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Frei nach Lou Reed - "When I'm rushing on my run, and I feel just like Jesus' son" - muß dieses Buch gelesen werden. Denis Johnsons Storysammlung "Jesus' Son", 1992 in den USA erschienen, berichtet von Verwirrung, Leiden und Heilung des jungen Drifters "Fuckhead" und hat den Autor zur lebenden Legende gemacht. Seine Erzählungen aus der amerikanischen Vorhölle sind so ungewöhnlich wie seine Sicht der Dinge, die das Elend der Welt "durch eine Art Schallmauer trägt, und jenseits davon feiert man Freudenfeste" (Padgett Powell). Dies ist eines der herausragenden Bücher der jüngeren amerikanischen…mehr

Produktbeschreibung
Frei nach Lou Reed - "When I'm rushing on my run, and I feel just like Jesus' son" - muß dieses Buch gelesen werden. Denis Johnsons Storysammlung "Jesus' Son", 1992 in den USA erschienen, berichtet von Verwirrung, Leiden und Heilung des jungen Drifters "Fuckhead" und hat den Autor zur lebenden Legende gemacht. Seine Erzählungen aus der amerikanischen Vorhölle sind so ungewöhnlich wie seine Sicht der Dinge, die das Elend der Welt "durch eine Art Schallmauer trägt, und jenseits davon feiert man Freudenfeste" (Padgett Powell). Dies ist eines der herausragenden Bücher der jüngeren amerikanischen Literatur, und es schuf einen Ton, der in zuvor nie gehörter Weise Grauen und Komik, Schrecken und Zärtlichkeit einschließt
Autorenporträt
Denis Johnson, geboren 1949 in München als Sohn eines amerikanischen Offiziers, gilt nach einigen Romanen und einer legendären Short-Story-Sammlung als einer der wichtigsten Autoren der amerikanischen Gegenwart. 2007 erhielt Denis Johnson den National Book Award. Er lebt in Idaho/USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2006

Jesus hatte einen Sohn
Verlorene Seelen: Denis Johnsons Erzählungen

Der Erzähler hat keinen Namen, abgesehen von "Saukopp", wie ihn manche nennen, aber wer will so schon heißen. Er hat auch sonst nicht viel, einen nassen Schlafsack, manchmal eine Freundin, fast nie Arbeit und in der Regel wenig Glück. Er ist immer unterwegs, vornehmlich im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Einmal stößt der Wagen der Leute, die ihn am Straßenrand einsammeln, mit einem anderen zusammen, es gibt Tote, wie der Erzähler es geahnt hatte: "Als ich drinnen die süßen Stimmen der Familie hörte, wußte ich, daß wir in dem Unwetter einen Unfall haben würden. Es war mir egal." Ein anderes Mal überfährt ein Freund, den er begleitet, einen Hasen, der den Bauch voller Junger hat, die unser Mann retten will, doch dann in seiner Jackentasche vergißt und irgendwann unbemerkt zerquetscht. Auf die eine oder andere Weise kommt er immer wieder an Pillen, Schnaps, synthetisches Opium, er schluckt, schnupft, raucht, spritzt und trinkt alles, was sich bietet. Wahrscheinlich riecht er schlecht.

Doch das braucht einen Leser nicht zu stören. Er hat den Gewinn davon, daß all die Drogen und jeder vorübergehende Entzug den Grat zwischen Wirklichkeit und Rausch verschoben haben, der jetzt grenzverachtend quer durch beider Gelände verläuft und damit jede Bedeutung verliert. So driftet der Erzähler durch eine Welt von merkwürdiger Schönheit, großem Grauen und ab und zu kleinen Erlösungen, eine Welt, von der wir alles erfahren wollen - wie sie daliegt "unter Wolken wie großen grauen Gehirnen" und dann verschwindet, "alles wegradiert, zusammengerollt wie ein Stück Papier und beiseite gelegt". Nach einem Hagelsturm läuft der Erzähler mit seiner ersten Frau "durch Straßen, in denen fußhoch weiße, leuchtende Steine schwammen", beim Anblick der verlorenen Geliebten eines Freundes singen "alle Gräser Iowas einen, immer nur einen Ton", und er mag es, vorn in der Schnellbahn zu sitzen, die an den Häusern vorbeifegt und ihm Szenen aus Küchen und Wohnzimmern zeigt, die sich gegenseitig auslöschen. Wir sind immer nah dran an Leben und Tod, aber es hört sich verdammt poetisch an.

