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Auch nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1973 kamen die Nachfolgeverhandlungen zur Ausgestaltung der Beziehungen nur schleppend voran. Mit Unterstützung der Vier Mächte wurden beide deutschen Staaten Mitte September in die Vereinten Nationen aufgenommen. Als Anfang Mai 1974 die Bundesrepublik Deutschland und die DDR ihre Ständigen Vertretungen in Berlin (Ost) und Bonn eröffneten, schwelte schon die Affäre um den DDR-Spion im Bundeskanzleramt Günter Guillaume. Nicht zuletzt deshalb erklärte Bundeskanzler Willy Brandt wenige Tage später…mehr

Produktbeschreibung
Auch nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1973 kamen die Nachfolgeverhandlungen zur Ausgestaltung der Beziehungen nur schleppend voran. Mit Unterstützung der Vier Mächte wurden beide deutschen Staaten Mitte September in die Vereinten Nationen aufgenommen. Als Anfang Mai 1974 die Bundesrepublik Deutschland und die DDR ihre Ständigen Vertretungen in Berlin (Ost) und Bonn eröffneten, schwelte schon die Affäre um den DDR-Spion im Bundeskanzleramt Günter Guillaume. Nicht zuletzt deshalb erklärte Bundeskanzler Willy Brandt wenige Tage später seinen Rücktritt. Der neue Bundeskanzler Helmut Schmidt und SED-Generalsekretär Erich Honecker waren um Schadensbegrenzung bemüht und wollten die Vertragspolitik fortsetzen. Der Band spiegelt diese vielfältigen Entscheidungsprozesse wider und beleuchtet - u.a. aufgrund von Dokumenten aus dem Bundeskanzleramt und aus dem Archiv Helmut Schmidt in Hamburg - die innerdeutschen Beziehungen der Jahre 1973/1974. "Auch der neue Band der "Dokumente zur Deutschlandpolitik" ist vorzüglich ediert. Er stellt den Leser mit dem Segment 1973/74 ins Gesamterlebnis deutscher Politik, die die Option auf die Einheit auch bei den Siegermächten lebendig erhielt." Manfred Funke im Bonner Generalanzeiger vom 3.2.2006
Autorenporträt
Helmut Altrichter, geboren 1945, ist Inhaber des Lehrstuhls für Osteuropäische Geschichte an der Universität Erlangen.
Bernd Faulenbach, geboren 1943, ist Professor am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD.
Hanns Jürgen Küsters, geboren 1952, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und Leiter der Editionsgruppe "Dokumente zur Deutschlandpolitik".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2006

Formulierungshilfen aus Moskau
Einblicke in die Tiefenschichten der Entscheidungsprozesse in der Deutschland-Politik 1973/74

So einfach war das in der Diktatur. Am 23. Oktober 1973 verabschiedete das SED-Politbüro eine Beschlußvorlage des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke und des Generalstaatsanwalts der DDR Josef Streit: "Mit der Zielsetzung, die Praktiken des organisierten Mißbrauchs des Transitabkommens zwischen der DDR und der BRD durch gewerbsmäßige, in der BRD und Westberlin tätige Menschenhändlerbanden zu entlarven, ist in der Zeit vom 30.10. bis 5.11.1973 vor dem I A-Strafsenat des Stadtgerichts von Groß-Berlin ein Prozeß vor erweiterter Öffentlichkeit entsprechend der Prozeßkonzeption durchzuführen. Der Prozeß ist entsprechend seiner Zielstellung in der DDR und auf der Grundlage getroffener Vereinbarungen in anderen sozialistischen Staaten publizistisch auszuwerten." Es handelte sich schlicht um die Anordnung eines Schauprozesses. Mit ihm wollte die SED-Führung sowohl westliche Fluchthelfer als auch die Bevölkerung der DDR von illegalen Ausreisen abschrecken und zugleich einen propagandistischen Vorwand für die im November 1973 folgende Verdoppelung des Mindestaustauschs bei Reisen aus der Bundesrepublik in die DDR schaffen. Gerade vier Monate waren seit Inkrafttreten des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vergangen. Von einem "geregelten Nebeneinander" waren die beiden Staaten noch weit entfernt. An ein "Miteinander", wie es Bundeskanzler Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung als Ziel der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition formuliert hatte, war gar nicht zu denken.

Die zitierte Aufzeichnung findet sich in der Edition "Dokumente zur Deutschlandpolitik". Der jüngste Band enthält 285 überwiegend erstmals veröffentlichte Schriftstücke. Sie stammen vor allem aus den im Bundesarchiv verwahrten Beständen des Bundeskanzleramts und verschiedener Bundesministerien, den Handakten von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner und Egon Bahr im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, aber auch aus der für die DDR erhaltenen Überlieferung im Archiv der Parteien- und Massenorganisationen der DDR sowie im Archiv des Staatssicherheitsdienstes in der sogenannten Birthler-Behörde. Hervorzuheben ist, daß sogar Quellen aus dem Hamburger Privatarchiv des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt einbezogen werden konnten.

Minutiös bildet das Kompendium die vielfältigen und überaus komplizierten Verhandlungen in der Folge des Grundlagenvertrags ab. Das Spektrum reicht von den heiklen Modalitäten der Errichtung der Ständigen Vertretungen bis zu den rasch in die Sackgasse geratenen Kulturverhandlungen, die erst 1986 zu einem Abkommen führten. Dabei werden auch die verschiedenen Gesprächsebenen anschaulich: von den offiziellen Kontakten in direkten Spitzengesprächen und Briefwechseln über die Bemühungen in den thematisch unterteilten deutsch-deutschen Verhandlungskommissionen bis zu den informellen Kanälen, welche die Bundeskanzler Brandt und Schmidt zur Kreml-Führung und zur SED-Spitze nutzten. Sogar nachrichtendienstliche Hintergrundberichte sowohl aus west- als auch aus ostdeutscher Provenienz werden wiedergegeben.

Besonders aufschlußreich sind einige Schriftstücke, welche den direkten Einfluß der Sowjetunion auf die Politik der DDR offenbaren. Im Januar 1974 legte etwa die Sowjetführung den "deutschen Freunden" schriftlich nahe, "die westdeutsche Seite darauf aufmerksam zu machen, daß im Falle der Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in Westberlin die DDR gezwungen sein wird, die Frage der Möglichkeit und Rechtmäßigkeit der Benutzung der Transitwege der DDR durch die Mitarbeiter dieses Amtes zu prüfen". Sogar den Entwurf für eine Demarche bei der Bundesregierung formulierten die Sowjets vor. Bekanntlich wurde das Vorhaben der Bundesregierung, das Umweltbundesamt in Berlin anzusiedeln, von der Sowjetunion als provokative Verletzung des 1971 geschlossenen Viermächteabkommens über Berlin angesehen. Tatsächlich ließ Erich Honecker am 21. Januar 1974 Bundeskanzler Brandt über den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner eine entsprechende Warnung zugehen, betonte aber abschließend ausdrücklich, daß es über die angedrohten Maßnahmen hinaus "keine Eskalation geben" werde. Man war also in Bonn über die begrenzte Bedeutung der weitaus schärferen Propagandatöne des Ostblocks informiert.

