Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 1,51 €
  • Gebundenes Buch

Kreuz und quer sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt in die Altstadt - die unheimlichen, aber auch liebenswerten Deutschen sind Getriebene und Suchende zugleich. Georg Klein beschreibt sie in einem literarischen feuerwerk an Kraft, Gefühl und Phantasie, das vor allem eins zum Thema hat: uns.
Auf und ab, und kreuz und quer, sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn in U-Bahn-Nähe oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum neugebauten Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt, ob nach Chicago, wo der
…mehr

Produktbeschreibung
Kreuz und quer sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt in die Altstadt - die unheimlichen, aber auch liebenswerten Deutschen sind Getriebene und Suchende zugleich. Georg Klein beschreibt sie in einem literarischen feuerwerk an Kraft, Gefühl und Phantasie, das vor allem eins zum Thema hat: uns.
Auf und ab, und kreuz und quer, sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn in U-Bahn-Nähe oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum neugebauten Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt, ob nach Chicago, wo der riesenhafte Herr Arno ein Nazi-Devotionalien-Geschäft betreibt, oder ins ferne Schutzgebiet an der Druschka - die Deutschen, von denen Georg Klein in diesen Geschichten erzählt, sind Getriebene, und doch sind sie alle fast am Ziel. Da ist der weißbeflaumte Kungu, der früher einmal in Afrika gekämpft hat und jetzt im Regengeniesel mit seiner Staffelei an der Gedächtniskirche sitzt.
Da ist das Ray-Getz-Trio, das auf der alljährlichen Weihnachtstournee mit ihren Songs die Rentner glücklich macht. Da ist der in den Osten verschlagene Junggeselle Waldemar, der, vom Glühwein beschwipst, mit der mutmaßlichen Käuferin seines geerbten Hauses auf dem Liebeslager liegt und den süßen Klängen von "Erzgebirglers Heimatlied" lauscht.
Oder da sind die Historical Harmonists, ein paar trinkfeste Arbeitslose, die sich eine Wagenburg im Berliner Regierungsviertel zurechtgeputzt haben, um vor Reisegruppen aus aller Welt zu spielen.
Die Deutschen - Georg Klein beschreibt sie ohne Häme, ohne Spott. Im Gegenteil, Zartheit und Wärme, ja etwas Hegendes, fast Pflegendes haben sich in seine kunstvoll verrätselten, hochliterarischen Erzählungen geschlichen, die unserer Gegenwart, mit einem feinen Maß an Ironie, dicht auf den Fersen sind. "Und manchmal gehören Dinge zusammen und wachsen zusammen, die noch weiter auseinanderliegen als der Scheitel von Girkos Nichte und der blonde Schopf ihres Verehrers", heißt es in der Titelgeschichte. Und dann: "Wir lieben die Deutschen, und mit etwas Glück wird noch der eine oder andere von uns sein Glück mit ihnen machen."
Autorenporträt
Klein, GeorgGeorg Klein, 1953 in Augsburg geboren, veröffentlichte die Romane «Libidissi», «Barbar Rosa», «Die Sonne scheint uns», «Sünde Güte Blitz», «Die Zukunft des Mars» und «Miakro» sowie die Erzählungsbände «Anrufung des Blinden Fisches», «Die Logik der Süße» und «Von den Deutschen». Für sein Werk wurden ihm der Niedersächsische Staatspreis, der Brüder-Grimm-Preis und der Bachmann-Preis verliehen; für «Roman unserer Kindheit» erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse 2010. Zuletzt erschien der Roman «Bruder aller Bilder» (2021).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Heimat in schwieriger Zeit
Wackere Exilfranken und türkischstämmige Frankfurter: In „Von den Deutschen” scheut Georg Klein nicht den deutschen Weg
Es gibt eine reiche Tradition der Deutschland-Reflexion. Zwei Hauptlinien lassen sich darin unterscheiden: Die eine widmet sich der deutschen Seele, ihrer Innerlichkeit und Musikalität, ihrer Naturfrömmigkeit und zarten Romantik. Nennen wir sie die Schubert-Linie. Die andere Linie wäre dem gegenüber die Heinrich-Heine-Linie zu nennen. Ihr Leitmotiv ist das „Denk ich an Deutschland in der Nacht”. Zwar scheinen sich auch hier die mondsüchtigen Nachtseiten der Romantik nicht ganz verleugnen zu wollen, gemeint ist aber das politische Dunkel der deutschen Zustände, die einfach noch nicht auf der Höhe der westlichen Zivilisation angekommen sind. Die Heine- Linie ist insofern die Folie, vor der sich die Schubert-Linie überhaupt erst entfalten kann, denn deren Innerlichkeit wird verstanden als Ausfluss der politisch-zivilisatorischen Rückständigkeit dieses treuherzigen Landes.
