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"Der Blick muß gerichtet sein auf etwas, das verstört. Eine Klarheit, die unruhig macht, oder eine Dunkelheit, die man nur allzugut kennt und die man deshalb verschüttet hat", heißt es bei Johannes Jansen, der einem Zustand Erkenntnis abgewinnt, in dem Schlaf- und Wachtraum in eins fallen.
Die Halbschlaf-Texte sind außerordentlich genaue, unbestechliche Selbstbeobachtungen und Weltbefragung zugleich. Mit immer neu Anlauf nehmender Neugier und mit fragilem Selbstbewußtsein, "mit Angst und Zutrauen" trägt Jansen Gedankenpartikel zusammen, bis sie sich zu einem Bild fügen. Zu einem Bild…mehr

Produktbeschreibung
"Der Blick muß gerichtet sein auf etwas, das verstört. Eine Klarheit, die unruhig macht, oder eine Dunkelheit, die man nur allzugut kennt und die man deshalb verschüttet hat", heißt es bei Johannes Jansen, der einem Zustand Erkenntnis abgewinnt, in dem Schlaf- und Wachtraum in eins fallen.

Die Halbschlaf-Texte sind außerordentlich genaue, unbestechliche Selbstbeobachtungen und Weltbefragung zugleich. Mit immer neu Anlauf nehmender Neugier und mit fragilem Selbstbewußtsein, "mit Angst und Zutrauen" trägt Jansen Gedankenpartikel zusammen, bis sie sich zu einem Bild fügen. Zu einem Bild allerdings, das nicht endgültige Antworten parat zu halten vorgibt, sondern neue Fragen und Denkmöglichkeiten eröffnet. Nicht auf dem Feld der Gewißheiten, sondern auf unsicherem Terrain, das erst erforscht werden will. Denn: "Etwas muß fehlen, sonst geht die Sache nicht auf, und schon probiere ich einen Fehler aus."
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2005

