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In Bonn, Münster und Tübingen galt der junge Theologieprofessor Joseph Ratzinger alsliberaler Vordenker. Als er 1981 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wurde und die Nachfolge der römischen Großinquisitoren antrat, legte er seine kritischen Kollegen von einst an die Leine. 2005 überraschend zum Papst gewählt, wandelte sich Ratzinger noch einmal: Papa Benedetto lud seinen alten Rivalen Hans Küng zum Plaudern ein und widmete seine erste Enzyklika nicht der Verdammung moderner Ideen, sondern der (auch erotischen) Liebe.In dieser kritischen Biographie schildert der Theologe und…mehr

Produktbeschreibung
In Bonn, Münster und Tübingen galt der junge Theologieprofessor Joseph Ratzinger alsliberaler Vordenker. Als er 1981 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wurde und die Nachfolge der römischen Großinquisitoren antrat, legte er seine kritischen Kollegen von einst an die Leine. 2005 überraschend zum Papst gewählt, wandelte sich Ratzinger noch einmal: Papa Benedetto lud seinen alten Rivalen Hans Küng zum Plaudern ein und widmete seine erste Enzyklika nicht der Verdammung moderner Ideen, sondern der (auch erotischen) Liebe.In dieser kritischen Biographie schildert der Theologe und Journalist Christian Feldmann die Brüche und Klippen im Leben des deutschen Papstes, seine Ängste und Visionen - und seine größte Sorge: dass die Christen vor lauter Scheu, als intolerant zu gelten, die Leidenschaft für die Wahrheit verlieren. Denn eine Gesellschaft, die sich ihre Werte per Mehrheitsentscheidung selbst aussucht, setzt laut Papst Benedikt die Grundlagen der Humanität aufs Spiel.
Autorenporträt
Christian Feldmann, geboren 1950, studierte Theologie und Soziologie. Er arbeitet als Journalist für Presse und Rundfunk und seit 1985 als freier Schriftsteller. Seine zahlreichen Biografien und Porträtsammlungen sind in sechzehn Sprachen übersetzt. Der Autor lebt in Regensburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Der zerrissene, schroffe und auch ängstliche Papst
Neue Biografien über Benedikt XVI. enthalten Tipps fürs richtige Regieren, freundliche Belanglosigkeiten, aber auch einige Vorwürfe / Von Matthias Drobinski
Es sind – dafür, dass es sich um einen unbestreitbar interessanten Menschen handelt – überraschend wenige Biografien über Joseph Ratzinger erschienen, bevor die Kardinäle der katholischen Kirche ihn zum Papst wählten. Es gab die 2002 erschienene Monografie des katholischen Journalisten John L. Allen aus den USA, die sich vor allem mit den theologischen und kirchenpolitischen Positionen Ratzingers auseinander setzte. Allen, Autor der Zeitschrift Catholic Reporter, stellte den alten dem jungen Ratzinger gegenüber, um den Wandel vom Reformer zum konservativen Glaubenswächter zu beschrieben. Das brachte ihm vor allem bei Anhängern des Kardinals Widerspruch ein: Ratzinger sei sich stets treu geblieben.
Als dann aus Joseph Ratzinger Benedikt XVI. wurde, purzelten die Darstellungen auf den Markt. Der FAZ-Korrespondent Heinz Joachim Fischer, langjähriger Gesprächspartner des neuen Papstes, erzählte die wunderbare Geschichte, wie der Papst über den Namen Benedikt philosophierte, ohne zu ahnen, dass es bald seiner werden würde. Peter Seewald brachte Details aus Kindheit und Jugend, SZ-Autor Alexander Kissler schrieb ein viel beachtetes Buch über den Papst und seine schwierige deutsche Heimat. Doch vieles, was erschien, war schnell und unter dem Eindruck der historischen Wahl geschrieben.
