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Produktdetails
  • Bibliothek Verbrannter Bücher
  • Verlag: Olms Wissenschaft
  • Seitenzahl: 3211
  • Erscheinungstermin: 9. Mai 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 345mm x 202mm x 136mm
  • Gewicht: 4781g
  • ISBN-13: 9783487136080
  • ISBN-10: 3487136082
  • Artikelnr.: 23800039
Autorenporträt
Julius H. Schoeps, geb. 1942 in Schweden, ist mütterlicherseits ein Nachfahre der Familie Mendelssohn-Bartholdy. Er studierte in Erlangen und Berlin Geschichte, Geistesgeschichte, Politische Wissenschaft und Theaterwissenschaft. 1974-1992 Professor an der Universität Duisburg, seit 1992 Professor für Neuere Geschichte und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zur deutsch-jüdischen Geschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2008

Idee der Ideenvernichtung

Verbrannt, vergessen, aber eben doch nicht verloren: Ein gewaltiges Projekt macht Bücher wieder zugänglich, die 1933 verbrannt wurden, unter anderem Bücher von Theodor Heuss und Walther Rathenau.

In Göttingen wurde die nationalsozialistische Bücherverbrennung 1933 zum Postkartenmotiv: Auf dem Adolf-Hitler-Platz, der heute Albaniplatz heißt, türmt sich ein brennender Bücherberg, vor der Albanischule ist ein Fackelaufmarsch von Bürgern und Uniformierten zu sehen, die in die Flammen starren. Wer mag eine solche Karte wohl verschickt haben? Und was hat er darauf geschrieben? Das Göttinger Bild hätte man von Schleswig bis Rosenheim, von Königsberg bis Breslau ähnlich fotografieren können, und zwar nicht nur am 10. Mai, sondern von Frühjahr bis Oktober 1933.

Wie die Bücherverbrennungen in zweiundsechzig Städten vor sich gingen, wer sie organisierte und dort Reden hielt und wie sie medial verarbeitet wurden, zeigt nun ein umfassender Aufsatzband unter der Herausgeberschaft von Julius H. Schoeps und Werner Tress, beide Historiker am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum. In den Einzelstudien wird deutlich, was auch der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Christoph Markschies, beim 75. Gedenktag der Autodafés noch einmal betonte: Die Bücherverbrennungen geschahen "aus der Mitte der Universitäten" heraus und kamen nicht etwa über sie. Bis in die Leihbibliotheken und Schulen der Kommunen hinein, auch das zeigen die verschiedenen Aufsätze, fand die Idee der Ideenvernichtung begeisterte Anhänger, wenn sie auch vereinzelt auf Widerstand stieß.

Die Beiträge lassen neben der bislang als hauptverantwortlich geltenden Deutschen Studentenschaft insbesondere die Hitlerjugend und den Kampfbund für deutsche Kultur als Handelnde erkennen - so organisierte die HJ auch in Kleinstädten und Dörfern Bücherverbrennungen. In seinem einleitenden Essay gibt Werner Tress einen Überblick über "Phasen und Akteure der Bücherverbrennung". Er kritisiert die Fixierung der Gedenkkultur auf das Ereignis der Berliner Veranstaltung auf dem Opernplatz und der dortigen Brandrede von Joseph Goebbels. Durch diese Fixierung werde das flächendeckende Ausmaß der Aktionen heute vielfach verkannt, obwohl 1933 deutschlandweit insgesamt dreiundneunzig öffentliche Bücherverbrennungen nachzuweisen sind: "Vielerorts waren die Bücherverbrennungen ein symbolischer Schlussstein derjenigen Maßnahmen und Ereignisse, mit denen in den Wochen und Monaten zuvor die neuen politischen Machtverhältnisse von der zentralstaatlichen auf die kommunale Ebene übertragen worden waren."

Die Studie bietet reiches Quellenmaterial aus den Stadtarchiven und Lokalzeitungen, Flugblättern und Aushängen von den zur Denunziation dienenden "Schandpfählen", die vielerorts aufgestellt wurden. Dabei wird die Bandbreite der Brandrhetorik von den kläglichen Dorfplatzreden bis zu den bildgewaltigen Suadas der Hochschulgermanisten deutlich: In Göttingen hielt der im Fach Theologie promovierte Privatdozent Gerhard Fricke eine regelrechte Predigt gegen die Feinde des Deutschtums, in der er jüdische Schriftsteller als "Wolke von Insekten" bezeichnete, die sich "auf dem Rücken des zerschundenen und ohnmächtigen Deutschland niederließen".

