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Keine andere Autorin hat über die Jahrzehnte hin den Rassenkonflikt in Amerika so konsequent und leidenschaftlich beschrieben wie die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. "Gott, hilf dem Kind" setzt den mit "Jazz" begonnenen Zyklus fort, in dem Morrison die Situation der Schwarzen in den USA beleuchtet. Ein weiterer großer Roman der im Kampf gegen Rassismus engagierten Autorin. Lula Ann ist ein so tiefschwarzes Baby, dass ihre Mutter Sweetness bei der Geburt fast zu Tode erschrickt und der Vater die junge Familie auf der Stelle verlässt, weil er nicht glauben kann, dass dieses Kind von…mehr

Produktbeschreibung
Keine andere Autorin hat über die Jahrzehnte hin den Rassenkonflikt in Amerika so konsequent und leidenschaftlich beschrieben wie die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. "Gott, hilf dem Kind" setzt den mit "Jazz" begonnenen Zyklus fort, in dem Morrison die Situation der Schwarzen in den USA beleuchtet. Ein weiterer großer Roman der im Kampf gegen Rassismus engagierten Autorin.
Lula Ann ist ein so tiefschwarzes Baby, dass ihre Mutter Sweetness bei der Geburt fast zu Tode erschrickt und der Vater die junge Familie auf der Stelle verlässt, weil er nicht glauben kann, dass dieses Kind von ihm ist. Sweetness erzieht Lula Ann zu Gehorsam und Unterwürfigkeit, nur nicht auffallen, aus Angst vor rassistischen Angriffen.
Doch die heranwachsende Tochter sträubt sich gegen die verordnete Angepasstheit. Sie ändert ihren Namen, in Bride, kleidet sich in provokant strahlendes Weiß, macht Karriere bei einer Kosmetikfirma, verliebt sich in einen geheimnisvollen Mann und befreitsich auf ihre Weise von der Vergangenheit.
Zwei starke Frauen, zwei verschiedene Lebensentwürfe, in dem Versuch, sich zu schützen und gleichzeitig zu behaupten. Ein Roman, der zur Weltliteratur gehört.

Autorenporträt
Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen 'Sehr blaue Augen', 'Solomons Lied', 'Menschenkind', 'Jazz', 'Paradies' und diverse Essaysammlungen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Diese Geschichte über Rassismus und seinen Folgen in den USA der Gegenwart wird von vielen Stimmen erzählt. Da ist Sweetness, die ihre, wie sie erschrocken feststellt, viel zu dunkelhäutige Tochter Lula Ann zur Unterwürfigkeit erzieht, weil es für ein Mädchen mit ihrer Hautfarbe sicherer ist, nicht anzuecken. Lula Ann, die sich dagegen aufbäumt, sich Bride nennt und auf ihrer schwarzen Schönheit ein beruflich erfolgreiches Leben  aufgebaut hat. In den Monologen überzeugt Sprecherin Nina Kunzendorf  durch ihre schnörkellose Diktion, durch Kanten und Spitzen in ihrem stimmlichen Ausdruck, die die Reizstimmung vieler Passagen unterstreicht. Aber da gibt es noch eine verborgene Schuld aus Brides früherem Leben. Und es gibt Booker, der Mann, den Bride liebt und in dem seinerseits eine tiefe, seelische Wunde brennt. All das steht ihrer Liebe und dem Aufbruch in eine neue Zukunft lange im Weg. In der zweiten Hälfte wechselt Nobelpreisträgerin Toni Morrison ins auktoriale Erzählen. Genau hier verliert Kunzendorf die innere Spannung. Sie findet keine neutrale Erzählerstimme, verfällt in einen leicht leiernden Ton. Das schwächt etwas den Höreindruck einer ansonsten starken Erzählung.