Komm, küss die Zündung, ich bin dein Krieg
Wie dem Expressionismus in Pankow der Schrei abhanden kam: Ein Besuch bei dem Dichter Johannes Jansen
Der Dichter Johannes Jansen wohnt im Berliner Bezirk Pankow, hart an der Grenze zum Wedding, wo früher die Bruchstelle der Welthälften verlief. In dieser Ecke Berlins ist er - Jahrgang 1966 - aufgewachsen. Hier ist er bis heute geblieben. Von hier aus beobachtet er, wie die Welt um ihn herum sich verändert. Als „Randfigur” hat er sich selbst einmal in einem programmatischen Text bezeichnet. Die eigene Unzugehörigkeit ist seine prägende Erfahrung - in der DDR wie in den Jahren nach der Wende.
Aus seiner Wohnung im Hinterhaus blickt er auf einen Friedhof. Besucht man ihn hier, hat man das Gefühl, in der Dichterklause einer vergangenen Epoche zu Gast zu sein. Kein Computer steht auf dem Tisch. Internet- und Mailanschluss würden ihn nur stören. Zuviel Tempo, zu viele Bilder. Er beharrt auf Langsamkeit und sieht darin eine Tugend: Zeit haben als höchste Lebensqualität. Papier und Stifte liegen bereit, Bücherstapel. Aufgeschlagen ist Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts”. Der CD-Player spielt Klavierstücke von Robert Schumann. „Ich höre zur Zeit nichts anderes.”
Johannes Jansen war neunzehn Jahre alt, als er, wie jeder junge Mann seines Landes, zum Dienst in der Nationalen Volksarmee der DDR eingezogen wurde. Von November 1985 bis ins Frühjahr 1987 war er in Brandenburg stationiert. Was er dort erlebte, ist den Skizzenblättern und Notizzetteln abzulesen, die in dieser Zeit in der Kaserne entstanden. Der kleine Verlag Kookbooks hat sie als Sammlung einzelner Blätter in zwei Mappen so liebevoll faksimiliert, dass man sie fast für Originale halten könnte (Johannes Jansen: „Liebling, mach Lack!” Die Aufzeichnungen des Soldaten Jot Jot. Kookbooks, Idstein 2004,44 Euro).
Die Transskriptionen der teilweise schwer lesbaren Notizen gibt es dazu in Buchform. Den Titel „Liebling, mach Lack!” übernahm Jansen aus dem Armee-Jargon: „Das bedeutete so viel wie schneller machen, Stress machen, sich beeilen, noch schneller fertig zu werden. So sprachen die Offiziere oder die Feldwebel zu ihren Soldaten: Nu macht mal Lack hier. Der Witz daran ist, dass der Lack im normalen Volksmund eher mit dem Geld zusammengebracht wird, und ich fand das ganz lustig, wenn beide Inhalte zusammenkommen.”
Die Nachtruhe der Meldegruppe
Jansen erzählt keine konkreten Erlebnisse. Seine Blätter ergeben kein Armee-Tagebuch, aber doch ein entschiedenes Anti-Kriegs-Buch. Das gelingt allein dadurch, dass er Stimmungen festhält und die Zumutungen des Kasernenlebens zeichnerisch und sprachlich so lange bearbeitet, bis sie aushaltbar geworden sind. Chaotisch sind diese Blätter, wild und böse. Als Material dienen die gebrüllten Kommandos,die alltägliche Gewalt, die unterdrückte und roh ausbrechende Sexualität, die Langeweile. Soldaten erscheinen als Totenköpfe mit Helm oder Gasmaske. Wie Sterbende liegen sie in ihren Stockbetten, versehen mit der Überschrift „Meldegruppe/Nachtruhe”. Auf verschiedenen Blättern taucht der Satz auf: „Komm, küss die Zündung, ich bin dein Krieg”. Jansen erprobt die Wortkombinationen, die er gefunden hat, immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen. Einer dieser Sätze enthält schon sein ganzes poetisches Programm: „Die Reise im Kopf zur Zeit der Gefangenschaft entzieht den Dingen die Farbe.” Darum geht es: Die Wirklichkeit wird so weit abgedämmt und in Kunst verwandelt, dass sie nicht mehr allzu grell in den Ohren dröhnt: die Stille als Utopie.
Das Papier, das er benutzte, stammte aus einem NVA-Fahrtenbuch mit den Rubriken „Absendestelle”, „Meldung”, „Abgegangen”, „Angekommen”. Auf diesem bürokratisch-militärischen Territorium lässt er seine expressive Kunst geradezu explodieren. Es ist, als erobere er ein feindliches Gelände für sich. Auf radikale Weise behauptet sich ein Subjekt mit eigenem Ausdruckswillen in einer Welt, in der Subjektivität eigentlich nicht vorgesehen ist. Das ging so lange gut, bis Jansen im Sommer 1986 bei einer Ausstellung nicht-offizieller DDR-Zeitschriften in Berlin lesen wollte. Er besorgte sich einen Urlaubsschein, wurde aber, als er die Kaserne verließ, kontrolliert und kam in Arrest. Dass seine Bilder und Texte alles andere als staatstragend waren, ließ sich nicht übersehen. Zwei Herren von der Staatssicherheit verhörten ihn, gaben ihm aber schließlich sein Material zurück - mit der unzumutbaren Auflage, es niemandem zu zeigen.
