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Produktdetails
  • Verlag: Patmos Verlag
  • Seitenzahl: 115
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 176g
  • ISBN-13: 9783491724488
  • ISBN-10: 3491724481
  • Artikelnr.: 09418597
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2001

Der Weltgeist reitet durch Niederbayern
Und Leonardo Boff ist sein Prophet: Der Kurienkritiker sieht in der römischen Provinz noch Globalisierungsbedarf und offenbart den Willen zur Kirchenmacht

Leonardo Boff veröffentlichte 1981 "Charisma und Macht", eine kritische Kirchentheorie. Die despotischen Machtansprüche römischer Funktionäre konfrontierte der brasilianische Franziskaner mit dem prophetischen Charisma einfacher Leute in Basisgemeinden. Die Kongregation für die Glaubenslehre verordnete ihm daraufhin ein Jahr "gefälligen Schweigens". Doch diese Bußübungen blieben ohne die erhoffte geistliche Wirkung. Boff hielt an der inkriminierten Lehre fest, die römische Kirche sei nur eine unter vielen christlichen Kirchen. Keineswegs entspreche sie der wahren Kirche Christi mehr als andere christliche Gemeinschaften. Kardinal Ratzinger verwarf dies als "ekklesiologischen Relativismus".

Im neuesten Gegenangriff, einer kritischen Analyse von "Dominus Iesus", greift Boff den Relativismus-Begriff programmatisch auf. Ratzingers "dogmatischen Absolutismus" unterminiert er mit Erwägungen über die geschichtliche Relativität der römisch-katholischen Kirchenstrukturen. Auch will er "die Ekklesiologie in positivem Sinn relativieren" und alle christlichen Kirchen in Analogie zur trinitarischen Perichorese "in Relation zu- und miteinander sehen". Jede Kirche sei nur eine besondere, begrenzte Realisierungsgestalt des geistlichen Leibes Christi. Roms Alleingeltungsanspruch soll durch ökumenische Geschwisterlichkeit überwunden werden. Gleichberechtigte Konfessionskirchen sollen solidarisch am Reiche Gottes bauen.

Gegen "Dominus Iesus" bemüht Boff einen bunten Mix von historisch-politischen und dogmatischen Einwänden. Sein Bild der neueren Christentumsgeschichte ist von simpler Eindeutigkeit. Seit 1789 habe die römische Kirche politischen Einfluß und kulturelle Relevanz eingebüßt. Rom habe den neuen Säkularismus durch Neuromanisierung, Papstabsolutismus, Uniformierung der Theologie und Juridifizierung des Kirchenverständnisses bekämpft. In Johannes Paul II. sieht Boff die Medienmarionette einer kurialen Restauration, die in Kardinal Ratzinger ihren Chefideologen gefunden hat. Ratzinger wird in die Nähe lateinamerikanischer Militärdiktatoren gerückt und zum klerikalen Duce stilisiert. Der Präfekt der Glaubenskongregation, "früher einmal ein anerkannt kompetenter Theologe", sei ein schüchterner Neurotiker aus der niederbayerischen Provinz, der sich dank seiner tiefen Angst vor der pluralistischen Gesellschaft ins selbstgebastelte dogmatische Ghetto flüchte. Seine Verlautbarungen spiegelten neben totalitären Allmachtsphantasien eine "unheilbare geistige Dekadenz". Natürlich bedient sich der Kardinal in seiner "absolutistischen Ideologie" auch sexistischer Sprache. Sein neuscholastischer Intellektualismus ist "männlichkeitswahninfiziert". Auch leidet Boffs Ratzinger unter "Unfehlbarkeitswahn".

Der dogmatische Streit kreist um das berühmt-berüchtigte "subsistit" in "Lumen gentium", der schillernd widersprüchlichen Kirchenkonstitution des Zweiten Vaticanums. Römisch-katholische Theologen hatten einst behauptet, daß die Papstkirche mit der wahren Kirche Jesu Christi unmittelbar identisch sei. Die interne Pluralisierung der sogenannten "Weltkirche" sensibilisierte seit den fünfziger Jahren Vertreter einer Nouvelle théologie für die gelebte Vielfalt des Katholischen. Mit Blick auf die Genfer Ökumene mußte die faktische Partikularität der römisch-katholischen Kirche theologisch gedeutet werden. Nach langen, kontroversen Debatten verzichtete man auf das steile "est", die unmittelbar substantialistische Gleichsetzung von wahrer Kirche und römischer Institution. Die Konzilsväter einigten sich auf den Formelkompromiß, daß die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche "verwirklicht" sei.

