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Bislang kaum erforscht: Die "Sudetenfrage" in den Städten und Dörfern der böhmischen und mährischen Grenzgebiete
Detlef Brandes widmet sich im vorliegenden Band einem in der Historiographie zur „Sudetenfrage“ bisher kaum beachteten Aspekt – vor dem Hintergrund der internationalen und innertschechoslowakischen politischen Auseinandersetzungen um die Sudetendeutschen zeichnet er die Entwicklung in den Städten und Dörfern des böhmischen und mährischen Grenzgebiets sowie die Reaktionen der Bevölkerung „vor Ort“ nach. Auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials werden neben dem Prozess der…mehr

Produktbeschreibung
Bislang kaum erforscht: Die "Sudetenfrage" in den Städten und Dörfern der böhmischen und mährischen Grenzgebiete

Detlef Brandes widmet sich im vorliegenden Band einem in der Historiographie zur „Sudetenfrage“ bisher kaum beachteten Aspekt – vor dem Hintergrund der internationalen und innertschechoslowakischen politischen Auseinandersetzungen um die Sudetendeutschen zeichnet er die Entwicklung in den Städten und Dörfern des böhmischen und mährischen Grenzgebiets sowie die Reaktionen der Bevölkerung „vor Ort“ nach. Auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials werden neben dem Prozess der zunehmenden Radikalisierung der Anhänger der Sudetendeutschen Partei auch die Reaktionen der deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie der tschechischen Minderheit in den Grenzgebieten auf die Bedrohung durch den deutschen Nationalsozialismus und die „Henleinbewegung“ in den Jahren 1935 bis 1938 geschildert. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen dabei die für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in den böhmischen Ländern zentralen Ereignisse des Jahres 1938, insbesondere die Zeit zwischen dem „Anschluss“ Österreichs und dem „Münchener Abkommen“.
Autorenporträt
Detlef Brandes, geboren 1941, ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und leitet dort das Institut für Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2009

Immer noch politisch brisant
Konrad Henlein und die Sudetendeutschen im "Anschluss"-Jahr 1938

Im Januar 2002 bezeichnete der damalige tschechische Ministerpräsident Milos Zeman im österreichischen "Profil" die Sudetendeutschen als die "fünfte Kolonne", die von Hitler den Auftrag erhalten habe, "die Tschechoslowakei als einzige Insel der Demokratie in Mitteleuropa zu zerstören". Wenn die Deutschen nach dem Krieg "vertrieben oder transferiert worden sind", sei das daher "milder gewesen als die Todesstrafe", die auf "Landesverrat" stand. Zemans Neuauflage der Kollektivschuldthese entfachte eine heftige Kontroverse, die einen schmerzlichen Mangel bewusst machte: In der sehr reichen Literatur über die außen- und innenpolitischen Aspekte der Sudetenkrise fehlte eine Untersuchung der grundlegenden Frage, die Detlef Brandes bei seiner jüngsten Arbeit leitete: "Warum und wie gewann die SdP (Sudetendeutsche Partei) nach dem Anschluss Österreichs die Unterstützung von acht bis neun Zehntel der Sudetendeutschen, obwohl sie sich Ende April 1938 zum Nationalsozialismus bekannte, und warum folgte ihr die überwiegende Mehrheit auf dem Weg ins ,Großdeutsche Reich'?"

Wie schon in seinen beiden vorangegangenen Monographien zur deutsch-tschechischen Tragödie - "Die Tschechen im deutschen Protektorat" und "Der Weg zur Vertreibung 1938-1945" - versucht Brandes wieder ein chronologisch geordnetes, möglichst umfassendes und quellennahes Bild der Ereignisse zu zeichnen, wobei er besonders ausführlich aus den in Prag archivierten Berichten der Staatspolizei und anderer Sicherheitsbehörden über die Aktivitäten der SdP zitiert. Man merkt es dem Buch an, dass die politische Brisanz des Untersuchungsgegenstands noch lange nicht erloschen ist. Gegen zu erwartende sudetendeutsche Schutzbehauptungen führt Brandes eine Überfülle von Belegen für die nationalsozialistische Durchdringung der Volksgruppe an. Das erleichtert zwar nicht gerade die Lektüre, zumal es bei dieser Vorgehensweise unvermeidlich zu Längen und Wiederholungen kommt, deren besonderer Erkenntniswert sich nicht durchwegs erschließt, macht das Buch aber zu einem grundlegenden Werk, an dem kein Weg mehr vorbeiführt.

