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Der Laienspielverein des Dörfchens Papavík in Island fasst einen grandiosen Entschluss: Zu Anton Cechovs hundertvierzigstem Geburtstag soll "Der Kirschgarten" aufgeführt werden. Gedanklicher Vater des Projekts ist der geldschwere Unternehmer Vatnar Jökull, der keine halben Sachen mag. Drei Jahre dauern die Vorbereitungen: Eigens wird ein Theater an den Rand eines Gletschers gebaut, ein Dramaturg aus dem fernen Berlin geholt, das Stück neu übersetzt. Bald steht das ganze Dorf Kopf. Je größenwahnsinniger der Einsatz, desto verrückter die Leute. Irrungen und Wirrungen im cechovschen Stil sorgen…mehr

Produktbeschreibung
Der Laienspielverein des Dörfchens Papavík in Island fasst einen grandiosen Entschluss: Zu Anton Cechovs hundertvierzigstem Geburtstag soll "Der Kirschgarten" aufgeführt werden. Gedanklicher Vater des Projekts ist der geldschwere Unternehmer Vatnar Jökull, der keine halben Sachen mag. Drei Jahre dauern die Vorbereitungen: Eigens wird ein Theater an den Rand eines Gletschers gebaut, ein Dramaturg aus dem fernen Berlin geholt, das Stück neu übersetzt. Bald steht das ganze Dorf Kopf. Je größenwahnsinniger der Einsatz, desto verrückter die Leute. Irrungen und Wirrungen im cechovschen Stil sorgen für Liebesaffären, Alkohol- und Ehekrisen - alles im Dienste der Sache, versteht sich. Rasant, abgründig und phantasievoll entwickeln sich die Dinge, bis am Ende... Nun ja, dies ist eine Komödie, und die zwingt jedes Chaos zur Ordnung, aber wie, das wird hier nicht verraten. Raffiniert führt Steinunn Sigurdardottir Regie in diesem farbenprächtigen Sittenstück, das ein Kaleidoskop menschlicher
Leidenschaften ist, aberwitzig, zärtlich, widerborstig - und schwungvoll inszeniert.
Autorenporträt
Steinunn Sigurdardóttir, geboren 1950, gehört zu den prominentesten Autoren Islands. Sie studierte Psychologie und Philosophie am University College in Dublin und hat viele Jahre für das isländische Radio und Fernsehen gearbeitet. Mit ihrem ersten Gedichtband "Sífellur", den sie im Alter von 19 Jahren veröffentlichte, begeisterte sie ihr Publikum. 1995 erhielt sie den Isländischen Literaturpreis. International wurde sie durch ihre Romane bekannt. Steinunn Sigurdardottir hat an unterschiedlichen Orten in Europa, den USA und Japan gelebt. Heute pendelt sie zwischen Reykjavík und Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Uwe Stolzmann staunt, und zwar positiv: der isländischen Autorin Steinunn Sigurdardottir sei es gelungen, nicht nur einen "aberwitzigen Stoff" zu finden, das könnten viele, sondern ihn darüber hinaus auch höchst glaubwürdig zu erzählen. Sigurdardottirs Roman spielt in der tiefsten isländischen Provinz, und berichtet von den Bemühungen des örtlichen Schauspielvereins, Tschechows "Kirschgarten" auf die Beine zu stellen. Das ganze Treiben bekommt etwas zunehmend Komisches, findet Stolzmann, und immer wieder schimmere Tschechows Komödienstoff mit seinen Intrigen und unglücklichen Liebschaften auch im realen Dorftheater durch. Ein Spaß sei es, der Autorin bei der Demontage der Mythen und Klischees vom glücklichen Inselleben, vom gesunden Landleben, vom heiligen Familienleben zuzuschauen, schreibt der Rezensent: "man sieht die Fetzen fliegen", juchzt er. Sigurdardottir schreibe treffsicher und ironisch, manchmal poetisch, wo es in die Natur gehe, verwöhne die Leser mit Stoff für drei Romane, die alle in einen gepackt seien, so dass sich unzählige Nebengeschichten ergäben, die von "lockerer Hand" gestrickt und zusammengehalten würden. Die Dialoge seien pointiert, die Typen treffsicher charakterisiert, kurzum für Stolzmann: ein Unterhaltungsroman "auf sehr hohem Niveau".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2004

Antrinken gegen den Wind
Steinunn Sigurdardóttirs isländisches Theater, frei nach Tschechow

Ideen muß man haben: Der Laienschauspielverein von Papavík, einem isländischen Dorf zwischen Gletscher und Meer, will Tschechows "Kirschgarten" aufführen. Schafzüchter und Genossenschaftsdirektoren sollen die Melancholie des alten Rußland heraufbeschwören. Auch Fischfabrikanten kommen in Frage, denn der Vereinsvorstand hat entschieden, nur Männer mitspielen zu lassen. Dieser Gedanke und der Genius Tschechows reißen den lokalen Magnaten Vatnar Jökull zu einem solchen Taumel hin, daß er beschließt, ein neues Theater zu Ehren des Dichters und seiner selbst zu finanzieren. Der ortsansässige Bauingenieur wird zum Architekten ernannt, der versoffene Buchhändler beginnt mit einer Neuübersetzung, und Papavík lebt fortan fürs Theater.