Denis Johnson, der Autor dieser Erzählungen, die er nach einer Liedzeile aus "Heroin" von Lou Reed "Jesus' Sohn" genannt hat und die sich wie ein Roman in Fragmenten lesen, ist in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland immer bekannter geworden; seine Romane und Erzählungen, teilweise bereits in den achtziger Jahren in den Vereinigten Staaten erschienen, wurden erst mit einiger Verspätung ins Deutsche übersetzt. Dabei wanderten die Bücher Denis Johnsons durch einige Verlage, Limes war dabei, Suhrkamp, der Alexander Fest Verlag. Inzwischen haben fünf der sechs auf deutsch vorliegenden Bücher Johnsons - die Ausnahme ist die "Wiederbelebung eines Gehängten" - eine Heimat im Rowohlt Verlag gefunden, zumeist im Taschenbuch. Und "Jesus' Sohn", zunächst 1995 bei Suhrkamp erschienen und 2001 aus Anlaß von Alison MacLeans Verfilmung dort im Taschenbuch erneut herausgekommen, ist für eine neue Hardcover-Ausgabe von Rowohlt-Chef Alexander Fest jetzt neu übersetzt worden.

An der alten Übersetzung von Herbert Genzmer war eigentlich nichts auszusetzen, außer daß sie einige überflüssige Anglizismen bemühte - "Zusammenstoß beim Hitchhiken" war dort die erste Erzählung überschrieben, und an einigen Stellen hörte man durch Partizipialkonstruktionen das Englische durch. Neben der Liebe des alten und neuen Johnson-Verlegers Fest zum Autor mag den Ausschlag für die Neuübersetzung gegeben haben, daß der umgangssprachliche Ton, den Genzmer 1995 durchaus textgetreu gefunden hatte, inzwischen an einigen Stellen ein wenig überholt klingt.

In Fests Übersetzung wird also aus "Fuckhead" - Genzmer hatte den Spitznamen des Erzählers aus dem Englischen übernommen - der "Saukopp", was für den Angesprochenen kaum angenehmer sein dürfte. Der Unfall in der ersten Erzählung geschieht beim Trampen, nicht mehr beim Hitchhiken, während unser Erzähler in der vorletzten Geschichte früher im "Städtischen Krankenhaus von Seattle" aufwachte, heute aber im "General Hospital". Manchmal bewegt sich Fest weiter vom Original fort, als Genzmer das tat, und bleibt so näher am Rhythmus der Sätze, manchmal korrigiert er auch kleine Ungenauigkeiten ("wir kurvten stundenlang herum, sprichwörtlich", heißt es in der alten Übertragung, wo es natürlich "buchstäblich" heißen muß, wie Fest schreibt), manchmal aber ist er auch umständlicher oder ein wenig ungenau. So hat jeder seine Vorlieben, ohne daß eine Übersetzung die andere wirklich überragte. Die neue gebundene aber sorgt hoffentlich dafür, daß ein paar mehr Menschen diese Geschichten lesen, und sei es, um zu erfahren, daß sich am Ende für all die verlorenen Seelen, mit denen wir unterwegs waren, sehr zur Verblüffung des Erzählers doch noch ein Platz in dieser Welt gefunden hat.

Denis Johnson: "Jesus' Sohn". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexander Fest. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 144 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kein Funken Pathos und keine Unze Verklärung findet Christoph Haas in Denis Johnsons Geschichten über einen mitleidslosen Junkie. Nur äußerlich ähneln die Szenarien denen von Jack Kerouac oder Charles Bukowski, meint Haas, der Johnsons direkte und ungeschönte Darstellung eines Süchtigen am ehesten schon bei William R. Burroughs gesehen hat. Haas gefällt die "psychedelische" Note, die Jonhson dem traditionell realistischen Genre der Shortstory etwa in den Schilderungen der Halluzinationen des Helden verleiht, außerordentlich. Und dass nur aus der Sicht des Helden erzählt wird, verleihe dem Ganzen eine "enorme Intensität". Die dichte Atmosphäre der besten Texte reiche so weit, dass die wenigen schwächeren Stücke der Sammlung kaum ins Gewicht fallen, versichert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2006