© BÜCHERmagazin, Martin Maria Schwarz (mms)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2017

Aus einer Frau wird wieder ein Mädchen
Schwarzes Leben in einem Land, dessen Gesellschaft von Weißen für Weiße eingerichtet wurde: Toni Morrisons neuer Roman "Gott, hilf dem Kind"

Die Romane von Toni Morrison sind schlanker geworden im Laufe des knappen halben Jahrhunderts, das vergangen ist, seitdem die erste schwarze Literaturnobelpreisträgerin 1970 mit ihrem Debüt "The Bluest Eye" die Bühne der Weltliteratur betrat. "Liebe", "Gnade" und "Heimkehr", ihre drei nach der Jahrtausendwende entstandenen Bücher, kommen kaum über zweihundert Seiten hinaus, sie sind mehr Novelle als Epos. Das füllige Pathos, das Toni Morrison in ihren früheren Büchern wie "Menschenkind", (deutsch 1989) oder "Paradies" (deutsch 1999) noch mit breitem Messer auf die Seiten strich wie Marmelade auf eine Scheibe Brot, ist natürlich nicht völlig verschwunden, wird jetzt aber ebenso wie der magische Realismus deutlich sparsamer eingesetzt: dann und wann ein dicker Klecks.

Auch die Figurenzeichnung hat sich verändert. Während sie früher oft die Schicksale und Lebensläufe aller Beteiligten in epischer Verteilungsgerechtigkeit ausführlich schilderte, lässt Toni Morrison in ihrem jüngsten Roman "Gott, hilf dem Kind", der heute in der bewährten Übersetzung von Thomas Piltz in die deutschen Buchläden kommt, die Hauptfiguren als wechselnde Ich-Erzähler häufig zu Worte kommen, um es ihnen oft schon nach wenigen Seiten wieder zu entziehen: Bride und ihre Mutter Sweetness, Brides Arbeitskollegin Brooklyn sowie ihr entlaufener Liebhaber Booker, sie alle sollen sagen, was sie zu sagen haben, aber nicht ins Plaudern geraten und schon gar nicht in Selbstmitleid baden. Die Zeiten der "talking cure" sind vorüber und haben nicht gehalten, was sie zu versprechen schienen.

Toni Morrison ist ökonomischer in ihrem Erzählgestus geworden, karger, auch konzentrierter. Die Figuren sind teilweise skizzenhaft knapp gehalten. Einen Mangel an Empathie wird man ihr deshalb gewiss nicht vorwerfen wollen, eher schon mag eine Rolle spielen, dass die bald neunzigjährige Autorin in ihrem Leben viele literarische Figuren hat kommen und gehen sehen, während die Probleme, mit denen sie sich herumschlagen mussten, nahezu unverändert geblieben sind. Sie alle haben ihre Wurzeln in der amerikanischen Geschichte, in Sklaverei, Rassentrennung, Unterdrückung und Gewalt. Seit einem halben Jahrhundert schreibt Toni Morrison darüber, was es heißt, als schwarzer Amerikaner in einem Land zu leben, dessen Gesetze, aber auch dessen Ideale von Weißen für Weiße gemacht wurde.

In "Paradise" erzählte sie 1998 vom Urtrauma einer schwarzen Gemeinde in Oklahoma, deren Gründer nach dem amerikanischen Bürgerkrieg von anderen schwarzen Gemeinden abgewiesen worden waren, weil ihre Haut dunkler war als die der meisten anderen Schwarzen. Dass innerhalb der Black Community Spielarten des Rassismus existieren, wurde auch in "Teerbaby" deutlich gezeigt. Dieser 1982 erschienene Roman handelt unter anderem vom Konflikt zwischen der hellhäutigen Jadine und ihrem dunkelhäutigen Geliebten, der ihr schließlich Verrat an der schwarzen Gemeinschaft vorwirft. Wie Jadine gehört auch Bride, die Hauptfigur in "Gott, hilf dem Kind", zu den selbstbewussten "new black women", aber Bride ist eben nicht so hellhäutig wie der Rest ihrer Familie, sondern "mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz", so schwarz also, dass eine amerikanische Familie in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts daran zerbrechen kann: Der ebenfalls hellhäutige Vater vermutet einen Seitensprung und macht sich davon, die Mutter hält das Kind ein Leben lang auf Distanz.

"Ich kann nichts dafür", so lautet der erste Satz dieses Romans, der danach fragt, wie eine Schuld zu beurteilen ist, die aus erlittenem Unrecht erwächst. Seine ersten Seiten gehören einer Mutter, die ihr Kind auf brutale Weise erzieht, aber auch in dem bizarren Glauben, es damit zu schützen. Sie will das Mädchen vorbereiten auf all die Verletzungen und Enttäuschungen, die eine rassistische Gesellschaft für das Kind bereithält, und entzieht ihm alles, was es bräuchte, um in dieser Welt bestehen zu können: als da sind die Erfahrung von Urvertrauen, Mutterliebe, Wärme, Zärtlichkeit, Zuspruch.

