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Das Thema der Grausamkeit ist ein lange verdrängtes Kapitel der Kunstgeschichte. Als einer der ersten geht Walther K. Lang dieser Frage nach. Caravaggio, Jusepe Ribera und Artemisia Gentileschi verleihen der neapolitanischen Malerei nicht nur Weltgeltung, sondern begründen auch ihren zweifelhaften Ruf der besonderen Grausamkeit. Eine fesselnde und fundierte Studie, nicht nur zur neapolitanischen Kunstgeschichte.

Produktbeschreibung
Das Thema der Grausamkeit ist ein lange verdrängtes Kapitel der Kunstgeschichte. Als einer der ersten geht Walther K. Lang dieser Frage nach. Caravaggio, Jusepe Ribera und Artemisia Gentileschi verleihen der neapolitanischen Malerei nicht nur Weltgeltung, sondern begründen auch ihren zweifelhaften Ruf der besonderen Grausamkeit. Eine fesselnde und fundierte Studie, nicht nur zur neapolitanischen Kunstgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Typisch Seicento-Sado
Walter K. Lang malt grausame Kunst / Von Christine Tauber

Neapel hat eine ganz eigene Tradition der Grausamkeit. Bereits im fünfzehnten Jahrhundert tat sich der Bastard Alfonsos von Aragón mit einer Sammelleidenschaft hervor: "Nun überließ sich Ferrante außer der Jagd, die er rücksichtslos übte, zweierlei Vergnügen: seine Gegner entweder lebend in wohlverwahrten Kerkern oder tot und einbalsamiert, in der Tracht, die sie bei Lebzeiten trugen, in seiner Nähe zu haben. Er kicherte, wenn er mit seinen Vertrauten von den Gefangenen sprach; aus der Mumienkollektion wurde nicht einmal ein Geheimnis gemacht."

Nekrophile Faszination sadistischer Prägung meint Walther K. Lang auch als ein Hauptmerkmal neapolitanischer Seicentomalerei namhaft machen zu können. Vor Gemälden mit der Passion Christi oder christlichen Märtyrern stelle sich nur allzuoft, "gewollt oder ungewollt, eine Identifizierung mit den Peinigern ein. Das Leiden der Märtyrer wird so zu einer Quelle sadistischer Lust." Gut freudianisch geschult, wie der heutige Betrachter es nun einmal sei, melde sich jedoch sogleich sein Über-Ich und untersage ihm das Ausleben der sadistischen Regungen. Die Auftraggeber und Künstler des siebzehnten Jahrhunderts lösten dieses Dilemma durch ästhetische Sublimierung: Sie quälten nicht mehr real, sondern bestellten und malten grausame Bilder. Diese wurden immer seltener für öffentliche Kirchenräume und immer häufiger für die Kunstsammlungen der privaten Besteller gemalt.

Daß diese Sammler trotz ihrer SM-Vorlieben religiöse Menschen sein konnten, verwundert nur den unaufgeklärten Leser: Schließlich profitierte die Religion ja gerade von kompensatorischen Glaubensbekundungen, mit denen die kunstsinnigen Lüstlinge ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen suchten. So sei im Freiraum künstlerischer Phantasie Quälen sanktionsfrei erlaubt gewesen. Die Ästhetisierung stimme aber die Grausamkeit nicht etwa herab, sondern steigere die Genußintensität beim sadistischen Betrachter eher noch. Dies sei die eigentliche Kulturleistung der Malerei im Neapel des siebzehnten Jahrhunderts.

So etwa ließe sich die Generalthese von Langs Habilitationsschrift über "Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano" zusammenfassen. Daß die Fragestellung als solche nicht unwichtig ist, hat bereits Jutta Held in ihrer Caravaggio-Monographie gezeigt. Auf wenigen Seiten ordnet sie die Konjunktur von Martyrien als Bildthemen um 1600 in ihren religionspolitischen und bildstrategischen Implikationen konzis in den ideologischen Rahmen der Gegenreformation und der zeitgenössischen Spiritualität ein. Gerade eine solche integrale Behandlung des - anachronistisch als Sadismus bezeichneten - Phänomens grausamer Bilder aber bleibt Lang dem Leser schuldig. Er benennt einige Faktoren in der neapolitanischen Geschichte, die ihm prägend für die "ungünstig verlaufene psychische Entwicklung" des kollektiven neapolitanischen Bewußtseins erscheinen.

Da wäre zum einen die demographische Situation: Neapel war in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die weitaus größte Stadt Italiens, und Großstadtleben macht bekanntlich aggressiv. Armut und Kriminalität unterstützten die Gewaltbereitschaft. Auch an prägenden Krisenerfahrungen fehlte es nicht: 1631 brach der Vesuv, 1656 die Pest aus, und 1647/48 erschütterte der berühmte Masaniello-Aufstand die Stadt. Die neapolitanische Frömmigkeitspraxis war von jeher magisch orientiert und blutfixiert. Vor allem aber waren die aufwendig inszenierten Hinrichtungen wahre Spektakel der Grausamkeit. Die Manipulation der Leiche nach der Hinrichtung und die ehrschänderische Zurschaustellung von Leichenteilen als Trophäen vollzogener Gerechtigkeit waren Inspirationsquellen für Johannes-der-Täufer-Enthauptungen und David-und-Goliath-Darstellungen. Als auffällig bemerkt Lang, daß die Lebensläufe der meisten in Neapel tätigen Künstler - so Ribera, Caracciolo, Preti und vor allem auch Caravaggio - mit Gewalttaten gespickt seien. Inwieweit hier die Vitenschreiber, allen voran Bernardo de Dominici, den Künstler zum Verbrecher und Outlaw stilisierten, fragt er allerdings nicht.

