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Ein Mann sieht sich plötzllich mit einem perfekten Double seiner selbst konfrontiert. Dieses Ereignis wirft ihn völlig aus der Bahn und verändert sein Leben von Grund auf.

Produktbeschreibung
Ein Mann sieht sich plötzllich mit einem perfekten Double seiner selbst konfrontiert. Dieses Ereignis wirft ihn völlig aus der Bahn und verändert sein Leben von Grund auf.
Autorenporträt
José Saramago, geboren am 16. November 1922 in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo, entstammt einer Landarbeiterfamilie. Nach dem Besuch des Gymnasiums arbeitete er als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist bei verschiedenen Lissabonner Tageszeitungen. Ab 1966 widmete er sich verstärkt der Schriftstellerei. Während der Salazar- Diktatur gehörte er zur Opposition. Der Romancier, Erzähler, Lyriker, Dramatiker und Essayist erhielt 1998 den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 18. Juni 2010 auf Lanzarote.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2004

Freitags weder Fisch noch Fleisch
Dieses Ich ist nicht zu retten: José Saramagos neuer Roman

Was für eine Geschichte! Jeder Verleger, jeder Film- und Fernsehproduzent würde sofort zugreifen. Ein Mann leiht sich einen Film aus der Videothek. Der Film langweilt ihn, bis er auf einmal entdeckt, daß eine Nebenfigur sein Doppelgänger ist. Er macht sich auf die Suche. Er findet den anderen, der ihm nicht einfach nur ähnelt, sondern mit ihm identisch ist. Sie streiten sich, sie belauern sich, und ihre Frauen wissen bald nicht mehr, wer wer ist. Eine tolle Geschichte - zumindest eine tolle Idee. Ein Stoff für einen Kriminalroman, der zugleich Psychodrama und philosophische Reflexion wäre, oder auch für ein intelligentes Science-fiction-Szenario über Klone und Replikanten. Ein Potential, das einen Autor braucht, der es ausschöpft; der die Spiegeleffekte inszeniert, den Albtraum und das Abenteuer des Ich-Verlusts, der den Notausgang aus dem Spiegelkabinett findet oder sich am Ende in ihm verirrt. Ein schöner Traum von einem Buch, das man sofort lesen möchte - und leider nur ein Traum.

Der Nobelpreisträger von 1998, José Saramago, ist nicht der Mann, den diese Geschichte braucht, obwohl er sie selbst erfunden hat. Sein Roman stand zwar in Portugal, Spanien und Brasilien auf den Bestsellerlisten, doch das ist fast noch rätselhafter als das, was im Roman passiert. "Der Doppelgänger" ist ein Spannungsverhinderungsroman. Als habe die Geschichte selbst einen Doppelgänger, einen Dämon, der sie nicht werden läßt, was sie sein könnte.

Tertuliano Máximo Afonso heißt der Held, er ist frustriert und eigenschaftslos, ein Geschichtslehrer von Ende Dreißig, in dessen Kopf es aussieht wie bei einem früh vergreisten Fünfzigjährigen. Er ist geschieden, und seine Freundin behandelt er mit jener Indifferenz, die seine spezifische Differenz ist. Warum er nun den alten Kirchenvaternamen trägt, wenigstens das würde man gerne erfahren; auf fast 400 Seiten müßte auch schon mal Zeit dafür sein. Statt dessen entsteht der Eindruck, der Erzähler habe sich vorgenommen, den Namen so oft wie möglich niederzuschreiben, obwohl (oder weil?) der Held darunter leidet.

Dieser Erzähler amtiert wie ein Conférencier, der auf die falsche Veranstaltung geraten ist. Wie ein Untoter aus der Abstellkammer des letzten Jahrhunderts aufgetaucht, versucht er sich als miserabler Serenus-Zeitblom-Imitator, der langatmig über den Mittwoch in verschiedenen europäischen Sprachen meditiert und auch sonst keine Gelegenheit ausläßt, mit seinen Räsonnements die Erzählung zu verzögern. Das klingt dann so: "Bislang bestand keinerlei Notwendigkeit zu erfahren, an welchen Wochentagen sich diese verzwickten Ereignisse abspielen, doch will man die folgenden Handlungen Tertuliano Máximo Afonsos richtig verstehen, so wird die Information erforderlich, daß der Tag, den wir gerade schreiben, ein Freitag ist, woraus leicht zu folgern ist, daß der gestrige Tag ein Donnerstag und der vorgestrige ein Mittwoch war." Wenn man schon nach achtzig Seiten zum wiederholten Mal über solche Dehnübungen stolpert, lädt das nicht gerade zum Weiterlesen ein. Auf die Herausforderung, vom Einbruch des Außergewöhnlichen in ein erstickend banales Leben zu erzählen, antwortet der Erzähler mit Banalität. Mit suspense sollte man das auch nicht verwechseln, weil suspense etwas mit Timing zu tun hat, mit der dramatischen Intensivierung von Zeit und nicht mit ihrer Dehnung.

