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Die Erzählungen der 21 Familienangehörigen aus einem weit verzweigten Familienverband der Navajo-Indianer reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. In vielfältigen Erlebnissen der Erzählenden werden wichtige und folgenreiche Ereignisse ihrer Geschichte deutlich. Dazu gehören die Deportation ins südliche New Mexico zwischen 18641868, der so genannte Long Walk, die als Stock Reduction bekannte gewaltsame Reduzierung der Viehherden in den 1930er Jahren sowie die Amerikanisierung des Nachwuchses in Internatsschulen und das Verbot der Muttersprache während der Nachkriegszeit. Aber auch…mehr

Produktbeschreibung
Die Erzählungen der 21 Familienangehörigen aus einem weit verzweigten Familienverband der Navajo-Indianer reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. In vielfältigen Erlebnissen der Erzählenden werden wichtige und folgenreiche Ereignisse ihrer Geschichte deutlich. Dazu gehören die Deportation ins südliche New Mexico zwischen 18641868, der so genannte Long Walk, die als Stock Reduction bekannte gewaltsame Reduzierung der Viehherden in den 1930er Jahren sowie die Amerikanisierung des Nachwuchses in Internatsschulen und das Verbot der Muttersprache während der Nachkriegszeit. Aber auch aktuelle Ereignisse wie die Erscheinung der Heiligen Zwillinge in Black Mesa 1996 werden behandelt.In den teils sehr persönlichen Schilderungen sind die Denkweisen der Erzähler, ihre Einstellungen, ihre Vorstellungswelt, ihr Glauben und ihre Probleme allgegenwärtig und widerlegen darin manche bislang gepflegten Klischees über »die Indianer«. Gleichzeitig zeigen sie, was es heute bedeutet, ein Indianer zu sein und als solcher bewusst leben zu wollen.
Autorenporträt
Erich Renner Prof. Dr. phil. habil., Ethnopädagoge und Biographieforscher, lehrte und forschte an den Universitäten Koblenz-Landau und Erfurt. Zahlreiche regionale und fremdkulturelle Projekte und Publikationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Die weibliche Ahnenlinie ist die wichtigere
Fesselnde Lektüre: Erich Renner läßt die Indianer aus dem Monument Valley zu Wort kommen / Von Ernst Horst

Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf! Uff! So sprach der alte Häuptling der Indianer in dem Lied von Gus Backus. Der Beruf des Rezensenten ist auch nicht leicht. Wie soll man ein Buch über Indianer unvoreingenommen lesen, wenn man schon zu viele Karl-May-Bände verschlungen und zu viele Fuzzy-Filme gesehen hat? Die Verklärung der Indianer durch gewisse New-Age-Anhänger - Stichwort: Schwitzhütten-Zeremonien für gestreßte Manager - ist manchmal schwer zu ertragen. Davon einmal abgesehen, ist "Indianer" eine sehr allgemeine Bezeichnung. Die Jivaro-Kopfjäger haben mit den Kindern der Sonne aus dem Inka-Reich auch nicht mehr gemein als die Norweger mit den Portugiesen.

Ein Mosaikstein zu einem differenzierteren Indianerbild ist die Neuerscheinung "Geduld ist unsere Lebensart" von Erich Renner. Der Navajo (Diné) Vergil Bedoni ist sozusagen ein Berufsindianer. Er ist der Inhaber der Touristik-Firma "Totem Pole Tours" im Reservat im Monument Valley im Grenzgebiet von Utah und Arizona. In dem Buch erzählen Vergil Bedoni und etwa 20 andere Mitglieder seiner erweiterten Familie aus ihrer Lebensgeschichte. Interviews mit lebenden oder kürzlich verstorbenen Personen werden ergänzt durch ältere Texte zu denen, die schon länger tot sind. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich zurück bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als der Versuch scheiterte, die Navajos zwangsweise umzusiedeln.

