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Soundcultures diskutiert zentrale Aspekte elektronischer und digitaler Musik, die in den letzten Jahren an den Rändern von Techno, Neuer Musik und Kunstmusik entstanden ist. In der Vielzahl von Veröffentlichungen zu den Themen Neue Medien, Medientechnologie und -theorie ist das Feld des Musikalischen fast vollständig ausgespart worden. Die Autoren aus den Bereichen Soziologie, Medientheorie, Musikwissenschaft, Philosophie, Informatik und Kunstwissenschaft schließen diese Lücke und bringen elektronische und digitale Musik in einen Dialog mit aktuellen Theorieansätzen. Dem Buch ist eine CD mit…mehr

Produktbeschreibung
Soundcultures diskutiert zentrale Aspekte elektronischer und digitaler Musik, die in den letzten Jahren an den Rändern von Techno, Neuer Musik und Kunstmusik entstanden ist. In der Vielzahl von Veröffentlichungen zu den Themen Neue Medien, Medientechnologie und -theorie ist das Feld des Musikalischen fast vollständig ausgespart worden. Die Autoren aus den Bereichen Soziologie, Medientheorie, Musikwissenschaft, Philosophie, Informatik und Kunstwissenschaft schließen diese Lücke und bringen elektronische und digitale Musik in einen Dialog mit aktuellen Theorieansätzen.
Dem Buch ist eine CD mit Kompositionen der Künstler des Frankfurter Electronic Labels Mille Plateaux beigefügt, die die Diskurse in Klangwelten überführt.
Autorenporträt
Dr. phil. Marcus S. Kleiner lehrt Medien- und Kulturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Fachhochschule Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medien- und Kulturwissenschaft, Kommunikationsguerilla, Widerstandskulturen, Popkultur und Poststrukturalismus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2004