In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts herrschte fast unangefochten die Heine-Linie, schließlich gab es genügend,was einen um den Schlaf bringen konnte, wenn man an Deutschland dachte. Das Schuberthafte jedenfalls galt es seither so weit wie möglich in Schach zu halten. Auf eine unschuldige, historisch gewissermaßen nicht revidierte Weise lebte es vor allem bei den Auslandsdeutschen fort – und so kommt es zu der ironischen Situation, dass der Schubert-Anteil ausgerechnet in jener Nation enklavenartig weiterlebte, die Deutschland zuletzt endlich an den Westen angeschlossen hatte: In Amerika.
Herkulische Bürger
Es ist kein Zufall, dass gleich zwei Erzählungen in Georg Kleins neuem Buch, dem Erzählband „Von den Deutschen”, von Auslandsdeutschen in den Vereinigten Staaten handeln. Denn Klein interessiert sich vor allem für die Schubert-Seite der Deutschen. In der Erzählung „Chicago/Baracken” befindet sich eine Schlagzeugerin – „fachgenau gesagt: Solo-Perkussionistin” – auf einer von der Deutschen Bank gesponserten Konzerttournee in den USA. Ihr Mann, zugleich der Erzähler der Geschichte, begleitet sie, als sie bei einem Stadtspaziergang „den Negern in die Hände” fallen. Ups – stockt der Leser: Sagt man so? „Glauben Sie mir, ich habe, wenn die Rede auf unser Abenteuer kam, versucht, von Schwarzen, von Farbigen, von Amerikanern afrikanischer Herkunft zu sprechen. Aber stets ist dies dem Erzählen abträglich gewesen. Und als mich meine Frau einmal gar mit der Formulierung ,drei herkulische amerikanische Bürger afrikanischer Abstammung‘ ringen hörte, unterbrach sie mich mit dem Zwischenruf: ,Aber es waren doch Neger!‘”
Die „Neger” also bringen – unter leichten Drohgebärden – das deutsche Ehepaar zu „Arno’s Atlantic Hardware”. Herr Arno, ein alter, riesiger Mann, der handgemolkene Rohmilch von einem deutschstämmigen Farmer in Wisconsin zum Tee anbietet, verkauft Töpfe, Pfannen, Schöpflöffel und ist ansonsten „Amateurphilologe und Amateurübersetzer”. Mit beispielhafter Akribie arbeitet er seit Jahren an seinem Hauptwerk, der Übersetzung von „Mein Kampf”. Denn wie könne man den Faschismus bekämpfen, „solange keine vernünftige Übersetzung seines theoretischen Hauptwerks in die Weltsprache vorliege”.
Gemeinsam mit der Perkussionistin macht sich Herr Arno wieder an das, was er „Textkritik, seelenhistorische, sprachvegetative Textkritik” nennt. Dabei geht es auch um den richtigen Rhythmus, um die Sprachmelodie, und ausgerechnet die avantgardistische Schlagzeugerin, „die man mit bestimmten Harmonien zur Weißglut reizen kann”, sucht sich unter Herrn Arnos Blechwaren die „nötigen Dreiklänge” zusammen, um die Übersetzungsarbeit des Amateurphilologen orchestrierend zu überprüfen. In den Baracken von Chicago erlebt die deutscheste aller Wissenschaften, die Philologie, eine abgründige Renaissance, feiert die musikalische Seele der Deutschen fröhliche Urständ, und beide verbinden sich, auf schlichtem, altfränkischem Blech angeschlagen, zu jenen unschuldigen Dreiklängen der Heimat, die der ästhetische Fortschritt längst verworfen hat.
Man sollte bei diesen Erzählungen Georg Kleins nicht nach der Pointe fragen. Sie haben, obwohl ungeheuer komisch in jedem Satz, keine. Auch sind sie nicht reaktionär in dem Sinne, dass sie eine vorherrschende Sprachregelung einfach umdrehen und, herrje, halt von Negern reden. Wenn überhaupt, dann wäre eher dies die Pointe: Wie sich alte und neue Welt durchdringen, wie man erst den Negern in die Hände fallen muss, damit diese einen zu den verdrängten Ursprüngen des eigenen Seelenlebens, die Perkussionistin zu den Dreiklängen zurückführen. Und wie der Erzähler erst, indem er den Fremden einen klaren Namen gibt, auch sein Eigenes zu benennen vermag. Aber ist das eine Pointe? Oder nicht viel eher das koboldhafte Wegziehen des Bodens unter den Füßen des Lesers?
Kleins neue Erzählungen sind raffiniert, aber nicht tiefsinnig. So werden sie auch von jenem Tiefsinn verfehlt, der hofft, wo er nur lange genug bohre, stieße er irgendwann auf den Felsen einer festen Botschaft. Allen politisch-weltanschaulichen Deutungsmustern wird hier eine Nase gedreht: „Von den Deutschen” illuminiert zwar ein schuberthaft-störrisches Märchendeutschland, leistet – in Herrn Arnos Sinne – „seelenhistorische, sprachvegetative Textkritik” und bearbeitet so ein in der Tat zu lange vernachlässigtes Feld der poetischen Einbildungskraft. Aber es geht bei Klein nicht um primitives Roll-back, sondern um den artistischen Funken, der sich aus diesem schönen Gegenstand schlagen lässt.
