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Der Konflikt der Konfessionen prägte die europäische Neuzeit entscheidend. Doch evangelische Christen waren nicht einfach evangelisch, Katholiken nicht einfach katholisch. Sie wurden es - in einem Projekt und Prozess, den die Forschung als »Konfessionalisierung« beschreibt.Nicht nur unter Historikerinnen und Historikern, sondern auch in der Öffentlichkeit ist zutiefst umstritten, ob das religiöse Wissen und die christliche Praxis einen Beitrag zur Entstehung der Moderne leisteten. Ebenso analytisch wie anschaulich beschreibt der Band den programmatischen Wandel der Kirchen und Konfessionen,…mehr

Produktbeschreibung
Der Konflikt der Konfessionen prägte die europäische Neuzeit entscheidend. Doch evangelische Christen waren nicht einfach evangelisch, Katholiken nicht einfach katholisch. Sie wurden es - in einem Projekt und Prozess, den die Forschung als »Konfessionalisierung« beschreibt.Nicht nur unter Historikerinnen und Historikern, sondern auch in der Öffentlichkeit ist zutiefst umstritten, ob das religiöse Wissen und die christliche Praxis einen Beitrag zur Entstehung der Moderne leisteten. Ebenso analytisch wie anschaulich beschreibt der Band den programmatischen Wandel der Kirchen und Konfessionen, ihre Verflechtung mit der politischen Macht, ihre Lebensformen und Überzeugungen, schließlich die Konflikte zwischen den religiösen Experten und den einfachen Christinnen und Christen in Deutschland zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Zeitalter der Revolutionen. Über den Krieg und die Hexenverfolgungen ist ebenso zu reden wie über Universitäten und Landschulen, fromme Lesekultur und Laienprophetie.Wer eine Wirkungsgeschichte der »Konfessionalisierung« umreißen will, muss über ihre Kernzeit hinausgehen. Auch der Pietismus und die Aufklärung, die Französische Revolution und ihre Folgen für die Deutschen, die Pluralisierung der Religion im 19. Jahrhundert und die Revolution von 1848 wurden von den Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts dauerhaft mitgeprägt.Damit vertritt das Buch auch eine These: Wer die Moderne auf ihre naturwissenschaftlich-technischen Errungenschaften, ihre säkulare Kultur und ihre politischen Verfahren reduziert, übersieht Entscheidendes. Religion ist kein retardierender Faktor. Auf dem Weg, den Deutschland von der Vormoderne in die Moderne ging, ist das Christentum eine eminent dynamische gesellschaftliche Kraft gewesen.
Autorenporträt
Prof. Dr. theol. Andreas Holzem ist seit 1999 ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Kath.-Theol. Fakultät der Eberhard-Karls- Universität Tübingen; Projektleiter des SFB »Kriegserfahrung ¿ Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« an der Universität Tübingen, 2011-2014 Sprecher, seither wissenschaftliches Mitglied des Graduiertenkollegs 1662 ¿Religiöses Wissen im vormodernen Europä und seit 2011 Projektleiter im SFB 923 »Bedrohte Ordnungen « (Eberhard-Karls-Universität Tübingen).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Holzems Buch über das "Christentum in Deutschland 1550-1850" hat das Zeug zum Standardwerk, verkündet der rezensierende emeritierte Alttestamentler Bernhard Lang. Der Kirchenhistoriker Holzem folgt dem Trend der "Entsakralisierung" der Kirchengeschichte und untersucht die Entwicklung der Konfessionalisierung vor allem in ihrer politischen und sozialen Dimension, erklärt Lang. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Holzem dabei den Problemen, auf die beide Konfessionen beim Etablieren ihrer Normen durch die Disziplinierung der Bevölkerung gestoßen sind, so der Rezensent. Das einzige Manko ist, dass Holzem nicht stärker auf die Ursachen der ungleichen Erfolge in Wirtschaft und Bildung von protestantischen und katholischen Milieus eingeht, bedauert Lang.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2015

Keiner verlässt vorzeitig die Messe!

Die Disziplinierung der Gläubigen war nie wirklich erfolgreich: Andreas Holzem legt eine Geschichte des deutschen Christentums vor, die das Zeug zum Standardwerk hat - trotz einer großen Lücke.

