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Bereits mit dem Titel seiner Vorlesungen verdeutlicht Rolf Hochhuth, gegen welche These er sich wendet. Völlig unzutreffend ist für ihn die Behauptung Friedrich Nietzsches, die Tragödie sei dem Geist der Musik entsprungen. Denn, so legt er dar, Politik und Krieg bilden den Ursprung der Dichtung. Entstehung, Uraufführung und Verbot des ersten Dramas aus den neunziger Jahren des 5. Jahrhunderts wurden ausgelöst durch eine politische Katastrophe - die Zerstörung der kleinasiatischen Stadt Milet. Aber es gilt auch der Satz: Das Drama, in seinen vollendetsten Ausprägungen, zeigt nicht nur Politik,…mehr

Produktbeschreibung
Bereits mit dem Titel seiner Vorlesungen verdeutlicht Rolf Hochhuth, gegen welche These er sich wendet. Völlig unzutreffend ist für ihn die Behauptung Friedrich Nietzsches, die Tragödie sei dem Geist der Musik entsprungen. Denn, so legt er dar, Politik und Krieg bilden den Ursprung der Dichtung. Entstehung, Uraufführung und Verbot des ersten Dramas aus den neunziger Jahren des 5. Jahrhunderts wurden ausgelöst durch eine politische Katastrophe - die Zerstörung der kleinasiatischen Stadt Milet. Aber es gilt auch der Satz: Das Drama, in seinen vollendetsten Ausprägungen, zeigt nicht nur Politik, sondern macht auch Politik. Diese Thesen belegt Rolf Hochhuth mittels eines Streifzugs durch die ganze Dramengeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Autorenporträt
Hochhuth, RolfRolf Hochhuth, am 1. April 1931 in Eschwege geboren, arbeitete zuerst im Buchhandel und veröffentlichte ab 1961 Dramen, Gedichte und Erzählungen. Er prägte maßgeblich das Genre des Dokumentartheaters. Am 13. Mai 2020 starb Rolf Hochhuth in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2001

Literatur
Krieg ist der Vater
Hochhuths Frankfurter Vorlesung
über die Geburt der Tragödie
Rolf Hochhuths Frankfurter Poetikvorlesung zum Thema „Die Geburt der Tragödie aus dem Krieg” zeigt den Autor als Homo politicus, der eine klare, prägnante, bildhafte Prosa schreibt. Krieg, so seine These, war der Ursprung des Dramas, und politische Gründe führten zum ersten (dokumentierten) Verbot eines Theaterstücks: Der athenische Tragiker Phrynichos wurde um 492 zu einer Geldstrafe von tausend Drachmen verurteilt. Die Gesellschaft verzieh es ihm nicht, dass Phrynichos in „Der Fall von Milet” „vaterländisches Unglück” auf die Bühne gebracht hatte; das Urteil erzwang die „damnatio memoriae”, die Vernichtung seiner Aufzeichnungen.
Kein Wort davon bei Nietzsche, kein Gedanke an diesen frühen Konnex von Literatur und Politik in seiner Tragödienschrift. Nicht Musik war also der Ursprung der Tragödie, sondern Politik, und Hochhuth weiß eine ganze Reihe weiterer Argumente für seine These anzuführen. „Politik problematisiert, Musik moderiert”, lautet eines der schlagendsten, und er führt dessen Überzeugungskraft bis zu Hitler vor, der die Oper liebte, doch den „Tell” verbieten ließ. Die Macht der Beispiele, die Hochhuth aufbietet, die Erregung über den Ungeist nach 1945, der schließlich seine eigenen Arbeiten provozierte („Juristen”, „Eine Liebe in Deutschland”, „Die Hebamme”), das Verhältnis von Demokratisierung, Kultur- und Subventionspolitik und dem Wagemut des Autors, der sich ein Mindestmaß an Freiheit erkämpfen muss – all dies zusammen zeugt vom Konflikt als produktivem Potential, als der Grundvoraussetzung großen Theaters.
Im dritten und vierten Teil seiner Vorlesungsreihe durchkämmt Hochhuth Memoiren, Tagebücher und Briefe nach Belegen für seine These, dass man auch der Demokratie mit Skepsis begegnen müsse, weil sie selbst den besten, unabhängigsten Bürger vom politischen Fetischdienst nicht freistellt. (Suhrkamp Verlag, 308 Seiten, 23,90 Mark)
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SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2002