Die dramatischen Tage
Die zweite Welle der Papstbücher schwappte nun pünktlich zum Papstbesuch in Bayern in die Buchläden. Abgesehen von den zahlreichen Bildbänden, die hier keine Rolle spielen sollen, sind in dieser zweiten Welle drei ausdrücklich als Biografie angelegte Werke aufgefallen, die hier gewürdigt werden sollen.
Der Name George Weigel weckt zunächst hohe Erwartungen: Der konservativ-katholische US-amerikanische Theologe und Publizist hat das Standardwerk über Johannes Paul II. geschrieben („Zeuge der Hoffnung”), das trotz des streckenweise erklärt apologetischen Charakters ein Meisterwerk ist. Doch Weigels „Projekt Benedikt” bleibt weit hinter seiner Wojtyla-Biografie zurück. Die ersten 120 der gut 300 Seiten handeln von den letzten Jahren Johannes Pauls II. und sind ein verdünnter Aufguss des schon einmal Geschriebenen. Dann folgen 50 Seiten, in denen Weigel zeigt, was er kann: Die Passage über die Zeit vor und während des Konklaves ist das beste, was bislang über die dramatischen Tage geschrieben wurde. Er legt detailgenau dar, warum es zur Wahl Ratzingers keine Alternative gab: Er ist der profilierteste unter den Kardinälen, er hat vor der Wahl alles richtig gemacht, er steht für Konsolidierung und Kontinuität, selbst Kritiker schätzen seinen Intellekt und seine Berechenbarkeit, die verbliebenen Gegner waren zerstritten.
Es folgt eine wenig inspirierte Lebensbeschreibung Ratzingers, die der Kontinuitätsthese folgt, dem Theologen und Chef der Glaubenskongregation sei es vor, während und nach dem Konzil immer um die Verbindung von Aggiornamento und Ressourcement gegangen, um die Balance von Erneuerung und Bindung an die Tradition der Kirchenväter. Das stimmt natürlich – aber diese Sichtweise blendet die Entwicklungen und Wandlungen des Theologen weitgehend aus. Im letzten Teil dann gibt Weigel dem Papst dann Tipps fürs richtige Regieren: weniger Pazifismus, der doch nur den Globalisierungskritikern nützt, weniger UN-Begeisterung und mehr Verständnis für amerikanische Sicherheitspolitik; mehr Härte im interreligiösen Dialog; „Mut zur Gegenkultur” bei der Auswahl von Bischöfen. Es ist am Ende weniger das „Projekt Benedikt” als vielmehr das „Projekt Weigel”, das der Autor vorstellt, und darüber wollte man eigentlich so wenig lesen wie über die zahlreichen Polemiken gegen die Vaticanisti im Allgemeinen und einige liberale amerikanische Journalisten im Besonderen.
Mit solchen Konzepten hat Stefan von Kempis nichts im Sinn. Er will aus dem Leben Joseph Ratzingers erzählen, ohne den Leser mit allzu viel Theologie und Theorie zu belästigen. Kempis ist stellvertretender Redaktionsleiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, das Buch erscheint in der „Edition Radio Vatikan” des Leipziger Benno-Verlags, da darf man keine große Distanz erwarten. Herausgekommen ist ein munter geschriebenes Lebensbild, das man an einem sonnigen Herbst-Samstagnachmittag auf dem Balkon herunterlesen kann, mit vielen netten Details vor allem aus Kindheit, Jugend und der Frühzeit als Professor, allerdings auch mit einigen Ausschmückungen, die den Eindruck