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Hitler und die NSDAP zählten Fritz Gerlich (1883-1934), den Chefredakteur der Wochenzeitung »Der gerade Weg« in München, zu ihren schärfsten Gegnern. Er wurde bereits am 9. März 1933 verhaftet und am 1. Juli 1934 im KZ Dachau ermordet.Fritz Gerlich gehörte zu den frühen Stimmen der Weimarer Republik, die vor Hitler und dem Nationalsozialismus warn-ten. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, erfährt der streitbare und meinungsstarke Publizist nun durch den Historiker Rudolf Morsey auf der Grundlage von Gerlichs Nachlass eine umfassende Würdigung. Dabei verlief Gerlichs Weg gegen den…mehr

Produktbeschreibung
Hitler und die NSDAP zählten Fritz Gerlich (1883-1934), den Chefredakteur der Wochenzeitung »Der gerade Weg« in München, zu ihren schärfsten Gegnern. Er wurde bereits am 9. März 1933 verhaftet und am 1. Juli 1934 im KZ Dachau ermordet.Fritz Gerlich gehörte zu den frühen Stimmen der Weimarer Republik, die vor Hitler und dem Nationalsozialismus warn-ten. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, erfährt der streitbare und meinungsstarke Publizist nun durch den Historiker Rudolf Morsey auf der Grundlage von Gerlichs Nachlass eine umfassende Würdigung. Dabei verlief Gerlichs Weg gegen den »Hitlerbolschewismus« keineswegs so gradlinig, wie es der Titel seiner Zeitung »Der gerade Weg« suggeriert: Als Hauptschriftleiter der »Münchner Neuesten Nachrichten« unterstützte er kurzzeitig die NSDAP. 1927 veränderten Begegnungen mit der Mystikerin Therese Neumann aus Konnersreuth sein Leben. Sie gipfelten in der Konversion des Calvinisten zum überzeugten Katholiken. 1930 wurde Fritz Gerlich zum entschiedenen Gegner Hitlers, was ihn bereits 1934 das Leben kostete.
Autorenporträt
Rudolf Morsey ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. 2010 veröffentlichte er bei Schöningh bereits die Edition »Fritz Gerlich - ein Publizist gegen Hitler. Briefe und Akten 1930-1934«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2016

Nicht versagen, Resl fragen!
Ein früher Warner vor dem Nationalsozialismus: Fritz Gerlich vertraute auf sein "himmlisches Auskunftsbüro"

Hitler hasste ihn, attackierte ihn in Reden, weil Fritz Gerlich schon Mitte der zwanziger Jahren vor dem "Führer" und dem Nationalsozialismus warnte. Nun legt Rudolf Morsey, der 89 Jahre alte erstklassige Historiker mit einem Faible auch für zweitrangige Akteure, eine mustergültige, äußerst präzise und hochinteressante Biographie über den 1883 in Stettin geborenen promovierten Mediävisten vor.

Gerlich bekam Ende 1911 eine Stelle am Geheimen Staatsarchiv in München. Nebenher publizierte er über "Geschichte und Theorie des Kapitalismus", die Entente-Mächte, "Volkswirtschaft und Politik", "Freihandel, Schutzzoll und Friede" und "Kirche und Staat". Aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst befreit, scheiterte er 1916 mit seiner Absicht, sich für Volkswirtschaftslehre zu habilitieren. 1917 ließ er sich vom Archivdienst beurlauben, weil er in Forst-Akten Unterlagen über die Gewinnung von Ersatzfetten entdeckt hatte. Experimentell wollte er sich mit der "Verwandlung von Waldabfällen in tierisches Fett und Eiweiß mit Hilfe der verschiedenen Arten des Heerwurms" befassen, was sich als Riesenpleite erwies.

Durch die Novemberrevolution 1918 änderten sich für den Verfechter weitreichender Kriegsziele, der sich der Deutschen Vaterlandspartei angeschlossen hatte, die Koordinaten. Jetzt trat er der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei bei, gründete den "Landesverband der Beamten bayerischer Anstalten für Wissenschaft und Kunst" im Rahmen des "Bayerischen Beamten- und Lehrerbundes" und vertrat aktiv die Belange der Staatsdiener gegen Kurt Eisner und die Räterepublik. Der "Redner gegen den Kommunismus" setzte sich im Frühjahr 1919 vorübergehend ins Fränkische ab, warb auch für "Volkswehren", um München wieder von den "Roten" zu befreien.