Brandes setzt ein mit einer knappen Übersicht über die Jahre 1935 bis 1937, als die SdP die wachsende Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung Böhmens und Mährens mit der anhaltenden nationalen Diskriminierung, besonders auch in wirtschaftlicher Hinsicht (die Arbeitslosigkeit unter den Deutschen war doppelt so groß), nützte, um den deutschen "Aktivismus" (die Zusammenarbeit mit den Tschechen) zu diskreditieren. Das hartnäckige, allzu lange Festhalten Prags an der Fiktion des "tschechoslowakischen Nationalstaates" und die anhaltende Tschechisierung, insbesondere im öffentlichen Dienst, trieben bei den Parlamentswahlen 1935 zwei Drittel der deutschen Wähler der SdP zu, die das Aufgehen aller Partikularinteressen in einer auf Deutschland gestützten "Volksgemeinschaft", das "Führerprinzip" und den Antisemitismus propagierte.

Ende 1936 war bereits jeder sechste Deutsche Mitglied der SdP, die Selbstverwaltung und territoriale Autonomie forderte, spätestens aber seit Konrad Henleins Geheimbrief an Hitler vom 19. November 1937 bewusst als "fünfte Kolonne" agierte: Die SdP sei nationalsozialistisch, schrieb Henlein, und ersehne nichts mehr als die "Einverleibung ins Reich", müsse sich jedoch "demokratischer Terminologie" bedienen. Der "Anschluss" Österreichs im März 1938 verhieß die Erfüllung dieser Sehnsucht, mit ihm begann die Aus- und Gleichschaltung der demokratischen deutschen Parteien. Noch hieß es nicht "ein Volk, ein Reich, ein Führer", sondern "ein Volk, ein Wille, ein Ziel". Mit dem Hinweis, dass "der Tag komme", gingen die Aktivisten der SdP auf Mitgliederwerbung von Haus zu Haus: "Bedenke, . . . dass es der Endkampf ist, . . . komme zu uns, ehe es zu spät ist."

Pendler, die ihren Arbeitsplatz in Deutschland behalten wollten, mussten der SdP beitreten, in sudetendeutschen Unternehmen lag der Lohntüte der Aufnahmeantrag bei. Die Geschäfte von Tschechen, Juden und von Deutschen, die nicht mitmachen wollten, wurden boykottiert. Das SdP-Blatt "Die Zeit" veröffentlichte die Namen deutscher Kinder, die tschechische Schulen besuchten. Haus- und Blockwarte sorgten für die Einhaltung der "Disziplin", etwa wenn die Beflaggung der Fenster angeordnet wurde. Das gesamte Instrumentarium der totalitären Durchdringung einer Gesellschaft ist eindrucksvoll beschrieben und auch die Angst, der Opportunismus, die Furcht vor Isolation, die die Volksgruppe Schritt für Schritt gefügiger machten.

Ausführlich schildert Brandes, wie sich der Terror 1938 ausbreitete, bis hin zu Henleins endgültigem Abbruch der Verhandlungen mit Prag, der nun ausgegebenen Losung "Heim ins Reich" und dem Aufstand des "Sudetendeutschen Freikorps" im September 1938, dem Vorspiel zum Münchner Abkommen. Es seien gar nicht so sehr die Abtretung des Sudetenlandes und das Protektorat gewesen als die Erfahrungen der Jahre 1935 bis 1938, meint Brandes abschließend, die die überwiegende Mehrheit der Tschechen davon überzeugt hätten, "dass sie einen neuen Versuch, mit den Sudetendeutschen in einem Staat zusammenzuleben, nicht wagen könne". Edvard Benes hatte sich weniger vornehm ausgedrückt, als er am 12. Mai 1945 in Brünn davon sprach, "dass wir das deutsche Problem in der Republik definitiv liquidieren müssen".

KARL-PETER SCHWARZ

Detlef Brandes: Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938. R. Oldenburg Verlag, München 2008. 398 S., 39,80 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hohe Anerkennung zollt Karl-Peter Schwarz diesem Buch. Er sieht das Werk geleitet von der Frage, wie und warum die nationalsozialistische SdP (Sudetendeutsche Partei) die Unterstützung von acht bis neun Zehntel der Sudetendeutschen gewann. Eine Frage, die in der reichen Literatur über die außen- und innenpolitischen Aspekte seines Erachtens bisher nicht umfassend untersucht wurde. Hier leistet Brandes Arbeit nach Ansicht von Schwarz Grundlegendes, bietet es doch Belege für "die nationalsozialistische Durchdringung der Volksgruppe" im Überfluss. Eindrücklich wird für ihn zudem das ganze Instrumentarium totalitärer Durchdringung einer Gesellschaft dargelegt. Sein Fazit: ein Standardwerk, das Maßstäbe setzt.

© Perlentaucher Medien GmbH