Gegen das Getriebe, für das Rad!
Essenz im Nebensatz: Rolf Hochhuths gesammelte Texte

Den Namen Rolf Hochhuths habe ich zum erstenmal von Ernst Jünger gehört. Der zeigte mir eine Anthologie, in der Hochhuth seine Erzählung "Die Eberjagd" abgedruckt hatte. "Sehen Sie", meinte Jünger zu mir, "der hat Mut, der druckt mich" - da war Jünger noch nicht Mode und wurde von manchem, der ihn später als Solitär lobte, noch als mindestens erzreaktionär beschimpft. Das war 1961. Hochhuth hatte sich damals auch als Herausgeber von Friedrich Schnack und Otto Flake verdient gemacht, den er als seinen Lehrmeister bezeichnete.

Als Autor hatte Hochhuth auch den üblichen Erstlingsroman auf autobiographischer Grundlage versucht, ihn jedoch nicht veröffentlicht. Was verwunderlich erscheint angesichts der Schreib- und Veröffentlichungslust dieses Autors, dessen Werke in immer neuen Zusammenstellungen und Ausgaben erscheinen. Allein im letzten Jahr sind über zweieinhalbtausend Seiten Hochhuth erschienen. Neu davon sind seine Frankfurter Poetikvorlesungen - aber was heißt schon neu bei Hochhuth? Auch in diesen Vorlesungen ("Die Geburt der Tragödie aus dem Krieg") begegnet man Schritt auf Tritt den alten Bekannten: Jacob Burckhardt, Theodor Mommsen und Golo Mann, Goethe und Schiller, Churchill und Napoleon, Hitler und natürlich Nietzsche. Von ihm, der so gegen das Übliche philosophierte, wie Hochhuth gegen das Angewöhnte schreibt, nahm er den Titel und variiert ihn frei nach Clausewitz.

In seiner zweiten Vorlesung erklärt er freilich die "Geburt des Dramas aus der Politik" mit den Intentionen des Regisseurs Erwin Piscator. Hochhuth macht kaum einen Unterschied zwischen Essay und Rede. Beide wirken atemlos, sind voller nebensächlicher Fakten, und die exkursiven Blasenbildungen in seinen Texten sind enorm. Auch zitiert er ausgiebig und mit Lust und vor allem immer wieder sich selbst. Und seine Leser begegnen ständig nicht nur alten Bekannten, sondern auch alten Argumenten. Ausgeprägt schließlich ist seine Manie, alles und jedes mit Motti zu begrüßen - es gibt Gedichte, die sind kürzer als die Galerie der Motti, die ihnen vorstehen. Aber dennoch liest man ihn gern: Denn Hochhuth erzählt, auch wenn er über komplizierte Zusammenhänge berichtet, manchmal sogar mitreißend; und gewiß hat seine durchgängige Redundanz auch etwas mit Wiedererkennungseffekten beim Lesen zu tun - man fühlt sich schließlich wohl im gewohnten Gelände.

Doch dieses Gelände ist hochgradig vermint. Kein deutscher Schriftsteller hat mit seiner Literatur so viele brisante Themen so wirkungsvoll in Szene gesetzt wie Rolf Hochhuth. Berühmt wurde er, als Erwin Piscator 1963 Hochhuths "christliches Trauerspiel" "Der Stellvertreter" inszenierte. Es illustrierte die These von der, milde gesagt, kalten Haltung des Papstes Pius XII. gegenüber der Bedrohung des europäischen Judentums durch die deutschen Nazis vor seiner Tür. Wirkung erzielte Hochhuth auch, als er 1965 im "Spiegel" den Essay "Der Klassenkampf ist nicht zu Ende" veröffentlichte, in dem er den Kanzler Erhard attackierte, weil der gegen einen von Georg Leber, damals noch Gewerkschaftsführer, propagierten Fonds zur Vermögensbildung für Arbeiter mobilisiert hatte. Dieser Essay trug Hochhuth von Erhard, der "keine Lust" hatte, sich "mit Herrn Hochhuth über Wirtschafts- und Sozialpolitik zu unterhalten", jenes sprichwörtlich gewordene Verdikt ein: "Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an."