Als Widerständler möchte Jansen sich dennoch nicht bezeichnen. „Sich im Nachhinein zu einer Art Opfer zu stilisieren, halte ich für vollkommen schwachsinnig”, sagt er, und zündet sich die nächste Zigarette an. „Ich hatte den Impuls, mich gegen das Umfeld zur Wehr zu setzen, aber ich habe erst bei dieser Geschichte mit der Stasi und der Beschlagnahmung des Materials mitbekommen, dass das gefährlich ist, was ich da gemacht habe, was mir zuvor nicht bewusst war, zumal ich auch nicht gestört worden bin. Ich habe da auf der Stube gesessen mit den anderen Soldaten und eben gekritzelt, und die haben dann mal geguckt und ihre Kritik abgegeben. Aber da war nie ein Offizier, der gesagt hätte, nun hören Sie mal auf damit. Ich konnte frei arbeiten. Das ging.”
Jansen erscheint auf diesen Blättern als „der Soldat Jotjot”. Unter zwei kleine Passfotos, auf denen er in Uniform zu sehen ist, hat er geschrieben: „Die Situation eines Mannes im Käfig, eine Momentaufnahme über Jahre.” Das lässt sich auf die äußere Situation des Militärs ebenso beziehen, wie auf die biographische Phase des Aufbruchs, der Ungewissheit, der künstlerischen Richtungssuche des Neunzehnjährigen. Jansen war damals geprägt durch die Szene am Prenzlauer Berg und beschäftigte sich mit dem Expressionismus. Als gelernter Graveur und Graphiker hatte er sich noch nicht zwischen Zeichnen und Schreiben entschieden. Der expressive Schrei dominiert als Gebärde diese frühen Arbeiten.
Ein ganz anderer Ton prägt seine neue Prosa (Johannes Jansen: Halbschlaf. Tag Nacht Gedanken. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004, 7 Euro). Diese Texte signalisieren eine demonstrative Ruhe und die Konzentration aufs eigene, gefährdete Ich. Den Stimmungswechsel erklärt Jansen als Reaktion auf die jeweilige Gesellschaft, mit der er sich auseinanderzusetzen hat: „Die DDR war ja eine tote Hose. Da war ja nichts los. Das war ein ausgetrocknetes Landstück. Um gegen diese Leere zu revoltieren, hat man einen ungeheuren Krach veranstaltet. Ich habe 1988/89 Texte gemacht, die ein ungeheures Tempo hatten. Richtige Schimpfkanonaden. Das war die Reaktion auf die Leere. Und dann kam dieser Kulturschock Westen, auf einmal diese Welle mit den ungeheuren Reizen. Da wurden meine Texte plötzlich ganz langsam, sehr viel verhaltener, genauer und durchdacht. Insofern dokumentiert die Entwicklung von „Liebling, mach Lack!” bis zu „Halbschlaf” den Werdegang eines Bewusstseins innerhalb dieser zwangsläufig sich vermischenden Landschaft.”
Die Kunst, zum Bäcker zu gehen
„Halbschlaf” besteht aus kurzen Prosafragmenten. Man könnte sie als Aphorismen bezeichnen. Allerdings verkünden sie keine kalendertauglichen Wahrheiten. Die Verzweiflung taugt nicht als heroische Geste. Der Zweifel ist nicht zuletzt auf sich selbst anzuwenden. Und auch die erstrebte Gelassenheit hält nur einen Augenblick. Jansen umkreist das eigene Ich und seine Befindlichkeit. Das hat rein gar nichts mit Popliteratur oder eitler Selbstinszenierung zu tun. Er leistet Seelenarbeit, lotet die Tiefenverhältnisse der Existenz aus, gerät dabei aber unentwegt ins Taumeln.
Nach der Wende arbeitete Johannes Jansen mit behinderten Kindern und in der Altenpflege, um die sozialen Ränder der Gesellschaft kennenzulernen. Auf den Militärdienst in der DDR folgte der Sozialdienst im Westen. Heute meint er, die Zeit bei der NVA habe ihn in gewisser Weise auf das vorbereitet, was später auf ihn zukam. Die Armee-Erfahrung gab ihm die Ausdauer, um durchzuhalten.
Nicht die großen Zusammenhänge hat er dabei im Blick, sondern die alltäglichen Lebens- und Bewusstseinszustände, die es zu verzeichnen gilt. Jansen verwandelt das Leben in einen künstlerischen Akt. Das ist seine Kunst. „Man geht eine Straße entlang und in jedem Gesicht sieht man eine ganze Welt. Das ist ja eigentlich das, was Poesie ausmacht. Ich bin neulich gefragt worden, ob das etwas mit Politik zu tun hätte, was ich da mache. Ich sagte: Nein, es geht um Poesie. Um Poesie als Haltung. Es gibt ein wunderschönes Manifest von H.C. Artmann aus den 50er Jahren über den poetischen Akt. Das Verrückte ist ja, wenn ich hier mal zum Bäcker gehe, ist das bereits ein poetischer Akt. Er ist eigentlich ganz leicht zu praktizieren. Letztendlich kann das jeder machen. Bei Joseph Beuys hieß es: Jeder Mensch ein Künstler. Plötzlich kriegt das alles wieder eine Bedeutung.”
Johannes Jansen ist ein Dichter, der leise spricht und darauf hofft, dass im allgemeinen Getöse das Flüstern hörbar wird. Auch sechzehn Jahre nach seiner ersten Publikation - einem noch in der DDR in der Reihe „Poesiealbum” erschienenen Lyrikband - bleibt er noch zu entdecken, obwohl er in der Zwischenzeit so manchen Preis erhalten hat. In seinen beiden neuen Büchern kann man ihn am Ausgangspunkt und in der Gegenwart seiner künstlerischen Arbeit beobachten. In „Halbschlaf” drückt er das so aus: „Am besten man wäre ein Standphoto und würde in scheinbar entspannter Haltung ungerührt die bekannten Geschwindigkeiten an sich vorbeiziehen lassen, mit einem stoischen Zug und gewappnet für die Ewigkeit.”
JÖRG MAGENAU
Der Dichter und die Stehlampe: Johannes Jansen in seiner Wohnung in Berlin-Pankow
Foto: Timm Cölln, Kookbooks
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2004