So schleppt sich der Roman dahin. Tertuliano trifft seinen Doppelgänger, den Schauspieler António Claro, er geht mit dessen Frau ins Bett, António revanchiert sich mit Tertulianos Freundin, und je länger man den Helden zuschaut, desto mehr fragt man sich, was dieses Ich denn zu verlieren hat, welches kaum einen Schatten wirft. Das Ganze ist um so ärgerlicher, als die Umständlichkeit des Erzählers kein Mißgeschick ist, sondern ein Programm, das Saramago mit hohem artifiziellem Aufwand auf Kosten der Geschichte umsetzt.

Daß der Roman wohl eine Parabel sein soll, macht diese Stilübung nicht besser. Wenn man schon nicht unterhalten wird, möchte man nicht auch noch belehrt werden. Der zweiundachtzigjährige José Saramago aber war immer ein politischer und ein streitbarer Schriftsteller. Er hat sich der Salazar-Diktatur widersetzt, er ist der Kommunistischen Partei beigetreten, er hat Fidel Castro gelobt und später mit ihm abgerechnet, er hat Israels Besatzungspolitik mit Auschwitz verglichen und ist gegen den vermeintlichen Imperialismus und Kolonialismus der Vereinigten Staaten auf die Straße gegangen. Nun macht er sich offenbar Sorgen um die Erosion des Ichs, wenn er in einem Interview die Gefahren des Klonens an die Wand malt: "Man kann sich denken, daß die ganze Reproduktionstechnik in Händen großer internationaler Laboratorien und Konzerne wäre." Denken kann man sich das schon; man hätte aber vor allem davon erzählen müssen, und sei's in Form einer phantastischen Weltverschwörungstheorie. Doch allzuviel Welt ist da nicht zu sehen, und das ist auf die Dauer ziemlich langweilig.

PETER KÖRTE

José Saramago: "Der Doppelgänger". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marianne Gareis. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 384 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.11.2004