Das heißt nicht, dass das Politische der deutschen Frage von Klein ignoriert würde. Die Gesellschaft, die Klein hier entwirft, ist die exakte Gegenwelt zu den „United Colors of Benetton” , in denen alle Hautfarben- Differenzen der Menschen in den konfektionierten Streifenpullis und bunten Rollkragenpullovern aufgehoben werden. Bei Klein sind das Misstrauen wie die Faszination gegenüber den Differenzen der Völker und Rassen eine anthropologische Konstante, die weniger den mahnenden Zeigefinger als ein herzliches Gelächter verlangt. So gibt es in „Von den Deutschen” nicht eine Figur, deren Volkszugehörigkeit im Vagen gelassen würde. Da gibt es den „wackeren Exilfranken”, „Holländer indonesischer Abstammung”, den Sänger Ray aus „Bayrisch-Schwaben” und (trotz Schilys neuem Staatsbürgerrechts) „Hakan, den türkischstämmigen Frankfurter”; und die „Asiaten sind Weltklasse im Stillhalten” (wenn man nämlich von ihnen ein Porträt malt).
So sehr Klein mit altmodisch nationalpsychologischen Klischees arbeitet, es nimmt seinen Figuren nichts von ihrer Zeitgenossenschaft. Wenn er an Deutschland in der Nacht denkt, dann erscheint ein Land, das nur noch auf der Ebene seiner kindlichen Musikalität seine seelenökonomischen Bedürfnisse zu stillen wagt und zugleich um das Problematische dieser Regression weiß. In „Der gute Ray” tourt das Ray-Getz-Trio (mit Dietmar an der Orgel) von Altersheim zu Altersheim, wo die an Alzheimer erkrankten Alten sich unter Aufsicht der Pfleger ihrer „Erinnerungsarbeit” widmen. Es ist nur dieses Wort „Erinnerungsarbeit” in fremdem Kontext, aber plötzlich ist die ganze Bundesrepublik der Mitscherlichs auf urkomische Weise travestiert. Aber auch respektiert: „Die Doppel-CD, die wir dieses Mal aufgenommen haben, wird, wenn Ray sich bei unserer Plattenfirma durchsetzen kann, den Titel ,Heimat in schwieriger Zeit‘ tragen und als Cover den verschneiten Christkindlmarkt vor dem Rathaus zeigen.” Christkindlmarkt und Erinnerungsarbeit – wenn das nicht Deutschland ist!
Kleins Deutsche sind immer beides zugleich: Regressive Träumer und Musterschüler der pädagogischen Geschichtsprovinz. In der herrlichen „Spree Novelle” werden verwahrloste Penner durch einen gewissen Herrn Strohmann zur Schauspieltruppe diszipliniert, die als „Historical Harmonists” jeden Abend im Spreebogen, gegenüber dem Kanzleramt, in lebenden Bildern, stark grimassierend, Stationen der deutschen Geschichte vorstellt. Die „Japaner weinen”, aber Strohmann krampft die „historische Verantwortung (...) den Bauch zusammen”.
Die lebenden Bilder, die Georg Klein „Von den Deutschen” inszeniert, verführen in ihrer Suggestivität manchmal dazu, sie wie Allegorien zu lesen. Doch ist das ein Holzweg, der im Dickicht der Fiktionen plötzlich endet. Denn die deutsche Tugend der Vergangenheitsbewältigung ist ja gerade keine der Harmonisierung. Wer sich jedoch an das unerträglich biedere Machwerk „Comedian Harmonists” von Joseph Vilsmaier erinnert, spürt, wie die „Historical Harmonists” vom Spreebogen einer ganzen Schule der Geschichtsbetrachtung den Boden unter den Füßen wegziehen. Kleins Erzählungen entfalten eine Mehrdeutigkeit, gegen die jede Ironie halbherzig wirken muss. Das unterscheidet sie von der Parodie. Und der glückliche Leser fühlt sich wie in einer reinigenden Brandung, in der eine Sinnwelle von der nächsten begraben wird. An dieser Gischt haben wir das poetische Leben.
IJOMA MANGOLD
GEORG KLEIN: „Von den Deutschen”. Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 192 S., 16,90 Euro.
Diese Jugendstilvase ist von außerordentlicher Schönheit – so oder so ähnlich hätte vielleicht René Magritte über das von ihm geschaffene Bildnis der „Lectrice soumise” („Die fügsame Leserin”, 1928) geurteilt. Es trieb den Künstler nämlich nicht nur die surrealistische Irritation des chocs um, den die wie vom Erlebnis eines Trambahn-Unfalls getroffene Dame mitten in der Roman-Lektüre erleidet – ein Buch könnte man immerhin wieder aus der Hand legen, um den Puls herunterzufahren –, nein, Magritte war es auch um die vielfältigen Fallen in der Dunkelzone zwischen les mots et les choses zu tun, um die unausweichlichen Verschiebungen zwischen den Wörtern und den Dingen – nachzulesen im jetzt erschienenen Katalog der Ausstellung „Die surrealistische Revolution” (Hatje Cantz, Ostfildern 2002, 468 Seiten, 58 Euro).
holi
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Deutsche Denker im dreckigen Dutzend
Mit Manier: Georg Kleins Erzählungen / Von Ernst Osterkamp