Die Wirkung solcher Aktionen "wider den undeutschen Geist" war verheerend und nachhaltig. Was 1933 auf diese Weise großenteils erfolgreich aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt wurde, soll heute durch ein editorisches Großprojekt einer breiten Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden: Der Hildesheimer Olms Verlag beginnt die Publikation einer "Bibliothek verbrannter Bücher", die auf 120 Bände angelegt ist und auch Übersetzungen fremdsprachiger Schriftsteller berücksichtigt. Eine Liste der Autoren findet sich unter www.verbrannte-buecher.de.

Unter den ersten zehn bereits als Kassette veröffentlichten Titeln findet sich neben André Gides kolonialkritischem Reisebericht "Kongo und Tschad", frühen Erzählungen von Anna Seghers und zwei zum Glück nicht ganz vergessenen Werken von Kästner und Kafka ein Roman der gebürtigen Wienerin Gina Kaus: "Morgen um Neun", eine neusachlich-kritische Sichtung des Ehebundes im Dialogstil, wurde 1932 viel gelesen und ist stilistisch vielleicht dem heute etwas bekannteren Werk Irmgard Keuns vergleichbar. Im Schuber sind außerdem zwei einflussreiche politische Bücher: Walther Rathenaus bereits 1912 verfasste zivilisationspessimistische Schrift "Zur Kritik der Zeit", ein Vorläufer von Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes", und "Hitlers Weg" von Theodor Heuss, das vor der Verbrennung acht Auflagen erlebte. Die Texte werden als Faksimiles der 1933 aktuellen Ausgaben präsentiert, mitunter also noch in Fraktur gesetzt wie etwa das Buch von Heuss. Ob das dem erklärten Ziel der Herausgeber zuträglich ist, die Titel gerade auch heutigen Schülern nahezubringen, ist fraglich; andererseits hätte eine Verwendung späterer Druckausgaben - sofern es diese überhaupt gab - die editorische Einheitlichkeit des Projekts zerstört. Die Einzeltitel sind mit Nachworten, zum Teil auch mit Essays und Literaturverzeichnissen versehen.

In seinem "Buch der verbrannten Bücher" hat Volker Weidermann, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, mit beinahe hundert Porträts verfemter und vergessener Schriftsteller diese wieder ins Bewusstsein gerufen. Die vorliegende Ausgabe bietet nun die Möglichkeit, sich intensiv mit den Gesamttexten der verbrannten Werke auseinanderzusetzen. In seinem denkwürdigen Gedicht "Die Letzten" hat der ebenfalls verfemte Dichter Hans Sahl einmal über sich und seine Leidensgenossen den folgenden zynischen Satz gesagt: "Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz." Er lässt den allzu oft gepflegten Brauch anklingen, dass die vergessenen Autoren nur für den kurzen Moment einer Gedenkveranstaltung wachgerufen werden, ohne dabei tatsächlich erschlossen zu werden.

Die "Bibliothek verbrannter Bücher" ist nicht nur ein symbolisches Denkmal, sondern eine handgreifliche, seitenstarke Reihe, die am Ende gut fünf Regalmeter einnehmen wird. Diesen Raum zu ermessen wird Fleiß und Mühe erfordern, aber man sollte sich dieser Aufgabe stellen.

JAN WIELE

"Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933". Hrsg. von Julius H. Schoeps und Werner Tress. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2008. 850 S., geb., 24,90 [Euro].

"Bibliothek verbrannter Bücher". Die ersten zehn Bände im Schuber. Eine Auswahl der von den Nationalsozialisten verfemten und verbotenen Literatur. Hrsg. von Julius H. Schoeps. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2008. 98,- [Euro]. (Beide Titel zusammen kosten 102,95 [Euro].)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diesem editorischen Großprojekt traut Jan Wiele durchaus zu, dem kollektiven Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. In der Kassette mit den ersten zehn Bänden der Edition entdeckt er neben Texten von Seghers und Kafka auch einen neusachlichen Roman der Wienerin Gina Kaus, der ihn stilistisch an das Werk Irmgard Keuns erinnert, sowie einen Vorläufer von Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes", Walther Rathenaus "Zur Kritik der Zeit". Das editorische Prinzip des Faksimiledrucks hält Wiele zwar für nicht unproblematisch (siehe jüngere Leserschaft), den Rezensenten jedoch stimmen die den Einzeltiteln beigegebenen Nachworte, Essays und Literaturverzeichnisse milde. Insgesamt erscheint die Edition Wiele als gelungener, "handgreiflicher" Ansporn, temporäre Gedenkveranstaltungen und rein symbolische Denkmäler mit echter Leseerfahrung zu bereichern.

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