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Produktdetails
  • edition suhrkamp 2207
  • Verlag: Suhrkamp
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 409
  • Deutsch
  • Abmessung: 19mm x 107mm x 176mm
  • Gewicht: 252g
  • ISBN-13: 9783518122075
  • ISBN-10: 351812207X
  • Artikelnr.: 08943474
Autorenporträt
Stephan Leibfried, geb. 1944, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, Leitung des Sonderforschungsbereichs »Staatlichkeit im Wandel«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2002

Nebenprodukt
Verachtet den Sozialstaat nicht,
fordern Leibfried und Rieger
Vor ein paar Jahren identifizierte der Münchner Soziologe Ulrich Beck einen „Denkvirus”, der Politik, Unternehmen und Medien gleichermaßen befallen habe: „Nicht dass man wirtschaftlich handeln muss, ist sein Glaubenssatz, sondern dass alle und alles dem Primat des Ökonomischen zu unterwerfen sind.” Tatsächlich ist die Wirtschaftlichkeit längst zum universalen Prüfstein geworden, auf dem Staaten und Regierungen kritisiert werden und globale Unternehmen über Investitionen und Wohlfahrt der Staaten entscheiden.
Es scheint als hätten sich Politik und Wirtschaft auf einen Konsens verständigt, wonach sich der Staat den Forderungen der Unternehmen anzupassen habe – um im Konkurrenzkampf mit anderen Staaten nicht zu unterliegen. Damit ist besonders der Sozialstaat in Verruf geraten, der durch hohen Zusatzkosten zum Standortnachteil wird. Dieser bequemen Ansicht widersprechen Elmar Rieger und Stephan Leibfried im vorliegenden Buch. Mit Hilfe einer Fülle empirischer Daten zeigen die Professoren der Universität Bremen, dass die Annahme einer einfachen Abhängigkeit der Staaten von einer globalen Wirtschaft so nicht länger haltbar ist.
Die Globalisierung ist für die Autoren lediglich ein „zufälliges Nebenprodukt” der wohlfahrtsdemokratischen Revolution, die zudem eine bereits bekannte „handelspolitische Norm” nur mit einem neuen Namen versehen hat. Anhand des Anteils von Import und Export am Bruttoinlandsprodukt rechnen sie vor, dass westliche Industriestaaten bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in einem Ausmaß in den Weltmarkt integriert waren, das sich durchaus mit dem Umfang der heutigen „Globalisierung” vergleichen lasse.
Gefahr für die Globalisierung
Als Grundlage dieser weltwirtschaftlichen Integration oder Globalisierung identifizieren sie den Sozialstaat, der seinen Bürgern ein gewisses Maß an Sicherheit garantiert – unabhängig von den Schwankungen der wirtschaftlichen Entwicklung. Was den Staat im Gegenzug vor der Unzufriedenheit seiner Bürger schützt und so die Öffnung des Binnenmarktes erlaubt: „Erst der Ausbau des Wohlfahrtsstaates in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versetzte die Regierungen der am meisten fortgeschrittenen Industriegesellschaften in die Lage, Importschranken zu senken, zu moderieren oder ganz aufzuheben”, schreiben sie. Aus diesem Grund „war und ist das Schicksal der Globalisierung innenpolitisch bestimmt.”
Eine Aussage, die man als Schlüsselsatz der Untersuchung verstehen muss, ermöglicht sie doch einen Paradigmenwechsel: dass Staaten nicht nur Spielbälle sondern Akteure der globalen Wirtschaft sind. Nach Erkenntnis der Autoren ist es die nationale Handelspolitik, die über Freihandel oder Protektionismus entscheidet – und damit über die Zukunft der Globalisierung. Dass Freihandel vorteilhafter als Protektionismus ist, wurde zwar in der Wirtschaftstheorie selten bezweifelt. „Aus der Überlegenheit der Freihandelsdoktrin folgte aber, wie die Geschichte regelmäßig zeigt, nur selten die entsprechende Praxis”, schreiben sie. Der „Vorteil” des Protektionismus lag darin, dass er vor den Gefahren für die heimische Wirtschaft schützte, die eine Öffnung des Binnenmarktes mit sich bringen kann. Die Importkonkurrenz ist stets auch mit potenziell negativen Folgen für die Löhne, die Verteilung der Einkommen, die Struktur der Industrie und die Arbeitsplätze und damit auch den Bestand der jeweiligen Regierung verbunden. Das Ideal des Freihandels konnte darum, so die Folgerung von Rieger und Leibfried, erst mit dem Ausbau des Sozialstaates verwirklicht werden.
Und damit erscheint der Sozialstaat nicht länger als Hindernis sondern vielmehr als Funktionsbedingung der Welthandelsgesellschaft. „Schaut man sich die wohlfahrtsstaatlichen Ausgangspunkte und Grundlagen der Globalisierung genauer an, dann wird deutlich, dass weniger der Wohlfahrtsstaat als die Globalisierung gefährdet ist.” Mit anderen Worten: die Globalisierung ist von der Politik abhängig und kein unumkehrbarer Prozess. Solange die Gründe für eine sozialstaatliche Intervention bestehen bleiben sei eine Abkehr vom Freihandel denkbar. Schließlich sind es die Bürger, die über Wieder- oder Abwahl der nationalen Regierungen entscheiden. Auch in einer globalisierten Weltwirtschaftsordnung sind die Regierungen „einer nationalen Wählerschaft und damit den Mitgliedern eines exklusiven Verbandes” verantwortlich. Und in der Demokratie sind Arbeitsplätze der beherrschende Gesichtspunkt jeder Politik: „In den Augen der Regierungen – und der Masse der Wähler – ist ,Freihandel‘ nur eine Instrument unter anderen, um wesentlich wohlfahrtsstaatliche Ziele zu erreichen.”
Die Anhänger der Globalisierungs-These vom Ende des Staates wird die Untersuchung von Rieger und Leibfried überraschen und verstören – so wie ihre Schlussfolgerung: „Es kann durchaus der Fall eintreten, dass der Preis, der für einen marktliberalen Umbau der Sozialpolitik zu entrichten ist, ein verstärkter außenwirtschaftlicher Protektionismus sein wird.” Den beiden Wissenschaftlern ist ein provokantes und darum wichtiges Buch gelungen. ANDREAS BOCK
ELMAR RIEGER, STEPHAN LEIBFRIED: Grundlagen der Globalisierung. Perspektiven des Wohlfahrtsstaates. edition suhrkamp, Frankfurt/Main 2001. 416 Seiten, 14 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wer meint, Globalisierung funktioniere nur, wenn der Staat in wirtschaftliche Prozesse möglichst wenig eingreift und wer denkt, der Sozialstaat steht diesen Prozessen entgegen, den wird das Buch der Bremer Professoren Elmar Rieger und Stephan Leibfried gründlich irritieren, ist Andreas Bock überzeugt. Empirisch fundiert legen die Autoren dar, dass globalisiertes Handeln vor dem Ersten Weltkrieg begann und seine Möglichkeiten und Handelsspielräume sozialstaatlichen Strukturen verdankt, zeigt sich der Rezensent überrascht. Für Bock legen die Autoren mit diesem Band einen grundlegenden Paradigmenwechsel vor. Anstatt den Sozialstaat zugunsten einer freien Wirtschaft abzubauen, müsse diese erkennen, dass sie ihre Grundlagen eben jenem "Störfaktor" verdankt. Das "provokante" und "wichtige" Buch kann der Rezensent nur jedem empfehlen, den Neoliberalen genauso wie den Kritikern der Globalisierung.

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