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Welches Potential bietet ein musikalisches Werk für die schöpferische Auseinandersetzung des Rezipienten? Das Bild eines nachschaffenden Hörers, das Robert Schumann mit Blick auf den Vermittlungszusammenhang von Kunst in seinen musikschriftstellerischen Arbeiten entwirft, findet seine Entsprechung in Schumanns eigenem musikalischen Schaffen: Er geht davon aus, dass der Komponist mit Hilfe einer appellativen künstlerischen Struktur den Hörer nachschaffen lässt und dies auf der Ebene der erklingenden Musik ebenso wie auf der der Notation. So zielen die vorliegenden Studien sowohl auf spezifische…mehr

Produktbeschreibung
Welches Potential bietet ein musikalisches Werk für die schöpferische Auseinandersetzung des Rezipienten? Das Bild eines nachschaffenden Hörers, das Robert Schumann mit Blick auf den Vermittlungszusammenhang von Kunst in seinen musikschriftstellerischen Arbeiten entwirft, findet seine Entsprechung in Schumanns eigenem musikalischen Schaffen: Er geht davon aus, dass der Komponist mit Hilfe einer appellativen künstlerischen Struktur den Hörer nachschaffen lässt und dies auf der Ebene der erklingenden Musik ebenso wie auf der der Notation. So zielen die vorliegenden Studien sowohl auf spezifische Notationsgewohnheiten (etwa schriftsprachliche Zusätze, sprachlich-musikalische Intertextualität oder Titelgebung) als auch auf kompositorische Strukturen seiner Musik (etwa kompositorische Brüche, die Schichtung von Zeithorizonten, der Dualismus von System und Systemlosigkeit oder das Spannungsfeld von Wiederholung und Variante). Gemäß Schumanns ästhetischer Denkfigur eines Ineinanderspiels der Künste bilden ausgewählte Rezeptionsphänomene in Literatur (Jean Paul, Shakespeare/Tieck) und Malerei (Runge, Raphael) den gesamtkünstlerischen Hintergrund, um Robert Schumanns Kompositionen, insbesondere seine Klavierkompositionen der dreißiger Jahre, auf ihr Potential für das Nachschaffen des Hörers zu untersuchen. Dabei finden Analogiebildungen zwischen den Künsten ebenso Raum wie die notwendige Differenzierung angesichts der Heterogenität der Zeichensysteme und medialen Sichtweisen.
Autorenporträt
Die Autorin: Ulrike Kranefeld, Studium der Schulmusik, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Universität Dortmund; Klavierstudium an der Musikhochschule Detmold, Abteilungen Dortmund und Münster; Stipendiatin der Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen; 2000 Promotion an der Universität Dortmund mit vorliegender Arbeit; Lehrbeauftragte für Klavier an der Universität Dortmund.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2001

Ihr wieder, zankende Gestalten
Ulrike Kranefelds mageres Leerstellenangebot zu Robert Schumann

In der Musikwissenschaft gibt es Formhuber und Sinnhuber. Die einen nehmen Musik als tönend bewegte Form und fragen nach den Regeln dieser tönenden Bewegung. Damit konnte am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Musikwissenschaft einen eigenen Gegenstandsbereich konstituieren. Dennoch ist nicht einzusehen, warum Menschen sich überhaupt mit einer nichts bedeutenden Musik und deren wissenschaftlicher Erschließung beschäftigen sollten. Deshalb suchen die anderen nach dem vom Komponisten intendierten Sinn. Vielleicht hat er in Briefen oder versteckten Liedzitaten offenbart, was er uns mit der Musik insgeheim sagen wollte.

Wie aber könnten wir überprüfen, ob er uns mit der Musik wirklich das sagt, was er uns sagen wollte, wenn uns nicht die Musik selber etwas sagt? Wenn wir sie nicht immer schon verstehen? Aber ein anderer versteht sie vielleicht anders. Dann müssen wir eben um die richtige Interpretation streiten. Aber das, sagt die Musikwissenschaft, sollen wir doch, bitte schön, zu Hause tun. In einer Wissenschaft könne nur Platz finden, was sich endgültig und allgemeinverbindlich entscheiden läßt.