Seien wir ehrlich: Eigentlich wollen wir ein belletristisches Werk, das den Titel "Von den Deutschen" trägt, nicht lesen. Und wenn dann noch der notorisch mißbrauchte Caspar David Friedrich die Umschlagillustration hat liefern müssen, wird die ästhetische Schranke, die vor der Lektüre zu übersteigen ist, nahezu unüberwindlich. Aber wie man bei den Deutschen zu sagen pflegt: Da muß man durch!

Und sogleich wird man nach dem Titelblatt von dem Motto des Buches angenehm überrascht: "Nazionalkarakter ist Manier." So hat Jean Paul geschrieben, und wo Jean Paul den Türhüter spielt, kann es so ganz schlimm nicht kommen. Jean Paul will damit sagen, daß der Nationalcharakter jene spezifische Abweichung vom Menschheitlich-Universalen bezeichnet, an der man einen Menschen als Angehörigen einer bestimmten Nation erkennt. Aber Jean Paul war glücklicherweise kein Politologe, sondern ein Artist, und für einen um 1800 schreibenden Artisten war Manier zunächst und vor allem ein kunsttheoretischer Terminus, der ein künstlerisches Verfahren bezeichnet: jene spezifische ästhetische Abweichung, die einen Künstler charakterisiert und an der man einen Künstler erkennt.