"Ich sage es ungern, aber vom ersten Augenblick an, schon in der Wöchnerinnenstation, war mir das Baby Lula Ann peinlich. Anfangs war seine Haut bleich, wie bei allen Neugeborenen, selbst den afrikanischen, aber sie wandelte sich schnell. Ich dachte, ich werde wahnsinnig, als sie direkt vor meinen Augen blauschwarz wurde." Für einen Moment denkt die junge Mutter sogar daran, ihr Neugeborenes zu töten, und drückt ihm eine Decke aufs Gesicht. Acht Jahre später ergreift die kleine Lula Ann die Gelegenheit, ein einziges Mal die Anerkennung ihrer Mutter zu gewinnen. Tapfer sagt sie vor Gericht als Zeugin in einem Missbrauchsprozess aus. Die Lehrerin wird verurteilt, und Sweetness ist so stolz auf ihre Tochter, dass sie beim Verlassen des Gerichtssaals sogar Lula Anns Hand nimmt. Das Berührungsverbot ist aufgehoben, aber der Preis dafür war hoch: Lula Ann hat ihre Lehrerin wissentlich zu Unrecht beschuldigt.

Nach fünfzehn Jahren im Frauengefängnis wird die Lehrerin namens Sofia entlassen. In dieser Zeit ist aus der kleinen Lula Ann die strahlende schwarze Schönheit Bride geworden, die nur weiße Kleidung trägt, Karriere in der Kosmetikbranche gemacht hat, eine Eigentumswohnung und einen Jaguar besitzt und dennoch von ihrem Freund verlassen wird. Sie wusste weder, wie oberflächlich ihre Beziehung mit Booker war, noch wie sehr sie ihn tatsächlich liebte. Auch die Wiedergutmachungsgeschenke, mit denen Bride vor dem Gefängnis wartet, werden zurückgewiesen. Sofias lange angestaute Wut und Bitterkeit entlädt sich in einem Gewaltexzess, dessen Folgen die einzige Grundlage ihres Selbstbewusstseins zerstören: Brides Schönheit. Sie ist dreiundzwanzig, verstört, verprügelt, verlassen, gedemütigt. Außerdem gehen beunruhigende Dinge mit ihr vor: Seitdem Booker sie verlassen hat, verliert sie nicht nur an Gewicht. Ihre Periode bleibt aus, ihre Brüste verschwinden. Aus Bride wird wieder Lula Ann, aus der stolzen jungen Frau das verletzliche kleine Mädchen. Aber außer ihr scheint das niemand zu bemerken.

Toni Morrison hat diesem schmalen Buch viel aufgebürdet. Alle Figuren haben ihre Leidensgeschichte, auch die Nebenfiguren wie Bookers Tante Queen oder das weiße Mädchen Raisin, in dem Bride eine Schicksalsgefährtin erkennt. Aber nichts davon wird ausgeführt, alles muss in der Verknappung wirken. Brides Suche nach Booker, ihre Begegnung mit weißen Aussteigern, das Verhältnis zu ihrer Freundfeindin im Job, all diese Bestandteile der Handlung greifen ineinander wie kleine Rädchen, die sich zwar gehorsam drehen, denen man aber anmerkt, dass sie sich lieber strecken und dehnen würden. Toni Morrisons "Gott, hilf dem Kind" ist ein Roman wie ein Stoßseufzer, der aus großer Tiefe kommt und eine enge Brust passieren muss.

HUBERT SPIEGEL

Toni Morrison: "Gott, hilf dem Kind". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017. 208 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2017