Ulrike Kranefeld versucht in ihrer bei Martin Geck entstandenen Dissertation Form und Sinn in der Rezeption zusammenzubringen. Zum einen referiert sie, zentriert um die Begriffe der "zurückspielenden Phantasie" und des "nachschaffenden Hörers", Schumanns Musikästhetik als Rezeptionsästhetik. Zum anderen zeigt sie, daß bei Schumann die Einrichtung des Notenbildes und die sprachlichen Zusätze zum Werk gehören und die Aufgabe haben, die Assoziationsräume zu vervielfältigen. Und zum dritten betrachtet sie einige kompositorische Verfahren Schumanns, die musikalische Unbestimmtheit erzeugen. Schumanns Musik verlange vom Hörer Mut und ein Sicheinlassen "auf die Verwirrung und den möglichen Schwindel der Seele". Dabei solle er die synthetisierende Kraft seiner zurückspiegelnden Phantasie nutzen, die wiederum durch die individuellen Lebens-, Kunst- und Naturerfahrungen gespeist werde.

Das klingt nicht unsympathisch. Nur bricht der theoretische Dualismus, der geeint werden soll, sofort wieder auf. Isers literaturwissenschaftliche Theorie der vom Rezipienten je individuell aufzufüllenden "Leerstelle" soll in die Musikwissenschaft übertragen werden, ohne dabei die spezifischen Unbestimmtheitsqualitäten der einzelnen Künste zu vernachlässigen. Wenn aber die wesensmäßige Einzigartigkeit der Musik ausdrücklich in ihrer selbstreferentielle Struktur wurzelt, müssen auch die Bestimmtheiten, die die Leerstellen füllen, wieder spezifisch musikalische sein.

Es ist richtig, daß stimmungshafte Musik eine Musik der Gestaltanmutungen ist: Der Hörer versucht, in der tönenden Bewegung des musikalischen Flusses musikalische Gestalten zu fixieren. Die zurückspiegelnde Phantasie dagegen kennt, wie die Autorin selber schreibt, kein objektives Kriterium. So müßte umgekehrt, wenn die musikalische Wirkung wesensmäßig unbestimmt sein soll, die einzige positive Qualität von Musik darin bestehen, die Phantasie anzuregen, also Leerstelle zu sein - und nicht etwa Leerstellen zu haben. Hier liegt der logische Grundfehler von Kranefelds Arbeit, die davon ausgeht, Schumann biete "gewissermaßen die Potenzierung der wesensmäßigen Unbestimmtheit" von Musik. Doch die Verunklarung musikalischer Gestalten hat damit, daß ich mir beim Hören dieser Gestalten etwas vorstellen kann, überhaupt nichts zu tun. Es sei denn, es gibt doch einen bestimmten Grund in der Musik selbst, warum ich sie auf eine bestimmte Weise verstehe.

GUSTAV FALKE

Ulrike Kranefeld: "Der nachschaffende Hörer". Rezeptionsästhetische Studien zur Musik Robert Schumanns. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart, Weimar 2000. VII, 196 S., br., 50,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Lager der Musikwissenschaftler teilt Gustav Falke in zwei Parteien: Die "Formhuber" untersuchen die "Form der tönenden Bewegung", also der Musik, die "Sinnhuber" widmen sich der Aussage des Komponisten, die sie zum Beispiel auch in dessen Briefen zu finden hoffen. "Form" und "Sinn" versuche auch die Autorin der bei Martin Geck entstandenen Dissertation zusammenzuführen. Falke beschreibt, wie sie dazu über die Begriffe der "zurückspiegelnden Phantasie" und des "nachschaffenden Hörers" referiert, die Zusammengehörigkeit von "Notenbild" und "sprachlichen Zusätzen" in Schumanns Werk nachweißt und dessen "unsicherheitserzeugendes Kompositionsverfahren" untersucht. In Falkes Ohren klingt das alles "nicht unsympathisch", er sieht in den Ausführungen jedoch einen Denkfehler, der die Synthese des "theoretischen Dualismus" verhindert: Die Autorin schreibe der "zurückspiegelnden Phantasie" ein "objektives Kriterium" zu, das nach Meinung des Rezensenten nicht existiert.

© Perlentaucher Medien GmbH