Kopie sucht Original
José Saramagos Roman „Der Doppelgänger”
Ein Mann geht in ein Videogeschäft und leiht sich auf Rat eines Arbeitskollegen ein B-Movie aus. Leider ist es eher langweilig, aber die Hauptdarstellerin sieht passabel aus. Und der Mann, der sich das Video ausgeliehen hat, ist nach einer halben Stunde nicht mehr derselbe. Er weiß: dieser Portier, der geradeaus in die Kamera sieht, „das bin ich”.
Was tut ein Mann - in diesem Fall Tertuliano Máximo Afonso, achtunddreißig Jahre alt, Junggeselle und mediokrer Madrider Geschichtslehrer -, wenn er plötzlich bemerkt, dass es ihn zweimal gibt? Was machen seine Freundin, seine Eltern, seine Freunde? Wie weit geht die Verunsicherung des Mannes, der sich seiner selbst plötzlich nicht mehr sicher sein kann, wie bewegt er sich in der Welt? Die Story des „Doppelgängers”, des neuen Romans des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago, ist ein ebenso vielversprechender wie klassischer literarischer Stoff, an dem Hitchcock und Orson Welles ihre Freude gehabt hätten.
Tertuliano Máximo Afonso reagiert auf den Anblick des Doppelgängers erwartbar paranoid. Allerdings auf eher unauffällige Weise. Statt seine Umgebung mit der Entdeckung verrückt zu machen (oder bei ihr Beruhigung zu suchen), zieht er sich in seinen Wahn zurück. Er vernachlässigt den Unterricht, verliert alle Aufmerksamkeit für Außenkontakte und beginnt die Suche nach seinem Alter Ego, die sich mühselig anlässt: der Doppelgänger wird als kleiner Nebendarsteller im Abspann allenfalls unter ferner liefen geführt.
Saramago zeichnet das detaillierte Porträt eines sonderlinghaften Pädagogen, der sich in seinem Wahn zum Wissenschaftler entwickelt. Statt dass seine Welt auseinander fiele, verengt sie sich. Minutiös folgt der Autor jedem Schritt seiner Figur, in deren Gedanken sich beinahe nichts, aber unaufhörlich etwas ereignet. Tertuliano Maximo Afonso leiht sich an einem Wochenende drei Dutzend Filme derselben Produktionsgesellschaft aus, sieht sie sich manisch-mechanisch nur auf den Doppelgänger hin an. Der Vergleich der Abspänne soll ihm den Namen seiner Irritation zeigen. Er macht nur kleine Fortschritte und Tertulianos Isolation ist bald nahezu total. Seine Freundin, eine brave, hübsche Bankangestellte, die bei ihrer Mutter lebt, kann mehrmals auf den Anrufbeantworter heulen. Es dauert bis auf Seite 63, ehe das Bewusstsein des Geschichtslehrers, aus dessen Sicht die Geschichte mehrheitlich erzählt ist, sie überhaupt wieder registriert.
Die entscheidende halbe Stunde
Doch plötzlich steht Maria da Paz dann doch vor der Tür, und spätestens hier beginnt eine große Schwäche des Texts, der eine seiner Voraussetzungen nicht klar machen kann: Warum der hilflose Tertuliano Maria da Paz auf keinen Fall in seine Suche einweihen will. Aufgeregt versteckt er die Videos, als sie eintritt, und als Maria da Paz die Bänder dennoch entdeckt, belügt er sie konfus (er arbeite an einer Studie über Nebendarsteller). Statt zu sagen: Da gibt es einen Schauspieler, der gleicht mir sehr, schau ihn dir einmal an. Die von Saramago als sehr mild beschriebene Paranoia, der sanfte Wahn Tertulianos liefern kein glaubwürdiges Motiv für seine extreme Doppelgängerscheu.
Es ist ein ziemliches Unglück, dass Saramagos Buch, das all seine Anstrengung auf die lückenlose Darstellung einer psychischen Entwicklung legt, ausgerechnet an dieser Gelenkstelle nicht funktioniert. Der Autor kann auf den restlichen dreihundert Seiten noch so geduldig und geschickt suspense erzeugen. Er kann seinem Protagonisten mit Erzählerkommentaren und Selbstreflexionen noch so gelehrt dazwischenfunken: Immer wieder fällt die unwahrscheinliche Verschwiegenheit Tertulianos als Schwachstelle der Konstruktion auf. Nur weil Maria da Paz nichts weiß, kann der endlich gefundene, von Tertuliano in seinem Leben und seiner Ehe gestörte Doppelgänger António Claro sich rächen, kann er Maria da Paz verführen und mit ihr bei einem Autounfall sterben - Tertulianos Ausweispapiere in der Tasche.
Die zweite Schwäche des Texts ist seine stilistische Unentschiedenheit. Saramago beginnt den Roman als Geschichte eines beunruhigenden Wahns mit ironischen Einsprengseln. Dann dreht er den Identitätskonflikt auf einmal in Richtung Unterhaltungsliteratur, die jede Radikalität der Verunsicherung nur behaupten, nie einlösen kann: Als sich die beiden Doppelgänger weit hinten im Buch doch noch gegenüberstehen, wird die Möglichkeit eines persönlichkeitsverändernden Verrücktseins zum erstenmal greifbar, aber gleich wieder dementiert: António Claro ist eine halbe Stunde älter als Tertuliano. Er kann behaupten, er sei das Original, der Geschichtslehrer die Kopie. Ganz gleich, zeigt Saramago mit schalkhaft erhobenem Zeigefinger, sind sie sich doch nicht.
Ein hübscher Gag, der ein Buch zur Komödie macht, das für eine Komödie viel zu parabelhaft-penibel erzählt ist. Der über achtzigjährige Saramago hat bessere Bücher geschrieben und ist ein intelligenter Routinier des Identitätskonflikts. Hier hat er sich, trotz eines schließlich brillanten Schlusspunkts, in einer ausgeklügelten, aber wenig überzeugenden Konstruktion verirrt.
HANS-PETER KUNISCH
JOSÉ SARAMAGO: Der Doppelgänger. Roman. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 383 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Peter Körte ist ratlos und frustriert. Warum nur hat Jose Saramago seine schöne Idee - Durchschnittsmensch trifft Doppelgänger, und die Grenzen ihrer Identitäten lösen sich auf - in einem derart dickflüssigen Erzählsirup ertränkt? Wie ist zu erklären, dass es sich bei der umständlichen Art des Erzählers offenbar nicht um ein ein "Mißgeschick" handelt, sondern um "ein Programm, das Saramago mit hohem artifiziellem Aufwand auf Kosten der Geschichte umsetzt"? Denn die Geschichte hatte "Potenzial" und brauchte, so Körte, einen Autor, "der es ausschöpft; der die Spiegeleffekte inszeniert, den Albtraum und das Abenteuer des Ich-Verlusts, der den Notausgang aus dem Spiegelkabinett findet oder sich am Ende in ihm Verirrt". Saramago aber war da nicht der Richtige - kein Abenteuer, keine Spannung. Stattdessen ein Erzähler, der agiert "wie ein Conferencier, der auf die falsche Veranstaltung geraten ist", der zäh palavert und "auf die Herausforderung, vom Einbruch des Außergewöhnlichen in ein erstickend banales Leben zu erzählen, ... mit Banalität" antwortet. Saramago macht sich Sorgen um die "Erosion des Ichs", hat Körte anderswo gelesen. Aber warum erzählt er dann nicht davon? Und wenn's nur eine Weltverschwörungsgeschichte ist. Anstatt einer spannungsfreien Stilübung.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr