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"Wenn in Deutschland einer einen guten politischen Witz macht, sitzt die halbe Nation auf dem Sofa und nimmt es demjenigen übel." Kurt Tucholskys Beobachtung über die politische Kultur hierzulande gilt immer noch, nur heißt sie jetzt "political correctness". Wie ein Grauschleier legt sie sich über alle Diskussionen, verhindert klare und präzise Benennungen. Wer könnte besser dagegen angehen als Josef Joffe, dessen Leitartikel in der "Zeit" Pflichtlektüre für alle unabhängigen Köpfe sind, die Bestsellerautoren Michael Miersch und Dirk Maxeiner ("Lexikon der Öko-Irrtümer"), die den Gutmenschen…mehr

Produktbeschreibung
"Wenn in Deutschland einer einen guten politischen Witz macht, sitzt die halbe Nation auf dem Sofa und nimmt es demjenigen übel." Kurt Tucholskys Beobachtung über die politische Kultur hierzulande gilt immer noch, nur heißt sie jetzt "political correctness". Wie ein Grauschleier legt sie sich über alle Diskussionen, verhindert klare und präzise Benennungen. Wer könnte besser dagegen angehen als Josef Joffe, dessen Leitartikel in der "Zeit" Pflichtlektüre für alle unabhängigen Köpfe sind, die Bestsellerautoren Michael Miersch und Dirk Maxeiner ("Lexikon der Öko-Irrtümer"), die den Gutmenschen so gerne ihr Spiel verderben, oder Henryk M. Broder, der Ruhestörer vom Dienst beim "Spiegel"?
Autorenporträt
Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT. Davor war er Ressortleiter Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung. Er lehrte Internationale Politik in München, an der Johns Hopkins University und in Harvard, in Stanford unterrichtet er seit 2004. Als Kenner der amerikanischen Politik veröffentlichte Joffe zahlreiche Sachbücher. Joffe ist Mitglied im Aufsichtsrat des Leo Baeck Institut New York, das ein reichhaltiges Archiv der deutsch-jüdischen Geschichte pflegt. In Deutschland ist er Vorsitzender des Kuratoriums des Abraham-Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2007

Ein Nullwort als Argumentersatz

Von den vielen ins Deutsche eingewanderten Anglizismen wurde bisher der überflüssigste am wenigsten beanstandet: politically correct. Das Deutsche kennt die Substantivform "politische Korrektheit" sowie die Adjektive "politisch korrekt" und "politisch unkorrekt", Spielarten, die seit etwa zehn Jahren auch zu Buchtiteln geworden sind: etwa bei Ludwig Röhmhilds inzwischen für 99 Cent erhältlichem Werk "Politisch nicht korrekt" oder Angelo Peers "Politisch nicht korrekt! Ein Werber sieht die Gesellschaft". Hinzugekommmen ist jetzt "Schöner Denken. Wie man politisch unkorrekt ist" von Josef Joffe, Dirk Maxeiner, Michael Mirsch und Henryk M. Broder (Piper Verlag, München 2007. 179 S., br., 14,90 [Euro]). Vier Journalisten haben darin ein alphabetisch geordnetes Glossar zusammengestellt, das Anleitung zum politisch unkorrekten Denken gibt bei Themen von A wie Aberglaube, G wie Globalisierungsgegner oder P wie Palästinenser. "Gegen die Gleichförmigkeit der Gedanken und die Tyrannei der nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopften Überzeugungen", verspricht das Vorwort, seien die Autoren angetreten, und das, man nimmt es verblüfft zur Kenntnis, angeführt vom Alphatier im Allerweltsworterudel: politisch unkorrekt.

Die Definition des vermeintlichen Gegenteils "politisch korrekt", das in "Schöner Denken" leider nicht ins Glossar aufgenommen worden ist, findet sich in jedem Wörterbuch. "Ursprünglich wollte man vermeiden", vermerkt etwa Langenscheidts Großwörterbuch Englisch, "dass über ethnische Minderheiten, Frauen, Behinderte, Homosexuelle und benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Worten gesprochen wird, die sie herabsetzen oder beleidigen." Geführt hat das in den neunziger Jahren in den Vereinigten Staaten zu Wortneuschöpfungen wie "Native American" statt "Red Indian" oder "visually impaired" statt "blind". So viel zum Hintergrund. "Heute", führt Langenscheidts Großwörterbuch fort und kommt zum entscheidenden Schluss, "wird der Ausdruck ,politically correct' überwiegend als Schimpfwort gebraucht." Will heißen: Politisch korrekt sind immer die anderen. Für Eigen- und Fremdbild bedeutet das: Die anderen teilen alle eine schlimme Mehrheitsmeinung; man selbst vertritt dagegen eine seltene und wertvolle Individualmeinung. Im Buchvorwort ist daher auch die aufgebrachte Rede vom "Konformismus", dem verbreiteten Hang - wieder der anderen -, sich an vorherrschende Meinungen anzupassen.

Das klingt unschön, bedrohlich - tut aber nichts zur Sache. Zum einen, weil es für Wert oder Triftigkeit einer Meinung ganz gleichgültig ist, ob sie von einem, Tausenden oder Hunderttausenden vertreten wird (im Übrigen lässt sich die herrschende Meinung zu den meisten Themen auch nicht einfach ausmachen; in welcher Welt die unter "V" angeführten Veganer eine Mehrheitsansicht vertreten, wird eines der Geheimnisse dieses Buches bleiben). Umgekehrt ist auch ganz nebensächlich, ob eine Meinung nur selten vorkommt. Der 1865 verstorbene ungarische Arzt Ignaz Philipp Semmelweis stritt etwa sein Leben lang für die damals sehr seltene Meinung, Ärzte, die Leichen sezieren, sollten sich, bevor sie schwangere Frauen entbinden, die Hände desinfizieren. Hätte sich Semmelweis durchgesetzt, wäre Hunderten Frauen, die stattdessen an Kindbettfieber starben, das Leben gerettet worden. Weil seine Wiener Kollegen Semmelweis aber nur als nonkonformistisch und nervtötend empfanden, steckten sie ihn lieber ins Irrenhaus (der französische Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline schrieb die fantastische Biographie "Leben und Werk des Ignaz Philipp Semmelweis"); zur gleichen Zeit vertrat aber leider auch der studierte Mediziner und Zoologieprofessor Gustav Jäger mit viel Wut und zur Verzweiflung seiner Fachkollegen die ebenfalls nicht mehrheitsfähige Ansicht, das Tragen besonderer, von ihm entworfener Wollleibchen (später wurden es ganze Anzüge) sei der Schlüssel zur Gesundheit. Wie Semmelweis setzte sich auch Jäger nicht durch, ein Schaden war es in diesem Fall nicht. Es gibt also keine Hinweise auf ein Korrelieren von seltenen Meinungen mit Wahrheitsgehalten. Die Mehrheit kann recht haben oder der Einzelne.

Lässt man den Zuschreibungsklimbim (Konformismus, Gedankengleichförmigkeit, politisch korrekt oder unkorrekt) also weg, bleibt übrig: die als Buch veröffentlichte alphabetische Ordnung der Republik nach einem Nullwort. Und die überraschende Selbsteinschätzung von vier vielschreibenden Publizisten (darunter ein Herausgeber der "Zeit", ein Autor des "Spiegel" und einer der "Welt"), Außenseiter der öffentlichen Meinung zu sein. Wo, würde man gerne wissen, braut sich diese denn zusammen, wenn "Zeit", "Spiegel" und "Welt" die Peripherie sind? Bei den furchterregenden Veganern?

Einer der lustigsten Einträge in "Schöner Denken" steht unter "Querdenker". Wir lesen: "Einer aus dem anderen politischen Lager, der so denkt wie wir." Stimmt, eine Leerformel also. Der böse Worthülsenzwilling des beliebten Querdenkers ist aber "politisch unkorrekt". Auf Personen bezogen, bedeutet er nur: einer aus dem anderen politischen Lager, der nicht so denkt wie wir. Auf Ansichten bezogen, ganz kurz: Argumentersatz.

JULIA VOSS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Julia Voss hat sich amüsiert mit diesem Buch und damit wohl an der Intention der Autoren vorbeigelesen. Doch wenn sich vier vielschreibende Journalisten großer deutscher Blätter (Zeit, Spiegel und Welt) als "Außenseiter der öffentlichen Meinung" präsentieren wollen, steigt die Rezensentin aus. Oder sie fahndet im alphabetischen Glossar zum politisch unkorrekten Denken nach weiteren Widersprüchen. Schon das Vorwort erscheint der Rezensentin viel zu aufgeregt, die Bedrohung durch konformistische Herden hält sie für ein Märchen und führt den Nachweis, dass sowohl der Einzelne recht haben kann als auch die Mehrheit. Das Buch, so schließt Voss kichernd:  Die "Ordnung der Republik nach einem Nullwort".

© Perlentaucher Medien GmbH