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Das einzige Drama des früh verstorbenen Dichters ist ein verzweifelter Protestschrei gegen die zerstörerische und verderbnisträchtige Macht des Krieges. Seine Erzählungen und Prosastücke berichten mit sicher akzentuierter Ausdruckskraft von den verheerenden Kriegsfolgen im einzelnen und im gemeinsamen Menschenleben.

Produktbeschreibung
Das einzige Drama des früh verstorbenen Dichters ist ein verzweifelter Protestschrei gegen die zerstörerische und verderbnisträchtige Macht des Krieges. Seine Erzählungen und Prosastücke berichten mit sicher akzentuierter Ausdruckskraft von den verheerenden Kriegsfolgen im einzelnen und im gemeinsamen Menschenleben.
Autorenporträt
Geboren am 20.5.1921. Borchert war zunächst Buchhändler und Schauspieler. 1941 wurde er als Soldat an die Ostfront verlegt; zwei Mal wurde er wegen "Zersetzung" zu Haftstrafen verurteilt. Als er 1945 nach Hamburg zurückkam, war er bereits schwerkrank. Am 20. 11. 1947 starb er, gerade 26 Jahre alt, in Basel. Wie kein anderer artikulierte er in seinen von Melancholie durchzogenen Gedichten und Erzählungen die Bitterkeit und Trauer einer "verratenen Generation". Die Erzählung "Die Hundeblume" machte ihn mit einem Schlag berühmt: In ihr ist das traumatische Erlebnis der Gefangenschaft auf eine immer neu variierte Situation reduziert: den täglichen Hofgang der Gefangenen. Seinen größten Erfolg erzielte er mit seinem in ungeheurer Intensität gehaltenen Drama "Draußen vor der Tür", das, zunächst als Hörspiel gesendet, einen Tag nach seinem Tod in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde. Wolfgang Borchert gilt als Repräsentant der sog. "Trümmerliteratur" und Wegbereiter der Nachkriegsliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009

Der Leidensdramatiker

Man hätte vielleicht einfach auf ihn hören sollen, als er kurz vor der ersten Aufführung seines Dramas dem erstaunten Journalisten einer Presseagentur diktierte: "Mein Stück ist nur ein Plakat, morgen sieht es keiner mehr an." Doch Leser und Theaterzuschauer sahen es anders, und nachdem Wolfgang Borchert einen Tag vor der Uraufführung gestorben war, erlebte das Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" eine beispiellose Erfolgsgeschichte an deutschen Bühnen und in westdeutschen Schulbüchern.

Es ist vielleicht keine sehr gute Basis für alles, was danach in der deutschen Literatur kommen sollte, dass die ersten großen Erfolge nach dem Krieg - neben Borcherts Stück war es Zuckmayers "Des Teufels General" - Mitläuferdramen gewesen sind. Wer "Draußen vor der Tür" heute liest, und das tut wohl keiner mehr, wenn man nach den scheinbar fast unendlichen Beständen seines "Gesamtwerks" in deutschen Antiquariaten gehen darf, dann kann man all das Pathos und das Selbstmitleid des heimkehrenden Rufers Beckmann kaum fassen. Jeden klagt der Soldat, der aus dem Osten kam, an: Gott, das Schicksal, die Welt, den Direktor, den Vater, die Vätergeneration, die Frauen. Und als er sich eines Mittags, als ihn plötzlich doch sein eigenes Gewissen quält, entschließt, seinen alten Oberst zu besuchen, um sich von seiner eigenen Kriegsschuld zu befreien - "Beckmann (beinah naiv): ,Die Verantwortung. Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück'" -, da ahnt man, dass der Leidensdramatiker Borchert das Ganze vielleicht als einen Witz angelegt hatte. Das Wort "beinah" ist das Signal. "Beinah naiv", das kann er nicht ernst gemeint haben. Im Grunde sind auch die versammelten Selbstmordszenen eher frühe Slapstick-Nummern als Leidensbebilderungen. Wie ihn die gute Elbe nach jedem Selbstmordversuch empört am Strand bei Blankenese wieder ausspuckt, mit den weisen Elbe-Worten: "Nur ne kaputte Kniescheibe reicht noch nicht, um sich umzubringen", da hätte man es eigentlich schon wissen müssen. "Säugling" nennt sie ihn, der zurück zu seiner Mutter springen wollte, und das alles hat etwas von einem ganz frühen Drehbuch der "Nackten Kanone". Aber es ist natürlich ein unendlich ernstes Drama, voller dreifacher Frage- und Ausrufezeichen. Über seine Generation der jungen Kriegsheimkehrer schrieb Borchert 1947 im Tone eines neuen deutschen Selbstbewusstseins, das für die Welt irgendwie so neu nicht klang: "Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass alle Ankunft uns gehört."

