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Produktdetails
  • Verlag: List
  • Originaltitel: The Running Mate
  • Seitenzahl: 543
  • Abmessung: 46mm x 149mm x 220mm
  • Gewicht: 845g
  • ISBN-13: 9783471794333
  • ISBN-10: 3471794336
  • Artikelnr.: 08806663
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2000

Die Kälte war geblieben
Der politische Roman lebt: Joe Kleins „Im Namen der Ehre”
Immer das gleiche Spiel: Three is a crowd, und der vierte bleibt draußen. Die zwei Frauen, die sich nach vielen Jahren wieder begegnen, auf dem kleinen Dinner im Außenministerium in Washington, begrüßen sich, als wären sie gestern erst auseinander gegangen. „Ich hatte gehofft, du würdest dich nicht an mich erinnern”, sagt die eine, Nell, eine vornehme, leicht blaublütige Modemacherin, und die andere, Pinky, erwidert spontan: „Meinst du, ich würde dir je Blake Foley verzeihen. ” Und schon schaltet sich der dritte ein, Vizepräsident Tom Atkinson: „Ich kenne Nell auch . . . Pinky und ich waren zusammen in Harvard. Blake und ich haben dort Baseball gespielt. Nell hat . . . was hast du eigentlich gemacht?” Hier wendet Pinky sich dem vierten zu, dem jungen Charlie Martin: „Senator, ich weiß, Sie sind skeptisch, was die F16-Kampfjets angeht . . .”
Pinky und Nell, Baseball und Blake Foley – Charlie kann da nicht mitreden, denn während die drei anderen sich in Harvard getummelt haben, hat er seine kleine Uni im Mittelwesten absolviert. Die Dinner-Plauderei ist ein delikates Arrangement – für das der Autor sich im Voraus bei der einen Protagonistin entschuldigt hat. Pinky, das ist Benazir Bhutto, die Premierministerin von Pakistan, und sie ist die einzige reale Figur der Politik, die Joe Klein auftreten lässt in seinem neuen Roman „Im Namen der Ehre” (Deutsch von Christiane Buchner, Veronika Cordes, Fritz Koop, Marion Sattler-Charnitzky, Carina von Ziegesar. List Verlag) – eine semifiktive Geschichte, deren Figuren frei erfunden sind und die dennoch die Wirklichkeit getreuer abzubilden behauptet als jede Reportage.
Das Buch liefert ein profundes Stück politische Zoologie. Joe Klein beschreibt ein Exemplar der Spezies Kandidatentierchen – „The Running Mate” heißt der Roman im Original. Charlie Martin ist das observierte Prachtstück, demokratischer Senator aus Des Pointe, Colorado, und das Rennen, zu dem er antritt, sind diverse Wahlkampfdistanzen in der ersten Hälfte der Neunziger: ein kurzatmiger Versuch, sich als Präsidentschaftskandidat zu präsentieren, bei dem er an Jack Stanton scheitert, danach der Kampf um die Wiederwahl, bei dem ihm ein starker Gegner erwächst im widerlichen Muffler Man, dem Auspufffabrikanten Lee Butler.
Einen Teil der Besetzung von „Im Namen der Ehre” – an der Spitze Jack Stanton, das ist Bill Clinton – hat Joe Klein aus „Primary Colors” übernommen, seinem ersten Roman, der vor allem für Aufsehen gesorgt hatte, weil Klein sich als Autor lang nicht hatte outen wollen, sich verborgen hielt hinter dem Pseudonym Anonymous. Charlie Martin trägt nun Züge von John McCain, einem Politiker, dem Klein einige Sympathie entgegenbringt, dem er Frechheit bescheinigt und einen „distressing solipsism”. Auch Charlie packt, auf der Tribüne bei der Amtseinführung des Präsidenten Stanton, ein Schauer von Einsamkeit: „Wie ein Blitzstrahl hatte ihn die Erkenntnis getroffen und ihn durchbohrt wie ein körperlicher Schmerz. Seine Brust hatte ihn so geschmerzt wie gelegentlich seine fehlenden Finger; er fühlte sich amputiert. Ihn fröstelte vor Einsamkeit, und er zog im scharfen Nordwestwind die Schultern hoch. Die Kälte war geblieben. ”
Es ist ein riskantes Spiel, auf das Charlie Martin sich eingelassen hat, nicht nur politisch, sondern auch, was das „human interest” angeht – die Liebe zu Nell Palmerston bringt ihn aus der Bahn. Seit er sich im Dreieck Washington, New York, Des Pointe arrangieren muss, droht das politische Tier Charlie zu verkümmern, und es hat sogar die bescheuerte Idee, mit Nell und ihren Kindern Weihnachtsurlaub zu machen – dabei sind Feiertage intensivste Arbeitstage, mit Politikern als lebenden Grußkarten.