Ist Kirchengeschichte ein genuin theologisches Unternehmen? Oder gehört sie in Wirklichkeit zur profanen Geschichtswissenschaft? Kirchengeschichte steht zwischen zwei Extremen. Innerhalb der katholischen Theologie hat sie Hubert Jedin als Heilsgeschichte reklamiert, während der evangelische Lutherforscher Gerhard Ebeling sie als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift verstanden wissen wollte. Doch solche theologischen Bestimmungen liegen Jahrzehnte zurück. Seit den neunziger Jahren ist die Kirchengeschichte eher vom entgegengesetzten Trend beherrscht, der Entsakralisierung, mit der eine Hinwendung zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte einhergeht.

Heute wird das Wort "Kirchengeschichte" in Buchtiteln als antiquiert und an einen einseitigen kirchlichen Standpunkt erinnernd gemieden. Das beste Beispiel ist die "Geschichte des Christentums in Deutschland" (1995) von Kurt Nowak. Sie behandelt "Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts". Nowak schildert die gesellschaftliche Rolle von Katholiken und Protestanten unter weitgehendem Verzicht auf innerkirchliche und innertheologische Entwicklungen, die er als "Kirchengeschichte" nicht zu seinem Thema rechnet.

Wie viele der jüngeren Historiker schließt sich nun auch Andreas Holzem, Kirchenhistoriker an der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen, der von Nowak vertretenen Richtung an. Dementsprechend betitelt er sein umfangreiches Buch ähnlich wie Nowak, "Christentum in Deutschland 1550-1850", behandelt jedoch einen anderen und längeren Zeitraum. Vergleicht man die beiden Werke, fällt sofort ein doppelter Unterschied auf. Anders als Nowak bezieht Holzem den Kernbereich der Kirchengeschichte in seine Darstellung mit ein. Konkret heißt das zum Beispiel: Während Nowak praktisch nichts über das in seinen Berichtszeitraum fallende Erste Vatikanische Konzil (1869/70) schreibt, widmet Holzem dem Konzil von Trient (1545 bis 1563) immerhin fast vierzig Seiten. Der zweite Unterschied ist interpretatorischer Natur: Nowak kann es aus gutem Grund nicht gelingen, die Geschichte des Christentums in Deutschland seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts auf einen Generalnenner zu bringen, während Holzem auf einen solchen, von der Forschung bereitgestellten Nenner zurückgreifen kann - den Begriff "Konfessionalisierung".

Von dem Tübinger Neuzeithistoriker Ernst Walter Zeeden als "Konfessionsbildung" in den ausgehenden fünfziger Jahren eingeführt, bezieht sich der Begriff auf einen umfassenden religions- und gesellschaftsgeschichtlichen Vorgang: die von der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert ausgelöste Umwandlung der mittelalterlichen Christenheit in eine Gesellschaft, in der sich verschiedene christliche Bekenntnisse gegenüberstehen, die, von organisierten Kirchen getragen, verschiedene religiös-sittliche Lebenswelten ausbilden. Die Konfessionalisierung beginnt in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ohne dass sich ein genaues Ende angeben lässt.

In drei umfangreichen Kapiteln behandelt Holzem Konfessionalisierung als Politik, als Kirchenreform und als Verchristlichung der Lebenswelt. Die Etablierung katholischer, lutherischer und reformierter Territorien ist die politische Seite des Vorgangs, die kirchliche Seite die Ausarbeitung protestantischer Bekenntnisse und des tridentinischen Programms einer katholischen Reform.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor dem Thema "Verchristlichung" im umfangreichsten Kapitel des Werkes, wo es ihm gelingt, den Leser über zweihundertvierzig Seiten hinweg mit einem ebenso lehrreichen wie anekdotengesättigten Sittengemälde zu unterhalten. Hier geht es um den Vorgang der Verchristlichung der Bevölkerung "von oben" durch die kirchliche und weltliche Obrigkeit, die Schulunterricht, Gottesdienst und Predigt konfessionell ausrichtet, sowie das Volk durch gerichtlich verhängte Strafmaßnahmen diszipliniert. Den Wandel veranschaulicht besonders die Fixierung der Laien während des Gottesdienstes: Niemand darf während der Messe oder der Predigt sprechen, umhergehen oder die Kirche verlassen - Disziplin wird eingeführt und notfalls mit Hilfe von Bußleistungen durchgesetzt. Nicht jede Disziplinierung wird von der Obrigkeit an den Laien herangetragen: Auch eine Selbstaneignung der konfessionellen Maßstäbe lässt sich beobachten, wenn sich bei Einzelnen ein konfessionell geprägtes Überich als schlechtes Gewissen meldet oder die Gläubigen freiwillig zu Andachtsliteratur greifen.