Das läßt hoffen. Demnach wäre nämlich der Nationalcharakter der Deutschen, von denen in diesem Buch erzählt wird, nicht Ausdruck eines nationalen Triebschicksals, dem jeder Deutsche unterworfen ist, sondern das Resultat eines artistischen Gestaltungswillens - die Deutschen: lauter Kunstfiguren! Und die künstlerische Manier, die hier am Werke ist, kennt man aus den Romanen "Libidissi" (1998) und "Barbar Rosa" (2001) sowie dem Erzählungsband "Anrufung des blinden Fisches" (1999) mittlerweile ziemlich gut: Es ist die Manier des Georg Klein, in der es, wie bei allen besseren Manieristen, ohne Ironie nicht abgeht. Schauen wir uns die Deutschen dieses Bandes also etwas genauer an.

Es handelt sich um eine erstaunliche Truppe: um Riesen, Recken und Wichte. Unter diesen Kategorien versammelt Klein jeweils im Viererpack das dreckige Dutzend seiner Erzählungen. Man muß schon ein Ironiker sein, um den Nationalcharakter der Deutschen in Riesen, Recken und Wichten repräsentiert zu finden. Während die Deutschen, die wir so kennen, besonders in unserer lieben Stadt Berlin, in der nicht wenige dieser Geschichten spielen, schrecklich normale Leute sind, sind sie bei Klein über- und unterlebensgroß: Kunstfiguren eben - und wie alles, was im Dutzend angeboten wird, allzeit bereit, in Serie zu gehen. (Auch Kleins vorangegangener Erzählungsband versammelt bereits ein Dutzend Geschichten, die allesamt, wie in dem neuen Buch, Männergeschichten sind.) So will es uns denn von hoher Ironie erscheinen, daß der gute alte deutsche Kunstanspruch, der uns die lebenden Bilder dieser eigentümlichen Deutschen vor die Augen zaubert, gleichsam in femininer Brechung bereits im ersten Satz des Bandes benannt wird: "Mich hat die Kunst meiner Frau nach Chicago gebracht, und ihr Wagemut zog mich unter die schwarzen Balken der Baracken." Wo nun der Ich-Erzähler, den man in diesem Fall getrost dem Genre der Wichte wird zurechnen dürfen ("Ach, das will also Ihr Mann sein!"), auf den ersten deutschen Riesen trifft.

Auftritt Arno in seinem Eisenwarenladen: "Auch in freier Wildbahn, selbst neben den Negern, die uns zu ihm geführt hatten, mußte der alte Mann riesig wirken. Hier, unter der niedrigen Decke des Ladens, zog sein gewaltiger Schädel wie ein käsiger Mond durch einen Schwarm blitzender Meteoriten - Himmelskörper, die in kosmischer Gewitztheit die Form von Pfannen, Töpfen, Schöpflöffeln, Gießkannen und Bügelsägen angenommen hatten." Das ist erzählerisch bewundernswert gut gemacht. Hier erkennt man den Künstler an seiner Manier: Man muß die erzählerische Decke eben nur niedrig genug halten, dann wirkt jeder Mann wie ein Riese, dessen Auftritt einem kosmischen Ereignis gleichkommt.