Borchert selbst war im Krieg mehrfach inhaftiert worden, wegen Feigheit vor dem Feind, angeblicher Selbstverstümmelung und despektierlicher Nazi-Witze. Und, ja, vielleicht ist "Draußen vor der Tür" also auch gut ein versteckter Nazi-Witz. Leider vielleicht doch ein bisschen zu gut.

VOLKER WEIDERMANN

Wolfgang Borchert: "Draußen vor der Tür". Rowohlt-Verlag, 5,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2020

Warum stellt denn keiner Fragen?
Erfolg im Nebel: Im Februar 1947 sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“
Die Jugend habe allen Beschwörungen zum Trotz geschwiegen, nun aber „spricht sie. Hier ist was sie zu sagen hat. Hören Sie“. So kündigte der Chefdramaturg des Nordwestdeutschen Rundfunks am 13. Februar 1947 das Hörspiel „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert an. Er sagte nicht, dass dieser in der Wehrmacht wegen „Selbstverstümmelung“ angeklagt und später wegen einer Goebbels-Parodie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, die zur „Fronbewährung“ ausgesetzt wurde, dass er sich in Hamburg als Schauspieler durchzuschlagen versuchte. Chefdramaturg Ernst Schnabel erklärte den 1921 geborenen, schwer kranken Autor zur Stimme der 25-Jährigen, die zum Leben nicht erwachen durften, sondern kalt, unerbittlich geweckt wurden. Zustimmend zitiert er die peinlich großspurige und doch bloß abgekupferte Geste des Untertitels „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“.
Es ist bekanntlich anders gekommen. Das Hörspiel wurde viel diskutiert, das Theaterstück erlebte am 21. November 1947 unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner seine Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen.
Sein Verfasser war am Tag zuvor in Basel gestorben. Dass der kluge Berliner Kritiker Friedrich Luft einige Monate darauf von der Qual sprach, „ein neurotisches Lamento bis zum vagen Ende mitanhören zu müssen“, hat den Siegeszug des Dramas nicht aufgehalten. Die Geschichte des Heimkehrers Beckmann wurde zum Klassiker der Nachkriegszeit, wird bis heute im Unterricht gelesen, an Theatern gespielt.
Der Hörverlag hat das an einigen wichtigen Stellen vom Drama abweichende Hörspiel aus dem Februar 1947 wieder aufgelegt, samt der Einführungsworte Ernst Schnabels. „Draußen vor der Tür“ sei ein „Protestschrei gegen die zerstörerische Macht des Krieges“, heißt es in werbender Absicht. Im Begleitheft berichtet Hans-Ulrich Wagner, wie der Text zum Rundfunk kam, was sich Dramaturgen erhofften, wie die Hörer reagierten. Etwa 150 Hörerbriefe sind im Wolfgang-Borchert-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg überliefert. Die einen verlangten Trost und Abwechslung statt Erinnerung an Krieg und Elend, die anderen erkannten sich in Borcherts Heimkehrer wieder, Beckmann, schrieben sie, „Du bist einer von uns“.
Das Hörspiel war gut besetzt und sehr gut inszeniert. Regie führte Ludwig Cremer. Er vertraute dem Text, ließ dem expressionistisch inspirierten, damals schon angestaubten Pathos ausreichend Hallraum. Hans Quest, dem Borchardt sein Drama widmete, schwankt zwischen Zorn und Verzweiflung und bleibt immer ins Ich des jungen Unteroffiziers gesperrt, der humpelt und sich umbringen will, weil ein anderer Mann mit seiner Frau im Bett liegt.