Der nächste Skandal kam zwei Jahre später mit Hochhuths Stück "Soldaten", in dem er nicht nur Churchills Luftkrieg auf deutsche Städte verurteilte, sondern dem englischen Kriegspremier auch die Schuld am Tode des polnischen Exilpremierministers Sikorski zusprach, weil der seine mit Stalin ausgehandelte Kriegspolitik störte. Hochhuth wurde wegen des Stücks in Abwesenheit von einem englischen Gericht wegen Verunglimpfung Churchills zu einer immens hohen Geldstrafe verurteilt, weshalb Hochhuth auch heute noch im britischen Fahndungsbuch steht.

Danach freilich verpufften die Skandalisierungseffekte der inzwischen über ein Dutzend Stücke Hochhuths. Keines mehr war von so durchschlagender Brisanz - und von literarischem Innovationswert ohnehin nicht. Hochhuths Theater ist ja nicht wegen seiner Form interessant, die traditionell ist und durch unzählige dokumentarische Beigaben aufgebläht, sondern allemal wegen seiner Thesen und Themen.

Themen, die Hochhuth an die Seele gehen, Thesen, für die er kämpft, verpackte er auch in erzählenden Texten und Gedichten. Eines seiner schönsten Prosastücke, das Hochhuths menschlichen und literarischen Impuls am genauesten zeigt, ist die Erzählung "Berliner Antigone" von 1965, in der Hochhuth das antike Drama um Kreon und Antigone unters Naziregime verlegt: Anne hat die Leiche ihres Bruders Bodo aus der Berliner Anatomie gestohlen und menschenwürdig bestattet. Der wurde hingerichtet, weil er, als Schwerverwundeter dem Kessel von Stalingrad entkommen, dem "Führer" die Schuld an der Niederlage von Stalingrad gegeben hat. Keine Gewalt kann Anne dazu bringen, das Grab ihres Bruders preiszugeben. Am Ende wird auch sie hingerichtet.

Leopold Ahlsen, der daraus ein Fernsehstück gemacht hat, merkte an, daß Hochhuths erzählende Kunst darin bestehe, daß er alles, was zu sagen sei, im Grunde in "beiläufigen Nebensätzen" mitteile, "wodurch dieser Eindruck von Fülle bei gleichzeitiger äußerster Kargheit zustande kommt". Das trifft Hochhuths erzählende Arbeiten, wo sie denn gelingen, sehr genau. Zum Beispiel auch jene lange Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" (1978) von der im "Dritten Reich" verbotenen Liebe einer Deutschen mit einem polnischen "Fremdarbeiter" und ihrem tödlichen Ende, die beiläufig einen "furchtbaren ,Juristen'" erwähnt, der noch nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazigesetzen verfolgt habe. Als der "furchtbare Jurist", seinerzeit Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sich von dieser "Nebenbemerkung" zu Recht getroffen fühlte und dagegen klagte, schaute man gründlicher nach; und Filbinger mußte gehen. Si tacuisses . . .

Hochhuth liebt die Dramatisierung oder Literarisierung wahrer Geschichten. Darin geht es immer um einzelne: um historische Figuren wie Pius XII., Churchill, Hemingway; oder um jene, die von der Geschichte vergessen wurden, obgleich, was sie taten, mehr als erinnerungs-, nämlich gedenkwürdig ist. Dieses Gedenken holt Hochhuth nach. An jenen im Licht zeigt er die Schattenseiten; die im Schatten holt er ins Licht: schon im "Stellvertreter" den SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, der die katholische Kirche über den Judenmord informierte, damit der Papst Hitler mäßige; den Johann Georg Elser, der Hitler 1939 im "Bürgerbräu" in die Luft sprengen, oder den Schweizer Maurice Bavaud, der Hitler erschießen wollte - beide wurden von den Nazischergen ermordet; oder Erich Maria Remarques tapfere Schwester, die den Nazis Geisel wurde; oder den Basler Kantonspolizeichef Paul Grüninger, der einige tausend jüdische Flüchtlinge illegal in die Schweiz einreisen ließ und rettete und deshalb 1941 aus dem Dienst entlassen und dem noch 1970 (!) ausdrücklich die Pensionsberechtigung abgesprochen wurde.

