerum“ methodisch rechtfertigt – ist auch sein neues systematisches Werk verfertigt. Es erscheint in diesem Herbst neben kleineren Schriften und Essays und heißt „Herrschaft und Herrlichkeit“ (italienisch „Il Regno e la Gloria“, 2007). Das Buch ist eine Fortsetzung des „Homo Sacer“-Projekts. Hatte dieses zunächst den heutigen Menschen mit seinem „nackten Leben“ für vogelfrei erklärt und, Carl Schmitt von links interpretierend, einen faschistischen Ausnahmezustand als Normalzustand auch der westlichen Demokratien festgestellt (eine Theorie, die gut in die Guantanamo-Zeit der Jahre 2002 ff. passte), so geht es jetzt um die theologische Grundierung der „Regierungsmaschine“.
Gezeigt werden soll, dass der Bedarf an „Herrlichkeit“, also an Verherrlichung des herrschenden Gottes durch Engel und Gläubige, über die politische Theologie des Abendlandes auf die Machtverhältnisse im modernen Staat, gerade auch im demokratischen Staat, übergegangen sei. Der „doxologische Aspekt der Macht“ besteht laut Agamben darin, „dass gerade die Funktion der Akklamationen und der Herrlichkeit in ihrer modernen Gestalt, nämlich als öffentliche Meinung und Konsens, noch immer im Zentrum der politischen Dispositive der heutigen Demokratien stehen“.
Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Trinitätslehre und der Begriff der „Oikonomia“, also der Verwaltung der göttlichen Macht, in der Theologie der ersten christlichen Jahrhunderte. So schrieb der Kirchenvater Hippolyt: „Was die Potenz betrifft, ist Gott eins; was die oikonomia betrifft, tut er sich als dreifacher kund.“ Die Spaltung Gottes, also seine Hypostasierung in Vater, Sohn und Heiligen Geist, durfte die Ontologie des monotheistischen Gottes nicht auflösen. Um die Einheit Gottes zu bewahren, mussten daher sein Sein und sein Tun getrennt werden. Die göttliche Vorsehung wurde eng mit der „Ökonomie“, also der Verwaltung und Ausführung, verknüpft. Daraus ergibt sich die Trennung von Herrschaft und Regierung („Le roi règne, mais il governe pas“): Während der eher untätige Herrscher sich aus den Einzelheiten heraushält, wird die Regierung von „Vollzugsbeamten“ versehen: von Engeln, Kirche und Papst ebenso wie von Monarchen.
Es ist Allgemeingut, dass solches Denken die Vorgeschichte der modernen Idee der Gewaltenteilung und auch des „allgemeinen Willens“ bei Jean- Jacques Rousseau darstellt. Ebenso bekannt ist die Geschichte der Sakralisierung der weltlichen Herrschaft, wie sie etwa Percy Ernst Schramm in der dreibändigen Studie zu „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik“ (1954 bis 1956) oder Ernst Kantorowicz in der Untersuchung der „karolingischen politischen Theologie“ („Laudes Regiae“, 1946) beleuchtet haben. Dazu gehört etwa die Salbung von Königen nach biblischem Vorbild.
Agamben schreibt nun: „Mit der Unterscheidung zwischen souveräner Macht und legislativer Macht einerseits, Regierungs- und Exekutivgewalt andererseits übernimmt der moderne Staat die Doppelstruktur der theologischen Regierungsmaschine.“ Und: „Indem die Moderne Gott aus der Welt verbannt hat, ist sie nicht nur nicht der Theologie entkommen, sondern hat gleichsam nichts anderes gemacht, als das Projekt der providentiellen oikonomia zu vollenden.“
Wie aber der behauptete Transfer von göttlicher zu politisch-weltlicher Regierung im liberalen Verfassungsstaat genau funktioniert, und was eigentlich die heutige, als verhängnisvoll beklagte „ökonomische“ Weltregierung als „theologisches Erbe“ konkret ausmachen soll, darüber schweigt sich der Autor aus. Ebenso rätselhaft bleibt, warum „öffentliche Meinung“ in der Demokratie umstandslos mit „Akklamation“ und „Konsens“ gleichgesetzt werden kann – gilt das auch im Fall „Stuttgart 21“?
Das „archäologische“ Verfahren indes, wie Agamben es versteht, kann hier geradezu programmatisch Antworten schuldig bleiben: weil es sich weigert, zwischen Analogie, ideengeschichtlicher Entwicklung und realer politischer Wirkung zu unterscheiden. Und so endet ein kompliziertes, sehr gelehrtes und oft auch lehrreiches Werk in plattester Medien- und Demokratiekritik, ja Demokratiefeindlichkeit. Dies mag zum Teil einer verständlichen, spezifischen Frustration über Berlusconis Italien geschuldet sein, ist aber doch für den gewaltigen Aufwand (auch der Übersetzer übrigens) ein geringer Ertrag. Es ist undurchsichtig, warum diese Philosophie geeignet sein soll, wie Giorgio Agamben beansprucht, „einen Weg des Widerstands und der Wende zu weisen“. Doch gerade diese theologisch veredelte Undurchsichtigkeit ist, von seinen Wirkungen zu schließen, das Erfolgsgeheimnis. JOHAN SCHLOEMANN
GIORGIO AGAMBEN: Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung. (Homo Sacer II.2.) Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 361 Seiten, 20 Euro.
GIORGIO AGAMBEN: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides. (Homo Sacer II.3.) Aus dem Italienischen von Stefanie Günthner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 98 Seiten, 10 Euro.
GIORGIO AGAMBEN: Nacktheiten. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2010. 200 Seiten, 19,95 Euro.
GIORGIO AGAMBEN: Signatura rerum. Zur Methode. Aus dem Italienischen von Anton Schütz. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2009. 146 S., 14 Euro.
Schmidt: „Ich bin durch René
auf Agamben gekommen.“ –
Hegemann: „Ich weiß, ich auch.“
Das Faszinosum wirkt umso
stärker, je exotischer einem
die eigene Tradition vorkommt
Aus der christlichen Trinitätslehre (hier ein gebräuchliches Diagramm, das die Dreiheit und Einheit Gottes ausdrückt) leitet der in Venedig lehrende Giorgio Agamben (unten) seine Kritik an der „Regierungsmaschine“ ab.Fotos: oh, Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Byung-Chul Han hat Giorgio Agambens neues Buch mit Spannung gelesen, überzeugt ist er aber nicht. Agamben verbinde hier der Darstellung des Rezensenten zufolge seine Engelskunde mit einer "Theorie der Macht". Macht versteht Agamben offenbar ähnlich wie Herrschaft als Regierung aber auch "zeremonielles Königtum", erklärt Byung-Chul Han, und die Frage, die er stelle, sei: "Warum braucht die Macht die Herrlichkeit? Und wer gibt sie ihr? Die Verwalter der Herrlichkeit erkennt Agamben in den Medien, sie verteilen Aufmerksamkeit und Akklamation. Das aber sieht der Rezensent ganz anders, hier verstehe Agamben, der die Politik als Gewalt denke, das kommunikative Wesen der Demokratie nicht. Da hält er es lieber mit Jürgen Habermas, dem Agamben vorwerfe, die politische Macht in die Hände der Medien gegeben zu haben, obwohl dieser, meint Byung-Chul Han, in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" doch Vernunft und Akklamation sehr genau auseinanderhalte.

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