Der Interviewer Erich Renner ist ein Ethnopädagoge, der in Landau und Erfurt gelehrt hat. Sein Kontakt zu gerade diesen Navajos ist wohl mehr oder weniger zufällig entstanden. Ein deutscher Besucher hat ein paar Leute im Touristengeschäft kennengelernt. Man kann also nicht erwarten, daß die Indianer besonders repräsentativ für ihr Volk sind. Das läßt sich aber auch positiv deuten. Man erwartet gar nicht erst vermeintlich allgemeingültige Aussagen über "die" Navajos oder gar "die" Indianer. Vielleicht ist auch ein wenig Ethnokitsch, das indianische Äquivalent zu Kuckucksuhr und Schuhplattler, im Spiel. Als Außenstehender freut man sich über so etwas. Auf jeden Fall kann man durch das Buch ein paar Vorurteile verlieren. Die Lektüre ist fesselnd. Vielleicht hat Erich Renner sein Material ein wenig gefiltert. Wer am Strand Kiesel sammelt, der sucht sich die schönsten heraus. Die Sprache dieser Selbstzeugnisse ist einfach. Ursprünglich haben die Navajos Englisch gesprochen, oder ein jüngeres Familienmitglied hat aus der Navajo-Sprache ins Englische übersetzt. Teile dieses Stoffs wurden in anderen Veröffentlichungen verarbeitet.

Die Personen, die in dem Buch zu Wort kommen, sind im wesentlichen Nachfahren von Kitty Holiday-Atene (1895 bis 1993). Bei den Navajos ist die weibliche Ahnenlinie die wichtige. Kittys Tochter Lilly (geboren 1933) hatte aber in zwei Ehen elf Söhne und keine Tochter, was ihre Bedeutung als Matriarchin beeinträchtigt hat. Von den elf Söhnen kommen sechs in dem Buch zu Wort, einer davon ist der schon erwähnte Vergil. Dieser Familienverband ist nicht ganz so klar definiert, wie es bei uns normal wäre: Ehen sind auseinandergegangen und neu entstanden, Kinder sind bei den Großeltern aufgewachsen. Der Unterschied zwischen Geschwistern, Stiefgeschwistern und Cousins scheint nicht so entscheidend zu sein. Man hat das Gefühl, daß diese diffusen Strukturen trotzdem gut funktionieren.

Große Teile der Erzählungen beschäftigen sich mit der Religion oder, besser gesagt, mit Religionen. Die Protagonisten sind Navajos, aber sie beschränken sich nicht auf ihren traditionellen Navajo-Glauben. Sie probieren auch anderes aus, das ihnen zugänglich ist. Die "Native American Church" entstand anderswo, bei den Prärieindianern. Hier spielt der Genuß des psychotropen Peyote-Kaktus (Wirkstoff: Meskalin) eine wichtige Rolle. In der Wikipedia findet man dazu den schönen Satz: "Der Glaube der Anhänger der Native American Church ist von Stamm zu Stamm unterschiedlich." Diesen Eindruck gewinnt man auch bei der Lektüre des Buchs. Religion spielt eine wichtige Rolle, aber sie hat nicht den Anspruch, allgemeinverbindlich zu sein. Man probiert mal das eine aus, mal das andere. Toney Lee Atone (geboren 1965), ein Cousin von Vergil Bedoni, heiratete seine erste Frau nach indianischem Ritus. Zeitweilig gehörte er den Katholiken, den Mormonen und anderen Kirchen der Weißen an. Seine zweite Frau ist als Christin erzogen geworden. Zur Zeit der Interviews war er dabei, sich auf seine indianischen Wurzeln zu besinnen. Für die elfjährige Tochter ließ er die traditionelle Reinigungszeremonie durchführen. Seine Frau war (noch?) nicht so weit, aber tolerant.

Die Medizinmänner der Navajos heißen aus gutem Grund so. Die Heilung von Kranken oder Verletzten ist ein wichtiger Teil ihrer Aufgabe. Das Leben im Indianerreservat ist hart, und viele der Geschichten im Buch spielen in der Vergangenheit, als es noch härter war. Immer wieder erkrankt jemand, oder er fällt vom Pferd. Dann scheint es aber keine besonderen Konflikte zwischen der traditionellen indianischen Medizin und der Schulmedizin der Weißen zu geben. Man bringt die Patienten ins Krankenhaus, wenn man die Möglichkeit dazu hat, und veranstaltet sicherheitshalber noch zusätzlich eine Zeremonie. Auch hier merkt man den Versuch, sich aus den verfügbaren Kulturen das Beste herauszusuchen. Ein schönes Symbol dafür sind die dem Buch beigegebenen Fotografien. Uralte Indianerinnen in klassischen Gewändern wirken leicht anachronistisch, wenn sie dazu eine Brille tragen.