erwecken, der Autor habe damals bei den Ratzingers unterm Küchentisch gesessen und gelauscht – und später in der Studierstube unterm Schreibtisch. Wen das nicht stört und wer den einen oder anderen stilistischen Purzelbaum verzeiht, der hat einige Kurzweil vor sich, der darf sich in die Nähe des Papstes versetzt fühlen, in verstehender Grundhaltung, manchmal mit kritischen Anmerkungen, manchmal in schlichter Verehrung. In dieser Hinsicht ist der Autor ehrlich: Er hält, was er angekündigt hat.
Dass allerdings Sympathie für den beschriebenen Menschen und Distanz zusammengehen können, ebenso Lesbarkeit und doch einiger Tiefgang, zeigt Christian Feldmanns Papst-Buch, bei dem eigentlich nur der Untertitel stört: Wenn jemand dort erklärt, dass dies nun ein kritisches Buch ist, so bekommt das etwas Füßchenstampfendes.
Feldmann beschreibt die Biografie und das theologische Konzept Ratzingers, er beschreibt die Kontinuitäten und Brüche im Leben des Professors, Bischofs, Präfekten und Papstes, er wagt ein Psychogramm – allerdings ohne den Anspruch zu erheben, in Ratzingers Kopf hineinschauen zu können. Der Regensburger, der unter anderem bei dem jetzigen Papst studierte (und deshalb den Wechsel Ratzingers von Tübingen nach Regensburg nicht als Flucht in die trübe Provinz sieht), beschreibt die Persönlichkeit mit viel Wärme und Sympathie, ohne das Zerrissene, Schroffe, Pessimistische und auch Ängstliche zu verschweigen, das bei Joseph Ratzinger immer wieder festzustellen war und das nun vom goldenen Licht des Papstseins weich gezeichnet wird.
Schmutz und Glanz der Kirche
Er beschreibt ihn als Vordenker nicht nur seiner Kirche, wenn er die Aufklärung als noch nicht zu Ende gedacht erklärt, wenn er über das Verhältnis von Vernunft und Glaube philosophiert, wenn er klarsichtig über Schmutz und Glanz seiner Kirche redet, die sich nicht dem Zeitgeschmack hingeben dürfe. Aber er kritisiert auch scharf des Kardinals Kampf gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie, die Verdammung homosexueller Lebenspartnerschaften, die Härte bei den Themen Frauenpriestertum und Verhütung – und am manchmal richtig empörten Tonfall merkt man, dass das Feldmann nicht nur schreibt, weil es alle schreiben, sondern weil es ihn wirklich aufregt.
Das alles macht Feldmanns Werk ausgesprochen lesenswert, aber es teilt den Nachteil aller Benedikt-Biografien: Sie sind Ratzinger-Bücher, die über Herkunft, Entwicklung und Maximen des Professors, Bischofs, Kurienkardinals schreiben und weniger Analysen des Pontifikats. Einfach, weil es bislang zwar viele kleine Überraschungen gab, aber dann doch wieder nicht so viel passiert ist in diesem Pontifikat, dass die Geschichte umgeschrieben werden müsste. So gesehen wird man noch auf eine echte Papstbiografie weiter warten müssen.
George Weigel
Das Projekt Benedikt
Der neue Papst und die globale Perspektive der katholischen Kirche. Pattloch-Verlag München, 19,90 Euro.
Stefan von Kempis
Benedetto – die Biografie
Benno-Verlag Leipzig, mit Audio-CD, 14,50 Euro.
Christian Feldmann
Benedikt XVI.
Eine kritische Biographie. Rowohlt-Verlag Hamburg, 19,90 Euro.
Er steht für Konsolidierung und Kontinuität: Papst Benedikt XVI. auf einem Balkon seiner Sommerresidenz in Castelgandolfo.
Foto: Reuters
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2006

