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Produktdetails
  • Verlag: nymphenburger
  • 1999.
  • Seitenzahl: 335
  • Deutsch
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 655g
  • ISBN-13: 9783485008259
  • ISBN-10: 3485008257
  • Artikelnr.: 08124487
Autorenporträt
Brigitte Gedon, geboren in Königsberg (Preußen), beschäftigte sich nach dem Studium der Kunstgeschichte an der Seite ihres Mannes mit der indischen Kultur. Daneben widmete sie sich der Kunst des 19. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2000

Die Bismarckserie macht mich berühmt, das ist amtlich
Franz von Lenbach als Selbstdarsteller: Brigitte Gedon erzählt eine schöne Künstlervita, die Vasari wohl nicht interessiert hätte

Am Ende seines Lebens, im Krankenbett einer Münchner Klinik, hätte der Maler Franz von Lenbach Bilanz ziehen können, ähnlich wie die Figur es einst tat, in deren Maske und Kostüm er gern bei Faschingsfesten der Künstlervereinigung "Allotria" schlüpfte. Er hätte, wie Kaiser Karl V. bei seiner Abdankung, noch einmal die Städte und Länder aufzählen können, die ihm, dem rastlosen Vaganten, zum kurzfristigen Aufenthalt dienten. Die strategisch wichtigsten Punkte - München, Wien, Rom, Paris, Berlin - hätte er zu seiner Lebensreise summieren können, allein er tat es nicht. Vielleicht weil der Tod seit seiner Kindheit zu den geheimen, niemals öffentlich gewordenen Erschütterungen seines Daseins gehörte, zum privaten Teil einer Künstlervita, die er sonst nicht müde wurde als Summe eines beispiellosen Aufstiegs zu bilanzieren. Denn darin, im Stolz auf den unerhört hohen Rang, den die Gesellschaft ihm einräumte, in der Genugtuung über die Orden, mit denen ihn Monarchen und Akademien dekorierten, blieb Franz Lenbach ganz das Kind armer Leute.

Noch im Zenit seiner Karriere, als er, der gesuchteste Porträtist seiner Zeit, 1883 in Rom für drei Jahre ein pompöses Atelier in den Appartements der Villa Borghese einrichtete, unterhielt er die aristokratische Gesellschaft gern mit der Geschichte vom Habenichts, der als Achtzehnjähriger, 1836, aus dem bayerischen Krähwinkel Schrobenhausen nach München auszog, das Malen zu lernen. In schlechtem Italienisch übrigens, denn Lenbach, den König Ludwig II. in den persönlichen Adelsstand erhob, blieb sein Leben lang ein schönheitstrunkener Autodidakt. Kaum dürfte ihm je bewußt geworden sein, wie subtil die Aristokratie es verstand, den Rangunterschied in der Schwebe zu lassen. "Ein edler, durchaus origineller und tief denkender Mensch", urteilte Malwida von Meysenbug in ihrer römischen Korrespondenz: "Solch ein Beispiel ist gut für Kinder zu erzählen."

Hätte Vasari die Biographie dieses Malers zu erzählen gehabt, dem versierten Erfinder von Künstlermythen wäre zweifellos die "Weisungsfigur" eingefallen, die schon in den kindlichen Kritzeleien des Knaben das Ingenium entdeckt, dem zur Vervollkommnung nur mehr "ars" und "doctrina" fehlen - Kunstfertigkeit und Gelehrsamkeit. Auch Lenbachs jüngster Biographin, Brigitte Gedon, wäre es ein leichtes gewesen, etwa dem Münchner Bildhauer Anselm Sickinger diese wichtige Musagetenrolle zuzuweisen oder Lenbachs malendem Jugendfreund Johann Baptist Hofner. Allein die Lehrer bleiben Schemen, man hat sich Hofners Unterweisung des Lernbegierigen, den der Vater ins Schrobenhausener Baugeschäft nötigen wollte, selbst auszumalen. Als ländliche Idylle darf man sich die Szene im Dörfchen Aresing vorstellen: winters auf dem Dachschober, sommers im Garten, gerade so, als sei die Pleinairmalerei im bayerischen Wiesengrund noch einmal erfunden worden. Lediglich der Münchner Akademiedirektor Karl Theodor von Piloty, der seine Zeitgenossen mit dramatischen Historienbildern aufzuwühlen verstand, gewinnt als Förderer und Wegbereiter die ihm gemäße Kontur.