Steinunn Sigurdardóttir, eine der bekanntesten Autorinnen der Insel, läßt die Souffleuse erzählen. Wie es sich für ihre Arbeit gehört, agiert sie im Hintergrund, liefert aber entscheidende Stichworte und hat die Akteure fest im Blick. Deren Zusammenspiel macht den Witz des Romans aus. So kann sich der Regisseur schwer zwischen zwei plötzlich bühnenbegeisterten, rauflustigen Brüdern entscheiden, die sonst den lieben langen Tag auf dem Fußboden miteinander ringen, manchmal so selbstvergessen, daß der blinde Vater die Schafe füttern muß. In welchem von ihnen steckt die Gouvernante Sarlotta Iwanowna? Am meisten Kopfzerbrechen bereitet dem Vereinsvorstand aber die Besetzung der zartbesaiteten Kirschgartenbesitzerin Ljubow Andreewna Ranew- skaja. Dem Ideal des Regisseurs entspricht Ófeigur von Butterfeld. Er meistert die Übungen zur "Entsexualisierung" am besten: "Bitte sehr. Erhebt euch durch Flügelschlagen über traditionelle Denkmuster, bewegt euch zur Mitte der Geschlechtsskala hin, wo niemand Mann ist und niemand Frau, sondern jeder alles. Schwenken, Flügelschlagen."

Das langsame Einfügen in die Frauenrollen führt zu komischen Szenen und ernsten menschlichen Verwicklungen, wie überhaupt die Grenzen zwischen Männern und Frauen ins Fließen geraten. Unzählige Verbindungen schwanken in der kleinen Gemeinde. Viele Verhältnisse bleiben unausgesprochen, werden nur angedeutet, bevor sie sich lösen oder verändern, einige sind für Außenstehende rätselhaft. Darin erinnern sie an den großen Russen, für den hier gebaut und geprobt wird - allerdings mit robusteren Seelen und sprachlich sehr nahe am Alltag.

Das tägliche Leben ist im Roman von Steinunn Sigurdardóttir nicht nur vom Welttheater geprägt, sondern auch von der Natur, dem isländischen Zauber der Gletscher mit ihren Eiskappen und dunklen Zungen. Still ist diese Landschaft, weit, und oft geht ein sehr kalter Wind, gegen den die Schauspieler antrinken müssen. Während der Übersetzung, nach der Probe, vor dem Heimweg wird einander in der "Raubmöwenbar" zugeprostet. Der Alkohol spielt eine Rolle, komisch und ernst. Denn die Erzählerin leidet daran, Tochter einer Süchtigen zu sein. Die ferne Mutter in Reykjavík ist durchs Telefon und im Kopf der Souffleuse ständig anwesend. Die Frauen quälen sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. "In der Nacht weckte mich Mama. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Sie hörte sich so an, als wäre es schon der vierte oder fünfte Tag . . . Ach, Trísa, darf ich mich denn nie amüsieren? Muß ich mir ewig Vorhaltungen anhören? Mama lallt noch nicht, aber die Stimme verzerrte sich in Wellenbewegungen, breiten und schmalen, ich mußte genau hinhören, um mitzukriegen, was sie sagte. Ich schwieg so lange, bis sie fragte: Gehst du nicht total im Theater auf, wie läuft es?"

Wenn der flotte Erzählstil ins allzu Einfache zu kippen droht, nimmt der nächste Handlungsschwung den Leser schon mit auf den "Gletscherhorst", eine Hütte inmitten von Bergen und Birkenbüschen. Dort verzehrt sich der vor den Zudringlichkeiten der Theaterwelt geflohene Architekt in seinen Inspirationen. Er zieht die rauhe Einsamkeit der schauspielenden Gesellschaft vor, die noch immer um ihr "vereinheitlichtes Menschengeschlecht" ringt. Vor allem die siebenundachtzigjährige Besetzung des Dieners Firs arbeitet ohne Erfolg. In Betrachtung einer jungen Beleuchterin erleidet er einen peinlichen Männlichkeitsrückfall und ironisiert damit das in der skandinavischen Literatur momentan so beliebte gender crossing.

Über alldem waltet der Mäzen Vatnar Jökull. Er läßt kurzerhand aus dem ganzen Land Bäume heranschaffen, um einen immergrünen Garten anzulegen. Dieser wird zuletzt das Theater umstehen, das in seinen Grundfesten der isländischen Natur mit ihren Nordlichtern und Gletschern entspricht. Vor der Premiere des "Kirschgarten" wird es heftig von künstlichem Nebel umwallt. Steinunn Sigurdardóttir schätzt an Tschechow offenbar die große Undurchschaubarkeit des Seins. Einer stirbt, einer wird geboren, eine Maschine produziert Nebel - und keiner weiß warum.

SANDRA KERSCHBAUMER

Steinunn Sigurdardóttir: "Gletschertheater". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Coletta Bürling. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 317 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Man muss schon ein ziemlicher Unmensch sein, um dieses Buch nicht in einer Nacht zu verschlingen." -- Die Welt

"Tschechow - nur mit Männern." -- Neue Zürcher Zeitung

"Eine spaßige Lektüre, fantasievoll und rasant inszeniert." -- Münchner Merkur

"Still ist diese Landschaft, weit, und oft geht ein sehr kalter Wind, gegen den die Schauspieler antrinken müssen." -- FAZ