Anfang Mai kehrte Gerlich nicht in den Archivdienst zurück, sondern übernahm eine politische Funktion, ohne dafür seine Beamtenstelle aufgeben zu müssen. Er engagierte sich im halbstaatlichen, von der Schwerindustrie finanzierten "Heimatdienst Bayern für Ordnung, Recht und Aufbau", pflegte Kontakte zu völkischen Kreisen, geriet aber auch ins Visier von Dietrich Eckart. In dessen Zeitschrift "Auf gut Deutsch" erschien der Artikel "Gerson Ehrlich?", um ihn laut Morsey "wegen vermeintlich jüdischer Herkunft unglaubwürdig zu machen". 1920 verfehlte Gerlich das angestrebte Mandat für die DDP im Bayerischen Landtag und im Reichstag. Dafür fiel er durch sein Buch "Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich" auf, so dass die Besitzer der liberalen "Münchner Neuesten Nachrichten" (MNN) den "Marxistentöter" zum Chefredakteur bestellten.

Damals rechnete Gerlich den aufstrebenden NSDAP-Star Hitler noch zu den Kommunisten. Erstmalig persönlich traf er ihn im Februar 1923, als es um eine Allianz der "Vaterländischen Verbände" mit der NSDAP ging. Das Gespräch blieb ohne Ergebnis. In einer späteren Aufzeichnung konnte sich Gerlich kaum an das "unlogisch konfuse Geschwätz" Hitlers erinnern. "Der Chefredakteur überging seine damalige Sympathie für dessen Obstruktionspolitik in diesen Wochen und berichtete nichts über den Inhalt dieses Gesprächs wie auch den der beiden weiteren Treffen", bemerkt der Biograph. Im Mai rechnete er damit, dass das "Hitler-Problem" bald gelöst sein werde, stand auf der Seite des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr, telefonierte mit General a. D. Erich Ludendorff. Eine Zäsur stellte der Hitler-Ludendorff-Putsch am 8./9. November 1923 dar, als der NSDAP-Chef im "Bürgerbräukeller" vorpreschte und Kahr sich anschließend von ihm distanzierte. Als der Demonstrationszug Hitlers am frühen Nachmittag des 9. Novembers an der Feldherrnhalle blutig zusammenbrach, wechselte Gerlich ohne Übergang auf die Gegenseite. Umgehend bezichtigte er Hitler des "Ehrenwortbruchs", verurteilte dessen Putschversuch als "eine der größten Verrätereien an der deutschen Geschichte und der deutschen Einheit" und feierte Kahr als "Retter des Vaterlandes". Später unterstützte er die von Heinrich Held (Bayerische Volkspartei) geführte Landesregierung, die wohlwollend Gerlichs 1925 auslaufende Beurlaubung aus dem Archivdienst für drei Jahre verlängerte.

Mit der Regierung Held strebte er eine föderalistische Reform der Reichsverfassung an; Verständnis hatte er für Gustav Stresemanns gemäßigt revisionistische Verständigungspolitik; vehement lehnte er den Antisemitismus der NSDAP ab. Eine Ehekrise und gesundheitliche Probleme wollte Gerlich im Frühjahr und Frühsommer 1927 durch Kuren in Garmisch-Partenkirchen und in Bad Wörishofen beheben. Zurück in München erlebte er "eine innere Umkehr, die seinem Leben eine neue Richtung und neuen Inhalt gab". Den "Schwindel" um Therese Neumann wollte der "kirchenferne Calvinist" entlarven: Durch die 29 Jahre alte Tochter eines Schneidermeisters - "seit dem Vorjahr, nach unerklärlicher Heilung von Blindheit und Lähmung, mit den Wundmalen Christi stigmatisiert" - spreche vornehmlich an Freitagen "in Ekstase" der "Heiland selbst", hieß es damals. Der Publizist verfiel im September 1927 bei mehrfachem Besuchen in Konnersreuth vollkommen dem "Wunder" aus der Oberpfalz, von dem er sich Informationen versprach: "Sie erfolgten nach den Visionen Therese Neumanns, wenn sie noch nicht wieder das volle Bewusstsein erlangt hatte", erläutert Morsey. Im "erhobenen Ruhezustand" habe "Resl" Fragen zu privaten und beruflichen Lebensumständen beantwortet, ohne sich anschließend daran erinnern zu können. "Ihre Auskünfte wurden von den Petenten jeweils weder hinterfragt noch diskutiert." Sie wurde - wie Gerlich meinte - zu seinem "himmlischen Auskunftsbüro", veränderte seine Lebens- und Denkweise. Dies führte zu Spannungen mit den Eigentümern der MNN, die unzufrieden mit dem Chefredakteur waren, weil er von deren antirepublikanischen Grundpositionen abrückte. An seinem 45. Geburtstag schied er Mitte Februar 1928 aus der Redaktion aus und kehrte, von den MNN fürstlich abgefunden, in den Archivdienst zurück, mit Hilfe des Ministerpräsidenten Held und des Kardinals Michael von Faulhaber. Ende 1929 veröffentlichte Gerlich ein zweibändiges Werk über "Glaubwürdigkeit" und Leben von Therese Neumann, das sogar Papst Pius XI. gefallen haben soll. Und weil die "Resl" Gerlich sagte, dass er "im Innern eigentlich schon katholisch" sei, erfolgte am 29. September 1931 im Kapuzinerkloster in Eichstätt in Anwesenheit seiner Ehefrau und seiner Himmels-Beraterin Neumann die Konversion; Faulhaber erteilte am 9. November in seiner Hauskapelle die Firmung.

Durch einen hochadeligen Mäzen gefördert, konnte Gerlich Ende 1930 die Zeitung "Illustrierter Sonntag", die er in "Der gerade Weg" umbenannte, kaufen und betreiben: wieder als Nebentätigkeit für den Staatsarchivrat I. Klasse. Er warnte vor Hitler in einer aggressiven und sarkastischen Sprache, titelte mit "Hat Hitler Mongolenblut?" oder "Sperrt den Führer ein!", fand jedoch insgesamt mit seinen Artikeln nur ein begrenztes Echo. Im August 1932 kam es zu einem mehrwöchigen Verbot des "Geraden Weges" und zu einem Dienststrafverfahren gegen Gerlich wegen "Beschimpfung" des Staatsoberhauptes und "Verächtlichmachung" von Reichsministern. Dass er sich auch dubioser Informanten bediente und deren Material ohne Überprüfung des Wahrheitsgehaltes - beispielsweise die Behauptung, dass Hitler von Moskau finanziert werde als "Vorläufer der Weltrevolution" - unter die Leser brachte, hebt Morsey hervor. Ein bevorzugtes Thema Gerlichs waren "homosexuelle Neigungen in der Führerschaft" der NSDAP, in der er eine "Mischung von Kriminellem und Pathologischem stark vertreten" sah. Nach Hitlers Machtübernahme tauchte Gerlich für kurze Zeit in Innsbruck unter und schließlich am 6. März 1933 in München wieder auf, obwohl ihn Therese Neumann gewarnt hatte. Am 9. März wurde die Redaktion des "Geraden Wegs" gestürmt, Gerlich ins Polizeigefängnis eingeliefert.

Im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches wurde Gerlich in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 im Konzentrationslager Dachau erschossen. Nachrufe auf ihn durften nur im Ausland erscheinen, der deutsche Episkopat hüllte sich in Schweigen. Es waren Umwege und sogar krumme Wege, die Morseys hellsichtiger Held im Kampf gegen den Nationalsozialismus beschritt. Durch die vielen Haken, die er in seinem Leben schlug, und durch seine drastische Polemik hatte sich Gerlich oft selbst um seine Glaubwürdigkeit gebracht, ebenso durch den "Bezugspunkt" Therese Neumann, die hochbetagt erst im September 1968 verstarb.

Gerlich wagte - so Morseys Resümee - "gestützt von Therese Neumann den Aufstand des Gewissens gegen den ,Massenwahnhetzer' Hitler und die von seiner totalitären Bewegung mit Gewalt verbreitete politische Heilslehre. Er war sich der Folgen seines Einsatzes bewusst und, in dessen Konsequenz, zum Blutzeugnis bereit." Im Erzbischöflichen Ordinariat in München gibt es seit 2014 "Vorüberlegungen für ein Seligsprechungsverfahren für Fritz Gerlich", berichtet Morsey etwas versteckt in einer Anmerkung; die Biographie stehe dazu in "keinem Bezug". Jedenfalls verfügen Kardinal Marx und seine Berater mit Morseys Buch über grundsolide Informationen zu Gerlich und müssen nicht auf ein neues "himmlisches Auskunftsbüro" hoffen.

RAINER BLASIUS

Rudolf Morsey: Fritz Gerlich. Ein früher Gegner des Nationalsozialismus. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 346 S., 29,90 [Euro].

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