Vor der Ankunft des Papstes in Deutschland
Grußworte aus der Benedetto-Deutungsindustrie: Christian Feldmann und George Weigel haben Wünsche an Benedikt XVI.

Ein "neuer Papst" dient Architekten eines anderen, besseren Katholizismus als ideale Projektionsfläche. Gern teilen sie ihm mit, was er nun dringend zu tun hat. Auch zwei neuere Schnellprodukte aus der boomenden Benedetto-Deutungsindustrie sagen mehr über die kirchenpolitischen Wünsche ihrer Autoren als über den Theologenintellektuellen auf dem römischen Bischofsstuhl aus. Sichtbar werden die tiefen religionskulturellen Bruchlinien innerhalb einer Weltkirche, die noch jeden modernen Papst mit der Erwartung konfrontiert hat, er solle endlich gebotene Reformen in Szene setzen, ohne institutionelle Kontinuität preiszugeben. Doch was ist überhaupt zu ändern?

Christian Feldmann, der sich einst vom Regensburger Dogmatikprofessor Ratzinger über "Erlösung als Befreiung" hat prüfen lassen, weiß als Anwalt eines kritischen "Katholizismus von unten" ganz genau, was Benedikt jetzt tun muß: Zölibat abschaffen, Frauenrechte stärken, Priesterinnen weihen, wiederverheiratete Geschiedene und Protestanten zur Eucharistie einladen und so fort; Feldmanns weltoffener Wunschpapst soll gleichsam das kleine Küngsche Kirchenreformprogramm abarbeiten. George Weigel, einer der führenden katholischen Publizisten der Vereinigten Staaten, klagt genau umgekehrt eine härtere, entschiedenere römische Identitätenpolitik gegenüber den diffusen Halbkatholizismen ein, die gerade in Europa und Nordamerika den Ungeist des protestantischen Individualismus in "die Kirche" hätten einziehen lassen.

Was Feldmann fordert, perhorresziert Weigel als fatale Anpassung an einen dekadenten liberalistischen Zeitgeist. Die gängigen Distinktionen von liberal versus konservativ, progressiv gegen traditionalistisch greifen freilich zu kurz, um die Gegensätze in den Benedikt-Bildern und kirchenpolitischen Erwartungsszenarien der beiden Autoren erfassen zu können. Es geht im Kern ums religiöse Wirklichkeitsverständnis und um die Deutung der religionskulturellen Lage des Katholizismus im frühen dritten Jahrtausend.

Weigel preist die Wahl Benedikts papalmystisch als "God's Choice" - so der Titel der 2005 in New York erschienenen Originalausgabe - und sieht im schnellen, triumphalen Sieg des Präfekten der Glaubenskongregation über "liberale" italienische Gegenkandidaten wie den Mailänder Kardinal Martini unmittelbar den Heiligen Geist am Werke. Feldmann hingegen will wider den großen Chor der Benedetto-Hagiographen "kritisch" elementare Ambivalenzen in Joseph Ratzingers Persönlichkeit bezeichnen, in einer Art Glaubenspsychogramm, das auf den Grundton von Bruch, Dissonanz und bleibender Widersprüchlichkeit gestimmt ist. Die so unterschiedlichen Papstdeuter sind sich im Methodischen allerdings weithin einig: Sie zeichnen ihre Ratzinger-Porträts ohne feine theologische Schattierungen und klare begriffliche Linien.

Weigel setzt ein mit einem detaillierten Rückblick auf das öffentliche Leiden und Sterben Johannes Pauls II., das er als ein die grassierende Sinnlosigkeit der okzidentalen Moderne schonungslos freilegendes Selbstzeugnis Gottes deutet. Mit heilsgeschichtlichem Pathos deutet er die Todesbereitschaft des "großen Papstes" gar als Komplementärakt zum Kreuzestod auf Golgatha: "Millionen Menschen in der Welt dürften durch Johannes Paul II. eine Vorstellung davon erhalten haben, was es bedeuten kann, dasjenige, was am Leiden Christi fehlt, zum Wohle der Kirche und der Welt zu ergänzen." Darf der evangelische Theologe fragen, was genau einst fehlte und nun vom "Stellvertreter auf Erden" zu ergänzen war? Nach den normativen Lehrdokumenten der römisch-katholischen Kirche, aber auch den christologischen Traktaten des Dogmatikers Ratzinger ist die Vorstellung, beim Leiden Jesu von Nazareth habe was auch immer "gefehlt", von eher häretischer Originalität.

Weigel will verschärfen, polarisieren, klare Grenzen von Innen und Außen, wahrer Kirche und "säkularistischer" Moderne markieren, und so ist auch sein Bild der weltkirchlichen Lage durch grelle Schwarzweißkontraste bestimmt. Wirklich spannend ist erst das Schlußkapitel zum "Aufbruch in die Zukunft", in dem Weigel auf knapp siebzig Seiten sein Benedetto-Regierungsprogramm skizziert. Hier geht er hart zur Sache und bietet faszinierende Einblicke in die Weltsichten eines kulturpolitisch aggressiven Elitenkatholizismus mit globalen Gestaltungsansprüchen.

