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Von den Bedingungen, unter denen Menschen im Europa der Frühen Neuzeit Reisen unternahmen, haben wir heute kaum eine Vorstellung. Alte Reiseberichte übergehen meist Beschreibungen der Straßenzustände, die Unbequemlichkeit der Kutschen, die Trostlosigkeit durchquerter Landstriche - obwohl vor allem solche Umstände den Reisealltag ausmachten. Antoni Maczak lässt die Erfahrung des Unterwegsseins zwischen 1500 und 1700 lebendig werden. Er zeigt, warum man reiste, was man sich vom Reisen erhoffte und wie man durchs Reisen verändert wurde. Probleme wie die Gefahr von Kutschenunfällen, die mühsame…mehr

Produktbeschreibung
Von den Bedingungen, unter denen Menschen im Europa der Frühen Neuzeit Reisen unternahmen, haben wir heute kaum eine Vorstellung. Alte Reiseberichte übergehen meist Beschreibungen der Straßenzustände, die Unbequemlichkeit der Kutschen, die Trostlosigkeit durchquerter Landstriche - obwohl vor allem solche Umstände den Reisealltag ausmachten. Antoni Maczak lässt die Erfahrung des Unterwegsseins zwischen 1500 und 1700 lebendig werden. Er zeigt, warum man reiste, was man sich vom Reisen erhoffte und wie man durchs Reisen verändert wurde. Probleme wie die Gefahr von Kutschenunfällen, die mühsame Suche nach erträglichen Herbergen oder zuverlässigen Begleitern geraten in den Blick. Wir hören von widrigem Wetter und Gelände, wilden Tieren, marodierenden Soldaten und Wegelagerern. Uns begegnen lästige Bettgenossen und eilfertige Gastwirte, zweideutige Reisebekanntschaften und strenge Zollkontrolleure. All dies verbindet der Autor mit farbigen Porträts verschiedener Typen von Reisenden - von Bischöfen und Gesandten mit prächtigem Gefolge bis zum einsamen Pilger oder Gelehrten, der sich aus Wissendurst und Fernweh auf den Weg macht.
Autorenporträt
Antoni Ma?czak (1928-2003) war Professor und Direktor des Historischen Instituts der Universität Warschau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2017

Wo bitte geht's hier zum Raritätenkabinett?
Zu Wasser und zu Lande: Antoni Maczak erzählt von der europäischen Reisekultur der frühen Neuzeit

Wenn es um Geld ging, wurde es schnell kompliziert für einen Reisenden, der vor vier- oder fünfhundert Jahren in Europa unterwegs war. Es galt, eine Vielzahl von Währungen zu kennen und nicht nur den Wert fremder Münzen zu vergleichen, sondern auch zu wissen, ob es denn überhaupt gültige Stücke waren. Aufschlussreich sind Beispielsätze aus alten Wörterbüchern: "Diese französische Krone ist zu leicht" oder "Diese flandrische Krone ist nicht mehr gültig". Manche Nachschlagewerke für Reisende verzeichneten die Beschwerden in sechs verschiedenen Sprachen, erfährt man in Antoni Maczaks Buch über "Reisekultur im Alten Europa".

Antoni Maczak (1928 bis 2003) war Professor für Geschichte an der Universität Warschau und wirkte als international anerkannter Frühneuzeitforscher weit über Polen hinaus. Die polnische Ausgabe seiner quellengesättigten Darstellung erschien 1978, die englische etablierte sich als Grundlagenwerk der Reisegeschichte. Nun liegt zum ersten Mal eine deutsche Ausgabe dieses Klassikers vor.

Am interessantesten sind für Maczak zwar Berichte von Wanderern, weil sie Land und Leute besonders gut kennenlernten. Aber er beschreibt auch die Organisation des Pferdeverleihs und die historischen Einwände gegen Kutschen, durch die Männer angeblich verweichlichten und ihre ritterlichen Tugenden verloren. Während Flussfahrten sicherer waren, mussten Reisende zu Lande mit Überfällen rechnen. Wenn sie schließlich in der Herberge eintrafen, erwarteten sie je nach Land sehr unterschiedliche Zustände. In polnischen Unterkünften soll es an allem gefehlt haben, man brachte seine Lebensmittel besser selbst mit. Hingegen wurden englische Herbergen in Reiseberichten, gelobt, "auch in denen, die nicht von Engländern stammen".

Neben Genehmigungen zur Aus- und Einreise zählten Gesundheitszeugnisse zu den Papieren, die Reisende vorzuweisen hatten, vor allem in Italien, wo die venezianischen Behörden dafür "prächtige Vordrucke" benutzten, in die nur noch Datum, Name und Nationalität einzutragen waren. Solche Bescheinigungen sollten der Ausbreitung von Seuchen vorbeugen. Übertrieben wirken die Sorgen, die ein italienischer Arzt in seinem Buch zur Erhaltung der Gesundheit auf Reisen formulierte: Wer all seine Empfehlungen "für Erholung, Schlaf und geruhsames Speisen einhielt, dem blieb kaum Zeit zum (gemächlichen!) Reisen".

Der Sexualität widmet Maczak ein eigenes Kapitel, versehen mit dem Rat, es zu überblättern, falls man dabei ein Glöckchen höre, wie es einst in deutschen Gaststuben erklang, wenn sich ein Gast beleidigt fühlte und einen Themenwechsel wünschte.

Reisende sollten damals nicht zuletzt in die Fremde ziehen, um sich zu vervollkommnen. Dem erbaulichen Anspruch stellt Maczak ein bodenständigeres Motiv gegenüber, das ihm bei vielen Reisenden begegnet: die unverhohlene Reiselust. Was wollten sie also sehen? Wer die Größe einer Stadt beurteilen wollte, stieg auf Türme von Kirchen oder Rathäusern. Raritätenkabinette mit ihren naturkundlichen Sammlungen und alchemistischen Wundern wurden gern besucht.

Auch auf großes Interesse stießen mechanische Apparate, von Waffen schwenkenden Puppen bis zu Uhren, die Bewegungen der Himmelskörper anzeigten. Die Wertschätzung für Reliquien hing naturgemäß von der Konfession der Reisenden ab. Bei der Kunstbetrachtung wurde hauptsächlich darauf geachtet, wie kostbar das Material der Gegenstände war. Und für manchen lag der Reiz der Reise nicht zuletzt im Bücherkauf, bevorzugt in Frankfurt am Main mit seiner Messe.

Als Maczak auf Reisen selbst Vergleichsmethoden suchte, um die Größe eines Orts zu messen, fand er "nichts Besseres als seinerzeit Sir Thomas Hoby", merkt er in der Einleitung an. Man erwartet deshalb, im Kapitel "Maße und Vergleiche" etwas zu Hoby zu lesen, doch dort wird er nicht erwähnt - jedenfalls nicht in der deutschen Übersetzung, die Lücken aufweist.

Das Nachwort schildert den langwierigen Weg von einer Rohübersetzung aus der DDR bis zu diesem Band, der um fehlende Abschnitte ergänzt worden sei. Gegenüber dem polnischen Original und der englischen Übersetzung ist die deutsche Ausgabe aber mehr als hundert Seiten kürzer. Ganze Unterkapitel sind verschwunden. So begrüßenswert die deutsche Ausgabe ist, eine vollständige Fassung wäre dem Rang des Autors und der Bedeutung seines Buchs angemessen gewesen.

THORSTEN GRÄBE

Antoni Maczak: "Eine

Kutsche ist wie eine

Straßendirne". Reisekultur im Alten Europa.

Aus dem Polnischen von Reinhard Fischer und Peter O. Loew. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017. 238 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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