Wir Europäer haben den Navajos die Pocken und den Whiskey gebracht, aber sie verdanken uns auch die Pferde. Vielleicht war das gar kein so übler Handel. Das Pferd spielt eine sehr wichtige Rolle im Leben vieler Männer. Würde man alle Geschichten weglassen, in denen Pferde vorkommen, wäre das Buch nur noch halb so dick. Mehrere von Renners Gewährsleuten haben viele Jahre mit Pferden gearbeitet. Sie haben wilde Mustangs gezähmt oder an Rodeos teilgenommen. Der Titel des Buchs ist ein Zitat aus dem Interview mit Vergil Bedoni. Damit beschreibt er den Umgang der Navajos mit Pferden, und er setzt sich ausdrücklich von den Bleichgesichtern ab, die nicht so viel Geduld besitzen. Auch die typischen Handarbeiten der Navajos wie Teppiche und Stickereien sind wohl nichts für Ungeduldige. In den dreißiger Jahren hat man den Navajos große Teile ihrer Herden - Pferde, Schafe und Ziegen - wegen Überweidung des Landes brutal weggenommen. Vor allem die Pferde wurden als unökonomisch abgetan. Im Grunde haben die Weißen da eine Kultur zu zerstören versucht, die sie erst selbst geschaffen oder zumindest verursacht hatten.

Ein Grundthema des Buchs ist der teilweise gescheiterte, teilweise erfolgreiche Versuch der Umerziehung der Indianer zu anständigen Amerikanern. Früher wurden die Kinder der Navajos zwangsweise in Schulen, oft Internatsschulen, gesteckt. Dort durften sie bei Strafe nur Englisch reden, lernten, mit Messer und Gabel zu essen und regelmäßig in die Kirche zu gehen. Sie bekamen die Haare militärisch kurz geschnitten und mußten zum Fahnenappell antreten. Für Teile dieser Erziehung sind manche von ihnen nachträglich durchaus dankbar, so wie sie es richtig finden, daß sie ihr Großvater mit dem Lasso eingefangen hat, um sie zu verprügeln, wenn sie mal wieder beim Schafehüten nicht aufgepaßt hatten. Besonderen Anklang fand natürlich die cineastische und kulinarische Hochkultur der Nordamerikaner: Kino und Fernsehen, Limonade und Eis waren sehr beliebt bei den Kindern. Beim Spiel wollten sie alle Cowboys sein und niemand Indianer. Schließlich waren im Film die Cowboys immer die Gewinner. Nebenbei bemerkt sind die Hollywood-Western oft nicht besonders authentisch. Im dritten Teil von "Zurück in die Zukunft" sind die angeblichen Cheyenne in Wirklichkeit Navajos.

Renner ist Pädagoge, deshalb ist viel vom Lernen oder Nichtlernen die Rede. Daß die meisten der interviewten Familienmitglieder Wert auf Bildung legen, hat wohl auch etwas mit ihrer Lebenssituation zu tun. Wer gerade dabei ist, ein kleines Gewerbe aufzubauen, der gehört natürlich zu der Schicht, die sich in der Schule anstrengt hat, egal wie gut oder wie schlecht diese ist, und er versucht auch, seine Kinder dahingehend zu beeinflussen.

Wir treffen hier auf relativ zufriedene und optimistische Menschen. Probleme wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Alkoholismus werden zwar keineswegs verschwiegen, aber wir lernen auch, wie man sein Schicksal im vorgegebenen Rahmen in die eigene Hand nehmen kann. Ein bescheidener Erfolg ist immer möglich. So etwas liest man gern. Wie heißt es doch bei Gus Backus: Eisenbahn spuckte Dampf, Häuptling kam, wollte Kampf. Weißer Mann sprach: Komm her. Du bist gleich Kondukteur.

Erich Renner: "Geduld ist unsere Lebensart". Selbstportrait einer indianischen Familie. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2006. 300 S., geb., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "Mosaikstein zu einem differenzierten Indianerbild" würdigt Rezensent Ernst Horst dieses "Selbstporträt einer indianischen Familie", das der Ethnopädagoge Erich Renner herausgegeben hat. Die Gespräche mit dem Navajo-Indianer Vergil Bedoni und etwa 20 weiteren Mitgliedern seiner im Reservat im Monument Valley zwischen Utah und Arizona lebenden Familie haben Horst eine spannende Lektüre bereitet. Ausführlich berichtet er über die Rolle der Religion der Navajo, das harte Leben im Reservat, die Bedeutung ihrer Pferde und über die teils erfolgreiche, teils gescheiterten behördlichen Versuche, sie zu "anständigen Amerikanern" umzuerziehen. Repräsentativ scheint ihm das Buch nicht. Nichtsdestoweniger hält er es für geeignet, Vorurteile abzubauen.

© Perlentaucher Medien GmbH