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Kann und soll die katholische Kirche auf die Christliche Sozialethik verzichten, auf eine Disziplin, die sich an den theologischen Ausbildungsorten des deutschsprachigen Raums fast überall etabliert hat und gleichsam als Bindeglied zwischen Kirche und Welt dient? Kann ihr Feld von den Moraltheologen "mitbetreut" werden? Eine Frage, die der Autor letztlich verneint, wenn es auch Bereiche gibt, in denen sich der individualethische Ansatz der Moraltheologie vom sozialethischen nicht völlig trennen lässt. Ein historischer Überblick zeigt, dass die Geschichte der Christlichen Sozialethik nicht erst…mehr

Produktbeschreibung
Kann und soll die katholische Kirche auf die Christliche Sozialethik verzichten, auf eine Disziplin, die sich an den theologischen Ausbildungsorten des deutschsprachigen Raums fast überall etabliert hat und gleichsam als Bindeglied zwischen Kirche und Welt dient? Kann ihr Feld von den Moraltheologen "mitbetreut" werden? Eine Frage, die der Autor letztlich verneint, wenn es auch Bereiche gibt, in denen sich der individualethische Ansatz der Moraltheologie vom sozialethischen nicht völlig trennen lässt. Ein historischer Überblick zeigt, dass die Geschichte der Christlichen Sozialethik nicht erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Erscheinen der 1. Sozialenzyklika "Rerum novarum" 1891 beginnt, sondern in die Anfänge der Kirche zurückgeht, und zwar dort, wo es um die soziale Frage (Armut, Reichtum und Sklaverei), um die Wirtschaftsfrage (Eigentum, Zins und Wucher) sowie um die politische Frage (Krieg und Frieden, Verhältnis Kirche und Staat) gegangen ist. Das heutige Selbstverständnis der Christlichen Sozialethik steht sodann im Mittelpunkt. Anhand der ("neuen") Politischen Theologie und der Wirtschaftsethik werden zwei Themenkreise aufgegriffen, an denen sich zeigt, wie hochaktuell und bedeutsam dieses theologische Fach als "Disziplin in der Welt" ist.
Autorenporträt
Dr. habil. Clemens Breuer ist Oberassistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg und Privatdozent für Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2003

Schattenboxen fürs Naturrecht
Clemens Breuer philosophiert am liebsten mit Behauptungen

Wenn wir schweigen, werden die Steine schreien. Es hat Zeiten gegeben, da bestand der Zweck theologischer Schriften darin, die Wahrheit des christlichen Glaubens zu erweisen und zu entfalten. Sie sind vorbei, jedenfalls in Trier. Der Arbeit zum Verhältnis von Christlicher Sozialethik und Moraltheologie, mit der Clemens Breuer sich dort habilitierte, lag laut den Eingangsbemerkungen des Verfassers ein viel profanerer Anlaß zugrunde: der Vorschlag der Deutschen Bischofskonferenz, einige der bestehenden Sozialethik-Lehrstühle zu streichen und die Katholische Soziallehre von den Moraltheologen mitbetreuen zu lassen.

Gemäß der lex aeterna der Besitzstandswahrer weist Breuer diesen Vorschlag mit Verve zurück. Eine Rückführung der Sozialethik zu der traditionell eher mit individualethischen Fragen befaßten Moraltheologie werde "einen Rückzug der Kirche aus gesellschaftswissenschaftlichen Fragen einläuten und für diese einen immensen Bedeutungsverlust nach sich ziehen". Zurückziehen kann man sich freilich nur aus einer Position, die man überhaupt noch innehat. Wie steht es also um den Kontakt der katholischen Sozialethik zur Philosophie und zur Soziologie? Nicht schlecht, möchte man antworten, wenn man an Autoren wie Robert Spaemann, Martin Rhonheimer oder Eberhard Schockenhoff denkt. Eher traurig, muß man hingegen konstatieren, wenn man die Arbeit Breuers zugrunde legt.

Dabei ist die Grundthese Breuers alles andere als abwegig. Breuer bestreitet die ethische Selbstgenügsamkeit des neuzeitlichen Autonomiedenkens. "Indem die moderne Philosophie den Menschen in das Zentrum des Kosmos rückt, hat sie das Prinzip verloren, um das menschliche Sein zu leiten und zu begrenzen." Mangels vorgeordneter Norm drohe der Mensch zu einem disponiblen Material zu regredieren. Ein für das moderne Selbstverständnis so zentraler Gedanke wie derjenige vom unbedingten Wert der Person lassen sich argumentativ nur dort voll einholen, "wo der Mensch sich von der Vernunft eines letzten ihn tragenden Grundes verbürgt weiß". Es geht Breuer also um die Rehabilitierung des christlichen Naturrechts - ein mutiges und - es sei nochmals betont - keineswegs aussichtsloses Unterfangen.

Aber wie setzt Breuer es um? Weder zeichnet er wie jüngst Martin Rhonheimer ("Die Perspektive der Moral", F.A.Z. vom 1. November 2001) die Subtilitäten der thomistischen Naturrechtslehre nach, noch legt er eine auch nur einigermaßen ernstzunehmende Analyse des neuzeitlichen Autonomiedenkens vor. Statt dessen erschöpft er sich weitgehend in bloßen Behauptungen. So macht er gegen den Rechtspositivismus geltend, er sei gescheitert, denn das wenigste, was man annehmen müsse, sei eine Idee der Gerechtigkeit, die dem Zugriff des menschlichen Willens entzogen sei und in letzter Instanz über Recht und Unrecht entscheide.