Die Mühen der Hochebene
Über allen Gipfeln: Clicks, Cuts und elektronische Avantgarde
Der seltsame Hang, das eigene Tun, die eigenen Vorlieben theoretisch zu unterfüttern, hat mittlerweile eine gewisse Tradition in der Popmusik, vor allem in der elektronischen Musik und der so genannten DJ Culture. Dass man aber einem Plattenlabel gleich den Namen eines philosophischen Hauptwerks gibt, mag vielleicht doch als etwas pedantisch erscheinen. Dem Label „Mille Plateaux”, benannt nach dem Hauptwerk von Gilles Deleuze und Felix Guattari, hat man die kleine Hochstapelei indes nicht übel genommen, weil dessen Veröffentlichungen, die auch unter dem etwas sprechenderen Titel „Clicks & Cuts” gehandelt werden, meist von recht ansprechender Qualität waren.
Doch wenn Labelgründer Achim Szepanski seine Stimme erhob, reizte das durchaus zum Naserümpfen. Wie in den populären Theorien des Internets war auch für ihn die Verführung allzu groß, die anverwandelten Metaphern für die Sache selbst zu halten. Begriffe wie Netzwerk, Immanenz, Rhizom und organloser Körper drängen sich umso mehr auf, wenn es um das geheimnisvolle Werk der Musik geht. Das Hurra der Netztheorie ist mit dem Platzen der Dotcom-Blase allerdings stiller geworden, und die elektronische Dancemusik hat sich derart in Sackgassen festgefahren, dass selbst die Wiederentdeckung der Gitarre als willkommene Neuerung begrüßt wird.
Es kommt also ein wenig zur Unzeit, wenn nun mit dem Suhrkampband „Soundcultures” der Crossover zum bürgerlichen Lager gesucht wird. Die Herausgeber, Mille-Plateaux-Gründer Szepanski und der Kultursoziologe Marcus S. Kleiner, wollen die zweifellos vorhandene musikalische Lücke der neueren Medientheorie schließen, und wenn man die peinliche Einleitung schnell überblättert, kann man in den recht unterschiedlichen Beiträgen einige Anregungen finden. Zur akustischen Erschließung findet sich beiliegend eine Mini-CD mit Schnipseln aus dem Back-Katalog des Mille-Plateaux-Labels.
Körper des Übergangs
Wie Musik zu einem „organlosen Körper” werde, fragt sich Christoph Cox unter Verwendung eines prominenten Begriffs aus den Tausend Plateaus. Diesen Körper muss man sich in Deleuzeschem Sinne vorstellen als das fluide Reich der Teilchen und Kräfte, ungeformt und unorganisiert – als „Anti-Produktion” gewissermaßen und doch zugleich als Aufzeichnungsfläche, auf der wir erst produzierend tätig sein können. Die große Symphonie als „Apotheose der klassischen Komposition” sei das Paradebeispiel eines rigide organisierten Körpers, so glaubt Cox, während im letzten Jahrhundert alle bedeutenden Bereiche westlicher Musik der Tendenz zum organlosen Körper unterworfen seien. Wenn sich die Adepten französischer Philosophie doch nicht nur deren schöne Wörter, sondern auch die darin verborgenen Gedanken ausleihen würden!
Das bei Deleuze und Guattari nur angedeutete Konzept von Musik als organlosem Körper weiter zu denken, würde sich lohnen. Auf dem Wege einer neuen großen Geschichtserzählung bleibt das aber klumpfüßig und tut der filigranen Deleuze-Welt einige Gewalt an. Da macht sich Cox doch recht schamlos am organlosen Körper der Musikgeschichte zu schaffen. Das allgemeine Anliegen ist der Anschluss an die alte Avantgarde von Cage, Varèse, Feldman und Co. . Die experimentelle Elektronika der „Clicks & Cuts”, so der Dünkel, hat das Staffelholz der musikalischen Avantgarde übernommen.
Das liest sich wie die Emphase eines Aufbruchs, der längst keiner mehr ist. Demgegenüber gibt Musiker und „Kulturinformatiker” Rolf Großmann der Sache einen eher nüchternen Ausdruck: „Clicks & Cuts”, so glaubt er, ist eine Musik des Medienübergangs. In Anlehnung an „McLuhan, Schneewittchen und ZEN” entwirft er die Spiegelstadien der Medienevolution: Eine frühe Phase des Spiegelbildes der Realität; die zweite Phase des sprechenden Spiegels, in der dieser ein Eigenleben zu führen beginnt („the medium is the message” usw.); schließlich die Phase des leeren Spiegels, in der das Medium aus dem Zentrum kultureller Praxis ausscheidet.
Die erste Phase prägt eine Ästhetik des Experiments, in der zweiten verschwindet das Medium selbst aus der Wahrnehmung, während es in der dritten Phase in Konkurrenz zu neueren Medien erst wieder sichtbar wird. Angenommen, wir stehen am Anfang der digitalen Ära, dann sind die Clicks & Cuts schon Teil deren erster Spiegelphase und in ihrer experimentellen Aneignung digitaler Basisprinzipien tatsächlich avantgardeähnlich. In ihren Techniken aber, dem „cut, copy and paste”, sind sie noch Teil der dritten Phase des Analogzeitalters.
Als Produkt des Medienübergangs, und das ist vielleicht der schönste Befund von Großmann, schafft die experimentelle Elektronika etwas nur in dieser Situation Mögliches, nämlich „Distanz und gleichzeitig Nähe zum Mediendispositiv vermitteln, ein nicht rein affirmatives aber dennoch sinnliches Erfahren von Medienmechanismen”. Wer die Musik des Mille-Plateux-Labels kennt, wird darin eine zu treffende Beschreibung ihrer Wirkung erkennen.
SEBASTIAN HANDKE
MARCUS S. KLEINER / ACHIM SZEPANSKI (HRSG.): Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 240 Seiten mit Audio-CD, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein wenig zu hochtrabend mutet Rezensent Sebastian Handke dieser von Achim Szepanski und Marcus S. Kleiner herausgegebene Suhrkampband an, der versucht, DJ Culture und elektronische Musik mit Hilfe von Gilles Deleuze und Felix Guattari theoretisch zu adeln. Das Ergebnis hält Handke nicht immer für überzeugend. So seufzt er etwa über den Beitrag von Christoph Cox, der unter Verwendung eines prominenten Begriffs aus den "Tausend Plateaus" von Deleuze und Guattari ausführt, wie Musik zu einem "organlosen Körper" wird: "Wenn sich die Adepten französischer Philosophie doch nicht nur deren schöne Wörter, sondern auch die darin verborgenen Gedanken ausleihen würden!" Dabei findet er das bei Deleuze und Guattari angedeutete Konzept von Musik als organlosem Körper durchaus bedenkenswert. Das allgemeine Anliegen des Bandes sieht Handke im Anschluss der elektronischen Musik an die alte Avantgarde von Cage, Varèse, Feldman und Co. Die Auffassung der Autoren aber, die experimentelle Elektronika der "Clicks & Cuts" habe das Staffelholz der musikalischen Avantgarde übernommen, erscheint Handke etwas dünkelhaft - zumal sich die elektronische Dancemusik momentan in Sackgassen festgefahren habe.

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