Die Elbe aber spuckt die „Rotznase von einem Selbstmörder“ wieder aus. Ein Mädchen nimmt sich seiner an, aber da ihn Gewissensbisse plagen wegen eines Befehls, den er im Krieg gab, macht er sich, dem Rat seines Alter Ego, des Anderen, folgend, auf den Weg zu einem Oberst, die Verantwortung abzugeben. Er dient sich einem Kabarettdirektor an, er erfährt vom Selbstmord seiner Eltern, träumt und findet das rechte nicht: „Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner – keiner – Antwort?“
Nach diesen Schlusssätzen heult ein Wind und man möchte gern zurückfragen, warum Beckmann keine Fragen stellt außer den vagen nach Sinn. Was die Wehrmacht in der Sowjetunion zu suchen hatte? Wie sie da hin kam, was sie dort tat, wen sie erschoss, mordete, diese Fragen stellt Beckmann nicht, er spricht nur von sich, wie Erinnerung ihn quält und dass er sie gern los wäre. Dem Oberst erzählt er einen Traum von einem Blut schwitzenden Mann, der auf einem Xylophon aus Knochen spielt. Das Traumbild verdeutlicht sehr konventionell die Schrecken des Krieges, als dessen Opfer erscheinen allein die Wehrmachtssoldaten, Beckmann und die zwanzig Soldaten, denen er, dem Befehl des Obersts folgend, befahl, einen Wald bei Gorodok zu erkunden. Elf kamen dabei ums Leben, nur von deutschen Opfern ist die Rede. Das hoch moralisch klingende Pathos vermeidet es, genau hinzuschauen, flüchtet vor dem Konkreten ins Vage, ins nebulös Allgemeine.
Peter Rühmkorf hat Beckmann einen „Allround-Enttäuschten“ genannt. Jan Philipp Reemtsma erinnerte sich 1992 in seinem Vortrag „Generation ohne Abschied“, dass er von dem Stück, als er es fünfzehn- oder sechzehnjährig zum ersten Mal las, „seht angetan“ war. Das Ergebnis erneuten Lesens aber sei „katastrophal gewesen“: „Der Ton des Stückes passte so genau zu jener pubertären Neigung zum Kitsch in Gefühlen und Gedanken“. Für Reemtsma personifiziert Beckmann „die adoleszente Ambivalenz“, das zugleich von Trotz und Abhängigkeit.
„Wolfgang Borchert gehört zu denen, die 1933 in Quinta saßen“, begann Ernst Schnabel seine einführenden Worte. Borchert gehöre zu jenen, die „von der Schulbank ins Feld zogen und bis Kriegsende an der Front standen“. Als Schrei der geschundenen Jugend wurde „Draußen vor der Tür“ verstanden. Dieser Schrei verrät mehr über die Nöte der Nachkriegszeit als über den Krieg.
JENS BISKY
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Hörspiel. Mit Hans Quest, Josef Dahmen, Gustl Busch, Maria Janke u.v.a. Nordwestdeutscher Rundfunk, 1947. Der Hörverlag, München 2020. 1 CD, ca. 83 Minuten, 16 Euro.
Viele erkannten sich in
Borcherts Kriegsheimkehrer
wieder
Peter Rühmkorf hat Beckmann
einen „Allround-Enttäuschten“
genannt
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"Und auch heute noch spürt man als Zuhörer das Beklemmende jener Zeit, laufen einem Schauer über den Rücken."

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens Bisky lauscht der Wiederveröffentlichung der 1947er Hörspieladaption von Wolfgang Borcherts Drama mit gemischten Gefühlen. Was ist los mit dem Kriegsheimkehrer Beckmann, dass er nur von sich spricht, nicht von den Gräueltaten der Wehrmacht?, fragt sich Bisky und mokiert sich über das moralische Pathos, das der Sprecher Hans Quest so "zwischen Zorn und Verzweiflung" transportiert und den konventionell bebilderten Schrecken im Stück. Für ihn behandelt Borchert mehr die Nachkriegszeit als den Krieg selbst.

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