Nun ist das Problem, daß die Rechtspositivisten genau dies nicht anerkennen. Wie widerlegt Breuer sie? Nun, er widerlegt sie überhaupt nicht. Dem Hinweis Breuers auf den tatsächlichen Einfluß moralischer Überzeugungen auf das Recht wird selbst der hartgesottenste Positivist zustimmen. Und die Mitteilung Breuers, daß sich sowohl das Bundesverfassungsgericht (zitiert wird eine Entscheidung aus dem Jahre 1951) als auch einige juristische Autoren gegen den Rechtspositivismus ausgesprochen hätten, wird die Anhänger dieser Position ebenfalls nicht übermäßig beeindrucken. Auch die kantische Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten mißversteht Breuer gründlich. Er macht geltend, die Christliche Sozialethik dürfe sich mit dieser Trennung nicht einverstanden erklären. Sie müsse den Menschen vielmehr grundsätzlich zu tugendethischem Verhalten anhalten; diese Einstellung werde sich dann - auch Katholiken wissen mittlerweile, was sie der politischen Korrektheit schuldig sind - "unweigerlich positiv in der Erstellung, Ausarbeitung und Anerkennung einer demokratischen Rechtsordnung" auswirken.

Hat es aber nicht auch Kant ausdrücklich für vorzugswürdig erklärt, Rechtspflichten aus einer Gesinnung der Moralität heraus zu erfüllen? Worum es ihm mit der Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten ging, war etwas ganz anderes: Die Pflichten zur Beförderung eigener Vollkommenheit und fremder Glückseligkeit sollten nicht von Staats wegen erzwingbar sein. Die Domestizierung der Staatsgewalt, nicht die Stärkung der bürgerlichen Tugenden ist seit Locke das Grundthema der neuzeitlichen Rechtsphilosophie. Daß Breuer bereits diesen Ausgangspunkt nicht klar erkennt, läßt seine Verteidigung des Naturrechts in weiten Strecken wie eine Art Schattenboxen erscheinen. Wo Breuer die Gegner vermutet, befinden sie sich in Wahrheit nicht, und wo die eigentlichen Probleme lauern, hat Breuer nur wenig zu sagen.

Was seinen Ausführungen an argumentativer Substanz fehlt, ersetzt Breuer nicht selten durch einen Predigtton: "Die Geschichte vom Turmbau zu Babel entstammt einem fernen Jahrtausend, doch ist ihre inhaltliche Botschaft zu jeder Zeit aktuell, mögen die gesellschaftlichen Probleme auch noch so unterschiedlich sein." Daneben erfahren wir freilich auch manches Wissenswerte: "Eine Scheidung auf der Ebene der politischen Institutionen hat sich erstmals im mittelalterlichen Streit zwischen Papstturm und Kaisertum angebahnt, woraufhin zahlreiche Religionskriege stattgefunden haben."

So diskret hat man die politische Urkatastrophe der Neuzeit noch selten umschrieben. Auch Noten verteilt Breuer gern. Augustinus erhält eine Zwei plus, denn er hat "durch seine Lehre von den zwei Reichen eine wertvolle Arbeit bezüglich der Klärung des Verhältnisses von Theologie und Politik geliefert". Schlechter kommt der Moraltheologe Johann Baptist Hirscher weg. Sein 1835 erschienenes Werk "Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit" könne "als ein großangelegter Versuch angesehen werden, der freilich auch einige Mängel besitzt". Na, das wird wohl eher auf eine Drei hinauslaufen.

Was soll man angesichts eines so unangefochtenen Selbstbewußtseins - das strahlend auf Selbstverständlichkeiten setzt, die doch leider keine sind - noch weiter sagen? Wo mit dem Gestus des Hermetischen über argumentative Brüche hinweggeholzt wird, werden Antworten zu Scheinantworten. Breuer schreibt offenbar für ein Publikum der ohnehin schon Überzeugten. Aber wie viele sind das noch? Und wie viele werden in zwanzig Jahren übrig sein? Jedenfalls besteht Grund zu der Befürchtung, daß die spirituelle Auszehrung großer Teile der Kirche eine intellektuelle Erschöpfung nach sich ziehen wird. Würde der Katechismus es nicht untersagen, sich dem Gefühl der Verzweiflung hinzugeben, angesichts dieser Lage wäre es durchaus am Platz.

MICHAEL PAWLIK

Clemens Breuer: "Christliche Sozialethik und Moraltheologie". Eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen zweier Disziplinen und die Frage ihrer Eigenständigkeit. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 393 S., br., 52,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit einer gehörigen Portion Sarkasmus verreißt Michael Pawlik die Streitschrift von Clemens Breuer. Und das, nachdem er ihn eingangs noch für seinen Mut lobt, das christliche Naturrecht rehabilitieren zu wollen - gegen die modernen philosophischen Lehren von der Autonomie des Menschen. Damit wolle Breuer die christliche Sozialethik vis-à-vis der Moraltheologie stärken und gegen die von der Bischofskonferenz vorgeschlagene akademische Unterordnung der ersteren unter letztere Disziplin polemisieren. Ein hehres Ziel und sogar die richtige Grundthese, meint Pawlik. Mit der Umsetzung ist er allerdings überhaupt nicht einverstanden. Anstatt einer fundierten Argumentation findet er nur Behauptungen und schattenboxerische Einlagen: "Wo Breuer die Gegner vermutet, befinden sie sich in Wahrheit nicht, und wo die eigentlichen Probleme lauern, hat Breuer nur wenig zu sagen." Und das sei keine stilistische, sondern eine intellektuelle Schwäche: Der Autor habe die Grundlagen dessen, wogegen er vorgeht, schlichtweg falsch verstanden. Ein irrelevantes Buch, findet Pawlik, und eher eine Blamage als ein guter Grund für die christliche Sozialethik - leider.

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