Fraglos ein herrlicher Stoff. Vasari freilich, so darf man vermuten, hätte sich nicht von der Fabel blenden lassen. Er hätte das Lenbachsche OEuvre nach seiner entwicklungsgeschichtlichen Verwendbarkeit untersucht und das Unternehmen wahrscheinlich verworfen. Denn Franz von Lenbach war kein Erneuerer der Malerei, kein Präzeptor der Münchner Avantgarde. Näher als die heute gefeierten "Modernen" stand ihm Hans von Makart, der schillernde Wiener Malerfreund. Kandinsky hingegen, Corinth, Liebermann, Slevogt, ja die Impressionisten überhaupt spielten im Kunstverständnis Franz von Lenbachs keine Rolle, er nahm das Heraufdämmern ihrer ästhetischen Revolte nicht zur Kenntnis.

Um so deutlicher indes tritt uns Lenbach aus seinen privaten Äußerungen, den unzähligen hastig hingeworfenen Briefen an die Wiener Freundin Franziska von Wertheimstein oder an seine reizende Schülerin Lolo von Hornstein, die später seine zweite Frau wird, als rastlose Unternehmerexistenz entgegen. Es erstaunt, wie die Modernität, die dem Werk abgeht, von der Person um so vollständiger vollzogen wird. Wie war es möglich, möchte man Lenbachs Biographin fragen, daß dieser Maler, der in manchen Jahren, etwa 1892, in Leipzig, Wien, Verona, Vicenza, Ferrara, Parma, Mailand, Genua, Bozen, Berlin und Hamburg war, niemals den Triumph der modernen Mobilität thematisierte, den Rausch der Geschwindigkeit?

Ohne die neuen Kommunikationsmittel - Eisenbahn, Telegrafie, Fotografie -, insbesondere ohne die Fotografie, ist der Maler Franz von Lenbach nicht denkbar. Notwendiger Teil des rationellen Malverfahrens, erlaubten sie ihm Erhöhung und Beschleunigung der Produktionskapazitäten. Gelegentlich, wenn die Autorin uns durchs Schlüsselloch in Lenbachs Salon-Atelier schauen läßt, werden wir insgeheim Zeuge, wie der Maler, während er beiläufig mit einem Modell plaudert, dem hinter Samtdraperien verborgenen Fotografen einen Wink gibt.

Er hatte sich den Ruf eines "Seelenmalers" erworben und wußte wohl, daß weder der Rang eines Auftraggebers - sei er Kaiser, König, Papst oder Industriekapitän - noch dessen Eleganz dem gewünschten Idealporträt die schöne, der Zeit enthobene Dignität verleihen. Glücklich daher der Augenblick, in dem der Fotograf das Modell im günstigsten Licht fixiert. Denn der Gefeierte malte ausschließlich nach der Vorlage, vorzugsweise nachts, bei flackerndem Gaslicht, wenn das künstliche Helldunkel ihm eine rembrandteske Szenerie vorgaukelte.

Faszinierende Porträts sind auf diese Weise entstanden, und doch wendet sich die Autorin weniger dem zauberischen Helldunkel der Gemälde zu als dem malenden Magier Lenbach. Um dessen genialisches Wesen zu erschließen, das Geflecht seiner Freundschaften zu durchleuchten, das sorgsam gesponnene Netz ökonomisch nützlicher Beziehungen, insbesondere aber die beiden Ehen, die gescheiterte wie glückliche, und die späte Vaterschaft mit jenem Blick zu sondieren, der gewöhnlich als "augenzwinkernd" bezeichnet wird, hüllt sie ihren Lieblingshelden in den schützenden Kokon des Humors ein. Bisweilen aber bricht die Hülle, und hinter der Verlarvung zeigt sich das Gesicht eines liebenswürdigen Blenders, der noch dem Gestus der Melancholie kleidsame Schicklichkeit zu geben weiß.

Lenbachs Vita ist für Brigitte Gedon so etwas wie der kostbare Rahmen für ein vielfiguriges Tableau; es gibt ihr Gelegenheit, auch ihres Ahnen Lorenz Gedon zu gedenken, des Münchner Innenarchitekten, der in der Tat keine unwichtige Rolle in Lenbachs Selbstinszenierung spielte. Er war es, dem die Ausstattung der opernhaften Atelier-Bühne oblag, auf der Lenbach, einem Akrobaten gleich, seine öffentlichen Auftritte zelebrierte. Bei diesem Event, das gegen geringes Entgelt an vorbestimmten Wochentagen stattfand, formte sich Lenbachs theatralische Sendung zweifellos am sublimsten aus.