Im Kasernenlaboratorium
Brutstätte NVA: Zwei Bücher von Johannes Jansen

Am 25. Juni 1986 flog Johannes Jansen auf. Um an einer Lesung in einer Ost-Berliner Kirche teilnehmen zu können, hatte der angehende Schriftsteller, der damals seine Dienstzeit in der Nationalen Volksarmee bei der Panzerinfanterie verbrachte, die Einladung eines FDJ-Jugendklubs gefälscht. Vor der Ausstellung des Urlaubsscheins wurde indes noch einmal seine Tasche kontrolliert, und darin fand der Sicherheitsoffizier die Skizzen des Soldaten Jot Jot, wie Jansen sich selbst in seinen Notizen nannte. Auf Transparentpapier oder Dienstformularen gezeichnet, erblickte der Verbindungsmann zur Stasi allegorische Darstellungen des Armeedaseins, aber auch sehr konkrete Dokumentationen des Truppenlebens: Aufenthalte im Krankenquartier zum Beispiel, Duschszenen, Verletzungen im Einsatz - also das, was eine Armee nicht gerne aus den Kasernen herausdringen läßt, schon gar nicht die NVA; dazu ergänzt um Texte, die alles mögliche verrieten, aber ganz gewiß keinen angepaßten uniformen Charakter.

Jansen wurde vorübergehend in Haft genommen, seine Aufzeichnungen natürlich beschlagnahmt. Doch schon im Arrest füllte er neue Blätter, die zu den ergreifendsten des ganzen Konvoluts zählen - und zu den auch literarisch eindrucksvollsten. Atemlos, ohne Punkt und Komma wird da am 26. Juni die fiktive Adressatin angeschrieben: "Marionetta (Herzensdame) sie haben mir alles genommen gestern lange nach vier Marionetta Dein Bild war unter den Bildern Dein Brief war unter den Briefen Marionetta (Herzensdame) Sie haben mir alles genommen gestern wollte ich eine Reise machen da haben sie mir die Füße abgeschnitten mitsamt den Schuhen daß ich nicht mehr fortgehen konnte aus dem gehege ins nächste zu Dir Marionetta Du wartest auf mich und ich liege rücklings meine leblosen Füße in der Hand und schweige und staune was wir aushalten gelernt haben".

Staunen muß man auch, was Jansen in seiner NVA-Zeit schreiben gelernt hat. Im Kasernenlaboratorium hat er an seiner Sprache gefeilt, immer wieder variiert er einzelne Formulierungen, setzt sie in neue Kontexte, illustriert sie neu, obwohl bestimmte Bildmotive wie der an eine Schießscheibe erinnernde Irrgarten oder die grotesk verformten Köpfe der Soldaten sich ständig wiederholen. In der Sammlung aus zwei erhaltenen Skizzensammlungen und mehreren Einzelblättern ist ein Künstler am Werk, der anfangs noch nicht weiß, ob der Graphiker oder der Dichter das letzte Wort behalten wird. Diesen harmonischen Streit einer Doppelbegabung mit sich selbst kann man nun in einer vorbildlich edierten Faksimileausgabe bestaunen, die nicht nur in aufwendiger Manier die teilweise zusammenmontierten und übermalten Skizzenblätter versammelt, die Jansen schon vor der Enttarnung als Künstler an seine Mutter gesandt oder später gerettet hatte, sondern dieses Material auch ergänzt um die Transkription der bisweilen schwerleserlichen Aufzeichnungen und ein hochinteressantes Gespräch mit dem Autor.