Auch dem britischen Mathematiker Alan Turing hat er 1987 in einer Erzählung Gerechtigkeit widerfahren lassen: Der knackte für die Briten im Zweiten Weltkrieg den deutschen Code "Enigma" und nahm sich 1954, wegen seiner Homosexualität vor Gericht gebracht, das Leben. Das sind Hochhuths würdige Helden, nicht nur seiner dramatisierten oder erzählten Geschichten, sondern als einzelne auch Schwungräder der Geschichte. Darum hatte sich Hochhuth ja seinerzeit auch mit Adorno gestritten, über dessen Satz: "Die Nichtigkeit, die das Konzentrationslager den Subjekten demonstrierte, ereilt bereits die Form von Subjektivität selber. Der subjektiven Betrachtung . . . haftet ein Sentimentales und Anachronistisches an." Und gekontert mit der Empörung: "Weil also in den KZs Menschen bis zur totalen Entwürdigung zu Nummern entpersonalisiert worden sind, wurde das Nichts, die Nichtigkeit, zu denen man sie machte, diese ,Subjekte', auch zur Forderung an die Kunst, den Menschen, den einzelnen, aus ihr zu verbannen, ihn nicht mehr gelten zu lassen!"

Was man auch aufblättert in Hochhuths Werk, man wird darin stets jene "immerwährende Fürsorge für den Einzelnen" wahrnehmen, die er bei seinem Lehrer Burckhardt gefunden hat, und immer wieder wird er sich empören über jene, die wie Marx und Engels behauptet haben, "daß . . . angeblich der Einzelne nichts mehr bewirke, folglich auch nicht mehr haftbar sei, sondern nur mehr der Hampelmann sogenannter ,gesellschaftlicher Bedingtheiten'".

Schaut man sich freilich unsere Welt an, dann fragt man sich, ob nicht doch die Soziologen recht behalten gegen den Einzelkämpfer Hochhuth. Sein Werk ist vielgestaltig und mit Blick auf die literarische Qualität wahrlich zerklüftet - da finden sich neben großartigen Passagen langatmige, manch Abseitiges, aber nie Abstruses, vielfach Erhellendes, oft witzig Polemisches, und das in vielen Formen: epischen, dramatischen, rhetorischen, und alles durchsetzt von Gedichten, die für Hochhuth freilich weniger Lyrik als "geformtes Tagebuch" sind. Rolf Hochhuth ist in der deutschen Literatur wie das Salz an der Suppe. Gäbe es ihn nicht - man müßte ihn erfinden.

HEINZ LUDWIG ARNOLD

Rolf Hochhuth: "Alle Erzählungen, Gedichte und Romane". Mit einem Nachwort von Albert von Schirnding. Herausgegeben von Hans Georg Heepe. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 1643 S., geb., 34,90 [Euro].

Rolf Hochhuth: "Die Geburt der Tragödie aus dem Krieg". Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 307 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Neues von Rolf Hochhuth? Heinz Ludwig Arnold ist skeptisch: "Was heißt schon neu bei Hochhuth?" Auf Schritt und Tritt, schreibt er, begegnen einem die alten Themen des Autors: Burckhardt, Mommsen, Goethe, Schiller, Churchill und Napoleon. Und alles, ob Rede oder Essay, wirkt "atemlos", ist "voller nebensächlicher Fakten" und "exkursiver Blasenbildungen". Dass Arnold ihn dennoch gern liest, den Hochhuth und seine Frankfurter Vorlesungen, liegt daran, dass er "erzählt, auch wenn er über komplizierte Zusammenhänge berichtet, manchmal sogar mitreißend". Die Fragwürdigkeit der bei Hochhuth allgegenwärtigen Apologie des Einzelnen (die Arnold von der Soziologie attackiert sieht) macht der Autor wett durch "vielfach Erhellendes, oft witzig Polemisches". Gäbe es diesen Autor nicht, so der Rezensent abschließend, man müsste ihn erfinden.

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