Georg Klein arrangiert die Requisiten seiner Erzählungen mit bezauberndem Beziehungssinn, und so kann sich der Leser, der am Anfang erfährt, daß die Frau des Erzählers Schlagzeugerin ist, denn auch fest darauf verlassen, daß sie am Ende auf Arnos Hardware, die bei dessen Auftritt seinen Schädel kosmisch umblitzt, "ein Liedchen aus der Heimat" trommelt. Dazwischen aber wird dem Leser mitgeteilt, daß Arno, der sein Geld vorwiegend mit dem Verkauf von Nazidevotionalien macht, seit einem Halbjahrhundert in Chicago sich in unablässiger Arbeit einer textkritischen Übersetzung von "Mein Kampf" widmet: "Wie solle man den Faschismus vernünftig bekämpfen, solange keine vernünftige Übersetzung seines theoretischen Hauptwerks in die Weltsprache vorliege?" Ach Arno, du deutscher Riese: Welch herrliche Kunstfigur bist du doch! Und wieviel hat dein Autor lesen müssen, um dich erfinden und in den engen Rahmen einer kunstvoll gebauten Erzählung stecken zu können, an deren niedriger Decke du dir nun auf alle Zeiten deinen Schädel zerstößt! "Textkritik, seelenhistorische, sprachvegetative Textkritik!" Das ist es, was Arno mit einem Schlag auf den Tisch und mit Blick auf seine Übersetzung von "Mein Kampf" fordert. Ein gemütvolleres, ironisch noch stärker gebrochenes Monster läßt sich für ein Gruselkabinett, in dem deutsche Intellektuelle sich wohl fühlen, wohl schwerlich erfinden.

Man durchschreitet das von Georg Klein entworfene Panoptikum der Deutschen mit hoher intellektueller Spannung. Jede Erzählung konfrontiert den Leser mit einer unerhörten Begebenheit von novellenhafter Dichte, jede stellt ihm einen seltsamen Charakter vor, (fast) jede ist mit eminenter Metiersicherheit entworfen. Da ist eine hohe Kunst der erzählerischen Irritation, der Aufbrechung alltäglich gewohnter Lebensmuster, am Werk, die das Gemütliche ins Ungeborgene, das Geordnete ins Krabbelnd-Quietschend-Chaotische verkehrt und dabei auch die beherzte Überschreitung der Ekelgrenze nicht scheut. Hinzu kommen eine Sicherheit und Detailgenauigkeit in der sprachlichen Vergegenwärtigung, die für sich bereits bewundernswert sind. Das alles ist sehr hoch zu schätzen.

Und doch hält die Irritation, die von diesen Texten ausgeht, nicht lange vor. Das macht: Es sind dies Texte eines Manieristen, der uns an ein wenig selbstverliebten Kunstveranstaltungen mit virtuos entworfenen Kunstfiguren teilhaben läßt. Wie bei allen großen Manieristen übersteigt auch hier die Aufmerksamkeit für das Wie der Artistik diejenige für das Was des Problemgehalts erheblich. Diese Erzählungen sind deshalb auch mit liebevoll-elegantem Sinn für den Effekt geschrieben, und die Definition von Effekt lautet bekanntlich: Wirkung ohne Ursache. Klein arrangiert seine Erzählungen mit großem Gespür für ungemütliche Konstellationen, und doch erscheinen diese polierten Geschichten seltsam geheimnislos: als werde plötzlich eine hochgespannte Oberfläche aufgerissen, unter der sich aber nichts zeigt - außer dem Willen zum Effekt. Das seltsame Getier, das Klein in zwei der sonst eindrucksvollsten Erzählungen des Bandes auftreten läßt - das Körperkollektiv des Kakerlakenkönigs in "Altkayser" und die lispelnden goldenen Waidschlangen in "Old Erfurt" - , ist, auch wenn es den Eindruck des Archaisch-Irregulären oder des Irrational-Unbewältigten bezeichnen soll, doch zugleich eine Allegorie des erzählerischen Effekts.