Dennoch bleiben genug Rätsel für den Leser zu lösen. Bis man etwa weiß, daß Mita und Felix zwei Ratten sind, an die sich Jansen bisweilen wendet oder denen Hommagen gewidmet werden. Oder wie wohl Jansen seinerzeit in den Besitz einer F.A.Z. gekommen ist, aus der er einen Artikel für eine Montage verwendet hat. Und mehr als alles andere: warum Jansen so glimpflich davongekommen ist. Etliche seiner Blätter dürften auf die Armeeoberen unerträglich subversiv gewirkt haben.

Am Ende jedenfalls, als Jansen Anfang 1987 seine zweijährige Dienstzeit abgeleistet hat, ist es der Schriftsteller, der über den Zeichner triumphiert hat. Dennoch ist Jansens Neugier auf Zeichnung oder Fotomontage bis heute lebendig geblieben. Das zeigt auch die jüngste Publikation des Achtunddreißigjährigen, der dünne Band "Halbschlaf", der gerade in der Edition Suhrkamp erschienen ist. Darin finden sich zwölf Illustrationen von Simon Wasmuth, die in simpelster Computergraphik einen Regenschauer in dessen Verlauf vom ersten Getröpfel über Platzregen bis zum wieder abklingenden Niederschlag zeigen. Die Ruhe dieser japanisch angehauchten Darstellung ähnelt jener der Notate Jansens, die diesmal nicht als "Aufzeichnungen" gekennzeichnet sind, obwohl sie die Form seiner früheren Bücher gewahrt haben. Diese Kürzesttexte stehen auf einer Schwelle wie der gesamte künstlerische Werdegang Jansens: "Entdeckung oder Erfindung, welches ist dein Handwerk, welches dein Denkweg? Wenn beides zeitgleich geschieht, auf der Rast vielleicht oder im Halbschlaf, dann hast du den Punkt, der dich weitertreibt, immer einmal um die Gesamtheit, die du zunehmend als Einheit begreifst, je mehr dir die Einzelheiten bewußt sind. Die Zersplitterung ist ja nur berechnende Einfalt." Das ist das poetologische Programm der traumwandlerischen Texte und des Prinzips ihrer Komposition.

Bestimmte Wörter dringen in dieses traumverlorene Schreiben wie Sensen ein: der "alte Trottel" etwa, der genau wie der "Idiot" gleich zwei Auftritte hat, die mit ihrer Begriffswahl aus dem ruhigen Klang des Ganzen herausfallen. "Jonglieren" und "Balance" sind weitere, nun aber im Tonfall wohlig dunkel gestimmte Zentralbegriffe, die das Überschreiten der Grenzen zwischen Wachen und Schlafen mehr anklingen lassen, als daß sie es schilderten. Johannes Jansen ist von der schrillen Expressivität seiner an Trakl und Borchert geschulten frühen Texte und der diesen darin nicht nachstehenden Bilder weitergezogen zu einer sich selbst versichernden Prosa, die immer noch poetische Ansprüche erfüllt, ohne die Formgesetze der Gattung mehr erfüllen zu müssen. Der Denkweg hierhin war auch der Emanzipationsweg eines Schriftstellers, der zu den bemerkenswerten Stimmen seiner Generation gehört.

ANDREAS PLATTHAUS

Johannes Jansen: "Liebling, mach Lack!" Die Aufzeichnungen des Soldaten Jot Jot. Kook Books, Idstein 2004. 96 S., Abb., br., dazu zwei faksimilierte Skizzenmappen, zusammen im Schuber 44,- [Euro].

Johannes Jansen: "Halbschlaf". Tag Nacht Gedanken. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 85 S., 12 Abb., br., 7,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nach einem Besuch bei Johannes Jansen beschreibt uns Jörg Magenau den Dichter als jemanden, der gegen das allgemeine Getöse anflüstert. In seinem Porträt preist der eingenommene Rezensent auch zwei Bücher Jansens: "Halbschlaf" versammelt kurze Prosafragmente, die Magenau fast als Aphorismen zu bezeichnen versucht ist, wobei diese Wahrheiten, wie er betont, keinesfalls kalendertauglich sind. In ihnen herrscht der Zweifel, vor allem an sich selbst. Jansen umkreise das eigene Ich und dessen Befindlichkeit, nie selbstgewiss, sondern taumelnd, beschreibt Magenau die Prosa und lobt abschließend: "Jansen verwandelt das Leben in einen künstlerischen Akt. Das ist seine Kunst."

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