Psychohistorische Untersuchungen sind nur dann sinnvoll, wenn sie auf einer breitestmöglichen Datenanalyse beruhen. Lang aber beschreitet methodisch gerade den entgegengesetzten Weg: Der systematische Zusammenhang zwischen den amputierten Brüsten der heiligen Agathe, dem rituellen Verzehr von geopferten Frauenbrüsten bei der russischen Sekte der Skopzen im neunzehnten Jahrhundert und dem traditionellen sizilianischen Backwerk namens "Seni di Sant'Agata" leuchtet wohl nur einem Kulturwissenschaftler ein, der sich auf der Höhe modischer Assoziationskunst befindet. Lang beschränkt seinen Untersuchungsgegenstand zeitlich auf die Jahre von 1606 bis 1656 und geographisch auf Neapel, wobei die postulierte Sondersituation der Stadt in der italienischen Kunstlandschaft nur vergleichend hätte herausgearbeitet werden können.

Damit jedoch nicht genug der Einschränkungen: Lang interessiert keineswegs der Sadismus überhaupt, sondern nur eine sehr spezifische seiner Ausprägungen, die sein oft zitierter Lieblingsautor Erich Fromm als destruktiv nekrophil klassifiziert hat. Nur Bilder, auf denen Körper zerstückelt werden, sind daher untersuchungswürdig. Bildthemen wie die Geißelung Christi oder der bethlehemitische Kindermord, die für die Fragestellung auch aufschlußreich wären, fallen dagegen aus. Dabei sind doch Caravaggios "Geißelung", ja selbst sein "Zahnzieher" offenkundiger mit sadistisch erfreutem Assistenzpersonal versehen als beispielsweise das Bild, auf dem der melancholische David dem Betrachter im Kopf des Goliath ein Selbstporträt des Künstlers vor Augen hält. Behandelt werden nur, fein buchhalterisch getrennt und genderspezifisch korrekt klassifiziert: erstens abgeschlagene Köpfe (Frau gegen Mann oder Ephebe gegen Mann); zweitens verstümmelte Brüste (Mann gegen Frau); drittens abgezogene Häute (Mann gegen Mann).

Da die realen Hinrichtungen in Neapel nicht ausreichten, um das Gewaltbedürfnis der Gesellschaft zu befriedigen, so die Argumentation Langs beim Durchschreiten dieser nicht endenden Galerie abgetrennter Gliedmaßen, wurde die Grausamkeit in der künstlerischen Darstellung noch gesteigert. Grausam seien hierbei nicht spritzendes Blut oder schmerzverzerrtes Schreien, sondern die bildinterne Dynamik des sogenannten suspense: Der Maler, der im Malakt wie in einem Rollenspiel die Fähigkeit multipler Identifikation mit dem Quälenden und dem Gequälten vollbringt und so seine eigenen sadistischen Triebe befriedigt, quält den Betrachter, indem er im Bild den Moment der Hinrichtung in flagranti verewigt.

Caravaggios Gemälde der "Judith", die gerade dabei ist, Holophernes in einem stellvertretenden Kastrationsakt sein zweitwichtigstes Organ abzuschneiden, ist grausam, weil es einerseits Gewalt erotisiert, andererseits die Mordsequenz anhält: "Tag für Tag sieht der Besitzer des Gemäldes eine Enthauptung, die nicht enden will." Der "krude Naturalismus" neapolitanischer Malerei unterstütze stilistisch diese Grausamkeit, Schlaglichter und akzentuierte Chiaroscuro-Effekte in Caravaggios Bildern fragmentierten die Körper bereits mit malerischen Mitteln, "Virtuosität und Gewaltfaszination verschmelzen hier". Thomas Zaunschirm hat in seinem Buch "Leitbilder" herausgestellt, daß kunsthistorische Untersuchungen oftmals mehr über ihre Autoren aussagen als über die beschriebenen Bilder. Die Schlußfolgerung aus dieser Einsicht für den vorliegenden Band zu ziehen sei dem Leser überlassen.

Walther K. Lang: "Grausame Bilder". Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001. 380 S., 12 Farbtaf., 75 S/W-Abb., geb., 96,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Valeska von Rosen ist mit der Abhandlung von Walter K. Lang ganz und gar nicht einverstanden. Darin geht es um "geschundene Körper, abgetrennte Köpfe und verstümmelte Brüste" und darum, was die Maler so an den Grausamkeiten fasziniert hat, berichtet die Rezensentin. Der Autor kennt darauf nur eine Antwort: Sadismus. Damit ist die Rezensentin gar nicht einverstanden. Lang betrete ein Feld der Spekulationen, die er mit psychoanalytischen Ansätzen von Erich Fromm und Siegmund Freund nähre. Annahmen, die beispielsweise von Adornolängst kräftig wiederlegt worden sind, so die Rezensentin, die sich fragt, wem diese Kulturgeschichte der Perversität nutzt. Gerne hätte sie etwas darüber erfahren, welche Wirkungsabsichten die Maler der Grausamkeit im Kontext ihrer Zeit verfolgten und in welchem Verhältnis sakrale und profane Kunst gestanden hatten. Bei Lang hat sie darüber nichts gefunden.

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