Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 1,10 €
  • Broschiertes Buch

Es sind keine Superhelden, sondern Helden des Alltags, Menschen, die um ihre Existenz kämpfen, um Respekt, Würde und manchmal um Liebe. In diesen preisgekrönten Erzählungen entfaltet Stewart O'Nan die ganze Bandbreite menschlichen Lebens zwischen Verzweiflung und Hoffnung.

Produktbeschreibung
Es sind keine Superhelden, sondern Helden des Alltags, Menschen, die um ihre Existenz kämpfen, um Respekt, Würde und manchmal um Liebe. In diesen preisgekrönten Erzählungen entfaltet Stewart O'Nan die ganze Bandbreite menschlichen Lebens zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Autorenporträt
Stewart OâNan wurde 1961 in Pittsburgh/Pennsylvania geboren und wuchs in Boston auf. Er arbeitete als Flugzeugingenieur und studierte an der Cornell University Literaturwissenschaft. Heute lebt er wieder in Pittsburgh. Für seinen Erstlingsroman Engel im Schnee erhielt er 1993 den William-Faulkner-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2000

Der tragische Wasserhahn
Eines jeden Fremden Fremder: Stewart O'Nans Erzählungen

Man taucht ab in einen Dämmerzustand, von den ersten Seiten an. Kein süßer Traum. Von jetzt an möchte man nur noch eines: entfliehen aus diesem Schreckensuniversum, in das der nordamerikanische Erzähler Stewart O'Nan uns führt. Zwielicht herrscht. Die Figuren, die uns entgegenkommen, gleichen mechanisch aufgezogenen Puppen. Ihr fatales Lebensprogramm schnurrt ab bis zu dem Punkt, an dem es die schlimmstmögliche Wendung nimmt. Man sieht die Katastrophe kommen. Aber es ist wie im Traum: Wer Stewart O'Nans neue Erzählungen "Die Armee der Superhelden" liest, ist gezwungen, den Dingen zuzusehen: bewegungslos, machtlos, sprachlos. Je weiter man voranliest, desto beunruhigender wird das Unlustgefühl, das sie auslösen, desto beherrschender das Grauen und die Kälte, die diese Welt grundieren, desto hartnäckiger die eigene Abwehr. Noch erwartet man hinter jeder neuen Lesekurve die entscheidende Wendung zum Besseren. Vermutet naiv in jeder neuen Strategie des Erzählers den entscheidenden Griff, der den fatalen Schreckensfilm zum Anhalten bringen könnte. Und dann reißt man endlich die Augen auf und begreift, dass die Welt, die Stewart O'Nan präsentiert, genauso ist, wie wir sie nicht haben möchten. Das erzählerische Kalkül dieses Autors hat uns eingeholt.

Der 1961 in Pittsburgh geborene Stewart O'Nan war von Anfang an ein Spezialist des kalten Blicks. Nicht, dass er das Grauen mit großen Gesten und pathetischen Tönen demonstrieren würde. Er entlarvt die Angst hinter der Maske des Alltäglichen. Er enttarnt die Tragödie im Kostüm des Mittelmäßigen. Das war in seinem viel gerühmten Debütroman "Engel im Schnee" (1997) so, in dem er zwei gescheiterte Ehen seziert, das war in seinem im letzten Herbst auf Deutsch publizierten Roman "Sommer der Züge" nicht anders, in dem er das Schicksal einer Mittelstandsfamilie im Zweiten Weltkrieg ins Visier nimmt. In den neuen Erzählungen "Die Armee der Superhelden" (die Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel "In The Walled Cit") signalisiert er schon mit dem Titel ironisch das ganze Erzählprogramm: von Helden keine Spur. Seine Protagonisten sind Versager und zu kurz Gekommene, Lieblose und Ungeliebte, Betrogene und Verletzte - gewöhnliche Durchschnittstäter eben. Larsen, der Mann im Zentrum der Titelerzählung, ist eine Art Prototyp. Mit manischer Akribie sammelt der Mann Comichefte - auch dann noch, als die Ehe längst zerstört, Carrie sich mit einem andern liiert, sein Sohn sich entfremdet und das pulsierende Leben sich von ihm entfernt.

Was der Leser längst ahnt, verdrängt Larsen bis zu dem Punkt, an dem die Wirklichkeit wie eine Grundwelle in sein vermauertes kleines Sammlerleben einbricht und alles zerstört. Er ist allein. Schwindel erregend allein. Sein Leben ist gescheitert. Dieser Einsicht stemmt er sich verbissen entgegen. Als er begreift, was mit ihm geschieht, will er sich umbringen. Für den Bruchteil einer Sekunde hat er die totale Sinnlosigkeit seiner Existenz erkannt und auf einen Schlag die Lächerlichkeit seines Sammlerfleißes begriffen - beim Blick auf die säuberlich im Bücherregal präsentierten kompletten Serien von Comicheftchen, die - in Plastikhüllen verpackt - daliegen. Ein absurdes, ein sinnloses Leben: "Plastikhüllen. War das etwas, dem er sein Leben widmen wollte?" Als er wieder aufwacht, liegt er im Spital, eine Sauerstoffmaske vor dem Gesicht, einen Schlauch im Hals, müde.