Hat Rom sich mit diesem "subsistit" selbst relativiert und anderen Kirchen zugestanden, ebenfalls an der wahren Kirche Christi teilzuhaben? Boff will dies durch Exegese der Konzilstexte belegen. Die Glaubenskongregation hat seine "relativistische Auslegung" von "Lumen gentium" dreimal förmlich verurteilt. Boff sieht darin eine Geschichtsklitterung. "Der Herr Kardinal ist der Verdreher des Zweiten Vatikanischen Konzils." Roms Ökumene-Politik deutet Boff mit der alten Priesterbetrugsthese kirchenkritischer Aufklärer. Für römische Kurialisten gebe es keine gleichberechtigten ökumenischen Gesprächspartner. "Konsensgespräche" dienten ihnen nur dazu, ihre Machtansprüche durchzusetzen. "Die anderen müssen entweder bekehrt oder unterworfen, entweder demoralisiert oder vernichtet werden." Die Kirchen der Reformation warnt Boff davor, von Rom substantielle Revisionen überkommener Lehraussagen zu erwarten. Durch äußerliche Konzessionen wolle der Vatikan nur Konflikte in anderen Kirchen schüren.

Boff betont den Vorrang der Praxis pietatis vor der Dogmatik, des Lebens vor der Lehre. Im Bild der Kirche und ihrer Rolle in der Gesellschaft folgt er dennoch römisch-katholischer Überlieferung. Mit Rom verbindet ihn sehr viel mehr, als er im Anti-Ratzinger-Affekt wahrnimmt. In kruden organologischen Bildern träumt Boff vom "ganzheitlichen" Schöpfungsfrieden. Gern beschreitet er antikapitalistische dritte Wege einer genuin katholischen Soziallehre. Gegen Ratzingers kalte Intellektualität beschwört er eine unmittelbare Evidenz erleuchteter Herzen und warmer Gefühle.

Wie läßt sich diese Vielfalt frommer Intuitionen zur erhofften Communio fidei integrieren? Dazu setzt Boff, in Treue zu geltender Lehre und herrschendem Recht seiner Kirche, auf die Autorität des kirchlichen Amtes. Er will "das Gesunde am außerordentlichen Lehramt des Papstes und des Bischofskollegiums wieder zur Geltung bringen" und preist "das Gesunde an der Unfehlbarkeit" des Heiligen Vaters. Dogmatische Sprachspiele und historisch-kritische Einsicht in die geschichtliche Kontingenz der römischen Kirchenstrukturen bleiben unvermittelt. Zu Recht historisiert er den Begriff des "Lehramtes", der erst um 1800 entstand. Aber sind nicht auch die Bilder vom wandernden Gottesvolk oder von den Geistesgaben guter Basischristen historisch kontingent? Boff bleibt einem autoritätsfixierten Denkstil verpflichtet: Er betont die Relativität aller römischen Verhältnisse, ohne sich selbst in Frage zu stellen. Gern spricht er von "meiner globalen Betrachtungsweise". Ist der Befreiungstheologe von Ethnozentrismus frei und denkt jenseits kultureller Kontextualität? Spricht aus ihm der prophetische Weltgeist?

Die theologischen Gegensätze zwischen den Kontrahenten reduzieren sich auf die kirchlichen Machtverhältnisse. Boff leitet aus dem Charisma des Theologen-Intellektuellen eine globale Deutungskompetenz ab. So weiß er sich dem eurozentrischen Partikularisten Ratzinger überlegen. Doch der Präfekt der Glaubenskongregation verkündet seine Boff-Kritik nicht als individueller deutscher Theologieprofessor, sondern kraft institutionell gesicherter Deutungsmacht. Dem Amtscharisma des Kardinals kann Boff nur Beschwörungen der Wirkmächtigkeit des freien Geistes entgegensetzen. Der volksverbundene Charismatiker beschwört den Geist, um selbst kirchliche Macht auszuüben.

FRIEDRICH WILHELM GRAF.

Leonardo Boff: "Manifest für die Ökumene". Im Streit mit Kardinal Ratzinger. Aus dem Portugiesischen übersetzt und für die deutschsprachige Ausgabe bearbeitet von Horst Goldstein. Patmos Verlag, Düsseldorf 2001. 120 S., geb., 19,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Wilhelm Graf rezensiert dieses Buch mit spürbarer Distanz. Seiner Ansicht nach präsentiert sich der Autor, ein brasilianischer Franziskaner, hier als volksverbundener Beschwörer des "freien Geistes", der versuche, sich vor allem durch Angriffe gegen Kardinal Ratzinger zu profilieren. Doch letztlich laufen seine Forderungen und Vorwürfe darauf hinaus, so unterstellt Graf, "selbst kirchliche Macht auszuüben". Der Leser erfährt, dass es inhaltlich vor allem darum geht, dass Boff die Solidarität der Konfessionskirchen fordert und Roms Alleingeltungsanspruch für überholt hält. Dabei diagnostiziert Graf jedoch spürbar genervt einen "bunten Mix von historisch-politischen und dogmatischen Einwänden". Besonders stört ihn auch das hier gezeichnete Bild Kardinal Ratzingers, der "in die Nähe lateinamerikanischer Militärdiktatoren gerückt und zum klerikalen Duce stilisiert" werde. Konsensgespräche mit ökumenischen Partner würden nach Boff stets darauf hinauslaufen, diese zu bekehren oder zu vernichten. Letztlich verbindet jedoch Boff "sehr viel mehr (mit Rom), als er im Anti-Ratzinger-Affekt wahrnimmt", findet Graf.

© Perlentaucher Medien GmbH