Sie fehlt mir, meine schwarze Lady
Die amerikanische Nobelpreisträgerin Toni Morrison sät in ihrem
vielstimmigen Roman „Gott, hilf dem Kind“ Zweifel daran, dass die Bitte seines Titels erfüllt wird
VON ULRICH BARON
Ich kann nichts dafür.“ Der jüngste Roman der 1931 geborenen amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison beginnt mit der Zurückweisung einer Schuld durch eine Frau, die nicht „Mutter“ genannt werden will. Mit einer Zurückweisung hatte auch das Leben ihrer Tochter Lula Ann Bridewell begonnen: „Sie war so schwarz, dass sie mir Angst machte. Mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz.“
So schwarz sei in den Familien beider Eltern schon seit Generationen niemand mehr gewesen, empört sich die Mutter, deren Ehe diesen Schock nicht lange überstanden hat, über das Kind, vor dem sie sich ekelte: „Ich weiß nur, Lula Ann zu stillen war für mich so, als hinge mir ein kleines Negerlein an der Brust. Ich gab ihr die Flasche, kaum dass ich zu Hause war.“ Um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, für diesen „Rückfall“ verantwortlich zu sein, hat sie sich von ihrer Tochter nicht Mummy, sondern „Sweetness“ nennen lassen und Zärtlichkeit durch Strenge ersetzt: „Lula Ann musste lernen, wie man sich benimmt, wie man auf der Hut ist und keinen Ärger macht.“
So steht am Anfang dieses Buch eine Einführung in das, was man afroamerikanischen Selbsthass, aber auch Selbstbetrug nennen könnte – den Irrglauben, man könne Rassismus durch graduelle Assimilation besiegen. Aber Lula Ann ist in die Neunzigerjahre hineingeboren worden; die Zeiten hätten sich geändert, sagt man. „Schwarz ist das neue Schwarz“, hat ihr Image-Berater gesagt und geraten, ihre „Lakritzenhaut“ ausschließlich in weiße Kleidung zu hüllen. Aus dem „Landei-Namen“ Lula Ann Bridewell ist so Bride geworden, eine betörende Braut, die als Bezirkschefin eines Modekonzerns im Jaguar durch die Gegend fährt.
Aber als Bride sich als zweite Ich-Erzählerin zu Wort meldet, ist ihr erster Satz: „Ich habe Angst.“ Wenig später ist ihr schönes Gesicht zu einer schmerzenden Masse rohen Fleisches zerschlagen worden, doch während diese Wunden langsam heilen, scheint Bride sich in ein „verängstigtes kleines schwarzes Mädchen“ zurückzuverwandeln. Ihre Schamhaare verschwinden, dann ihre Brüste. Also noch ein „Rückfall“ – zumindest dann, wenn man ihren Worten Glauben schenkt.
„Sie lügt“, sagt hingegen ihre Freundin Brooklyn als dritte Ich-Erzählerin, deren Zuverlässigkeit nicht nur dadurch infrage gestellt wird, dass sie offensichtlich auf den Job der schwer misshandelten Bride spekuliert. Das blasse Mädchen mit den Dreadlocks, das der Protagonistin wie ein weißer Schatten anhängt, wird später gar als „abscheuliche Pseudofreundin“ abgetan. Was soll man da erst von der vierten Ich-Erzählerin Sofia halten, die sich mit den Worten vorstellt: „Es ist mir verboten, mich Kindern zu nähern.“
Doch gerade diese als „Ladymonster“ zu einer langen Haftstrafe verurteilte Frau kennt eine monströse Lüge, mit der sich Bride ein wenig Mutterliebe erkauft hatte. Uneingeschränkt glaubhaft sind nur die Worte des kleinen Hippy-Mädchens Rain, die in Bride die erste echte Zuhörerin ihres Lebens gefunden hatte: „Sie fehlt mir, meine schwarze Lady.“
Damit endet freilich vorerst auch die weibliche Wechselrede, und der Fokus richtet sich nunmehr auf die personale Perspektive des Mannes, der Brides neues Selbstvertrauen mit einem einzigen Satz zerstört hatte: „Du bist nicht die Frau, die ich will.“ Beunruhigend wirkt nunmehr schon der Einleitungssatz, der ihn in den Blick rückt: „Seine Fingerknöchel waren blutbefleckt, und die Finger schwollen schon an.“ Das lässt diesen Booker so wenig vertrauenerweckend erscheinen wie seine Charakterisierung durch Brooklyn: „Ich fand, er war ein Raubtier.“ Und dass dieser Mann, anders als Bride und Brooklyn, Bücher liest und studiert hat, macht ihn eher noch suspekter.