Stewart O'Nans Figuren sind sich selber fremd, und sie werden ihren Nächsten nicht vertraut. Sie können die Zeichen der anderen nicht deuten und sich selbst nicht verständlich machen. Sie sind abgetrennt von ihren eigenen Gefühlen und unfähig, die Emotionen anderer zu entschlüsseln. Alles Voraussetzungen, um sich hilflos in Beziehungsfallen zu verheddern. Carter beispielsweise und seine Frau Diane in der Geschichte "Der Finger". Seit einem Jahr leben sie getrennt. Warum das so ist und wie sie in Zukunft weiterleben werden, darüber haben sie nie geredet. Er arbeitet in der Mülldeponie, eine Stelle, die ihm sein Vater verschafft hat. Wenn Diane für sich und das Kind dringend Geld braucht, fährt er zu ihr und legt einen Umschlag in den Briefkasten.

Die Raffinesse von Stewart O'Nan besteht nun darin, dass er eine Geschichte entwirft, in der die Katastrophe zwar von Anfang an da ist, aber alle Signale darauf hindeuten, dass es in jedem Moment noch viel schlimmer kommen könnte, ja dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das ganze Weltgefüge auseinander bricht. Eine unheimliche Atmosphäre herrscht. Zwar gäbe es Vorzeichen - aber Carter kann sie nicht lesen: Ein unbekannter Mann lehnt sich aus einem Auto zu Carter und ruft ihm "Fuck you" zu. Ein rätselhaftes Ereignis, das Carter nicht mehr aus dem Sinn geht. Einmal besucht er die Frau und will in ihrer Küche den undichten Wasserhahn flicken. Sie lehnt es ab. Carter findet in der Mülldeponie eine Frisierkommode und will sie für die Frau zurechtmachen - ein hilfloser Versuch, die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Der Zusammenbruch kommt lautlos. An der Kasse des Supermarktes, in dem Carter Farbdosen für die Kommode holt, trifft er einen Mann. Auf dessen Einkaufswagen entdeckt er ein Kind, Dianes Kind. Es hält das einzige, was sie kaufen wollen, in der Hand: eine gegossene Hartplastikkugel für einen Delta-Wasserhahn ohne Dichtungsscheibe.

In diesen Erzählungen wird immerzu geredet. Mehr als in jeder vergleichbaren Geschichte hierzulande. Die vielen dialogischen Passagen rhythmisieren Stewart O'Nans Texte und verleihen ihnen einen schwebend leichten Charakter. Sieht man aber genau hin, entdeckt man darin ein zentrales Erzählverfahren, ein geschicktes erzählerisches Täuschungsmanöver: Je mehr die Figuren reden, desto hartnäckiger verschweigen sie, was sie wirklich umtreibt. Unter der Oberfläche der Leerformeln und stereotypen Gesprächswendungen lauern hartnäckig Trostlosigkeit und Verstörtheit. Stewart O'Nan entwirft seine Szenarien von Verdrängen und Verschweigen völlig unspektakulär. Das erzeugt diesen unnachahmlich lakonischen Charakter. Grey beispielsweise in der Erzählung "In den Mauern der Stadt", der mit einem Reisestipendium der Universität in Dijon war und jetzt von seinem Aufenthalt zurückgekommen ist, müsste dringend seine Verhältnisse regeln. Rachel, seine Frau, hat einen herumliegenden Brief gefunden, der alles ins Rollen bringt. Ein Student hatte Grey, seinem Lehrer, geschrieben, er vermisse seine Hände. Rachel stellt ihren Mann zur Rede. Redet er? Er weicht aus. Er taucht ab. Er schwadroniert. Er lenkt ab.

Ein beziehungstechnisches Idealszenario für diesen Autor - alles bleibt im Dunkeln, rätselhaft, ungeklärt, nur die Beziehungen sind am Ende zerbrochen und die Liebe zerstört. Stewart O'Nan erweist sich in seinen Erzählungen als ein Meister der Sparsamkeit und der Andeutung - und als großer Dramaturg der kleinen, alltäglichen Katastrophen.

PIA REINACHER

Stewart O'Nan: "Die Armee der Superhelden". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 2000. 210 S., br., 22,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sehr pessimistisch, fast erdrückend findet Jörg Häntzschel die Erzählungen des Amerikaners Stewart O`Nan, deren Titel "Die Armee der Superhelden" nichts als pure Ironie darstellt. Dennoch ist der Rezensent sehr angetan von diesen Kurzgeschichten, die geradezu klassisch um Männer und ihre Verluste - Frau, Kind, Gedächtnis, Kommunikation - kreisen. O`Nan vermeide dabei aber, schreibt Häntzschel, die konventionelle Konstruktion der Short story, bei ihm gebe es keinen Kulminationspunkt, keine abgeschlossene Handlung, sondern ein geschicktes und immer wieder überraschendes Spiel der Zeitebenen. Besondere Meisterschaft zeige O-Nan im Aussparen der zentralen Momente im Leben seiner Superhelden - das wiederum, so finden wir, ist ein typisches und durchaus konventionelles Merkmal der `american Short story`.

© Perlentaucher Medien GmbH