Wie auch andere Religionsanalytiker aus den Vereinigten Staaten sieht Weigel deutlicher als viele Europäer, daß sich die Schwergewichte des Christentums vom europäisch-amerikanischen Norden zunehmend in die südlichen Hemisphären der Welt verlagert haben. Desto mehr gelte es, dem weiteren Verfall Europas zu einem nachchristlichen "Eurabien" mit zeugungsstarken Kampfmuslimen zu wehren. Die "kulturelle Moralkrise" Europas führt er auf Amnesie, das vorsätzliche, entschlossene Vergessen der Wahrheit, zurück, daß der Mensch Moral sich nicht macht, sondern seit der Urszene am Sinai immer schon als bindend vorfindet. Nur eine starke Kirche könne Europa und die Welt die Werte lehren, die einem gewaltbereiten Islamismus wahre Toleranz und substantielle Freiheit entgegenzusetzen erlaubten.

Dem "handfesten Augustinianer" Benedikt empfiehlt der Vatikanologe deshalb harten Machtsinn und "Mut zur Gegenkultur", um "der Welt etwas entschieden und einsehbar Katholisches zu sagen". Auch für Lateinamerika, "das demographische Bollwerk der Weltkatholizität", setzt Weigel angesichts der moralischen Überlegenheit der reformatorisch-evangelikalen Pfingstchristen auf Heiligungsaktivismus; die katholischen Mehrheiten müßten endlich lernen, daß die Befreiungstheologie die Armen nur in Abhängigkeit gehalten, noch elender gemacht habe und man an der Misere selbst schuld sei - durch mangelnde Glaubensdisziplin, laxe Moral und eine Machismo-Kultur, die die Frauen nur den protestantischen Pfingstlern zutreibe. Auch müsse Rom in der Weltkirche endlich wieder eine Liturgie durchsetzen, in der der Lobpreis Gottes auf Erden nur "eine Teilhabe an der Verehrung durch die Engel und Heiligen im Himmel" sei. Kleriker, die ihre Lebensführung nicht in der Eucharistie zentrieren, haben in Weigels "pastoralem Versuchsfeld" nichts zu suchen.

Ganz anders das Papstbild Feldmanns und seine Analyse der kirchlichen Gegenwartslage. Zwar kann der Autor zahlreicher populärer Studien zur Christentumsgeschichte einige kaum bekannte Details zu Ratzingers Lebensgeschichte mitteilen. Ausführlich zitiert er aus dessen Büchern, Interviews und Predigten. Aber seine lockere Erzählung, die aktualisierte Fassung einer im vergangenen Jahr in Regensburg hastig publizierten Biographie "Benedikt XVI. Der bayerische Papst. Von Regensburg und München auf den Stuhl Petri", faßt auf weiten Strecken nur zusammen, was inzwischen wohl jeder deutsche Fernsehzuschauer weiß. Chronologisch werden die verschiedenen Lebensstationen abgeschritten und der Wandel der Amtsrollen mit dem trivialen Kommentar gedeutet, daß sich der akademische Senkrechtstarter einerseits treu geblieben sei, aber andererseits eine erstaunliche Anpassungsbereitschaft entwickelt habe, um dem je neuen Amt gerecht zu werden.

Feldmann konzentriert sich auf die verwirrende Vielfalt der Facetten in Ratzingers Persönlichkeit, die Gleichzeitigkeit von Härte und Sensibilität, Menschenscheu und Charme, Machtwillen und Bescheidenheit, anarchischer Spontaneität und panischer Angst vor Kontrollverlust, wobei er Ordnungssucht als das letztlich bestimmende, integrierende Element des "Zerrissenen" identifiziert. Er skizziert die "schlampige Religiosität" (Georg Ratzinger) sinnesfroher Weißbier-Barockbayern, erinnert daran, daß der zwanzigjährige Theologiestudent Ratzinger im Februar 1948 zur Beerdigung des Erzkomikers Karl Valentin auf den Waldfriedhof von Planegg wanderte, und läßt die theologischen Bildungswege des knabenhaften Augustin-Forschers auf ein entschiedenes Kirchenreformprogramm zulaufen: Angesichts der "vielen neuen Heiden Europas" habe der Christusmystiker auf eine geistlich authentische Kirche gesetzt, die die "Lobredner des Bestehenden" prophetischer Kritik unterzieht und radikal den verlogenen "Schein ihrer Deckung mit der Welt" zerstört.