War die Konfessionalisierung erfolgreich? Die Frage stellt Holzem wiederholt. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass es sich bei dem Begriff um ein retrospektives Interpretament handelt; die Obrigkeiten wollten gute Katholiken und gute Protestanten in Territorien und Gemeinden haben, doch der Begriff der Konfessionalisierung wäre ihnen fremd gewesen. Nach Holzem konnte die Konfessionalisierung des Klerus - der geistlichen Elite - aller Konfessionen innerhalb kurzer Zeit vollständig durchgeführt werden, während die konfessionelle Disziplinierung der Gläubigen stets auf Widerstand stieß und unvollständig blieb.

Bis heute kämpfen die Kirchen vergeblich gegen jenen fließenden Übergang in die Ehe, den sie überall antreffen und als unmoralisch anprangern. Holzems Lieblingsbeleg für die Grenze der Konfessionalisierung stammt aus einem katholischen Gerichtsprotokoll von 1755 aus Oelde in Westfalen: Ein einfacher Mann wurde gerügt, weil er sich nach dem Tod seines zwölfjährigen Kindes um Hilfe an einen Sauhirten und Geisterseher gewandt und damit den Bereich der kirchlichen Norm verlassen hatte. Nach fast zweihundert Jahren Konfessionalisierung war es nicht gelungen, kirchliche Normen vollständig durchzusetzen.

Die auseinanderklaffenden konfessionellen Milieus haben sich als stabil erwiesen, so dass sie das Jahrhundert der Aufklärung ebenso wie die Industrialisierung des neunzehnten Jahrhunderts überstehen konnten. Bis heute lassen sich im deutschen Sprachraum katholische, lutherische und reformatorische Milieus und Mentalitäten in ihrer charakteristischen Verschiedenheit wahrnehmen. Mehrfach kommt Holzem allzu knapp auf ein Phänomen zu sprechen, das bereits Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts aufgefallen ist: die Prosperität protestantischer und die Rückständigkeit katholischer Territorien. In seiner "Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781" mokierte sich der Publizist Friedrich Nicolai über die Dummheit und den Müßiggang der Bayern, und schon zuvor, im Jahr 1772, hatte sich der katholische Staatsrechtler Johann Adam von Ickstatt ganz ähnlich geäußert.

Holzem notiert das Problem der katholischen Rückständigkeit, ohne ihm große Aufmerksamkeit zu schenken. An dieser Stelle klafft eine Lücke in seinem Buch. Während Nowak für das neunzehnte Jahrhundert den Bildungs- und Kulturvorsprung der Protestanten ausführlich mit Statistiken belegt, findet sich bei Holzem praktisch nichts über das Thema.

Der protestantische Vorsprung wurzelt zweifellos in der Konfessionalisierung, die den Protestanten mehr Bildung verschaffte, um den Zugang zur Lektüre von Katechismus und Bibel zu gewährleisten. Mit dem Vorsprung in der Literarisierung gewannen die protestantischen Territorien sozusagen als Nebeneffekt wirtschaftliche Prosperität. Das jedenfalls ist die Sicht, die sich aus dem heutigen Forschungsstand der deutschen Bildungs- und Schulgeschichte ergibt. Holzems Werk zeugt von einer gewaltigen Arbeitskraft und dem heute eher seltenen Willen zur umfassenden historiographischen Synthese. Bemerkenswert ist sein ständiger Kontakt zu den Quellen und zu einer reichlich dokumentierten Sekundärliteratur. Die allergrößte Bewunderung verdient der Autor jedoch als katholischer Historiker, der mit ebenso großer Kompetenz über die "andere Konfession" schreibt, den deutschen Protestantismus und dessen Geschichte im langen Zeitalter der Konfessionalisierung. Das Buch wird sich rasch den Ruf eines Standardwerkes erwerben, gleichermaßen beachtet von Historikern und Theologen.

BERNHARD LANG

Andreas Holzem: "Christentum in Deutschland 1550-1850". Konfessionalisierung, Aufklärung, Pluralisierung.

Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015. 1485 S., geb., 168,- [Euro].

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