Wie es Toni Morrison dann auf ein paar Dutzend Seiten gelingt, nicht nur zu zeigen, dass auch in diesem „Raubtier“ ein verängstigtes und gequältes schwarzes Kind steckt, wie sie lose Fäden und scheinbare Widersprüche dieser multiperspektivischen Erzählung in ein deutliches Bild einfügt, ist meisterhaft. Und wenn darin zunächst gegen manche epischen Instinkte verstoßen wird, so hat dies doch Methode.
Wie das Leben selbst steckt dieses Buch voller Überraschungen, auf die niemand – auch kein Erzähler – dessen Protagonisten und Leser vorbereitet hätte. Ein verängstigtes kleines schwarzes Kind kann hier zum Opfer werden, doch auch zur Nemesis, und zwei solcher Kinder können einander auf- doch auch zugrunderichten.
Allein schon formal, durch die Wechselrede nur bedingt zuverlässiger Ich-Erzählerinnen, wird man als Leser in eine kindliche Rolle versetzt. Man muss sich zunächst mit dem begnügen, was einem gesagt wird, und das reicht oft nicht aus, um zu verstehen, was gemeint ist. Bookers fataler Satz „Du bist nicht die Frau, die ich will“ reißt Bride den Boden unter den Füßen weg, weil er die mütterliche Zurückweisung auf ihre neue, erwachsene Rolle zu übertragen scheint. Aber darin liegt eine doppelte Ironie, die beiden verborgen bleibt. Es geht nicht um Brides Weiblichkeit, sondern darum, dass sie nicht der Mensch zu sein scheint, den Booker lieben könnte. Das aber beruht auf einem Missverständnis, auf zwei komplementären emotionalen Sprengsätzen, die in ihren Kindheitsgeschichten versteckt sind.
Am Schluss aber scheint einem unglücklichen Anfang ein Happy End zu folgen. Bride erwartet ein Kind: „Es ist deins“, sagt sie zu Booker, und der trifft diesmal die richtigen Worte: „Es ist unseres.“ Am Ende also steht ein weiteres Kind, wieder ein Anfang: „Immun gegen alles Böse“, soll es sein, „behütet vor Entführung, Schlägen, sexueller Gewalt, Rassismus“. Aber dazu gehört der Satz: „So stellen sie es sich vor.“ Auf den Gesichtern des Paars liegen dazu ein „erschöpftes Lächeln“ und „traumverlorene Leere“. Wer wäre berufener, Wermutstropfen in den Wein ihrer Hoffnungen zu gießen als die verlassene Rabenmutter Sweetness? Lula Ann werde schon sehen, „was es bedeutet und wie es dich verändert, wenn du eine Mutter bist.“ Die Tirade endet mit den Worten, die der Roman im Titel trägt, „Gott, hilf dem Kind“. Sie sind eher ein Hilferuf als ein frommer Wunsch.
So bleibt einem von diesem altersweisen Buch über Verantwortung, Fehlbarkeit und verletzende Missverständnisse der Menschen auch die Einsicht, dass Realismus und Ehrlichkeit sie nicht immer sympathischer machen.
„Ich fand, er war ein Raubtier“ –
und dass der Mann Bücher liest,
macht ihn eher noch suspekter
Dieser Roman ist ein altersweises
Buch über Verantwortung,
Fehlbarkeit und Verletzungen
Meisterhaft im Verweben scheinbarer Widersprüche zu einem Bild – Toni Morrison.
Foto: Patrick Kovarik/AFP
Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 208 Seiten, 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader bewundert Toni Morrison sehr, vor allem für ihr Debüt "Sehr blaue Augen", doch gerade im Vergleich zu diesem frühen Werk fällt der neue Roman "Gott, hilf dem Kind" in Schaders Augen deutlich schwächer aus. Natürlich ist Morrison noch immer eine souveräne Erzählerin, sie beherrscht charmante Seitenblicke und edle Vignetten so gut wie "stählerne Fußangeln". Auch das auf verschiedenen Ebenen wiederkehrende Motiv aus "Nacht und Eis" gefällt Schader. Doch in der Geschichte um die junge Bride, die als tiefschwarzes Kind sogar von den eigenen Eltern stigmatisiert wird, dann jedoch zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau aufsteigt, um schließlich nach der Trennung von ihrem Geliebten die eigene Vergangenheit zu erforschen, erkennt die Rezensentin auch die Tücken einer erzählerisch überladenen Konstruktion.

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Kämpferisch und energisch - wie man Morrison kennt und liebt. Observer