Schaut man genau hin, ragt aus der Figuration die eine oder andere bekannte Gestalt heraus, aber nur wenige ragen in die Gegenwart hinein. Unter ihnen Wilhelm Busch, der klug-versponnene Malerfreund, als Randfigur auch Arnold Böcklin im Kostüm des verkannten Sonderlings, des weiteren, in gönnerhaft-seigneuraler Attitüde, der Philologe und Sammler Baron Adolf Friedrich von Schack. Ein Mann, in dem sich der Ästhetizismus der Gründerjahre aufs reinste verkörpert, der seine regressive Sehnsucht stillt, indem er junge, mittellose Stipendiaten in die Kopistenfron nach Rom und Florenz entsendet. "Er zahlte elende Preise, aber er war der einzige, der irgend etwas bezahlte", erinnert sich Lenbach später.

Und doch hat er Schack viel zu verdanken: Ohne dessen Unterstützung wäre die spanische Reise von 1868 nicht möglich gewesen. Im Prado, wo der Stipendiat Velázquez und Murillo studiert und für seinen Finanzier Tizians Reiterbildnis Karls V. kopiert, dort findet die letzte und eigentliche Anverwandlung des malerischen Mysteriums statt, das Lenbach zum gesuchtesten Gesellschaftsporträtisten seiner Zeit machen sollte. Hier schulte er sein untrügliches Gespür für Anmut, Schönheit und Würde an Tizian, Rubens, van Dyck und Rembrandt.

Interessant ist es, Lenbachs Spur auf der politischen Landkarte Europas zu verfolgen. Geradezu logistisch operierend, reist er in Metropolen oder ephemere Machtzentren, wie Kissingen oder Gastein, und umkreist potientielle Auftraggeber so lange, bis ihm über Beziehungen der Zutritt gelingt. So entsteht das Porträt Papst Leos XIII. - eines der schlechtesten übrigens, die Lenbach malte, trotz zahlreicher Fotosessionen. Später, in vertraulichen Briefen, verflucht er die Sitzungen beim "Vitzliputzli" des Vatikans.

Eigentümlich ist die Neigung, die er zu Bismarck faßt, denn es ist echte Zuneigung. Er trifft den "Reichskoloß", wie er ihn nennt, von 1879 an regelmäßig in dessen Haus in Friedrichsruh, einmal im Sommer, einmal im Winter. Dutzende von Porträts malt er in diesen Jahren, und sie finden reißenden Absatz: Bismarck mit und ohne Dogge, Bismarck mit Schlapphut, Schirmmütze oder in Uniform, Bismarck sitzend oder stehend. Atemlos notiert er zwischendurch: "Das Ungeheuer vereinigt Zeitgeschichte."

Einmal, nach der Abdankung, stattet ihm der fürstliche Freund einen Besuch in München ab, und Lenbach feiert die Visite pompös mit einem Fackelzug als Akt unter Ebenbürtigen in dem neuen Palazzo, schräg gegenüber den Propyläen. "Viel Glück zur Hausmaskerade", hatte Wilhelm Busch bei der Einweihung der italienischen Villa gewünscht. An deren Fassade teilt heute eine Leuchtschrift von Maurizio Nannucci lakonisch mit: "You can imagine the opposite."

ILONA LEHNART

Brigitte Gedon: "Franz von Lenbach". Die Suche nach dem Spiegel. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1999. 335 S., Abb., geb., 49,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ilona Lehnart nutzt die Rezension des Buches für ein eingehendes Porträt des Malers. In der Biografie scheinen ihr manche Aspekte des Malerlebens zu kurz gekommen zu sein, die sie jedoch nur sehr zurückhaltend kritisiert. So müsse sich der Leser den Einfluss der Lehrer von Lenbachs auf sein Werk weitgehend selbst zusammenreimen, denn sie blieben in der Darstellung schemenhaft. Außerdem wundert sie sich über den erstaunlichen Mangel an "Modernität" in der Malerei von Lenbachs, den die Autorin anscheinend nicht kommentiert. Des weiteren beschäftige Gedon sich weniger mit den Werken Lenbachs als mit seiner Persönlichkeit, seinen Ehen und ökonomischen Beziehungen. Dies alles ist in einem Sprachgestus beschrieben, den man üblicherweise als "augenzwinkernd" bezeichnet, so die Rezensentin, und der den "Lieblingshelden" der Autorin in den "schützenden Kokon des Humors" einhüllt. Manchmal jedoch werde diese Hülle durchbrochen und dann komme der "liebenswürdige Blender" von Lenbach zum Vorschein.

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