Solche Einblicke in die Tiefenschichten der politischen Entscheidungsprozesse machen den besonderen Reiz der Sammlung aus. Gerade die Zusammenschau west- und ostdeutscher Quellen läßt ein plastisches Bild entstehen, auch über den engeren Rahmen der Deutschlandpolitik hinaus. So ist einer sowjetischen Information für die DDR-Führung nunmehr wörtlich die Kritik Wehners an Brandt zu entnehmen, die er im Oktober 1973 in Moskau im Gespräch mit ZK-Sekretär Ponomarjow äußerte. Der Bundeskanzler, so der Vorsitzende der SPD-Fraktion gegenüber dem sowjetischen Funktionär, erkenne den Ernst der sich in der Bundesrepublik herausbildenden Lage nicht genügend, denn "Brandt sei der Meinung, daß sich alles von selbst regeln werde". Hier deutet sich bereits das Ende der Ära Brandt an, für das die Enttarnung von Günter Guillaume, dem Spion im Kanzleramt, Ende April 1974 nur der äußere Anlaß war. Ausgerechnet Erich Honecker meldete sich noch am Tag des Rücktritts zu Wort und bat Wehner, dem abgetretenen Bundeskanzler "Grüße zu übermitteln und Bedauern auszusprechen". Auch beklagte er, daß jüngste Verhandlungserfolge "durch den ,Störfaktor', den wir beide aufgrund der Sachlage nicht einkalkulieren konnten", nicht genügend öffentliche Resonanz gefunden hätten. Sein ausführliches Schreiben zu den Perspektiven der innerdeutschen Verhandlungen las bereits der neue Bundeskanzler. Was Schmidt bei Honeckers gönnerhafter Versicherung für die Bundestagswahl 1976 empfunden hat, die "flankierenden Maßnahmen" der Sowjetunion und der DDR würden "ihren Einfluß auf die Entscheidungen der Wähler nicht verfehlen", ist leider nicht überliefert.

Die von den Bearbeitern Monika Kaiser, Daniel Hofmann und Hans-Heinrich Jansen für den Druck ausgewählten Schriftstücke lassen die große Fülle des in den Archiven vorhandenen Materials erahnen. Der Benutzer würde sich allerdings manchmal eine ausführlichere Einordnung der Dokumente in die oft recht komplizierten Zusammenhänge wünschen. Das betrifft sowohl Verweise innerhalb des Bandes als auch die Vermittlung des historischen Kontexts. Die Editoren verweisen dazu auf die ausführliche Zeittafel, die dem Band beigegeben wurde. Es kann jedoch die bei der Lektüre der Dokumente aufkommenden Fragen nur teilweise und zudem nur mit störendem Nachschlageaufwand beantworten. Einsichten, die nicht unmittelbar aus den abgedruckten Akten hervorgehen, sondern sich nur bei Kenntnis der weiteren Vorgänge ergeben, bleiben dem Leser ganz verwehrt. Diese Kritik schmälert jedoch nicht den hohen Wert des Buches. Nur wenige Editionen erreichen eine solche Dichte, daß man darin mit Spannung lesen kann.

DANIEL KOSTHORST

Dokumente zur Deutschlandpolitik. VI. Reihe/Band 3: 1. Januar 1973 bis 31. Dezember 1974. Herausgegeben vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesarchiv. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 970 S., 89,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Daniel Kosthorst von diesem Band aus der Edition "Dokumente zur Deutschlandpolitik", der mit seinen 285 Schriftstücken aus den Jahren 1973/74 "Einblicke in die Tiefenschichten der Entscheidungsprozesse" gewährt. Der Band versammelt nach Auskunft von Kosthorst Dokumente aus den Beständen des Bundeskanzleramts und verschiedener Bundesministerien, den Handakten von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner und Egon Bahr im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, aber auch aus der für die DDR erhaltenen Überlieferung. Kosthorst hebt hervor, dass zudem Quellen aus dem Hamburger Privatarchiv des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt einbezogen werden konnten. Aufschlussreich findet er die Sammlung vor allem im Blick auf die Verhandlungen in der Folge des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Gerade durch die Zusammenschau west- und ostdeutscher Quellen ergebe sich ein "plastisches Bild" der damaligen Deutschlandpolitik. Lobend äußert sich Kosthorst über die Arbeit der Herausgeber Monika Kaiser, Daniel Hofmann und Hans-Heinrich Jansen, auch wenn er sich gelegentlich eine etwas ausführlichere Einordnung der Dokumente in die oft recht komplizierten Zusammenhänge gewünscht hätte. Dennoch: "Nur wenige Editionen erreichen eine solche Dichte, dass man darin mit Spannung lesen kann."

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