Die rohe Kost der Erfahrung
Denis Johnsons Erzählband „Jesus’ Sohn”
Ein junger Mann reist von Texas nach Kansas. Von einem Handelsvertreter bekommt er Schnaps und Amphetamine zugesteckt; ein Student teilt seine Joints mit ihm. Völlig high steigt er in das Oldsmobile einer Familie, das in strömendem Regen frontal mit einem anderen Auto kollidiert und dessen Fahrer tötet. Der Tramper steigt aus und betrachtet ungerührt die Szenerie: „Kurz darauf standen Autoschlangen auf beiden Seiten der Brücke, Scheinwerferlicht schuf um den dampfenden Schrotthaufen eine Stimmung wie bei einem nächtlichen Ballspiel, und Kranken- und Polizeiwagen bahnten sich zögernd ihren Weg, so daß die Luft farbig zuckte. Ich sprach mit niemandem. Mein Geheimnis war, daß ich eben noch Herr und Meister dieser Tragödie gewesen war, jetzt jedoch nichts als der gesichtslose Begaffer eines blutigen Unfalls. Irgendwann hörte ein Polizist, daß ich in einem der Autos gesessen hatte, und nahm meine Aussage auf.”
Die elf kurzen Erzählungen in „Jesus’ Sohn” sind Momentaufnahmen aus dem Leben eines Süchtigen. Über den Ich-Erzähler erfährt man nicht viel. Er lebt in den frühen Siebzigern, ist Anfang bis Mitte 20. Sein Spitzname lautet „Fuckhead”; in der neuen Übersetzung des im Original 1992 und bei uns erstmals 1995 erschienenen Buches ist daraus das weniger treffende „Saukopp” geworden. Eine sympathische Figur ist er nicht. Meistens geht es ihm miserabel; flüchtige Gefühle der Hochstimmung erfährt er nur durch Drogen oder auf Kosten anderer Menschen. In „Zwei Männer” verfolgt er mit gezückter Pistole einen betrügerischen Dealer und genießt die Angst, die er ihm einzujagen versteht. In „Zusammenstoß beim Trampen” versetzt ihn schließlich die Verzweiflung, von der die Frau des Unfallopfers überfallen wird, in Euphorie: „Sie schrie schrill auf, so wie, vermute ich mal, ein Adler aufschreit. Es war ein wunderbares Gefühl, am Leben zu sein und das zu hören!”
Gier und Gleichgültigkeit
So abstoßend „Fuckhead” in seiner Gier und Gleichgültigkeit ist, mitunter scheint auch ein unerfüllbares Verlangen nach Unschuld und Reinheit in ihm versteckt zu sein. Vor allem aber ist er zutiefst einsam. Mit seinen Freunden verbindet ihn die Lust am Rausch, mehr nicht. Seine Freundinnen kommen und gehen; vor Frau und Kind verspürt er nur Angst. In diesem völligen Verzicht auf romantische Verklärung der Schattenwelt, von der er berichtet, liegt Denis Johnsons Originalität. „Fuckhead” ist zwar immer unterwegs; ein „On the Road”-Pathos wie bei Jack Kerouac will sich durch seine ziellosen Fahrten und Ortswechsel aber nicht einstellen. Die Hoffnung auf spirituelle Erneuerung ist dahin, der Traum, irgendwo ein anderes, besseres Amerika zu finden, längst verloren gegangen. Ebenso fern ist die robuste Flapsigkeit eines Charles Bukowski; geht es um Sex mit einer Bauchtänzerin oder einer Körperbehinderten, blitzt diese zwar auf, kann aber nicht verbergen, dass hier von einem Zermürbten erzählt wird.
In seiner drastischen Schilderung des Junkieelends erinnert Johnson am ehesten an William R. Burroughs. Als Erzähler steht er in der Tradition der Shortstory, deren lakonischen Realismus er in ein beunruhigendes, psychedelisches Licht taucht. In „Notaufnahme” taumelt „Fuckhead” bei Einbruch der Dunkelheit durch eine verschneite Landschaft, in der er plötzlich einen Soldatenfriedhof zu erkennen meint. Dahinter scheint der Himmel aufzureißen, Engel steigen auf die Erde hinab - dann klärt sich der Blick: Die Grabsteine sind Lautsprecher eines Autokinos, das überlebensgroße Bilder von Stars über die Leinwand gleiten lässt. In „Arbeit” schwebt eine schöne, rothaarige Frau, die an einen großen Drachen geschnallt ist, nackt über einen Fluss. Wenig später begegnet „Fuckhead” ihr wieder - aber ist es wirklich dieselbe Frau, und war die Szene zuvor vielleicht nur eine Halluzination? Eine Auflösung des rätselhaften Geschehens bleibt aus. Wie in manchen Träumen sind Schrecken und Wunder identisch geworden.
In der Beschränkung auf die Perspektive der Hauptfigur gewinnt das Buch eine enorme Intensität. Zwar sind nicht alle Erzählungen gleich gelungen, die besten aber so stark, dass sie die schwächeren mühelos mittragen. Walter Benjamin hat den Schriftsteller mit einem Meisterkoch verglichen und von der „Rohkost der Erfahrung” gesprochen, den prekären „Erfahrungen am eigenen Leibe”. Genießbar werden sie in vielen Fällen erst als Literatur: „Sie schlagen manchem an, der zu Grunde ginge, wenn er ihnen in natura begegnete.” So eine Verwandlung ist Denis Johnson in „Jesus’ Sohn” gelungen. Dem Unglück der Figur entspringt das Glück des Lesers.
CHRISTOPH HAAS
DENIS JOHNSON: Jesus’ Sohn. Erzählungen. Deutsch von Alexander Fest. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 175 Seiten, 14,90 Euro.
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Eine Prosa von erstaunlicher Kraft und Schönheit. Philip Roth