Leider streut Feldmann in seine plastischen Skizzen immer wieder die üblichen platten Formeln vom "Schoßkind des Glücks", "Kopfmenschen" mit "Elefantengedächtnis", "Ordnungsfanatiker", "bedingungslos romtreuen Startheologen", "Großinquisitor" oder "Chefideologen des Papstes" ein, und auch die trinitarisch inspirierte Unterscheidung zwischen einem Ratzinger I jugendlich liberaler Reformeuphorie, einem Ratzinger II der nachkonziliaren Restauration und einem Ratzinger III der abgeklärten Benedetto-Milde ist wenig hilfreich, um die hohen Kontinuitäten in dogmatischer Theologie und speziell Ekklesiologie zu erfassen.

Dazu gehören der Kampf gegen die subjektivistische "Verbequemlichung" des Glaubens, die Verachtung einer allzu staatsnahen Funktionärskirche mit ihren sterilen Selbstbeschäftigungsritualen, das steile Amtsverständnis mit einem klaren geistlichen Vorrang der Geweihten gegenüber den Laien, der entschiedene Antiprotestantismus, die differenzierte Zuordnung von Glaube und Vernunft als wechselseitig begrenzenden und "reinigendenr" Instanzen, die unablässige Suche nach einem neuen, reflexionsstärkeren Konzept des "Naturrechts", die Parteinahme "für den Glauben der Einfachen", die schlichte Gläubigkeit der kleinen Leute gegen alle Theologenarroganz, und nicht zuletzt das konsequente Festhalten am Wahrheitsbegriff gegenüber einem skeptizistischen Konstruktivismus, der keinerlei moralische Bindungskraft zu entfalten vermöge. Und bei allem gebotenen intellektuellen Respekt vor dem Gelehrten Ratzinger: Muß ein "kritischer Biograph" dem "Theologenpapst" gleich das "Gedächtnis einer Computerdatenbank", die "Rhetorik eines Augustinus" und das "Philosophenhirn eines Plato" zuschreiben?

Weder Weigel noch Feldmann nehmen die diskursiven Welten ernst, die Ratzingers Denken seit Studientagen bestimmen. So ist ihnen eine entscheidende Pointe seiner Theologie der Gegenkultur entgangen: Der neue Papst partizipiert an jenem sehr deutschen Diskurs, der seit gut hundert Jahren über die "Anarchie der Werte" oder die "Krise des Historismus" geführt wurde. Was sich in Berkeley, Berlin und Frankfurt vor vierzig Jahren neomarxistisch als "repressive Toleranz" befehden ließ, wird sehr viel überzeugender, wirkkräftiger nun als "Diktatur des Relativismus" bekämpft, mit dem Amtscharisma des Papstintellektuellen.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

Christian Feldmann: "Papst Benedikt XVI." Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 256 S., geb., 19,90 [Euro].

George Weigel: "Das Projekt Benedikt". Der neue Papst und die globale Perspektive der katholischen Kirche. Aus dem Amerikanischen von Ferdinand Oertel und Angela Reinders. Pattloch Verlag, München 2006. 336 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Wilhelm Graf rümpft die Nase: Das soll eine kritische Biografie sein? Graf fehlt der Bezug zu den "diskursiven Welten" Ratzingers. Was er hier liest, kennt er größtenteils längst aus dem Fernsehen, aus Interviews, Predigten und Büchern des neuen Papstes. Das Buch hält er darum für einen weiteren Schnellschuss der "Benedetto-Deutungsindustrie", zu erkennen auch an den "trivialen Kommentaren" und dem Scheitern, Ratzingers vielfältiger Persönlichkeit anders als mit den bekannten Formeln beizukommen. Durch seinen unbedingten Willen, Widersprüche in Ratzingers Denken aufzudecken, meint Graf, entgehen dem Autor dessen "hohe Kontinuitäten" in der Ekklesiologie.

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