Charlie ist ein Kind der Vietnamkrieggeneration, das macht seine Schwächen aus und seine Stärke. Ein Life-Artikel feierte die Heimkehr des Helden, Juni 1968, zwei Silver Stars, und schon damals war die Rede von der möglichen politischen Karriere. Ein Naturtalent, das heißt, „ein Bursche, bei dem man bei der ersten Begegnung denkt: Der wird mal Präsident. ” Bobby Kennedy, heißt es gleich danach, starb in der Woche, als dieser Artikel erschien.
Joe Klein ist Insider aus der Distanz – er ahnt, dass die genaueste Beobachtung erst vollkommen wird durch ein Moment der Spekulation. In seinen Kommentaren zur politischen Lage in Amerika gibt er sich als Moralist – schimpft über die Geilheit und den Zynismus der Presse und rühmt die Besonnenheit und Souveränität, mit der die Öffentlichkeit, das amerikanische Volk Clinton die Treue bewahrt in der Lewinsky-Affäre.
Fast altmodisch plädiert Joe Klein für die menschliche Politik und die sauberen Politiker; doch als Erzähler zelebriert er Politik als Choreografie – die junge Generation hat „Die Kunst des Krieges” gelesen von Sun Tsu. Kolportage, haben viele Kritiker verächtlich reagiert, das sei Hollywood – weil die Liebe eine große Rolle spielt, aber auch die Geborgenheit in der Familie, die Treue zu den Kameraden aus Saigon. Hollywood, mag sein – aber man könnte auch Stendhal oder Dickens sagen: „Aber Frauen sind Politik”, hat Klein, mit amüsiertem Trotz, dem Roman als Motto vorangestellt, einen Satz von Talleyrand. Nicht erst seit Kissinger spukt die europäische Diplomatie des 18.  Jahrhunderts durch die Washingtoner Atmosphäre.
Im Spiel zwischen dem Feudalen und dem Bodenständigen – die Kühe aus Colorado sind immer präsent, auf dem Bild, das in Charlies Büro hängt – entfaltet das Buch seine Spannung. Es gibt keinen voyeuristischen Aha-Effekt, vom Moralischen schaltet Klein sofort zur Melancholie. Da bleibt dem Muffler Man nur noch die Flucht in die fade Tautologie: „Es wird Zeit, dass Amerika . . . wieder Amerika wird. ”
Politische Choreografie, das heißt, mehr Howard Hawks als Frank Capra. Politik ist Show, ist „Tit for tat”, und es kommt auf jede Sekunde an, die man mit einer Antwort zögert, auf jeden Millimeter, um den eine Augenbraue oder ein Mundwinkel sich verzieht – was allemal mehr sagt als jedes Statement. Weil ein „Absolut” nicht absolut genug war, hat Charlie, womöglich, seine Chance auf den Vizepräsidenten verspielt. Da nützt ihm auch seine Kriegsverletzung nichts mehr – die durch eine Mine verstümmelte linke Hand, die auch eine erogene Zone ist. Und durch die er der einzige Senator ist, der die Kunst des Eineinhalb-Hand-Klatschens beherrscht.
Charlie Martin wird am Ende die politische Degenerierung in Washington überleben. Er wird in Erinnerung bleiben wie der arme Blake Foley – wäre Pinky Premierministerin von Pakistan geworden, wenn Nell ihn ihr nicht weggeschnappt hätte? – oder der Muffler Man oder, zum Beispiel, Darrell Billups, North Carolina, der letzte Tabakkauer im Senat: „Bei Ausschusssitzungen trug er stets eine kleine Blechbüchse bei sich, in die er von Zeit zu Zeit ungemein geschickt und mit verblüffender Treffsicherheit spuckte. ”
FRITZ GÖTTLER
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Rolf Paasch blickt zunächst noch einmal zurück auf das erste Buch ("Primary Colors") des Journalisten Joe Klein über den Clinton-Wahlkampf, das zum Bestseller wurde. Dies sei eine "semi-fiktive, spannende und schlüssige Darstellung des grotesken Rennens zum Weißen Haus" gewesen. Den zweiten Roman findet Paasch wesentlich schwächer, und "nie wirklich ergreifend" wie das erste Buch. "Wo der Reporter zum Romanautor werden müsste, wechselt Klein lieber den Handlungsstrang". Zwar lobt Paasch das Talent des Journalisten Klein, den "restringierten Code des amerikanischen Politspeaks" wiederzugeben. Doch Roman und Figuren blieben holzschnitthaft. Da half auch nicht, dass Klein sein Anliegen kürzlich im Springer Journalistenclub in Berlin persönlich dargelegt hat. Der Rezensent ist mächtig enttäuscht, denn von Klein hatte er doch mehr erwartet.

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