In "Old Erfurt" wird die Geschichte der seltsamen Begegnung einer deutschstämmigen Amerikanerin, die im Auftrag eines Hotelkonzerns in Erfurt die Ruine des "Alten Färberhauses" zu erwerben sucht, mit dessen Besitzer, einem erotisch gehemmten jungen Mann aus dem Westen, erzählt: "Als Waldemar endlich, durchgefroren, innerlich entmutigt und auch äußerlich sichtbar mutlos, zu Mary Ann ins Bett stieg, piepste es, wie um ihn zu verspotten, aus ihrem Kleiderhaufen." Diese Geschichte wird in kunstvollster Motivverdichtung mit derjenigen von Mary Anns Vater verzahnt, einem ehemaligen U-Boot-Matrosen, der 1941 nach einem gescheiterten Angriff auf die Golden Gate Bridge in den Vereinigten Staaten geblieben war. So hat es die Tochter eines Recken, nach erotischer Annäherung in einem Lokal, das natürlich "Old San Francisco" heißt, in das Bett eines Wichts verschlagen, und was da nun piepst, ist, wie in allen modernen erotischen Katastrophenstories, das Handy, mit dessen Hilfe Mary Anns aus dem Erzgebirge gebürtiger Vater seiner Tochter "Erzgebirglers Heimatlied" aus Minneapolis nach Erfurt überspielt.

Das wird erzählerisch so fugenlos glatt ineinander gebaut, daß es wohl doch der Waldemar soufflierenden goldenen Würmchen bedarf, um ein Element archaischer Irritation in den glänzenden Kunstkörper dieser Erzählung zu bringen. Man bewundert Georg Kleins hohe Kunstfertigkeit gerade im Falle dieser Geschichte uneingeschränkt. Aber die Deutschen? Ach, die Deutschen: Sie sind halt hier wie auch sonst in den ästhetischen Arrangements dieser Erzählungen Kunstfiguren - Spielmarken einer poetischen Imagination und eines artistischen Gestaltungswillens, der die Recken und Wichte mit erzählerischer Ironie in Bewegung setzt und wieder stillstellt. Wie es das Motto schon sagt: Der Nationalcharakter ist bei Georg Klein Manier geworden. Artistische Manier.

Georg Klein: "Von den Deutschen". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 192 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Mit welcher fernen, reichen, melodisch aufgeladenen Sprache haucht Georg Klein seinen Geschichten Leben ein!"
(Süddeutsche Zeitung)

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Georg Kleins zwölf Erzählungen "Von den Deutschen", gegliedert in die Abteilungen "Riesen", "Recken" und "Wichte", haben den "Jdl." zeichnenden Rezensenten nicht wirklich begeistert. Das Thema hätte seines Erachtens zu "Exkursen" und zu "Exemplarischem" getaugt. Doch Georg Klein wähle die Form "ironischer Verdichtung". Den deutschen Existenzen, von denen Klein erzählt, misslinge das Leben auf dem hohen Niveau ihrer uneinlösbaren Absichten und Träume. "Aber", fügt der Rezensent hinzu, "es scheitert auch an der Brillanz von Georg Kleins Erzählungen, die am Ende seltsam leblos bleiben." Aus Kleins Sprache, die obschon "artistisch" und von "virtuosen Witz", wächst zum Bedauern des Rezensenten letztlich mehr "Manieriertheit" als deutsche "Manier".

© Perlentaucher Medien GmbH
Das sind wahrlich neue Töne in der deutschen Literatur der Gegenwart. So hat seit Thomas Mann keiner zu sprechen gewagt. Die Welt